b. Die Wahrheit der Aufklärung

[424] Das dumpfe, nichts mehr in sich unterscheidende Weben des Geistes ist also in sich selbst jenseits des Bewußtseins getreten, welches dagegen sich klar geworden ist. Das erste Moment dieser Klarheit ist in seiner Notwendigkeit und Bedingung dadurch bestimmt, daß die reine Einsicht oder sie, die an sich Begriff ist, sich verwirklicht; sie tut dies, indem sie das Anderssein oder die Bestimmtheit an ihr setzt. Auf diese Weise ist sie negative reine Einsicht, d. i. Negation des Begriffs; diese ist ebenso rein; und es ist damit das reine Ding, das absolute Wesen, das sonst keine weitere Bestimmung hat, geworden. Dies näher bestimmt, so ist sie, als absoluter Begriff, ein Unterscheiden von Unterschieden, die keine mehr sind, von Abstraktionen oder reinen Begriffen, die sich selbst nicht mehr tragen, sondern nur durch das Ganze der Bewegung Halt und Unterscheidung haben. Dieses Unterscheidendes Nichtunterschiedenen besteht gerade darin, daß der absolute Begriff sich selbst zu seinem Gegenstände macht und jener Bewegung gegenüber sich als das Wesen setzt. Dies entbehrt hierdurch der Seite, worin die Abstraktionen oder Unterschiede auseinandergehalten werden, und wird daher das reine Denken als reines Ding. –[424] Dies ist also eben jenes dumpfe bewußtlose Weben des Geistes in ihm selbst, zu dem der Glaube herabsank, indem er den unterschiedenen Inhalt verlor; – es ist zugleich jene Bewegung des reinen Selbstbewußtseins, der es das absolut fremde Jenseits sein soll. Denn weil dies reine Selbstbewußtsein die Bewegung in reinen Begriffen, in Unterschieden ist, die keine sind, so fällt es in der Tat in das bewußtlose Weben, d. i. in das reine Fühlen oder in die reine Dingheit zusammen. – Der sich selbst entfremdete Begriff – denn er steht hier noch auf der Stufe dieser Entfremdung – aber erkennt nicht dies gleiche Wesen beider Seiten, der Bewegung des Selbstbewußtseins und seines absoluten Wesens, nicht das gleiche Wesen derselben, welches in der Tat ihre Substanz und Bestehen ist. Indem er diese Einheit nicht erkennt, so gilt ihm das Wesen nur in der Form des gegenständlichen Jenseits, das unterscheidende Bewußtsein aber, das auf diese Weise das Ansich außer ihm hat, als ein endliches Bewußtsein.

Über jenes absolute Wesen gerät die Aufklärung selbst mit sich in den Streit, den sie vorher mit dem Glauben hatte, und teilt sich in zwei Parteien. Eine Partei bewährt sich erst dadurch als die siegende, daß sie in zwei Parteien zerfällt; denn darin zeigt sie das Prinzip, das sie bekämpfte, an ihr selbst zu besitzen und hiermit die Einseitigkeit aufgehoben zu haben, in der sie vorher auftrat. Das Interesse, das sich zwischen ihr und der anderen teilte, fällt nun ganz in sie und vergißt der anderen, weil es in ihr selbst den Gegensatz findet, der es beschäftigt. Zugleich aber ist er in das höhere siegende Element erhoben worden, worin er geläutert sich darstellt. So daß also die in einer Partei entstehende Zwietracht, welche ein Unglück scheint, vielmehr ihr Glück beweist.

Das reine Wesen selbst hat keinen Unterschied an ihm, daher kommt er so an dasselbe, daß sich zwei solche reine Wesen für das Bewußtsein oder ein zweifaches Bewußtsein desselben hervortut. – Das reine absolute Wesen ist nur in dem reinen Denken, oder vielmehr es ist das reine Denken selbst,[425] also schlechthin jenseits des Endlichen, des Selbstbewußtseins, und nur das negative Wesen. Aber auf diese Weise ist es eben das Sein, das Negative des Selbstbewußtseins. Als Negatives desselben ist es auch darauf bezogen; es ist das äußere Sein, welches auf es, worin die Unterschiede und Bestimmungen fallen, bezogen die Unterschiede an ihm erhält, geschmeckt, gesehen usf. zu werden; und das Verhältnis ist die sinnliche Gewißheit und Wahrnehmung.

Wird von diesem sinnlichen Sein, worein jenes negative Jenseits notwendig übergeht, ausgegangen, aber von diesen bestimmten Weisen der Beziehung des Bewußtseins abstrahiert, so bleibt die reine Materie übrig als das dumpfe Weben und Bewegen in sich selbst. Es ist hierbei wesentlich, dies zu betrachten, daß die reine Materie nur das ist, was übrigbleibt, wenn wir vom Sehen, Fühlen, Schmecken usf. abstrahieren, d.h. sie ist nicht das Gesehene, Geschmeckte, Gefühlte usf.; es ist nicht die Materie, die gesehen, gefühlt, geschmeckt wird, sondern die Farbe, ein Stein, ein Salz usf.; sie ist vielmehr die reine Abstraktion, und dadurch ist das reine Wesen des Denkens oder das reine Denken selbst vorhanden, als das nicht in sich unterschiedene, nicht bestimmte, prädikatlose Absolute.

Die eine Aufklärung nennt das absolute Wesen jenes prädikatlose Absolute, das Jenseits des wirklichen Bewußtseins im Denken ist, von welchem ausgegangen wurde; – die andere nennt es Materie. Wenn sie als Natur und Geist oder Gott unterschieden würden, so würde dem bewußtlosen Weben in sich selbst, um Natur zu sein, der Reichtum des entfalteten Lebens fehlen, dem Geiste oder Gotte das sich in sich unterscheidende Bewußtsein. Beides ist, wie wir gesehen, schlechthin derselbe Begriff; der Unterschied liegt nicht in der Sache, sondern rein nur in dem verschiedenen Ausgangspunkte beider Bildungen und darin, daß jede auf einem eigenen Punkte in der Bewegung des Denkens stehenbleibt. Wenn sie darüber hinwegsetzten, würden sie zusammentreffen und als dasselbe erkennen, was der einen, wie sie[426] vorgibt, ein Greuel, der anderen eine Torheit ist. Denn der einen ist das absolute Wesen in ihrem reinen Denken oder unmittelbar für das reine Bewußtsein, außer dem endlichen Bewußtsein, das negative Jenseits desselben. Würde sie darauf reflektieren, daß teils jene einfache Unmittelbarkeit des Denkens nichts anderes ist als das reine Sein, teils das, was negativ für das Bewußtsein ist, sich zugleich darauf bezieht, daß im negativen Urteile das »ist« (Kopula) beide Getrennten ebenso zusammenhält, – so würde sich die Beziehung dieses Jenseits in der Bestimmung eines äußeren Seienden auf das Bewußtsein ergeben und hiermit als dasselbe, was reine Materie genannt wird; das fehlende Moment der Gegenwart wäre gewonnen. – Die andere Aufklärung geht von dem sinnlichen Sein aus, abstrahiert dann von der sinnlichen Beziehung des Schmeckens, Sehens usf. und macht es zum reinen Ansich, zur absoluten Materie, dem nicht Gefühlten noch Geschmeckten; dies Sein ist auf diese Weise das prädikatlose Einfache, Wesen des reinen Bewußtseins geworden; es ist der reine Begriff als an sich seiend oder das reine Denken in sich selbst. Diese Einsicht macht in ihrem Bewußtsein nicht den entgegengesetzten Schritt vom Seienden, welches rein Seiendes ist, zum Gedachten, das dasselbe ist als das rein Seiende, oder nicht vom rein Positiven zum rein Negativen; indem doch das Positive rein schlechthin nur durch die Negation ist, das rein Negative aber, als reines, sich in sich selbst gleich und eben dadurch positiv ist. – Oder beide sind nicht zum Begriffe der Cartesischen Metaphysik gekommen, daß an sich Sein und Denken dasselbe ist, nicht zu dem Gedanken, daß Sein, reines Sein nicht ein konkretes Wirkliches ist, sondern die reine Abstraktion, und umgekehrt das reine Denken, die Sichselbstgleichheit oder das Wesen, teils das Negative des Selbstbewußtseins und hiermit Sein, teils als unmittelbare Einfachheit ebenso nichts anderes als Sein ist; das Denken ist Dingheit, oder Dingheit ist Denken.

Das Wesen hat hier die Entzweiung erst so an ihm, daß es zwei Arten der Betrachtungsweise angehört; teils muß das[427] Wesen den Unterschied an ihm selbst haben, teils gehen eben darin die beiden Betrachtungsarten in eine zusammen; denn die abstrakten Momente des reinen Seins und des Negativen, wodurch sie sich unterscheiden, sind alsdann in dem Gegenstande dieser Betrachtungsweisen vereinigt. – Das gemeinschaftliche Allgemeine ist die Abstraktion des reinen Erzitterns in sich selbst oder des reinen Sich-selbst-Denkens. Diese einfache achsendrehende Bewegung muß sich auseinanderwerfen, weil sie selbst nur Bewegung ist, indem sie ihre Momente unterscheidet. Diese Unterscheidung der Momente läßt das Unbewegte als die leere Hülse des reinen Seins, das kein wirkliches Denken, kein Leben in sich selbst mehr ist, zurück; denn sie ist als der Unterschied aller Inhalt. Sie, die sich außer jener Einheit setzt, ist aber hiermit der nicht in sich zurückkehrende Wechsel der Momente, des Ansich– und des Für-ein-Anderes– und des Fürsichseins, – die Wirklichkeit, wie sie Gegenstand für das wirkliche Bewußtsein der reinen Einsicht ist, – die Nützlichkeit.

So schlecht die Nützlichkeit dem Glauben oder der Empfindsamkeit oder auch der sich Spekulation nennenden Abstraktion, welche sich das Ansich fixiert, aussehen mag, so ist sie es, worin die reine Einsicht ihre Realisierung vollendet und sich selbst ihr Gegenstand ist, den sie nun nicht mehr verleugnet und der auch nicht den Wert des Leeren oder des reinen Jenseits für sie hat. Denn die reine Einsicht ist, wie wir sahen, der seiende Begriff selbst oder die sich selbst gleiche reine Persönlichkeit, so sich in sich unterscheidend, daß jedes der Unterschiedenen selbst reiner Begriff, d.h. unmittelbar nicht unterschieden ist; sie ist einfaches reines Selbstbewußtsein, welches ebensowohl für sich als an sich in einer unmittelbaren Einheit ist. Sein Ansichsein ist daher nicht bleibendes Sein, sondern hört unmittelbar auf, in seinem Unterschiede etwas zu sein; ein solches Sein aber, das unmittelbar keinen Halt hat, ist nicht an sich, sondern wesentlich für ein Anderes, das die Macht ist, die es absorbiert. Aber dies zweite, dem ersten, dem Ansichsein, entgegengesetzte[428] Moment verschwindet ebenso unmittelbar als das erste; oder als Sein nur für Anderes ist es vielmehr das Verschwinden selbst, und es ist das in sich Zurückgekehrt-, das Fürsichsein gesetzt. Dies einfache Fürsichsein ist aber als die Sichselbstgleichheit vielmehr ein Sein oder damit für ein Anderes. – Diese Natur der reinen Einsicht in der Entfaltung ihrer Momente oder sie als Gegenstand druckt das Nützliche aus. Es ist ein an sich Bestehendes oder Ding, dies Ansichsein ist zugleich nur reines Moment; es ist somit absolut für ein Anderes, aber es ist ebenso nur für ein Anderes, als es an sich ist; diese entgegengesetzten Momente sind in die unzertrennliche Einheit des Fürsichseins zurückgekehrt. Wenn aber das Nützliche wohl den Begriff der reinen Einsicht ausdrückt, so ist es jedoch nicht als solche, sondern sie als Vorstellung oder als ihr Gegenstand; es ist nur der rastlose Wechsel jener Momente, deren eines zwar das in sich selbst Zurückgekehrtsein selbst ist, aber nur als Fürsichsein, d.h. als ein abstraktes, gegen die anderen auf die Seite tretendes Moment. Das Nützliche selbst ist nicht das negative Wesen, diese Momente in ihrer Entgegensetzung zugleich ungetrennt in einer und derselben Rücksicht oder als ein Denken an sich zu haben, wie sie als reine Einsicht sind; das Moment des Fürsichseins ist wohl an dem Nützlichen, aber nicht so, daß es über die anderen Momente, das Ansich und das Sein für Anderes, übergreift und somit das Selbst wäre. Die reine Einsicht hat also an dem Nützlichen ihren eigenen Begriff in seinen reinen Momenten zum Gegenstandes sie ist das Bewußtsein dieser Metaphysik, aber noch nicht das Begreifen derselben; es ist noch nicht zu der Einheit des Seins und des Begriffs selbst gekommen. Weil das Nützliche noch die Form eines Gegenstandes für sie hat, hat sie eine zwar nicht mehr an und für sich seiende, aber doch noch eine Welt, welche sie von sich unterscheidet. Allein indem die Gegensätze auf die Spitze des Begriffs herausgetreten sind, wird dies die nächste Stufe sein, daß sie zusammenstürzen und die Aufklärung die Früchte ihrer Taten erfährt.[429]

Den erreichten Gegenstand in Beziehung auf diese ganze Sphäre betrachtet, so hatte die wirkliche Welt der Bildung sich in die Eitelkeit des Selbstbewußtseins zusammengefaßt, – in das Fürsichsein, das ihre Verworrenheit noch zu seinem Inhalte hat und noch der, einzelne Begriff, noch nicht der für sich allgemeine ist. In sich aber zurückgekehrt ist er die reine Einsicht, – das reine Bewußtsein als das reine Selbst oder die Negativität, wie der Glaube ebendasselbe als das reine Denken oder die Positivität. Der Glaube hat in jenem Selbst das ihn vervollständigende Moment; – aber durch diese Ergänzung untergehend, ist es nun an der reinen Einsicht, daß wir die beiden Momente sehen, als das absolute Wesen, das rein gedacht oder Negatives, und als Materie, die das positive Seiende ist. – Es fehlt dieser Vollständigkeit noch jene Wirklichkeit des Selbstbewußtseins, welche dem eitlen Bewußtsein angehört, – die Welt, aus welcher das Denken sich zu sich erhob. Dies Fehlende ist in der Nützlichkeit insofern erreicht, als die reine Einsicht daran die positive Gegenständlichkeit erlangte; sie ist dadurch wirkliches in sich befriedigtes Bewußtsein. Diese Gegenständlichkeit macht nun ihre Welt aus; sie ist die Wahrheit der vorhergehenden ganzen, der ideellen wie der reellen Welt geworden. Die erste Welt des Geistes ist das ausgebreitete Reich seines sich zerstreuenden Daseins und der vereinzelten Gewißheit seiner selbst; wie die Natur ihr Leben in unendlich mannigfaltige Gestalten zerstreut, ohne daß die Gattung derselben vorhanden wäre. Die zweite enthält die Gattung und ist das Reich des Ansichseins oder der Wahrheit, entgegengesetzt jener Gewißheit. Das dritte aber, das Nützliche, ist die Wahrheit, welche ebenso die Gewißheit seiner selbst ist. Dem Reiche der Wahrheit des Glaubens fehlt das Prinzip der Wirklichkeit oder Gewißheit seiner selbst als dieses Einzelnen. Der Wirklichkeit aber oder Gewißheit seiner selbst als dieses Einzelnen fehlt das Ansich. In dem Gegenstande der reinen Einsicht sind beide Welten vereinigt. Das Nützliche ist der Gegenstand, insofern das Selbstbewußtsein ihn durchschaut[430] und die einzelne Gewißheit seiner selbst, seinen Genuß (sein Fürsichsein) in ihm hat; es sieht ihn auf diese Weise ein, und diese Einsicht enthält das wahre Wesen des Gegenstandes (ein Durchschautes oder für ein Anderes zu sein); sie ist also selbst wahres Wissen, und das Selbstbewußtsein hat ebenso unmittelbar die allgemeine Gewißheit seiner selbst, sein reines Bewußtsein in diesem Verhältnisse, in welchem also ebenso Wahrheit wie Gegenwart und Wirklichkeit vereinigt sind. Beide Welten sind versöhnt und der Himmel auf die Erde herunter verpflanzt.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 3, Frankfurt a. M. 1979, S. 424-431.
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