§ 173

[325] In den Kindern wird die Einheit der Ehe, welche als substantiell nur Innigkeit und Gesinnung, als existierend aber in den beiden Subjekten gesondert ist, als Einheit selbst eine für sich seiende Existenz und Gegenstand, den sie als ihre Liebe, als ihr substantielles Dasein, lieben. – Der natürlichen Seite nach wird die Voraussetzung unmittelbar vorhandener[325] Personen – als Eltern – hier zum Resultate, ein Fortgang, der sich in den unendlichen Progreß der sich erzeugenden und voraussetzenden Geschlechter verläuft, – die Weise, wie in der endlichen Natürlichkeit der einfache Geist der Penaten seine Existenz als Gattung darstellt.


§ 174

Die Kinder haben das Recht, aus dem gemeinsamen Familienvermögen ernährt und erzogen zu werden. Das Recht der Eltern auf die Dienste der Kinder als Dienste gründet und beschränkt sich auf das Gemeinsame der Familiensorge überhaupt. Ebenso bestimmt sich das Recht der Eltern über die Willkür der Kinder durch den Zweck, sie in Zucht zu halten und zu erziehen. Der Zweck von Bestrafungen ist nicht die Gerechtigkeit als solche, sondern subjektiver, moralischer Natur, Abschreckung der noch in Natur befangenen Freiheit und Erhebung des Allgemeinen in ihr Bewußtsein und ihren Willen.


§ 175

[326] Die Kinder sind an sich Freie, und das Leben ist das unmittelbare Dasein nur dieser Freiheit, sie gehören daher weder anderen noch den Eltern als Sachen an. Ihre Erziehung hat die in Rücksicht auf das Familienverhältnis positive Bestimmung, daß die Sittlichkeit in ihnen zur unmittelbaren, noch gegensatzlosen Empfindung gebracht [werde] und das Gemüt darin, als dem Grunde des sittlichen Lebens, in Liebe, Zu trauen und Gehorsam sein erstes Leben gelebt habe, – dann aber die in Rücksicht auf dasselbe Verhältnis negative Bestimmung, die Kinder aus der natürlichen Unmittelbarkeit, in der sie sich ursprünglich befinden, zur Selbständigkeit und freien Persönlichkeit und damit zur Fähigkeit,[327] aus der natürlichen Einheit der Familie zu treten, zu erheben.

Das Sklavenverhältnis der römischen Kinder ist eine der diese Gesetzgebung befleckendsten Institutionen, und diese Kränkung der Sittlichkeit in ihrem innersten und zartesten Leben ist eins der wichtigsten Momente, den weltgeschichtlichen Charakter der Römer und ihre Richtung auf den Rechtsformalismus zu verstehen. – Die Notwendigkeit, erzogen zu werden, ist in den Kindern als das eigene Gefühl, in sich, wie sie sind, unbefriedigt zu sein, – als der Trieb, der Welt der Erwachsenen, die sie als ein Höheres ahnen, anzugehören, der Wunsch, groß zu werden. Die spielende Pädagogik nimmt das Kindische schon selbst als etwas, das an sich gelte, gibt es den Kindern so und setzt ihnen das Ernsthafte und sich selbst in kindische, von den Kindern selbst gering geachtete Form herab. Indem sie so dieselben in der Unfertigkeit, in der sie sich fühlen, vielmehr als fertig vorzustellen und darin befriedigt zu machen bestrebt ist, stört und verunreinigt sie deren wahres eigenes besseres Bedürfnis und bewirkt teils die Interesselosigkeit und Stumpfheit für die substantiellen Verhältnisse der geistigen Welt, teils die Verachtung der Menschen, da sich ihnen als Kindern dieselben selbst kindisch und verächtlich vorgestellt haben, und dann die sich an der eigenen Vortrefflichkeit weidende Eitelkeit und Eigendünkel.


§ 176

[328] Weil die Ehe nur erst die unmittelbare sittliche Idee ist, hiermit ihre objektive Wirklichkeit in der Innigkeit der subjektiven Gesinnung und Empfindung hat, so liegt darin die erste Zufälligkeit ihrer Existenz. Sowenig ein Zwang stattfinden kann, in die Ehe zu treten, sowenig gibt es sonst ein nur rechtliches positives Band, das die Subjekte bei entstandenen widrigen und feindseligen Gesinnungen und Handlungen zusammenzuhalten vermöchte. Es ist aber eine dritte sittliche Autorität gefordert, welche das Recht der Ehe, der sittlichen Substantialität, gegen die bloße Meinung von solcher Gesinnung und gegen die Zufälligkeit bloß temporärer Stimmung usf. festhält, diese von der totalen Entfremdung unterscheidet und die letztere konstatiert, um erst in diesem Falle die Ehe scheiden zu können.


§ 177

[329] Die sittliche Auflösung der Familie liegt darin, daß die Kinder zur freien Persönlichkeit erzogen, in der Volljährigkeit anerkannt werden, als rechtliche Personen und fähig zu sein, teils eigenes freies Eigentum zu haben, teils eigene Familien zu stiften – die Söhne als Häupter und die Tochter als Frauen –, eine Familie, in welcher sie nunmehr ihre substantielle Bestimmung haben, gegen die ihre erste Familie als nur erster Grund und Ausgangspunkt zurücktritt und noch mehr das Abstraktum des Stammes keine Rechte hat.


§ 178

Die natürliche Auflösung der Familie durch den Tod der Eltern, insbesondere des Mannes, hat die Erbschaft in Ansehung des Vermögens zur Folge; ihrem Wesen nach ein Eintreten in den eigentümlichen Besitz des an sich gemeinsamen Vermögens – ein Eintreten, das mit den entfernteren Graden der Verwandtschaft und im Zustande der die Personen und Familien verselbständigenden Zerstreuung der bürgerlichen Gesellschaft um so unbestimmter wird, als die Gesinnung der Einheit sich um so mehr verliert und als jede Ehe das Aufgeben der vorigen Familienverhältnisse und die Stiftung einer neuen selbständigen Familie wird.

Der Einfall, als Grund der Erbschaft den Umstand anzusehen, daß durch den Tod das Vermögen herrenloses Gut werde und als solches dem, der sich zuerst in Besitz setzt, zufalle, diese Besitzergreifung aber wohl meistens von den[330] Verwandten, als der gewöhnlich nächsten Umgebung, werde vorgenommen werden – welcher gewöhnliche Zufall dann durch die positiven Gesetze der Ordnung wegen zur Regel erhoben werde –, dieser Einfall läßt die Natur des Familienverhältnisses unberücksichtigt.


§ 179

[331] Es entsteht durch dies Auseinanderfallen die Freiheit für die Willkür der Individuen, teils überhaupt ihr Vermögen mehr nach Belieben, Meinungen und Zwecken der Einzelheit zu verwenden, teils gleichsam einen Kreis von Freunden, Bekannten usf. statt einer Familie anzusehen und diese Erklärung mit den rechtlichen Folgen der Erbschaft in einem Testamente zu machen.

In die Bildung eines solchen Kreises, worin die sittliche Berechtigung des Willens zu einer solchen Disposition über das Vermögen läge, tritt, besonders insofern sie schon die Beziehung auf das Testieren mit sich führt, so viele Zufälligkeit, Willkür, Absichtlichkeit für selbstsüchtige Zwecke usf. ein, daß das sittliche Moment etwas sehr Vages ist und die Anerkennung der Befugnis der Willkür, zu testieren, viel leichter für Verletzung sittlicher Verhältnisse und für niederträchtige Bemühungen und ebensolche Abhängigkeiten Veranlassung wird, wie sie auch törichter Willkür und der Heimtücke, an die sogenannten Wohltaten und Geschenke, die auf den Fall des Todes, in welchem[332] mein Eigentum ohnehin aufhört, mein zu sein, Bedingungen der Eitelkeit und einer herrischen Quälerei zu knüpfen, Gelegenheit und Berechtigung gibt.


§ 180

Das Prinzip, daß die Glieder der Familie zu selbständigen rechtlichen Personen werden (§ 177), läßt innerhalb des Kreises der Familie etwas von dieser Willkür und Unterscheidung unter den natürlichen Erben eintreten, die aber nur höchst beschränkt stattfinden kann, um das Grundverhältnis nicht zu verletzen.

Die bloße direkte Willkür des Verstorbenen kann nicht zum Prinzip für das Recht, zu testieren, gemacht werden, insbesondere nicht, insofern sie dem substantiellen Rechte der Familie gegenübersteht, deren Liebe, Verehrung gegen ihr ehemaliges Mitglied es doch vornehmlich nur sein könnte, welche dessen Willkür nach seinem Tode beachtete. Eine solche Willkür enthält für sich nichts, das höher[333] als das Familienrecht selbst zu respektieren wäre; im Gegenteil. Das sonstige Gelten einer Letzten-Willens-Disposition läge allein in der willkürlichen Anerkennung der anderen. Ein solches Gelten kann ihr vornehmlich nur eingeräumt werden, insofern das Familienverhältnis, in welchem sie absorbiert ist, entfernter und unwirksamer wird. Unwirksamkeit desselben aber, wo es wirklich vorhanden ist, gehört zum Unsittlichen, und die ausgedehnte Gültigkeit jener Willkür gegen ein solches enthält die Schwächung seiner Sittlichkeit in sich. – Diese Willkür aber innerhalb der Familie zum Hauptprinzip der Erbfolge zu machen, gehörte zu der vorhin bemerkten Härte und Unsittlichkeit der römischen Gesetze, nach denen der Sohn auch vom Vater verkauft werden konnte und, wenn er von anderen freigelassen wurde, in die Gewalt des Vaters zurückkehrte und erst auf die dritte Freilassung aus der Sklaverei wirklich frei wurde, – nach denen der Sohn überhaupt nicht de iure volljährig und eine rechtliche Person wurde und nur den Kriegsraub, peculium castrense, als Eigentum besitzen konnte und, wenn er durch jenen dreimaligen Verkauf und Loslassung aus der väterlichen Gewalt trat, nicht mit denen, die noch in der Familienknechtschaft geblieben waren, ohne Testamentseinsetzung erbte, – ebenso daß die Frau (insofern sie nicht in die Ehe als in ein Sklavenverhältnis, in manum conveniret, in mancipio esset, sondern als Matrone trat) nicht sosehr der Familie, die sie durch die Heirat an ihrem Teile gestiftet und die nunmehr wirklich die ihrige ist, als vielmehr der, aus der sie abstammte, angehörig blieb und daher vom Erben des Vermögens der wirklich Ihrigen ebenso ausgeschlossen, als die Gattin und Mutter von diesen nicht beerbt wurde. – Daß das Unsittliche solcher und anderer Rechte bei weiterhin erwachendem Gefühle der Vernünftigkeit im Wege der Rechtspflege, z.B. mit Beihilfe des Ausdrucks von bonorum possessio (daß hiervon wieder possessio bonorum unterschieden ist, gehört[334] zu solchen Kenntnissen, die den gelehrten Juristen ausmachen) statt hereditas, durch die Fiktion, eine filia in einen filius umzutaufen, eludiert wurde, ist oben schon (§ 3 Anm.) als die traurige Notwendigkeit für den Richter bemerkt worden, das Vernünftige pfiffigerweise gegen schlechte Gesetze, wenigstens in einigen Folgen, einzuschwärzen. Die fürchterliche Instabilität der wichtigsten Institutionen und ein tumultuarisches Gesetzgeben gegen die Ausbrüche der daraus entspringenden Übel hängt damit zusammen. – Welche unsittliche Folgen dies Recht der Willkür im Testamentmachen bei den Römern hatte, ist sattsam aus der Geschichte und Lukians und anderer Schilderungen bekannt. – Es liegt in der Natur der Ehe selbst, als der unmittelbaren Sittlichkeit, die Vermischung von substantiellem Verhältnis, natürlicher Zufälligkeit und innerer Willkür; – wenn nun der Willkür durch das Knechtschaftsverhältnis der Kinder und die anderen bemerkten und sonst damit zusammenhängenden Bestimmungen, vollends auch durch die Leichtigkeit der Ehescheidungen bei den Römern, gegen das Recht des Substantiellen der Vorzug eingeräumt wird, so daß selbst Cicero – und wie viel Schönes hat er nicht über das Honestum und Decorum in seinen Officiis und allenthalben anderwärts geschrieben! – die Spekulation machte, seine Gattin fortzuschicken, um durch das Heiratsgut einer neuen seine Schulden zu bezahlen, – so ist dem Verderben der Sitten ein gesetzlicher Weg gebahnt oder vielmehr die Gesetze sind die Notwendigkeit desselben.

Die Institution des Erbrechts, zur Erhaltung und zum Glanz der Familie durch Substitutionen und Familienfideikommisse entweder die Tochter zugunsten der Söhne oder zugunsten des ältesten Sohnes die übrigen Kinder von der Erbschaft auszuschließen oder überhaupt eine Ungleichheit eintreten zu lassen, verletzt teils das Prinzip der Freiheit des Eigentums (§ 62), teils beruht sie auf einer Willkür, die an und für sich kein Recht hat, anerkannt[335] zu werden, – näher auf dem Gedanken, diesen Stamm oder Haus, nicht sowohl diese Familie aufrechterhalten zu wollen. Aber nicht dieses Haus oder Stamm, sondern die Familie als solche ist die Idee, die solches Recht hat, und durch die Freiheit des Vermögens und die Gleichheit des Erbrechts wird ebensowohl die sittliche Gestaltung erhalten, als die Familien [dadurch] viel mehr als durch das Gegenteil erhalten werden. – In solchen Institutionen ist, wie in den römischen, das Recht der Ehe (§ 172) überhaupt verkannt, daß sie die vollständige Stiftung einer eigentümlichen wirklichen Familie ist und gegen sie das, was Familie überhaupt heißt, stirps, gens, nur ein sich mit den Generationen immer weiter entfernendes und sich verunwirklichendes Abstraktum wird (§ 177). Die Liebe, das sittliche Moment der Ehe, ist als Liebe Empfindung für wirkliche, gegenwärtige Individuen, nicht für ein Abstraktum. – Daß sich die Verstandesabstraktion als das weltgeschichtliche Prinzip des Römerreichs zeigt, s. unten § 356. – Daß aber die höhere politische Sphäre ein Recht der Erstgeburt und ein eisernes Stammvermögen, doch nicht als eine Willkür, sondern als aus der Idee des Staates notwendig herbeiführt, davon unten § 306.[336]

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 7, Frankfurt a. M. 1979, S. 325-338.
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