Einleitung

§ 1

[29] Die philosophische Rechtswissenschaft hat die Idee des Rechts, den Begriff des Rechts und dessen Verwirklichung zum Gegenstande.

Die Philosophie hat es mit Ideen und darum nicht mit dem, was man bloße Begriffe zu heißen pflegt, zu tun, sie zeigt vielmehr deren Einseitigkeit und Unwahrheit auf, sowie daß der Begriff (nicht das, was man oft so nennen hört, aber nur eine abstrakte Verstandesbestimmung ist) allein es ist, was Wirklichkeit hat und zwar so, daß er sich diese selbst gibt. Alles, was nicht diese durch den Begriff selbstgesetzte Wirklichkeit ist, ist vorübergehendes Dasein, äußerliche Zufälligkeit, Meinung, wesenlose Erscheinung, Unwahrheit, Täuschung usf. Die Gestaltung, welche sich der Begriff in seiner Verwirklichung gibt, ist zur Erkenntnis des Begriffes selbst das andere, von der Form, nur als Begriff zu sein, unterschiedene wesentliche Moment der Idee.
[29]


§ 2

Die Rechtswissenschaft ist ein Teil der Philosophie. Sie hat daher die Idee, als welche die Vernunft eines Gegenstandes ist, aus dem Begriffe zu entwickeln oder, was dasselbe ist, der eigenen immanenten Entwicklung der Sache selbst zuzusehen. Als Teil hat sie einen bestimmten Anfangspunkt, welcher das Resultat und die Wahrheit von dem ist, was vorhergeht und was den sogenannten Beweis desselben ausmacht. Der Begriff des Rechts fällt daher seinem Werden nach außerhalb der Wissenschaft des Rechts, seine Deduktion ist hier vorausgesetzt, und er ist als gegeben aufzunehmen.[30]

Nach der formellen, nicht philosophischen Methode der Wissenschaften wird zuerst die Definition, wenigstens um der äußeren wissenschaftlichen Form wegen, gesucht und verlangt. Der positiven Rechtswissenschaft kann es übrigens auch darum nicht sehr zu tun sein, da sie vornehmlich darauf geht, anzugeben, was Rechtens ist, d.h. welches die besonderen gesetzlichen Bestimmungen sind, weswegen man zur Warnung sagte: omnis definitio in iure civili periculosa. Und in der Tat, je unzusammenhängender und widersprechender in sich die Bestimmungen eines Rechtes sind, desto weniger sind Definitionen in demselben möglich, denn diese sollen vielmehr allgemeine Bestimmungen enthalten, diese aber machen unmittelbar das Widersprechende, hier das Unrechtliche, in seiner Blöße sichtbar. So z.B. wäre für das römische Recht keine Definition vom Menschen möglich, denn der Sklave ließe sich darunter nicht subsumieren, in seinem Stand ist jener Begriff vielmehr verletzt; ebenso perikulös würde die Definition von Eigentum und Eigentümer für viele Verhältnisse erscheinen. – Die Deduktion aber der Definition wird etwa aus der Etymologie, vornehmlich daraus geführt, daß sie aus den besonderen Fällen abstrahiert und dabei das Gefühl und die Vorstellung der Menschen zum Grunde gelegt wird. Die Richtigkeit der Definition wird dann in die Übereinstimmung mit den vorhandenen Vorstellungen gesetzt. Bei dieser Methode wird das, was allein wissenschaftlich wesentlich ist, in Ansehung des Inhalts die Notwendigkeit der Sache an und für sich selbst (hier des Rechts), in Ansehung der Form aber die Natur des Begriffs, beiseite gestellt. Vielmehr ist in der philosophischen Erkenntnis die Notwendigkeit eines Begriffs die Hauptsache, und der Gang, als Resultat, geworden zu[31] sein, [ist] sein Beweis und Deduktion. Indem so sein Inhalt für sich notwendig ist, so ist das Zweite, sich umzusehen, was in den Vorstellungen und in der Sprache demselben entspricht. Wie aber dieser Begriff für sich in seiner Wahrheit und wie er in der Vorstellung ist, dies kann nicht nur verschieden voneinander, sondern muß es auch der Form und Gestalt nach sein. Wenn jedoch die Vorstellung nicht auch ihrem Inhalte nach falsch ist, kann wohl der Begriff als in ihr enthalten und, seinem Wesen nach, in ihr vorhanden aufgezeigt, d.h. die Vorstellung zur Form des Begriffs erhoben werden. Aber sie ist so wenig Maßstab und Kriterium des für sich selbst notwendigen und wahren Begriffs, daß sie vielmehr ihre Wahrheit aus ihm zu nehmen, sich aus ihm zu berichtigen und zu erkennen hat. – Wenn aber jene Weise des Erkennens mit ihren Förmlichkeiten von Definitionen, Schließen, Beweisen und dergleichen einerseits mehr oder weniger verschwunden ist, so ist es dagegen ein schlimmer Ersatz, den sie durch eine andere Manier erhalten hat, nämlich die Ideen überhaupt, so auch die des Rechts und dessen weiterer Bestimmungen, als Tatsachen des Bewußtseins unmittelbar aufzugreifen und zu behaupten und das natürliche oder ein gesteigertes Gefühl, die eigne Brust und die Begeisterung zur Quelle des Rechts zu machen. Wenn diese Methode die bequemste unter allen ist, so ist sie zugleich die unphilosophischste – andere Seiten solcher Ansicht hier nicht zu erwähnen, die nicht bloß auf das Erkennen, sondern unmittelbar auf das Handeln Beziehung hat. Wenn die erste zwar formelle Methode doch noch die Form des Begriffes in der Definition und im Beweise die Form einer Notwendigkeit des Erkennens fordert, so macht die Manier des unmittelbaren Bewußtseins und Gefühls die Subjektivität, Zufälligkeit und Willkür des Wissens zum Prinzip. – Worin das wissenschaftliche Verfahren der Philosophie bestehe, ist hier aus der philosophischen Logik vorauszusetzen.
[32]

§ 3

Das Recht ist positiv überhaupt a) durch die Form, in einem Staate Gültigkeit zu haben, und diese gesetzliche Autorität ist das Prinzip für die Kenntnis desselben, die positive Rechtswissenschaft. b) Dem Inhalte nach erhält dies Recht ein positives Element α) durch den besonderen Nationalcharakter eines Volkes, die Stufe seiner geschichtlichen Entwicklung und den Zusammenhang aller der Verhältnisse, die der Naturnotwendigkeit angehören; β) durch die Notwendigkeit, daß ein System eines gesetzlichen Rechts die Anwendung des allgemeinen Begriffes auf die besondere von außen sich gebende Beschaffenheit der Gegenstände und Fälle enthalten muß – eine Anwendung, die nicht mehr spekulatives Denken und Entwicklung des Begriffes, sondern Subsumtion des Verstandes ist; γ) durch die für die Entscheidung in der Wirklichkeit erforderlichen letzten Bestimmungen.

Wenn dem positiven Rechte und den Gesetzen das Gefühl des Herzens, Neigung und Willkür entgegengesetzt wird, so kann es wenigstens nicht die Philosophie sein, welche solche Autoritäten anerkennt. – Daß Gewalt und Tyrannei[34] ein Element des positiven Rechts sein kann, ist demselben zufällig und geht seine Natur nicht an. Es wird späterhin, § 211-214, die Stelle aufgezeigt werden, wo das Recht positiv werden muß. Hier sind die daselbst sich ergeben werdenden Bestimmungen nur angeführt worden, um die Grenze des philosophischen Rechts zu bezeichnen und um sogleich die etwaige Vorstellung oder gar Forderung zu beseitigen, als ob durch dessen systematische Entwicklung ein positives Gesetzbuch, d. i. ein solches, wie der wirkliche Staat eines bedarf, herauskommen solle. – Daß das Naturrecht oder das philosophische Recht vom positiven verschieden ist, dies darein zu verkehren, daß sie einander entgegengesetzt und widerstreitend sind, wäre ein großes Mißverständnis; jenes ist zu diesem vielmehr im Verhältnis von Institutionen zu Pandekten, – In Ansehung des im Paragraphen zuerst genannten geschichtlichen Elements im positiven Rechte hat Montesquieu die wahrhafte historische Ansicht, den echt philosophischen Standpunkt angegeben, die Gesetzgebung überhaupt und ihre besonderen Bestimmungen nicht isoliert und abstrakt zu betrachten, sondern vielmehr als abhängiges Moment einer Totalität, im Zusammenhange mit allen übrigen Bestimmungen, welche den Charakter einer Nation und einer Zeit ausmachen; in diesem Zusammenhange erhalten sie ihre wahrhafte Bedeutung sowie damit ihre Rechtfertigung. – Das in der Zeit erscheinende Hervortreten und Entwickeln von Rechtsbestimmungen zu betrachten, diese rein geschichtliche Bemühung, sowie die Erkenntnis ihrer verständigen Konsequenz, die aus der Vergleichung derselben mit bereits vorhandenen Rechtsverhältnissen hervorgeht, hat in ihrer eigenen Sphäre ihr Verdienst und ihre Würdigung und steht außer dem Verhältnis mit der philosophischen Betrachtung, insofern nämlich die Entwicklung aus historischen Gründen sich nicht selbst verwechselt mit der Entwicklung aus dem Begriffe und die geschichtliche Erklärung und Rechtfertigung nicht zur Bedeutung[35] einer an und für sich gültigen Rechtfertigung ausgedehnt wird. Dieser Unterschied, der sehr wichtig und wohl festzuhalten ist, ist zugleich sehr einleuchtend; eine Rechtsbestimmung kann sich aus den Umständen und vorhandenen Rechtsinstitutionen als vollkommen gegründet und konsequent zeigen lassen und doch an und für sich unrechtlich und unvernünftig sein, wie eine Menge der Bestimmungen des römischen Privatrechts, die aus solchen Institutionen als die römische väterliche Gewalt, der römische Ehestand ganz konsequent flossen. Es seien aber auch die Rechtsbestimmungen rechtlich und vernünftig, so ist es etwas ganz anderes, dies von ihnen aufzuzeigen, was allein durch den Begriff wahrhaftig geschehen kann, und ein anderes, das Geschichtliche ihres Hervortretens darzustellen, die Umstände, Fälle, Bedürfnisse und Begebenheiten, welche ihre Feststellung herbeigeführt haben. Ein solches Aufzeigen und (pragmatisches) Erkennen aus den näheren oder entfernteren geschichtlichen Ursachen heißt man häufig: Erklären oder noch lieber Begreifen, in der Meinung, als ob durch dieses Aufzeigen des Geschichtlichen alles oder vielmehr das Wesentliche, worauf es allein ankomme, geschehe, um das Gesetz oder Rechtsinstitution zu begreifen, während vielmehr das wahrhaft Wesentliche, der Begriff der Sache, dabei gar nicht zur Sprache gekommen ist. – Man pflegt so auch von den römischen, germanischen Rechtsbegriffen, von Rechts- begriffen, wie sie in diesem oder jenem Gesetzbuche bestimmt seien, zu sprechen, während dabei nichts von Begriffen, sondern allein allgemeine Rechtsbestimmungen, Verstandessätze, Grundsätze, Gesetze u. dgl. vorkommen. – Durch Hintansetzung jenes Unterschiedes gelingt es, den Standpunkt zu verrücken und die Frage nach der wahrhaften Rechtfertigung in eine Rechtfertigung aus Umständen, Konsequenz aus Voraussetzungen, die für sich etwa ebensowenig taugen usf., hinüberzuspielen und überhaupt das Relative an die Stelle des Absoluten, die[36] äußerliche Erscheinung an die Stelle der Natur der Sache zu setzen. Es geschieht der geschichtlichen Rechtfertigung, wenn sie das äußerliche Entstehen mit dem Entstehen aus dem Begriffe verwechselt, daß sie dann bewußtlos das Gegenteil dessen tut, was sie beabsichtigt. Wenn das Entstehen einer Institution unter ihren bestimmten Umständen sich vollkommen zweckmäßig und notwendig erweist und hiermit das geleistet ist, was der historische Standpunkt erfordert, so folgt, wenn dies für eine allgemeine Rechtfertigung der Sache selbst gelten soll, vielmehr das Gegenteil, daß nämlich, weil solche Umstände nicht mehr vorhanden sind, die Institution hiermit vielmehr ihren Sinn und ihr Recht verloren hat. So, wenn z.B. für Aufrechthaltung der Klöster ihr Verdienst um Urbarmachung und Bevölkerung von Wüsteneien, um Erhaltung der Gelehrsamkeit durch Unterricht und Abschreiben usf. geltend gemacht und dies Verdienst als Grund und Bestimmung für ihr Fortbestehen angesehen worden ist, so folgt aus demselben vielmehr, daß sie unter den ganz veränderten Umständen, insoweit wenigstens, überflüssig und unzweckmäßig geworden sind. – Indem nun die geschichtliche Bedeutung, das geschichtliche Aufzeigen und Begreiflichmachen des Entstehens und die philosophische Ansicht gleichfalls des Entstehens und Begriffes der Sache in verschiedenen Sphären zu Hause sind, so können sie insofern eine gleichgültige Stellung gegeneinander behalten. Indem sie aber, auch im Wissenschaftlichen, diese ruhige Stellung nicht immer behalten, so führe ich noch etwas diese Berührung Betreffendes an, wie es in Herrn Hugos Lehrbuch der Geschichte des römischen Rechts erscheint, woraus zugleich eine weitere Erläuterung jener Manier des Gegensatzes hervorgehen kann. Herr Hugo führt daselbst (5. Auflage, § 53) an, ›daß Cicero die zwölf Tafeln, mit einem Seitenblicke auf die Philosophen,[37] lobe‹, ›der Philosoph Favorinus aber sie ganz ebenso behandle, wie seitdem schon mancher große Philosoph das positive Recht behandelt habe‹. Herr Hugo spricht ebendaselbst die ein für allemal fertige Erwiderung auf solche Behandlung in dem Grunde aus, ›weil Favorinus die zwölf Tafeln ebensowenig als die Philosophen das positive Recht verstanden‹. – Was die Zurechtweisung des Philosophen Favorinus durch den Rechtsgelehrten Sextus Caecilius bei Gellius, Noctes Atticae, XX, 1, betrifft, so spricht sie zunächst das bleibende und wahrhafte Prinzip der Rechtfertigung des seinem Gehalte nach bloß Positiven aus. »Non ignoras«, sagt Caecilius sehr gut zu Favorinus, »legum opportunitates et medelas pro temporum moribus et pro rerum publicarum generibus, ac pro utilitatum praesentium rationibus, proque vitiorum, quibus medendum est, fervoribus, mutari ac flecti, neque uno statu consistere, quin, ut facies coeli et maris, ita rerum atque fortunae tempestatibus varientur. Quid salubrius visum est rogatione illa Stolonis..., quid utilius plebiscito Voconio..., quid tam necessarium existimatum est..., quam lex Licinia...? Omnia tamen haec obliterata et operta sunt civitatis opulentia...« Diese Gesetze sind insofern positiv, als sie ihre Bedeutung und Zweckmäßigkeit in den Umständen, somit nur einen historischen Wert überhaupt haben; deswegen sind sie[38] auch vergänglicher Natur. Die Weisheit der Gesetzgeber und Regierungen in dem, was sie für vorhandene Umstände getan und für Zeitverhältnisse festgesetzt haben, ist eine Sache für sich und gehört der Würdigung der Geschichte an, von der sie um so tiefer anerkannt werden wird, Je mehr eine solche Würdigung von philosophischen Gesichtspunkten unterstützt ist. – Von den ferneren Rechtfertigungen der zwölf Tafeln gegen den Favorinus aber will ich ein Beispiel anführen, weil Caecilius dabei den unsterblichen Betrug der Methode des Verstandes und seines Räsonierens anbringt, nämlich für eine schlechte Sache einen guten Grund anzugeben und zu meinen, sie damit gerechtfertigt zu haben. Für das abscheuliche Gesetz, welches dem Gläubiger nach den verlaufenen Fristen das Recht gab, den Schuldner zu töten oder ihn als Sklaven zu verkaufen, Ja, wenn der Gläubiger mehrere waren, von ihm sich Stücke abzuschneiden und ihn so unter sich zu teilen, und zwar so, daß, wenn einer zu viel oder zu wenig abgeschnitten hatte, ihm kein Rechtsanteil daraus entstehen sollte (eine Klausel, welche Shakespeares Shylock, im Kaufmann von Venedig, zugute gekommen und von ihm dankbarst akzeptiert worden wäre), – führt Caecilius den guten Grund an, daß Treu und Glauben dadurch um so mehr gesichert [seien] und es eben, um der Abscheulichkeit des Gesetzes willen, nie zur Anwendung desselben habe kommen sollen. Seiner Gedankenlosigkeit entgeht dabei nicht bloß die Reflexion, daß eben durch diese Bestimmung jene Absicht, die Sicherung der Treu und des Glaubens, vernichtet wird, sondern daß er selbst unmittelbar darauf ein Beispiel von der durch seine unmäßige Strafe verfehlten Wirkung des Gesetzes über die falschen Zeugnisse anführt. – Was aber Herr Hugo damit will, daß Favorinus das Gesetz nicht verstanden habe, ist nicht abzusehen; jeder Schulknabe ist wohl fähig, es zu verstehen, und am besten würde der genannte Shylock auch noch die angeführte, für ihn so[39] vorteilhafte Klausel verstanden haben; – unter Verstehen müßte Herr Hugo nur diejenige Bildung des Verstandes meinen, welche sich bei einem solchen Gesetze durch einen guten Grund beruhigt. – Ein anderes ebendaselbst dem Favorinus vom Caecilius nachgewiesenes Nichtverstehen kann übrigens ein Philosoph schon, ohne eben schamrot zu werden, eingestehen, – daß nämlich iumentum, welches nur, ›und nicht eine arcera‹, nach dem Gesetze einem Kranken, um ihn als Zeugen vor Gericht zu bringen, zu leisten sei, nicht nur ein Pferd, sondern auch eine Kutsche oder Wagen bedeutet haben soll. Caecilius konnte aus dieser gesetzlichen Bestimmung einen weiteren Beweis von der Vortrefflichkeit und Genauigkeit der alten Gesetze ziehen, daß sie sich nämlich sogar darauf einließen, für die Sistierung eines kranken Zeugen vor Gericht die Bestimmung nicht bloß bis zum Unterschiede von einem Pferde und einem Wagen, sondern von Wagen und Wagen, einem bedeckten und ausgefütterten, wie Caecilius erläutert, und einem, der nicht so bequem ist, zu treiben. Man hätte hiermit die Wahl zwischen der Härte jenes Gesetzes oder der Unbedeutendheit solcher Bestimmungen, – aber die Unbedeutendheit von solchen Sachen und vollends von den gelehrten Erläuterungen derselben auszusagen, würde einer der größten Verstöße gegen diese und andere Gelehrsamkeit sein.

Herr Hugo kommt aber auch im angeführten Lehrbuche auf die Vernünftigkeit in Ansehung des römischen Rechts zu sprechen; was mir davon aufgestoßen ist, ist folgendes. Nachdem derselbe in der Abhandlung des Zeitraums von Entstehung des Staats bis auf die zwölf Tafeln § 38 und 39 gesagt, ›daß man (in Rom) viele Bedürfnisse gehabt und genötigt war, zu arbeiten, wobei man als Gehilfen Zug- und Lasttiere brauchte, wie sie bei uns vorkommen, daß der Boden eine Abwechslung von Hügeln und Tälern war und die Stadt auf einem Hügel lag usw.‹ – Anführungen, durch welche vielleicht der Sinn Montesquieus hat[40] erfüllt sein sollen, wodurch man aber schwerlich seinen Geist getroffen finden wird –, so führt er nun § 40 zwar an, ›daß der rechtliche Zustand noch sehr weit davon entfernt war, den höchsten Forderungen der Vernunft ein Genüge zu tun‹ (ganz richtig; das römische Familienrecht, die Sklaverei usf. tut auch sehr geringen Forderungen der Vernunft kein Genüge), aber bei den folgenden Zeiträumen vergißt Herr Hugo anzugeben, in welchem und ob in irgendeinem derselben das römische Recht den höchsten Forderungen der Vernunft Genüge geleistet habe. Jedoch von den juristischen Klassikern, in dem Zeiträume der höchsten Ausbildung des römischen Rechts als Wissenschaft, wird § 289 gesagt, ›daß man schon lange bemerkt, daß die juristischen Klassiker durch Philosophie gebildet waren‹; aber ›wenige wissen (durch die vielen Auflagen des Lehrbuchs des Herrn Hugo wissen es nun doch mehrere), daß es keine Art von Schriftstellern gibt, die im konsequenten Schließen aus Grundsätzen so sehr verdienten, den Mathematikern und, in einer ganz auffallenden Eigenheit der Entwicklung der Begriffe, dem neueren Schöpfer der Metaphysik an die Seite gesetzt zu werden, als gerade die römischen Rechtsgelehrten: letzteres belege der merkwürdige Umstand, daß nirgend so viele Trichotomien vorkommen als bei den juristischen Klassikern und bei Kant‹. – Jene von Leibniz gerühmte Konsequenz ist gewiß eine wesentliche Eigenschaft der Rechtswissenschaft, wie der Mathematik und jeder anderen verständigen Wissenschaft; aber mit der Befriedigung der Forderungen der Vernunft und mit der philosophischen Wissenschaft hat diese Verstandeskonsequenz noch nichts zu tun. Außerdem ist aber wohl die Inkonsequenz der römischen Rechtsgelehrten und der Prätoren als eine ihrer größten Tugenden zu achten, als durch welche sie von ungerechten und abscheulichen Institutionen abwichen, aber sich genötigt sahen, callide leere Wortunterschiede (wie das, was doch auch Erbschaft war, eine Bonorum possessio zu nennen) und[41] eine selbst alberne Ausflucht (und Albernheit ist gleichfalls eine Inkonsequenz) zu ersinnen, um den Buchstaben der Tafeln zu retten, wie durch die fictio,hypokrisis eine filia sei ein filius (Heineccius, Antiquitatum Romanarum... liber I, tit. II, § 24). – Possierlich aber ist es, die juristischen Klassiker wegen einiger trichotomischer Einteilungen – vollends nach den daselbst Anm. 5 angeführten Beispielen – mit Kant zusammengestellt und so etwas Entwicklung der Begriffe geheißen zu sehen.
[42]


§ 4

Der Boden des Rechts ist überhaupt das Geistige und seine nähere Stelle und Ausgangspunkt der Wille, welcher frei ist, so daß die Freiheit seine Substanz und Bestimmung ausmacht und das Rechtssystem das Reich der verwirklichten Freiheit, die Welt des Geistes aus ihm selbst hervorgebracht, als eine zweite Natur, ist.[46]

In Ansehung der Freiheit des Willens kann an die vormalige Verfahrensart des Erkennens erinnert werden. Man setzte nämlich die Vorstellung des Willens voraus und versuchte, aus ihr eine Definition desselben herauszubringen und festzusetzen; dann wurde nach der Weise der vormaligen empirischen Psychologie aus den verschiedenen Empfindungen und Erscheinungen des gewöhnlichen Bewußtseins als Reue, Schuld und dergleichen, als welche sich nur aus dem freien Willen sollen erklären lassen, der sogenannte Beweis geführt, daß der Wille frei sei. Bequemer ist es aber, sich kurzweg daran zu halten, daß die Freiheit als eine Tatsache des Bewußtseins gegeben sei und an sie geglaubt werden müsse. Daß der Wille frei und was Wille und Freiheit ist – die Deduktion hiervon kann, wie schon bemerkt ist (§ 2), allein im Zusammenhange des Ganzen stattfinden. Die Grundzüge dieser Prämisse – daß der Geist zunächst Intelligenz und daß die Bestimmungen, durch welche sie in ihrer Entwicklung fortgeht, vom Gefühl durch Vorstellen zum Denken der Weg sind, sich als Wille hervorzubringen, welcher, als der praktische Geist überhaupt, die nächste Wahrheit der Intelligenz ist – habe ich in meiner Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (Heidelberg 1817) § 363-399 dargestellt und hoffe, deren weitere Ausführung dereinst geben zu können. Es ist mir um so mehr Bedürfnis, dadurch, wie ich hoffe, zu gründlicherer Erkenntnis der Natur des Geistes das Meinige beizutragen, da sich, wie daselbst, § 367 Anm., bemerkt ist, nicht leicht eine philosophische Wissenschaft in[48] so vernachlässigtem und schlechtem Zustande befindet als die Lehre vom Geiste, die man gewöhnlich Psychologie nennt. – In Ansehung der in diesem und in den folgenden Paragraphen der Einleitung angegebenen Momente des Begriffes des Willens, welche das Resultat jener Prämisse sind, kann sich übrigens zum Behuf des Vorstellens auf das Selbstbewußtsein eines jeden berufen werden. Jeder wird zunächst in sich finden, von allem, was es sei, abstrahieren zu können, und ebenso sich selbst bestimmen, jeden Inhalt durch sich in sich setzen zu können, und eben so für die weiteren Bestimmungen das Beispiel in seinem Selbstbewußtsein haben.


§ 5

Der Wille enthält α) das Element der reinen Unbestimmtheit oder der reinen Reflexion des Ich in sich, in welcher jede Beschränkung, jeder durch die Natur, die Bedürfnisse, Begierden und Triebe unmittelbar vorhandene oder, wodurch es sei, gegebene und bestimmte Inhalt aufgelöst ist; die schrankenlose Unendlichkeit der absoluten Abstraktion oder Allgemeinheit, das reine Denken seiner selbst.

Diejenigen, welche das Denken als ein besonderes, eigentümliches Vermögen, getrennt vom Willen, als einem gleichfalls eigentümlichen Vermögen, betrachten und weiter gar das Denken als dem Willen, besonders dem guten[49] Willen, für nachteilig halten, zeigen sogleich von vornherein, daß sie gar nichts von der Natur des Willens wissen; eine Bemerkung, die über denselben Gegenstand noch öfters zu machen sein wird. – Wenn die eine hier bestimmte Seite des Willens – diese absolute Möglichkeit, von jeder Bestimmung, in der Ich mich finde oder die Ich in mich gesetzt habe, abstrahieren zu können, die Flucht aus allem Inhalte als einer Schranke – es ist, wozu der Wille sich bestimmt oder die für sich von der Vorstellung als die Freiheit festgehalten wird, so ist dies die negative oder die Freiheit des Verstandes. – Es ist die Freiheit der Leere, welche zur wirklichen Gestalt und zur Leidenschaft erhoben [wird] und zwar, bloß theoretisch bleibend, im Religiösen der Fanatismus der indischen reinen Beschauung, aber, zur Wirklichkeit sich wendend, im Politischen wie im Religiösen der Fanatismus der Zertrümmerung aller bestehenden gesellschaftlichen Ordnung und die Hinwegräumung der einer Ordnung verdächtigen Individuen wie die Vernichtung jeder sich wieder hervortun wollenden Organisation wird. Nur indem er etwas zerstört, hat dieser negative Wille das Gefühl seines Daseins; er meint wohl etwa irgendeinen positiven Zustand zu wollen, z.B. den Zustand allgemeiner Gleichheit oder allgemeinen religiösen Lebens, aber er will in der Tat nicht die positive Wirklichkeit desselben, denn diese führt sogleich irgendeine Ordnung, eine Besonderung sowohl von Einrichtungen als von Individuen herbei; die Besonderung und objektive Bestimmung ist es aber, aus deren Vernichtung dieser negativen Freiheit ihr Selbstbewußtsein hervorgeht. So kann das, was sie zu wollen meint, für sich schon nur eine abstrakte Vorstellung und die Verwirklichung derselben nur die Furie des Zerstörens sein.
[50]

§ 6

β) Ebenso ist Ich das Übergehen aus unterschiedsloser Unbestimmtheit zur Unterscheidung, Bestimmen und Setzen einer Bestimmtheit als eines Inhalts und Gegenstands. – Dieser Inhalt sei nun weiter als durch die Natur gegeben oder aus dem Begriffe des Geistes erzeugt. Durch dies Setzen seiner selbst als eines bestimmten tritt Ich in das Dasein überhaupt; – das absolute Moment der Endlichkeit oder Besonderung des Ich.

Dies zweite Moment der Bestimmung ist ebenso Negativität, Aufheben als das erste – es ist nämlich das Aufheben der ersten abstrakten Negativität. – Wie das Besondere überhaupt im Allgemeinen, so ist deswegen dies zweite Moment im ersten schon enthalten und nur ein Setzen dessen, was das erste schon an sich ist; – das erste Moment, als erstes für sich nämlich, ist nicht die wahrhafte Unendlichkeit, oder konkrete Allgemeinheit, der Begriff, – sondern nur ein Bestimmtes, Einseitiges; nämlich weil es die Abstraktion von aller Bestimmtheit ist, ist es selbst nicht ohne die Bestimmtheit; und als ein Abstraktes, Einseitiges zu sein, macht seine Bestimmtheit, Mangelhaftigkeit und Endlichkeit aus. – Die Unterscheidung und Bestimmung der zwei angegebenen Momente[52] findet sich in der Fichteschen Philosophie, ebenso in der Kantischen usf.; nur, um bei der Fichteschen Darstellung stehenzubleiben, ist Ich als das Unbegrenzte (im ersten Satze der Fichteschen Wissenschaftslehre) ganz nur als Positives genommen (so ist es die Allgemeinheit und Identität des Verstandes), so daß dieses abstrakte Ich für sich das Wahre sein soll und daß darum ferner die Beschränkung – das Negative überhaupt, sei es als eine gegebene, äußere Schranke oder als eigene Tätigkeit des Ich – (im zweiten Satze) hinzukommt. – Die im Allgemeinen oder Identischen, wie im Ich, immanente Negativität aufzufassen, war der weitere Schritt, den die spekulative Philosophie zu machen hatte, – ein Bedürfnis, von welchem diejenigen nichts ahnen, welche den Dualismus der Unendlichkeit und Endlichkeit nicht einmal in der Immanenz und Abstraktion, wie Fichte, auffassen.
[53]


§ 7

γ) Der Wille ist die Einheit dieser beiden Momente; – die in sich reflektierte und dadurch zur Allgemeinheit zurückgeführte Besonderheit, – Einzelheit, die Selbstbestimmung des Ich, in einem sich als das Negative seiner selbst, nämlich als bestimmt, beschränkt zu setzen und bei sich, d. i. in seiner Identität mit sich und Allgemeinheit zu bleiben, und in der Bestimmung, sich nur mit sich selbst zusammenzuschließen. – Ich bestimmt sich, insofern es die Beziehung der Negativität auf sich selbst ist; als diese Beziehung auf sich ist es ebenso gleichgültig gegen diese Bestimmtheit, weiß sie als die seinige und ideelle, als eine bloße Möglichkeit, durch die es nicht gebunden ist, sondern in der es nur ist, weil es sich in derselben setzt. – Dies ist die Freiheit des Willens, welche[54] seinen Begriff oder Substantialität, seine Schwere so ausmacht wie die Schwere die Substantialität des Körpers.

Jedes Selbstbewußtsein weiß sich als Allgemeines – als die Möglichkeit, von allem Bestimmten zu abstrahieren –, als Besonderes mit einem bestimmten Gegenstande, Inhalt, Zweck. Diese beiden Momente sind jedoch nur Abstraktionen; das Konkrete und Wahre (und alles Wahre ist konkret) ist die Allgemeinheit, welche zum Gegensatze das Besondere hat, das aber durch seine Reflexion in sich mit dem Allgemeinen ausgeglichen ist. – Diese Einheit ist die Einzelheit, aber sie nicht in ihrer Unmittelbarkeit als Eins, wie die Einzelheit in der Vorstellung ist, sondern nach ihrem Begriffe (Enzykl. der philosoph. Wissenschaften, § 112-114), – oder diese Einzelheit ist eigentlich nichts anderes als der Begriff selbst. Jene beiden ersten Momente, daß der Wille von allem abstrahieren könne und daß er auch bestimmt sei – durch sich oder anderes –, werden leicht zugegeben und gefaßt, weil sie für sich unwahre und Verstandes- Momente sind; aber das dritte, das Wahre und Spekulative (und alles Wahre, insofern es begriffen wird, kann nur spekulativ gedacht werden) ist es, in welches einzugehen sich der Verstand weigert, der immer gerade den Begriff das Unbegreifliche nennt. Der Erweis und die nähere Erörterung dieses Innersten der Spekulation, der Unendlichkeit als sich auf sich beziehender Negativität, dieses letzten Quellpunktes aller Tätigkeit, Lebens und Bewußtseins, gehört der Logik als der rein spekulativen Philosophie an. – Es kann hier nur noch bemerklich gemacht werden, daß, wenn man so spricht: der Wille ist allgemein, der Wille bestimmt sich, man den Willen schon als vorausgesetztes Subjekt oder Substrat ausdrückt, aber er ist nicht ein Fertiges und Allgemeines vor seinem Bestimmen und vor dem Aufheben und der[55] Idealität dieses Bestimmens, sondern er ist erst Wille als diese sich in sich vermittelnde Tätigkeit und Rückkehr in sich.


§ 8

[56] Das weiter Bestimmte der Besonderung (β). § 6) macht den Unterschied der Formen des Willens aus: a) insofern die[57] Bestimmtheit der formelle Gegensatz von Subjektivem und Objektivem als äußerlicher unmittelbarer Existenz ist, so ist dies der formale Wille als Selbstbewußtsein, welcher eine Außenwelt vorfindet und als die in der Bestimmtheit in sich zurückkehrende Einzelheit der Prozeß ist, den subjektiven Zweck durch die Vermittlung der Tätigkeit und eines Mittels in die Objektivität zu übersetzen. Im Geiste, wie er an und für sich ist, als in welchem die Bestimmtheit schlechthin die seinige und wahrhafte ist (Enzyklop., § 363), macht das Verhältnis des Bewußtseins nur die Seite der Erscheinung des Willens aus, welche hier nicht mehr für sich in Betrachtung kommt.
[58]

§ 9

b) Insofern die Willensbestimmungen die eigenen des Willens, seine in sich reflektierte Besonderung überhaupt sind, sind sie Inhalt. Dieser Inhalt als Inhalt des Willens ist ihm nach der in a) angegebenen Form Zweck, teils innerlicher oder subjektiver in dem vorstellenden Wollen, teils durch die Vermittlung der das Subjektive in die Objektivität übersetzenden Tätigkeit verwirklichter, ausgeführter Zweck.


§ 10

[59] Dieser Inhalt oder die unterschiedene Willensbestimmung ist zunächst unmittelbar. So ist der Wille nur an sich frei, oder für uns, oder es ist überhaupt der Wille in seinem Begriffe. Erst indem der Wille sich selbst zum Gegenstände hat, ist er für sich, was er an sich ist.

Die Endlichkeit besteht nach dieser Bestimmung darin, daß, was etwas an sich oder seinem Begriffe nach ist, eine von dem verschiedene Existenz oder Erscheinung ist, was es für sich ist; so ist z.B. das abstrakte Außereinander der Natur an sich der Raum, für sich aber die Zeit. Es ist hierüber das Gedoppelte zu bemerken: erstens, daß, weil das Wahre nur die Idee ist, wenn man einen Gegenstand oder Bestimmung, nur wie er an sich oder im Begriffe ist, erfaßt, man ihn noch nicht in seiner Wahrheit hat; alsdann, daß etwas, wie es als Begriff oder an sich ist, gleichfalls existiert und diese Existenz eine eigene Gestalt des Gegenstandes ist (wie vorhin der Raum); die Trennung des Ansich- und Fürsichseins, die im Endlichen vorhanden ist, macht zugleich sein bloßes Dasein oder Erscheinung aus – (wie unmittelbar ein Beispiel am natürlichen Willen[60] und dann [am] formellen Rechte usf. vorkommen wird). Der Verstand bleibt bei dem bloßen Ansichsein stehen und nennt so die Freiheit nach diesem Ansichsein ein Vermögen, wie sie denn so in der Tat nur die Möglichkeit ist. Aber er sieht diese Bestimmung als absolute und perennierende an und nimmt ihre Beziehung auf das, was sie will, überhaupt auf ihre Realität, nur für eine Anwendung auf einen gegebenen Stoff an, die nicht zum Wesen der Freiheit selbst gehöre; er hat es auf diese Weise nur mit dem Abstraktum, nicht mit ihrer Idee und Wahrheit zu tun.
[61]


§ 11

Der nur erst an sich freie Wille ist der unmittelbare oder natürliche Wille. Die Bestimmungen des Unterschieds, welchen der sich selbst bestimmende Begriff im Willen setzt, erscheinen im unmittelbaren Willen als ein unmittelbar vorhandener Inhalt – es sind die Triebe, Begierden, Neigungen, durch die sich der Wille von Natur bestimmt findet. Dieser Inhalt nebst dessen entwickelten Bestimmungen kommt zwar von der Vernünftigkeit des Willens her und ist so an sich vernünftig, aber in solche Form der Unmittelbarkeit ausgelassen, ist er noch nicht in Form der Vernünftigkeit. Dieser Inhalt ist zwar für mich der meinige überhaupt; diese Form und jener Inhalt sind aber noch verschieden, – der Wille ist so in sich endlicher Wille.

Die empirische Psychologie erzählt und beschreibt diese Triebe und Neigungen und die sich darauf gründenden Bedürfnisse, wie sie dieselben in der Erfahrung vorfindet oder vorzufinden vermeint, und sucht auf die gewöhnliche Weise diesen gegebenen Stoff zu klassifizieren. Was das Objektive dieser Triebe und wie dasselbe in seiner Wahrheit ohne die Form der Unvernünftigkeit, in der es Trieb ist, und wie es zugleich in seiner Existenz gestaltet ist, davon unten.


§ 12

[62] Das System dieses Inhalts, wie es sich im Willen unmittelbar vorfindet, ist nur als eine Menge und Mannigfaltigkeit von Trieben, deren jeder der meinige überhaupt neben andern und zugleich ein Allgemeines und Unbestimmtes ist, das vielerlei Gegenstände und Weisen der Befriedigung hat. [Darin] daß der Wille sich in dieser gedoppelten Unbestimmtheit die Form der Einzelheit gibt (§ 7), ist er beschließend, und nur als beschließender Wille überhaupt ist er wirklicher Wille.

Statt etwas beschließen, d.h. die Unbestimmtheit, in welcher der eine sowohl als der andere Inhalt zunächst nur ein möglicher ist, aufheben, hat unsere Sprache auch den Ausdruck: sich entschließen, indem die Unbestimmtheit des Willens selbst, als das Neutrale, aber unendlich befruchtete, der Urkeim alles Daseins, in sich die Bestimmungen und Zwecke enthält und sie nur aus sich hervorbringt.
[63]


§ 13

Durch das Beschließen setzt der Wille sich als Willen eines bestimmten Individuums und als sich hinaus gegen Anderes unterscheidenden. Außer dieser Endlichkeit als Bewußtsein (§ 8) ist der unmittelbare Wille aber um des Unterschieds seiner Form und seines Inhalts (§ 11) willen formell, es kommt ihm nur das abstrakte Beschließen als solches zu, und der Inhalt ist noch nicht der Inhalt und das Werk seiner Freiheit.

Der Intelligenz als denkend bleibt der Gegenstand und Inhalt Allgemeines, sie selbst verhält sich als allgemeine Tätigkeit. Im Willen hat das Allgemeine zugleich wesentlich die Bedeutung des Meinigen, als Einzelheit, und im unmittelbaren, d. i. formellen Willen als der abstrakten, noch nicht mit seiner freien Allgemeinheit erfüllten Einzelheit. Im Willen beginnt daher die eigene Endlichkeit der Intelligenz, und nur dadurch, daß der Wille sich zum Denken wieder erhebt und seinen Zwecken die immanente Allgemeinheit gibt, hebt er den Unterschied der Form und des Inhalts auf und macht sich zum objektiven, unendlichen Willen. Diejenigen verstehen daher wenig von der Natur des Denkens und Wollens, welche meinen, im Willen überhaupt sei der Mensch unendlich, im Denken aber sei er oder gar die Vernunft beschränkt. Insofern Denken und Wollen noch unterschieden sind, ist vielmehr das Umgekehrte das Wahre, und die denkende Vernunft ist als Wille dies, sich zur Endlichkeit zu entschließen.


§ 14

[64] Der endliche Wille, als nur nach der Seite der Form sich in sich reflektierendes und bei sich selbst seiendes unendliches Ich (§ 5), steht über dem Inhalt, den unterschiedenen Trieben, sowie über den weiteren einzelnen Arten ihrer Verwirklichung und Befriedigung, wie es zugleich, als nur formell unendliches, an diesen Inhalt, als die Bestimmungen seiner Natur und seiner äußeren Wirklichkeit, jedoch als unbestimmtes nicht an diesen oder jenen Inhalt, gebunden ist (§ 6, 11). Derselbe ist insofern für die Reflexion des ich in sich nur ein Möglicher, als der meinige zu sein oder auch nicht, und Ich die Möglichkeit, mich zu diesem oder einem andern zu bestimmen, – unter diesen für dasselbe nach dieser Seite äußeren Bestimmungen zu wählen.


§ 15

Die Freiheit des Willens ist nach dieser Bestimmung Willkür[65] – in welcher dies beides enthalten ist, die freie von allem abstrahierende Reflexion und die Abhängigkeit von dem innerlich oder äußerlich gegebenen Inhalte und Stoffe. Weil dieser an sich als Zweck notwendige Inhalt zugleich gegen jene Reflexion als möglicher bestimmt ist, so ist die Willkür die Zufälligkeit, wie sie als Wille ist.

Die gewöhnlichste Vorstellung, die man bei der Freiheit hat, ist die der Willkür – die Mitte der Reflexion zwischen dem Willen als bloß durch die natürlichen Triebe bestimmt und dem an und für sich freien Willen. Wenn man sagen hört, die Freiheit überhaupt sei dies, daß man tun könne, was man wolle, so kann solche Vorstellung nur für gänzlichen Mangel an Bildung des Gedankens genommen werden, in welcher sich von dem, was der an und für sich freie Wille, Recht, Sittlichkeit usf. ist, noch keine Ahnung findet. Die Reflexion, die formelle Allgemeinheit und Einheit des Selbstbewußtseins, ist die abstrakte Gewißheit des Willens von seiner Freiheit, aber sie ist noch nicht die Wahrheit derselben, weil sie sich noch nicht selbst zum Inhalte und Zwecke hat, die subjektive Seite also noch ein anderes ist als die gegenständliche; der Inhalt dieser Selbstbestimmung bleibt deswegen auch schlechthin nur ein Endliches. Die Willkür ist, statt der Wille in seiner Wahrheit zu sein, vielmehr der Wille als der Widerspruch. – In dem zur Zeit der Wolffischen Metaphysik vornehmlich geführten Streit, ob der Wille wirklich frei oder ob das Wissen von seiner Freiheit nur eine Täuschung sei, war es die Willkür, die man vor Augen gehabt. Der Determinismus hat mit Recht der Gewißheit jener abstrakten Selbstbestimmung den Inhalt entgegengehalten, der als ein vorgefundener nicht in jener Gewißheit enthalten und daher ihr von außen kommt, obgleich dies Außen der Trieb, Vorstellung, überhaupt das, auf welche Weise es sei, so erfüllte Bewußtsein ist, daß der Inhalt nicht das Eigene der selbst bestimmenden Tätigkeit als solcher ist. Indem hiermit nur das formelle Element der freien Selbstbestimmung[66] in der Willkür immanent, das andere Element aber ein ihr gegebenes ist, so kann die Willkür allerdings, wenn sie die Freiheit sein soll, eine Täuschung genannt werden. Die Freiheit in aller Reflexionsphilosophie, wie in der Kantischen und dann [in] der Friesischen vollendeten Verseichtigung der Kantischen, ist nichts anderes als jene formale Selbsttätigkeit.
[67]


§ 16

Das im Entschluß Gewählte (§ 14) kann der Wille ebenso wieder aufgeben (§ 5). Mit dieser Möglichkeit aber, ebenso über jeden andern Inhalt, den er an die Stelle setzt, und ins Unendliche fort hinauszugehen, kommt er nicht über die Endlichkeit hinaus, weil jeder solche Inhalt ein von der Form Verschiedenes, hiermit ein Endliches, und das Entgegengesetzte der Bestimmtheit, die Unbestimmtheit, Unentschlossenheit oder Abstraktion, nur das andere gleichfalls einseitige Moment ist.


§ 17

Der Widerspruch, welcher die Willkür ist (§ 15), hat als Dialektik der Triebe und Neigungen die Erscheinung, daß sie sich gegenseitig stören, die Befriedigung des einen die Unterordnung oder Aufopferung der Befriedigung des anderen fordert usf.; und indem der Trieb nur einfache Richtung seiner Bestimmtheit ist, das Maß somit nicht in sich selbst hat, so ist dies unterordnende oder aufopfernde Bestimmen das zufällige Entscheidender Willkür, sie verfahre nun dabei mit berechnendem Verstande, bei welchem Triebe mehr Befriedigung zu gewinnen sei, oder nach welcher anderen beliebigen Rücksicht.


§ 18

[68] In Ansehung der Beurteilung der Triebe hat die Dialektik die Erscheinung, daß als immanent, somit positiv, die Bestimmungen des unmittelbaren Willens gut sind; der Mensch heißt so von Natur gut. Insofern sie aber Naturbestimmungen, also der Freiheit und dem Begriffe des Geistes überhaupt entgegen und das Negative sind, sind sie auszurotten; der Mensch heißt so von Natur böse. Das Entscheidende für die eine oder die andere Behauptung ist auf diesem Standpunkte gleichfalls die subjektive Willkür.


§ 19

[69] In der Forderung der Reinigung der Triebe liegt die allgemeine Vorstellung, daß sie von der Form ihrer unmittelbaren Naturbestimmtheit und von dem Subjektiven und Zufälligen des Inhalts befreit und auf ihr substantielles Wesen zurückgeführt werden. Das Wahrhafte dieser unbestimmten Forderung ist, daß die Triebe als das vernünftige System der Willensbestimmung seien; sie so aus dem Begriffe zu fassen, ist der Inhalt der Wissenschaft des Rechts.

Der Inhalt dieser Wissenschaft kann nach allen seinen einzelnen Momenten, z.B. Recht, Eigentum, Moralität, Familie, Staat usf., in der Form vorgetragen werden, daß der Mensch von Natur den Trieb zum Recht, auch den Trieb zum Eigentum, zur Moralität, auch den Trieb der Geschlechterliebe, den Trieb zur Geselligkeit usf. habe. Will man statt dieser Form der empirischen Psychologie vornehmer Weise eine philosophische Gestalt haben, so ist diese nach dem, was, wie vorhin bemerkt worden, in neuerer Zeit für Philosophie gegolten hat und noch gilt, wohlfeil damit zu bekommen, daß man sagt, der Mensch finde als Tatsache seines Bewußtseins in sich, daß er das Recht, Eigentum, den Staat usf. wolle. Weiterhin wird eine andere Form desselben Inhalts, der hier in Gestalt von Trieben erscheint, nämlich die von Pflichten, eintreten.
[70]


§ 20

Die auf die Triebe sich beziehende Reflexion bringt, als sie vorstellend, berechnend, sie untereinander und dann mit ihren Mitteln, Folgen usf. und mit einem Ganzen der Befriedigung – der Glückseligkeit – vergleichend, die formelle Allgemeinheit an diesen Stoff und reinigt denselben auf diese äußerliche Weise von seiner Roheit und Barbarei. Dies Hervortreiben der Allgemeinheit des Denkens ist der absolute Wert der Bildung (vgl. § 187).


§ 21

Die Wahrheit aber dieser formellen, für sich unbestimmten und ihre Bestimmtheit an jenem Stoffe vorfindenden Allgemeinheit ist die sich selbst bestimmende Allgemeinheit, der[71] Wille, die Freiheit. Indem er die Allgemeinheit, sich selbst, als die unendliche Form zu seinem Inhalte, Gegenstande und Zweck hat, ist er nicht nur der an sich, sondern ebenso der für sich freie Wille – die wahrhafte Idee.

Das Selbstbewußtsein des Willens, als Begierde, Trieb, ist sinnlich, wie das Sinnliche überhaupt die Äußerlichkeit und damit das Außersichsein des Selbstbewußtseins bezeichnet. Der reflektierende Wille hat die zwei Elemente, Jenes Sinnliche und die denkende Allgemeinheit; der an und für sich seiende Wille hat den Willen selbst als solchen, hiermit sich in seiner reinen Allgemeinheit zu seinem Gegenstande – der Allgemeinheit, welche eben dies ist, daß die Unmittelbarkeit der Natürlichkeit und die Partikularität, mit welcher ebenso die Natürlichkeit behaftet, als sie von der Reflexion hervorgebracht wird, in ihr aufgehoben ist. Dies Aufheben aber und Erheben ins Allgemeine ist das, was die Tätigkeit des Denkens heißt. Das Selbstbewußtsein, das seinen Gegenstand, Inhalt und Zweck bis zu dieser Allgemeinheit reinigt und erhebt, tut dies als das im Willen sich durchsetzende Denken. Hier ist der Punkt, auf welchem es erhellt, daß der Wille nur als denkende Intelligenz wahrhafter, freier Wille ist. Der Sklave weiß nicht sein Wesen, seine Unendlichkeit, die Freiheit, er weiß sich nicht als Wesen, – und er weiß sich so nicht, das ist, er denkt sich nicht. Dies Selbstbewußtsein, das durch das Denken sich als Wesen erfaßt und damit eben sich von dem Zufälligen und Unwahren abtut, macht das Prinzip des Rechts, der Moralität und aller Sittlichkeit aus. Die, welche philosophisch vom Recht, Moralität, Sittlichkeit sprechen und dabei das Denken ausschließen wollen und an das Gefühl, Herz und Brust, an die Begeisterung verweisen, sprechen damit die tiefste Verachtung aus, in welche der Gedanke und die Wissenschaft gefallen ist, indem so die Wissenschaft sogar selbst, über sich in Verzweiflung und in die höchste Mattigkeit versunken, die Barbarei und das Gedankenlose sich zum[72] Prinzip macht und, so viel an ihre wäre, dem Menschen alle Wahrheit, Wert und Würde raubte.


§ 22

[73] Der an und für sich seiende Wille ist wahrhaft unendlich, weil sein Gegenstand er selbst, hiermit derselbe für ihn nicht ein Anderes noch Schranke, sondern er darin vielmehr nur in sich zurückgekehrt ist. Er ist ferner nicht bloße Möglichkeit, Anlage, Vermögen (potentia), sondern das Wirklich-Unendliche (infinitum actu), weil das Dasein des Begriffs, oder seine gegenständliche Äußerlichkeit, das Innerliche selbst ist.

Wenn man daher nur vom freien Willen als solchem spricht, ohne die Bestimmung, daß er der an und für sich freie Wille ist, so spricht man nur von der Anlage der Freiheit oder von dem natürlichen und endlichen Willen (§ 11) und eben damit, der Worte und der Meinung unerachtet, nicht vom freien Willen. – Indem der Verstand das Unendliche nur als Negatives und damit als ein Jenseits faßt, meint er dem Unendlichen um so mehr Ehre anzutun, je mehr er es von sich weg in die Weite hinausschiebt und als ein Fremdes von sich entfernt. Im freien Willen hat das wahrhaft Unendliche Wirklichkeit und Gegenwart, – er selbst ist diese in sich gegenwärtige Idee.


§ 23

Nur in dieser Freiheit ist der Wille schlechthin bei sich, weil[74] er sich auf nichts als auf sich selbst bezieht, so wie damit alles Verhältnis der Abhängigkeit von etwas anderem hinwegfällt. – Er ist wahr oder vielmehr die Wahrheit selbst, weil sein Bestimmen darin besteht, in seinem Dasein, d. i. als sich Gegenüberstehendes zu sein, was sein Begriff ist, oder der reine Begriff die Anschauung seiner selbst zu seinem Zwecke und Realität hat.


§ 24

Er ist allgemein, weil in ihm alle Beschränkung und besondere Einzelheit aufgehoben ist, als welche allein in der Verschiedenheit des Begriffes und seines Gegenstandes oder Inhalts oder, nach anderer Form, in der Verschiedenheit seines subjektiven Fürsichseins – und seines Ansichseins, seiner ausschließenden und beschließenden Einzelheit – und seiner Allgemeinheit selbst liegt.

Die verschiedenen Bestimmungen der Allgemeinheit ergeben sich in der Logik (s. Enzyklop. der philos. Wissenschaften § 118-126). Bei diesem Ausdruck fällt dem Vorstellen zunächst die abstrakte und äußerliche ein; aber bei der an und für sich seienden Allgemeinheit, wie sie sich hier bestimmt hat, ist weder an die Allgemeinheit der Reflexion, die Gemeinschaftlichkeit oder die Allheit zu denken noch an die abstrakte Allgemeinheit, welche außer dem Einzelnen auf der anderen Seite steht, die abstrakte Verstandesidentität (§ 6 Anm.). Es ist die in sich konkrete und so für sich seiende Allgemeinheit, welche die Substanz, die immanente Gattung oder immanente Idee des Selbstbewußtseins ist; – der Begriff des freien Willens als das über seinen Gegenstand übergreifende, durch seine Bestimmung hindurchgehende Allgemeine, das in ihr mit sich identisch ist. – Das an und für sich seiende Allgemeine ist überhaupt das, was man das Vernünftige nennt und was nur auf diese spekulative Weise gefaßt werden kann.


§ 25

[75] Das Subjektive heißt in Ansehung des Willens überhaupt die Seite seines Selbstbewußtseins, der Einzelheit (§ 7) im Unterschiede von seinem an sich seienden Begriffe; daher heißt seine Subjektivität α) die reine Form, die absolute Einheit des Selbstbewußtseins mit sich, in der es als Ich = Ich schlechthin innerlich und abstraktes Beruhen auf sich ist – die reine Gewißheit seiner selbst, unterschieden von der Wahrheit; β) die Besonderheit des Willens als die Willkür und der zufällige Inhalt beliebiger Zwecke; γ) überhaupt die einseitige Form (§ 8), insofern das Gewollte, wie es seinem Inhalte nach sei, nur erst ein dem Selbstbewußtsein angehöriger Inhalt und unausgeführter Zweck ist.


§ 26

Der Wille α) insofern er sich selbst zu seiner Bestimmung hat und so seinem Begriffe gemäß und wahrhaftig ist, ist der schlechthin objektive Wille; β) der objektive Wille aber, als ohne die unendliche Form des Selbstbewußtseins, ist der in sein Objekt oder Zustand, wie er seinem Inhalte nach beschaffen[76] sei, versenkte Wille – der kindliche, sittliche, wie der sklavische, abergläubische usf. γ) Die Objektivität ist endlich die einseitige Form im Gegensatze der subjektiven Willensbestimmung, hiermit die Unmittelbarkeit des Daseins als äußerliche Existenz; der Wille wird sich in diesem Sinne erst durch die Ausführung seiner Zwecke objektiv.

Diese logischen Bestimmungen von Subjektivität und Objektivität sind hier in der Absicht besonders aufgeführt worden, um in Ansehung ihrer, da sie in der Folge oft gebraucht werden, ausdrücklich zu bemerken, daß es ihnen wie anderen Unterschieden und entgegengesetzten Reflexionsbestimmungen geht, um ihrer Endlichkeit und daher ihrer dialektischen Naturwillen in ihr Entgegengesetztes überzugehen. Anderen solchen Bestimmungen des Gegensatzes bleibt jedoch ihre Bedeutung fest für Vorstellung und Verstand, indem ihre Identität noch als ein Innerliches ist. Im Willen hingegen führen solche Gegensätze, welche abstrakte und zugleich Bestimmungen von ihm, der nur als das Konkrete gewußt werden kann, sein sollen, von selbst auf diese ihre Identität und auf die Verwechslung ihrer Bedeutungen – eine Verwechslung, die dem Verstande bewußtlos nur begegnet. – So ist der Wille, als die in sich seiende Freiheit, die Subjektivität selbst; diese ist damit sein Begriff und so seine Objektivität; Endlichkeit aber ist seine Subjektivität im Gegensatze gegen die Objektivität; aber eben in diesem Gegensatze ist der Wille nicht bei sich, mit dem Objekte verwickelt, und seine Endlichkeit besteht ebensowohl darin, nicht subjektiv zu sein usf. – Was daher im folgenden das Subjektive oder Objektive des Willens für eine Bedeutung haben soll, hat jedesmal aus dem Zusammenhang zu erhellen, der ihre Stellung in Beziehung auf die Totalität enthält.[77]


§ 27

Die absolute Bestimmung oder, wenn man will, der absolute Trieb des freien Geistes (§ 21), daß ihm seine Freiheit Gegenstand sei – objektiv sowohl in dem Sinne, daß sie als das vernünftige System seiner selbst, als in dem Sinne, daß dies unmittelbare Wirklichkeit sei (§ 26) –, um für sich, als Idee zu sein, was der Wille an sich ist: der abstrakte Begriff der Idee des Willens ist überhaupt der freie Wille, der den freien Willen will.


§ 28

Die Tätigkeit des Willens, den Widerspruch der Subjektivität und Objektivität aufzuheben und seine Zwecke aus jener Bestimmung in diese zu übersetzen und in der Objektivität zugleich bei sich zu bleiben, ist außer der formalen Weise des Bewußtseins (§ 8), worin die Objektivität nur als unmittelbare Wirklichkeit ist, die wesentliche Entwicklung des substantiellen Inhalts der Idee (§ 21), eine Entwicklung, in welcher der Begriff die zunächst selbst abstrakte Idee zur Totalität ihres Systems bestimmt, die als das Substantielle, unabhängig von dem Gegensatze eines bloß subjektiven Zwecks und seiner Realisierung, dasselbe in diesen beiden Formen ist.


§ 29

[79] Dies, daß ein Dasein überhaupt Dasein des freien Willens ist, ist das Recht. – Es ist somit überhaupt die Freiheit, als Idee.

Die Kantische (Kants Rechtslehre Einl.) und auch allgemeiner angenommene Bestimmung, worin ›die Beschränkung meiner Freiheit oder Willkür, daß sie mit jedermanns Willkür nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne‹, das Hauptmoment ist, enthält teils nur eine negative Bestimmung, die der Beschränkung, teils läuft das Positive, das allgemeine oder sogenannte Vernunftgesetz, die Übereinstimmung der Willkür des einen mit der Willkür des anderen, auf die bekannte formelle Identität und den Satz des Widerspruchs hinaus. Die angeführte Definition des Rechts enthält die seit Rousseau vornehmlich verbreitete Ansicht, nach welcher der Wille nicht als an und für sich seiender, vernünftiger, der Geist nicht als wahrer Geist, sondern als besonderes Individuum,[80] als Wille des Einzelnen in seiner eigentümlichen Willkür, die substantielle Grundlage und das Erste sein soll. Nach diesem einmal angenommenen Prinzip kann das Vernünftige freilich nur als beschränkend für diese Freiheit sowie auch nicht als immanent Vernünftiges, sondern nur als ein äußeres, formelles Allgemeines herauskommen. Jene Ansicht ist ebenso ohne allen spekulativen Gedanken und von dem philosophischen Begriffe verworfen, als sie in den Köpfen und in der Wirklichkeit Erscheinungen hervorgebracht hat, deren Fürchterlichkeit nur an der Seichtigkeit der Gedanken, auf die sie sich gründeten, eine Parallele hat.
[81]

§ 30

Das Recht ist etwas Heiliges überhaupt, allein weil es das Dasein des absoluten Begriffes, der selbstbewußten Freiheit ist. – Der Formalismus des Rechts aber (und weiterhin der Pflicht) entsteht aus dem Unterschiede der Entwicklung des Freiheitsbegriffs. Gegen formelleres, d. i. abstrakteres und darum beschränkteres Recht hat die Sphäre und Stufe des Geistes, in welcher er die weiteren in seiner Idee enthaltenen Momente zur Bestimmung und Wirklichkeit in sich gebracht hat, als die konkretere, in sich reichere und wahrhafter allgemeine, eben damit auch ein höheres Recht.

Jede Stufe der Entwicklung der Idee der Freiheit hat ihr eigentümliches Recht, weil sie das Dasein der Freiheit in einer ihrer eigenen Bestimmungen ist. Wenn vom Gegensatze der Moralität, der Sittlichkeit gegen das Recht gesprochen wird, so ist unter dem Rechte nur das erste formelle der abstrakten Persönlichkeit verstanden. Die Moralität, die Sittlichkeit, das Staatsinteresse ist jedes ein eigentümliches Recht, weil jede dieser Gestalten Bestimmung und Dasein der Freiheit ist. In Kollision können sie nur kommen, insofern sie auf gleicher Linie stehen, Rechte zu sein; wäre der moralische Standpunkt des Geistes nicht auch ein Recht, die Freiheit in einer ihrer Formen, so könnte sie gar nicht in Kollision mit dem Rechte der Persönlichkeit oder einem anderen kommen, weil ein solches den Freiheitsbegriff, die höchste Bestimmung des Geistes, in sich enthält, gegen welchen anderes ein substanzloses ist. Aber die Kollision enthält zugleich dies andere Moment, daß sie beschränkt und damit auch eins dem anderen[83] untergeordnet ist; nur das Recht des Weltgeistes ist das uneingeschränkt absolute.


§ 31

Die Methode, wie in der Wissenschaft der Begriff sich aus sich selbst entwickelt und nur ein immanentes Fortschreiten und Hervorbringen seiner Bestimmungen ist, der Fortgang nicht durch die Versicherung, daß es verschiedene Verhältnisse gebe, und dann durch das Anwenden des Allgemeinen auf solchen von sonst heraufgenommenen Stoff geschieht, ist hier gleichfalls aus der Logik vorausgesetzt.

Das bewegende Prinzip des Begriffs, als die Besonderungen des Allgemeinen nicht nur auflösend, sondern auch hervorbringend, heiße ich die Dialektik – Dialektik also nicht in dem Sinne, daß sie einen dem Gefühl, dem unmittelbaren Bewußtsein überhaupt gegebenen Gegenstand, Satz usf. auflöst, verwirrt, herüber- und hinüberführt und es nur mit Herleiten seines Gegenteils zu tun hat – eine negative Weise, wie sie häufig auch bei Platon erscheint, Sie kann so das Gegenteil einer Vorstellung, oder entschieden wie der alte Skeptizismus den Widerspruch derselben, oder auch matter Weise eine Annäherung zur Wahrheit, eine moderne Halbheit, als ihr letztes Resultat ansehen. Die höhere Dialektik des Begriffes ist, die Bestimmung nicht bloß als Schranke und Gegenteil, sondern aus ihr den positiven Inhalt und Resultat hervorzubringen und aufzufassen, als wodurch sie allein Entwicklung und immanentes Fortschreiten ist. Diese Dialektik ist dann nicht äußeres Tun eines subjektiven Denkens, sondern die eigene Seele des Inhalts, die organisch ihre Zweige und Früchte hervortreibt. Dieser Entwicklung der Idee als eigener Tätigkeit ihrer Vernunft sieht das Denken als subjektives,[84] ohne seinerseits eine Zutat hinzuzufügen, nur zu. Etwas vernünftig betrachten heißt, nicht an den Gegenstand von außen her eine Vernunft hinzubringen und ihn dadurch bearbeiten, sondern der Gegenstand ist für sich selbst vernünftig; hier ist es der Geist in seiner Freiheit, die höchste Spitze der selbstbewußten Vernunft, die sich Wirklichkeit gibt und als existierende Welt erzeugt; die Wissenschaft hat nur das Geschäft, diese eigene Arbeit der Vernunft der Sache zum Bewußtsein zu bringen.


§ 32

Die Bestimmungen in der Entwicklung des Begriffs sind einerseits selbst Begriffe, andererseits, weil der Begriff wesentlich als Idee ist, sind sie in der Form des Daseins, und die Reihe der sich ergebenden Begriffe ist damit zugleich eine Reihe von Gestaltungen, so sind sie in der Wissenschaft zu betrachten.

In spekulativerem Sinn ist die Weise des Daseins eines Begriffes und seine Bestimmtheit eins und dasselbe. Es ist aber zu bemerken, daß die Momente, deren Resultat eine weiter bestimmte Form ist, ihm als Begriffsbestimmungen in der wissenschaftlichen Entwicklung der Idee vorangehen, aber nicht in der zeitlichen Entwicklung als Gestaltungen ihm vorausgehen. So hat die Idee, wie sie als Familie bestimmt ist, die Begriffsbestimmungen zur Voraussetzung, als deren Resultat sie im folgenden dargestellt werden wird. Aber daß diese inneren Voraussetzungen auch für sich schon als Gestaltungen, als Eigentumsrecht, Vertrag, Moralität usf. vorhanden seien, dies ist die andere Seite der Entwicklung, die nur in höher vollendeter Bildung es zu diesem eigentümlich gestalteten Dasein ihrer Momente gebracht hat.[85]

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 7, Frankfurt a. M. 1979, S. 29-43,46-87.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Grundlinien der Philosophie des Rechts
Grundlinien Der Philosophie Des Rechts (6)
Werke in 20 Bänden mit Registerband, Band 7: Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse
Grundlinien der Philosophie des Rechts.
Philosophische Bibliothek, Bd.483, Grundlinien der Philosophie des Rechts, mit Hegels eigenhändigen Randbemerkungen in seinem Handexemplar.
Philosophische Bibliothek, Bd.483, Grundlinien der Philosophie des Rechts, mit Hegels eigenhändigen Randbemerkungen in seinem Handexemplar.

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Rameaus Neffe

Rameaus Neffe

In einem belebten Café plaudert der Neffe des bekannten Komponisten Rameau mit dem Erzähler über die unauflösliche Widersprüchlichkeit von Individuum und Gesellschaft, von Kunst und Moral. Der Text erschien zuerst 1805 in der deutschen Übersetzung von Goethe, das französische Original galt lange als verschollen, bis es 1891 - 130 Jahre nach seiner Entstehung - durch Zufall in einem Pariser Antiquariat entdeckt wurde.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon