c. Das geistige Kunstwerk

[529] Die Volksgeister, die der Gestalt ihres Wesens in einem besonderen Tiere bewußt werden, gehen in einen zusammen; so vereinigen sich die besonderen schönen Volksgeister in ein Pantheon, dessen Element und Behausung die Sprache ist. Die reine Anschauung seiner selbst als allgemeiner Menschlichkeit hat an der Wirklichkeit des Volksgeistes die Form, daß er sich mit den anderen, mit denen er durch die Natur eine Nation ausmacht, zu einer gemeinschaftlichen Unternehmung[529] verbindet und für dieses Werk ein Gesamtvolk und damit einen Gesamthimmel bildet. Diese Allgemeinheit, zu der der Geist in seinem Dasein gelangt, ist jedoch nur diese erste, die von der Individualität des Sittlichen erst ausgeht, ihre Unmittelbarkeit noch nicht überwunden, nicht einen Staat aus diesen Völkerschaften gebildet hat. Die Sittlichkeit des wirklichen Volksgeistes beruht teils auf dem unmittelbaren Vertrauen der Einzelnen zu dem Ganzen ihres Volkes, teils auf dem unmittelbaren Anteil, den alle, des Unterschiedes von Ständen unerachtet, an den Entschlüssen und Handlungen der Regierung nehmen. In der Vereinigung, zunächst nicht zu einer bleibenden Ordnung, sondern nur zu einer gemeinsamen Handlung, ist jene Freiheit des Anteils Aller und jeder einstweilen auf die Seite gestellt. Diese erste Gemeinschaftlichkeit ist daher mehr eine Versammlung der Individualitäten als die Herrschaft des abstrakten Gedankens, der die Einzelnen ihres selbstbewußten Anteils an Willen und Tat des Ganzen berauben würde.

Die Versammlung der Volksgeister macht einen Kreis von Gestalten aus, der jetzt die ganze Natur wie die ganze sittliche Welt befaßt. Auch sie stehen unter dem Oberbefehl mehr des Einen als seiner Oberherrschaft. Für sich sind sie die allgemeinen Substanzen dessen, was das selbstbewußte Wesen an sich ist und tut. Dieses aber macht die Kraft und zunächst den Mittelpunkt wenigstens aus, um den jene allgemeinen Wesen sich bemühen, der nur erst zufälligerweise ihre Geschäfte zu verbinden scheint. Aber die Rückkehr des göttlichen Wesens in das Selbstbewußtsein ist es, die schon den Grund enthält, daß dieses den Mittelpunkt für jene göttlichen Kräfte bildet und die wesentliche Einheit zunächst unter der Form einer freundlichen äußerlichen Beziehung beider Wehen verbirgt.

Dieselbe Allgemeinheit, welche diesem Inhalte zukommt, hat notwendig auch die Form des Bewußtseins, in welcher er auftritt. Es ist nicht mehr das wirkliche Tun des Kultus, sondern ein Tun, das zwar noch nicht in den Begriff, sondern[530] erst in die Vorstellung, in die synthetische Verknüpfung des selbstbewußten und des äußeren Daseins erhoben ist. Das Dasein dieser Vorstellung, die Sprache, ist die erste Sprache, das Epos als solches, das den allgemeinen Inhalt, wenigstens als Vollständigkeit der Welt, obzwar nicht als Allgemeinheit des Gedankens, enthält. Der Sänger ist der Einzelne und Wirkliche, aus dem als Subjekt dieser Welt sie erzeugt und getragen wird. Sein Pathos ist nicht die betäubende Naturmacht, sondern die Mnemosyne, die Besinnung und gewordene Innerlichkeit, die Erinnerung des vorhin unmittelbaren Wesens. Er ist das in seinem Inhalte verschwindende Organ; nicht sein eigenes Selbst gilt, sondern seine Muse, sein allgemeiner Gesang. Was aber in der Tat vorhanden ist, ist der Schluß, worin das Extrem der Allgemeinheit, die Götterwelt, durch die Mitte der Besonderheit mit der Einzelheit, dem Sänger, verknüpft ist. Die Mitte ist das Volk in seinen Helden, welche einzelne Menschen sind wie der Sänger, aber nur vorgestellte und dadurch zugleich allgemeine, wie das freie Extrem der Allgemeinheit, die Götter.

In diesem Epos stellt sich also überhaupt dem Bewußtsein dar, was im Kultus an sich zustande kommt, die Beziehung des Göttlichen auf das Menschliche. Der Inhalt ist eine Handlung des seiner selbst bewußten Wesens. Das Handeln stört die Ruhe der Substanz und erregt das Wesen, wodurch seine Einfachheit geteilt und in die mannigfaltige Welt der natürlichen und sittlichen Kräfte aufgeschlossen ist. Die Handlung ist die Verletzung der ruhigen Erde, die Grube, die, durch das Blut beseelt, die abgeschiedenen Geister hervorruft, welche, nach Leben durstend, es in dem Tun des Selbstbewußtseins erhalten. Das Geschäft, um welches die allgemeine Bemühung geht, bekommt die zwei Seiten, die selbstische, von einer Gesamtheit wirklicher Völker und den an ihrer Spitze stehenden Individualitäten, und die allgemeine, von ihren substantiellen Mächten vollbracht zu werden. Die Beziehung beider aber bestimmte sich vorhin so, daß sie die synthetische Verbindung des Allgemeinen und[531] Einzelnen oder das Vorstellen ist. Von dieser Bestimmtheit hängt die Beurteilung dieser Welt ab. – Das Verhältnis beider ist dadurch eine Vermischung, welche die Einheit des Tuns inkonsequent verteilt und die Handlung überflüssigerweise von der einen Seite zur ändern herüberwirft. Die allgemeinen Mächte haben die Gestalt der Individualität und damit das Prinzip des Handelns an ihnen; ihr Wirken erscheint daher als ein ebenso freies, von ihnen ganz ausgehendes Tun als das der Menschen. Ein und dasselbe haben daher ebensowohl die Götter als die Menschen getan. Der Ernst jener Mächte ist ein lächerlicher Überfluß, da diese in der Tat die Kraft der handelnden Individualität sind; – und die Anstrengung und Arbeit dieser ist eine ebenso unnütze Bemühung, da jene vielmehr alles lenken, – Die übertägigen Sterblichen, die das Nichts sind, sind zugleich das mächtige Selbst, das die allgemeinen Wesen sich unterwirft, die Götter verletzt und ihnen überhaupt die Wirklichkeit und ein Interesse des Tuns verschafft; wie umgekehrt diese ohnmächtigen Allgemeinheiten, die sich von den Gaben der Menschen nähren und durch sie erst etwas zu tun bekommen, das natürliche Wesen und der Stoff aller Begebenheiten und ebenso die sittliche Materie und das Pathos des Tuns sind. Wenn ihre elementarischen Naturen durch das freie Selbst der Individualität erst in Wirklichkeit und betätigtes Verhältnis gebracht werden, so sind sie ebensosehr das Allgemeine, das sich dieser Verbindung entzieht, in seiner Bestimmung unbeschränkt bleibt und durch die unüberwindliche Elastizität seiner Einheit die Punktualität des Tätigen und seine Figurationen auslöscht, sich selbst rein erhält und alles Individuelle in seiner Flüssigkeit auflöst.

Wie sie mit der entgegenstehenden selbstischen Natur in diese widersprechende Beziehung fallen, ebenso gerät ihre Allgemeinheit mit ihrer eigenen Bestimmung und deren Verhältnis zu anderen in Widerstreit. Sie sind die ewigen schönen Individuen, die, in ihrem eigenen Dasein ruhend, der Vergänglichkeit und fremder Gewalt enthoben sind. –[532] Aber sie sind zugleich bestimmte Elemente, besondere Götter, die sich also zu anderen verhalten. Aber das Verhältnis zu anderen, das nach seiner Entgegensetzung ein Streit mit ihnen ist, ist eine komische Selbstvergessenheit ihrer ewigen Natur. – Die Bestimmtheit ist in das göttliche Bestehen eingewurzelt und hat in seiner Begrenzung die Selbständigkeit der ganzen Individualität; durch diese verlieren ihre Charaktere zugleich die Schärfe der Eigentümlichkeit und vermischen sich in ihrer Vieldeutigkeit. – Ein Zweck der Tätigkeit und ihre Tätigkeit selbst, da sie gegen ein Anderes und somit gegen eine unbesiegbare göttliche Kraft gerichtet ist, ist ein zufälliges leeres Aufspreizen, das ebenso zerfließt und den anscheinenden Ernst der Handlung in ein gefahrloses, seiner selbstsicheres Spiel ohne Resultat und Erfolg verwandelt. Wenn aber an der Natur ihrer Göttlichkeit das Negative oder die Bestimmtheit derselben nur als die Inkonsequenz ihrer Tätigkeit und der Widerspruch des Zwecks und des Erfolgs erscheint und jene selbständige Sicherheit über das Bestimmte das Übergewicht behält, so tritt ihr eben dadurch die reine Kraft des Negativen gegenüber, und zwar als ihre letzte Macht, über welche sie nichts vermögen. Sie sind das Allgemeine und Positive gegen das einzelne Selbst der Sterblichen, das nicht gegen ihre Macht aushält; aber das allgemeine Selbst schwebt darum über ihnen und über dieser ganzen Welt der Vorstellung, welcher der ganze Inhalt angehört, als die begrifflose Leere der Notwendigkeit, – ein Geschehen, gegen das sie sich selbstlos und trauernd verhalten, denn diese bestimmten Naturen finden sich nicht in dieser Reinheit.

Diese Notwendigkeit aber ist die Einheit des Begriffes, der die widersprechende Substantialität der einzelnen Momente unterworfen ist, worin die Inkonsequenz und Zufälligkeit ihres Tuns sich ordnet und das Spiel ihrer Handlungen seinen Ernst und Wert an ihnen selbst erhält. Der Inhalt der[533] Welt der Vorstellung spielt losgebunden für sich in der Mitte seine Bewegung, versammelt um die Individualität eines Helden, der aber in seiner Kraft und Schönheit sein Leben gebrochen fühlt und, einem frühen Tod entgegensehend, trauert. Denn die in sich feste und wirkliche Einzelheit ist an die Extremität ausgeschlossen und in ihre Momente entzweit, die sich noch nicht gefunden und vereint. Das eine Einzelne, das abstrakte Unwirkliche, ist die Notwendigkeit, die an dem Leben der Mitte nicht Anteil hat, sowenig als das andere, das wirkliche Einzelne, der Sänger, der sich außer ihm hält und in seiner Vorstellung untergeht. Beide Extreme müssen sich dem Inhalte nähern; das eine, die Notwendigkeit, hat sich mit dem Inhalte zu erfüllen, das andere, die Sprache des Sängers, muß Anteil an ihm haben und der sich selbst vorher überlassene Inhalt die Gewißheit und feste Bestimmung des Negativen an ihm erhalten.

Diese höhere Sprache, die Tragödie, faßt also die Zerstreuung der Momente der wesentlichen und handelnden Welt näher zusammen; die Substanz des Göttlichen tritt nach der Natur des Begriffs in ihre Gestalten auseinander, und ihre Bewegung ist gleichfalls ihm gemäß. In Ansehung der Form hört die Sprache dadurch, daß sie in den Inhalt hereintritt, auf, erzählend zu sein, wie der Inhalt, ein vorgestellter [zu sein]. Der Held ist selbst der Sprechende, und die Vorstellung zeigt dem Zuhörer, der zugleich Zuschauer ist, selbstbewußte Menschen, die ihr Recht und ihren Zweck, die Macht und den Willen ihrer Bestimmtheit wissen und zu sagen wissen. Sie sind Künstler, die nicht, wie die das gemeine Tun im wirklichen Leben begleitende Sprache, bewußtlos, natürlich und naiv das Äußere ihres Entschlusses und Beginnens aussprechen, sondern das innere Wesen äußern, das Recht ihres Handelns beweisen und das Pathos, dem sie angehören, frei von zufälligen Umständen und von der Besonderheit der Persönlichkeiten in seiner allgemeinen Individualität besonnen behaupten und bestimmt aussprechen. Das Dasein dieser Charaktere sind endlich wirkliche Menschen,[534] welche die Personen der Helden anlegen und diese in wirklichem, nicht erzählendem, sondern eigenem Sprechen darstellen. So wesentlich es der Bildsäule ist, von Menschenhänden gemacht zu sein, ebenso wesentlich ist der Schauspieler seiner Maske, – nicht als äußerliche Bedingung, von der die Kunstbetrachtung abstrahieren müsse; oder insofern davon in ihr allerdings zu abstrahieren ist, so ist eben dies damit gesagt, daß die Kunst das wahre eigentliche Selbst noch nicht in ihr enthält.

Der allgemeine Boden, worauf die Bewegung dieser aus dem Begriffe erzeugten Gestalten vorgeht, ist das Bewußtsein der ersten vorstellenden Sprache und ihres selbstlosen, auseinandergelassenen Inhalts. Es ist das gemeine Volk überhaupt, dessen Weisheit in dem Chore des Alters zur Sprache kommt; es hat an dessen Kraftlosigkeit seinen Repräsentanten, weil es selbst nur das positive und passive Material der ihm gegenübertretenden Individualität der Regierung ausmacht. Der Macht des Negativen entbehrend, vermag es den Reichtum und die bunte Fülle göttlichen Lebens nicht zusammenzuhalten und zu bändigen, sondern läßt es auseinanderlaufen und preist jedes einzelne Moment als einen selbständigen Gott, bald diesen, bald wieder einen anderen, in seinen verehrenden Hymnen. Wo es aber den Ernst des Begriffes, wie er über diese Gestalten, sie zertrümmernd, einherschreitet, verspürt und es zu sehen bekommt, wie schlecht es seinen gepriesenen Göttern geht, die sich auf diesen Boden, worauf der Begriff herrscht, wagen, ist es nicht selbst die negative Macht, die handelnd eingreift, sondern hält sich im selbstlosen Gedanken derselben, im Bewußtsein des fremden Schicksals, und bringt den leeren Wunsch der Beruhigung und die schwache Rede der Besänftigung herbei. In der Furcht vor den höheren Mächten, welche die unmittelbaren Arme der Substanz sind, vor ihrem Kampfe miteinander und vor dem einfachen Selbst der Notwendigkeit, das auch sie wie die Lebendigen, die an sie geknüpft sind, zermalmt, – in dem Mitleiden mit diesen, die es zugleich als[535] dasselbe mit sich selbst weiß, ist für es nur der untätige Schrecken dieser Bewegung, das ebenso hilflose Bedauern und als Ende die leere Ruhe der Ergebung in die Notwendigkeit, deren Werk nicht als die notwendige Handlung des Charakters und nicht als das Tun des absoluten Wesens in sich selbst erfaßt wird.

Auf diesem zuschauenden Bewußtsein als auf dem gleichgültigen Boden des Vorstellens tritt der Geist nicht in seiner zerstreuten Mannigfaltigkeit, sondern in der einfachen Entzweiung des Begriffs auf. Seine Substanz zeigt sich daher nur in ihre zwei extremen Mächte auseinandergerissen. Diese elementarischen allgemeinen Wesen sind zugleich selbstbewußte Individualitäten, – Helden, welche in eine dieser Mächte ihr Bewußtsein setzen, an ihr die Bestimmtheit des Charakters haben und ihre Betätigung und Wirklichkeit ausmachen. – Diese allgemeine Individualisierung steigt, wie erinnert, noch zur unmittelbaren Wirklichkeit des eigentlichen Daseins herunter und stellt sich eine Menge von Zuschauern dar, die an dem Chore ihr Gegenbild oder vielmehr ihre eigene, sich aussprechende Vorstellung hat.

Der Inhalt und die Bewegung des Geistes, der sich hier Gegenstand ist, ist bereits als die Natur und Realisierung der sittlichen Substanz betrachtet worden. In seiner Religion erlangt er das Bewußtsein über sich oder stellt sich seinem Bewußtsein in seiner reineren Form und einfacheren Gestaltung dar. Wenn also die sittliche Substanz sich durch ihren Begriff, ihrem Inhalte nach, in die beiden Mächte entzweite, die als göttliches und menschliches oder unterirdisches und oberes Recht bestimmt wurden – jenes die Familie, dies die Staatsmacht – und deren das erstere der weibliche, das andere der männliche Charakter war, so schränkt sich der vorher vielförmige und in seinen Bestimmungen schwankende Götterkreis auf diese Mächte ein, die durch diese Bestimmung der eigentlichen Individualität genähert sind. Denn die frühere Zerstreuung des Ganzen in die vielfachen und abstrakten Kräfte, die substantiiert erscheinen, ist die Auflösung[536] des Subjekts, das sie nur als Moment in seinem Selbst begreift, und die Individualität ist daher nur die oberflächliche Form jener Wesen. Umgekehrt ist ein weiterer Unterschied der Charaktere als der genannte zur zufälligen und an sich äußerlichen Persönlichkeit zu rechnen.

Zugleich teilt sich das Wesen seiner Form oder dem Wissen nach. Der handelnde Geist tritt als Bewußtsein dem Gegenstande gegenüber, auf den es tätig und der somit als das Negative des Wissenden bestimmt ist; der Handelnde befindet sich dadurch im Gegensatze des Wissens und Nichtwissens. Er nimmt aus seinem Charakter seinen Zweck und weiß ihn als die sittliche Wesenheit; aber durch die Bestimmtheit des Charakters weiß er nur die eine Macht der Substanz, und die andere ist für ihn verborgen. Die gegenwärtige Wirklichkeit ist daher ein anderes an sich und ein anderes für das Bewußtsein; das obere und das untere Recht erhalten in dieser Beziehung die Bedeutung der wissenden und dem Bewußtsein sich offenbarenden und der sich verbergenden und im Hinterhalte lauernden Macht. Die eine ist die Lichtseite, der Gott des Orakels, der, nach seinem natürlichen Momente aus der alles beleuchtenden Sonne entsprungen, alles weiß und offenbart, – Phöbus und Zeus, der dessen Vater ist. Aber die Befehle dieses wahrredenden Gottes und seine Bekanntmachungen dessen, was ist, sind vielmehr trügerisch. Denn dies Wissen ist in seinem Begriffe unmittelbar das Nichtwissen, weil das Bewußtsein an sich selbst im Handeln dieser Gegensatz ist. Der, welcher die rätselhafte Sphinx selbst aufzuschließen vermochte, wie der kindlich Vertrauende werden darum durch das, was der Gott ihnen offenbart, ins Verderben geschickt. Diese Priesterin, aus der der schöne Gott spricht, ist nichts anderes als die doppelsinnigen Schicksalsschwestern, die durch ihre Verheißungen zum Verbrechen treiben und in der Zweizüngigkeit dessen, was sie als Sicherheit angaben, den, der sich auf den offenbaren Sinn verließ, betrügen. Daher das Bewußtsein, das reiner ist als das letztere, das den Hexen glaubt, und besonnener und gründlicher[537] als das erstere, das der Priesterin und dem schönen Gotte traut, auf die Offenbarung, die der Geist des Vaters selbst über das Verbrechen, das ihn mordete, machte, mit der Rache zaudert und andere Beweise noch veranstaltet, – aus dem Grunde, weil dieser offenbarende Geist auch der Teufel sein könnte.

Dies Mißtrauen ist darum gegründet, weil das wissende Bewußtsein sich in den Gegensatz der Gewißheit seiner selbst und des gegenständlichen Wesens setzt. Das Recht des Sittlichen, daß die Wirklichkeit nichts an sich ist im Gegensatze gegen das absolute Gesetz, erfährt, daß sein Wissen einseitig, sein Gesetz nur Gesetz seines Charakters ist, daß es nur die eine Macht der Substanz ergriff. Die Handlung selbst ist diese Verkehrung des Gewußten in sein Gegenteil, das Sein, ist das Umschlagen des Rechts des Charakters und des Wissens in das Recht des Entgegengesetzten, mit dem jenes im Wesen der Substanz verknüpft ist, – in die Erinnye der anderen feindlich erregten Macht und Charakters. Dies untere Recht sitzt mit Zeus auf dem Throne und genießt mit dem offenbaren und dem wissenden Gotte gleiches Ansehen.

Auf diese drei Wesen wird von der handelnden Individualität die Götterwelt des Chors eingeschränkt. Das eine ist die Substanz, ebensowohl die Macht des Herdes und der Geist der Familienpietät wie die allgemeine Macht des Staats und der Regierung. Indem der Substanz als solcher dieser Unterschied angehört, individualisiert er sich der Vorstellung nicht zu zwei unterschiedenen Gestalten, sondern hat in der Wirklichkeit die zwei Personen seiner Charaktere. Hingegen der Unterschied des Wissens und Nichtwissens fällt in ein jedes der wirklichen Selbstbewußtsein[e], – und nur in der Abstraktion, im Elemente der Allgemeinheit verteilt er sich an zwei individuelle Gestalten. Denn das Selbst des Heros hat nur Dasein als ganzes Bewußtsein und ist daher wesentlich der ganze Unterschied, der der Form angehört; aber seine Substanz ist bestimmt, und es gehört ihm nur die eine Seite des Unterschieds des Inhalts an. Daher erhalten die beiden[538] Seiten des Bewußtseins, die in der Wirklichkeit keine getrennte, einer jeden eigene Individualität haben, in der Vorstellung jede ihre besondere Gestalt, – die eine die des offenbarenden Gottes, die andere die der sich verborgen haltenden Erinnye. Beide genießen teils gleicher Ehre, teils ist die Gestalt der Substanz, Zeus, die Notwendigkeit der Beziehung beider aufeinander. Die Substanz ist die Beziehung, daß das Wissen für sich ist, aber seine Wahrheit an dem Einfachen, [daß] der Unterschied, wodurch das wirkliche Bewußtsein ist, seinen Grund an dem ihn tilgenden inneren Wesen, [daß] die sich klare Versicherung der Gewißheit ihre Bestätigung an der Vergessenheit hat.

Das Bewußtsein schloß diesen Gegensatz durch das Handeln auf; nach dem offenbaren Wissen handelnd, erfährt es den Betrug desselben, und dem Innern nach dem einen Attribute der Substanz ergeben, verletzte es das andere und gab diesem dadurch das Recht gegen sich. Dem wissenden Gotte folgend, ergriff es vielmehr das nicht Offenbare und büßt dafür, dem Wissen vertraut zu haben, dessen Zweideutigkeit, da sie seine Natur ist, auch für es, und eine Warnung dafür vorhanden sein mußte. Die Raserei der Priesterin, die unmenschliche Gestalt der Hexen, die Stimme des Baumes, des Vogels, der Traum usf. sind nicht die Weisen, in welchen die Wahrheit erscheint, sondern warnende Zeichen des Betrugs, der Nichtbesonnenheit, der Einzelheit und Zufälligkeit des Wissens. Oder, was dasselbe ist, die entgegengesetzte Macht, die von ihm verletzt wird, ist als ausgesprochenes Gesetz und geltendes Recht vorhanden, es sei das Gesetz der Familie oder des Staats; das Bewußtsein folgte dagegen dem eigenen Wissen und verbarg sich selbst das Offenbare. Die Wahrheit aber der gegeneinander auftretenden Mächte des Inhalts und Bewußtseins ist das Resultat, daß beide gleiches Recht und darum in ihrem Gegensatz, den das Handeln hervorbringt, gleiches Unrecht haben. Die Bewegung des Tuns erweist ihre Einheit in dem gegenseitigen Untergange beider Mächte und der selbstbewußten Charaktere. Die Versöhnung[539] des Gegensatzes mit sich ist die Lethe der Unterwelt im Tode, – oder die Lethe der Oberwelt, als Freisprechung nicht von der Schuld, denn diese kann das Bewußtsein, weil es handelte, nicht verleugnen, sondern vom Verbrechen, und seine sühnende Beruhigung. Beide sind die Vergessenheit, das Verschwundensein der Wirklichkeit und des Tuns der Mächte der Substanz, ihrer Individualitäten, und der Mächte des abstrakten Gedankens des Guten und des Bösen; denn keine für sich ist das Wesen, sondern dieses ist die Ruhe des Ganzen in sich selbst, die unbewegte Einheit des Schicksals, das ruhige Dasein und damit die Untätigkeit und Unlebendigkeit der Familie und der Regierung, und die gleiche Ehre und damit die gleichgültige Unwirklichkeit Apolls und der Erinnye, und die Rückkehr ihrer Begeistung und Tätigkeit in den einfachen Zeus.

Dieses Schicksal vollendet die Entvölkerung des Himmels, der gedankenlosen Vermischung der Individualität und des Wesens – einer Vermischung, wodurch das Tun des Wesens als ein inkonsequentes, zufälliges, seiner unwürdiges erscheint; denn dem Wesen nur oberflächlich anhängend, ist die Individualität die unwesentliche. Die Vertreibung solcher wesenlosen Vorstellungen, die von Philosophen des Altertums gefordert wurde, beginnt also schon in der Tragödie überhaupt dadurch, daß die Einteilung der Substanz von dem Begriffe beherrscht, die Individualität hiermit die wesentliche und die Bestimmungen die absoluten Charaktere sind. Das Selbstbewußtsein, das in ihr vorgestellt ist, kennt und anerkennt deswegen nur eine höchste Macht und diesen Zeus nur als die Macht des Staats oder des Herdes und, im Gegensatze des Wissens, nur als den Vater des zur Gestalt werdenden Wissens des Besonderen – und als den Zeus des Eides und der Erinnye, des Allgemeinen, im Verborgenen wohnenden Innern. Die weiter aus dem Begriffe in die Vorstellung sich zerstreuenden Momente, die der Chor nacheinander gelten läßt, sind hingegen nicht das Pathos des Helden, sondern sinken ihm zur Leidenschaft herunter, – zu zufälligen[540] wesenlosen Momenten, die der selbstlose Chor wohl preist, aber die nicht fähig sind, den Charakter der Helden auszumachen, noch von ihnen als ihr Wesen ausgesprochen und geachtet zu werden.

Aber auch die Personen des göttlichen Wesens selbst sowie die Charaktere seiner Substanz gehen in die Einfachheit des Bewußtlosen zusammen. Diese Notwendigkeit hat gegen das Selbstbewußtsein die Bestimmung, die negative Macht aller auftretenden Gestalten zu sein, in ihr sich selbst nicht zu erkennen, sondern darin vielmehr unterzugehen. Das Selbst tritt nur den Charakteren zugeteilt auf, nicht als die Mitte der Bewegung. Aber das Selbstbewußtsein, die einfache Gewißheit seiner, ist in der Tat die negative Macht, die Einheit des Zeus, des substantiellen Wesens und der abstrakten Notwendigkeit; es ist die geistige Einheit, worein alles zurückgeht. Weil das wirkliche Selbstbewußtsein noch von der Substanz und dem Schicksale unterschieden wird, ist es teils der Chor oder vielmehr die zuschauende Menge, welche diese Bewegung des göttlichen Lebens als ein Fremdes mit Furcht erfüllt oder in der sie als ein Nahes nur die Rührung des nicht handelnden Mitleidens hervorbringt. Teils, insofern das Bewußtsein mithandelt und den Charakteren angehört, ist diese Vereinigung, weil die wahre, die des Selbsts, des Schicksals und der Substanz noch nicht vorhanden ist, eine äußerliche, eine Hypokrisie; der Held, der vor dem Zuschauer auftritt, zerfällt in seine Maske und in den Schauspieler, in die Person und das wirkliche Selbst.

Das Selbstbewußtsein der Helden muß aus seiner Maske hervortreten und sich darstellen, wie es sich als das Schicksal sowohl der Götter des Chors als der absoluten Mächte selbst weiß und von dem Chore, dem allgemeinen Bewußtsein, nicht mehr getrennt ist.

Die Komödie hat also vorerst die Seite, daß das wirkliche Selbstbewußtsein sich als das Schicksal der Götter darstellt. Diese elementarischen Wesen sind, als allgemeine Momente, kein Selbst und nicht wirklich. Sie sind zwar mit der Form[541] der Individualität ausgestattet, aber diese ist ihnen nur eingebildet und kommt ihnen nicht an und für sich selbst zu; das wirkliche Selbst hat nicht ein solches abstraktes Moment zu seiner Substanz und Inhalt. Es, das Subjekt, ist daher über ein solches Moment als über eine einzelne Eigenschaft erhoben, und angetan mit dieser Maske spricht es die Ironie derselben aus, die für sich etwas sein will. Das Aufspreizen der allgemeinen Wesenheit ist an das Selbst verraten; es zeigt sich in einer Wirklichkeit gefangen und läßt die Maske fallen, eben indem es etwas Rechtes sein will. Das Selbst, hier in seiner Bedeutung als Wirkliches auftretend, spielt es mit der Maske, die es einmal anlegt, um seine Person zu sein; aber aus diesem Scheine tut es sich ebenso bald wieder in seiner eigenen Nacktheit und Gewöhnlichkeit hervor, die es von dem eigentlichen Selbst, dem Schauspieler, sowie von dem Zuschauer nicht unterschieden zu sein zeigt.

Diese allgemeine Auflösung der gestalteten Wesenheit überhaupt in ihrer Individualität wird in ihrem Inhalte ernsthafter und dadurch mutwilliger und bitterer, insofern er seine ernstere und notwendigere Bedeutung hat. Die göttliche Substanz vereinigt in ihr die Bedeutung der natürlichen und sittlichen Wesenheit. In Ansehung des Natürlichen zeigt das wirkliche Selbstbewußtsein schon in der Verwendung desselben zu seinem Putze, Wohnung usf. und im Schmause seines Opfers sich als das Schicksal, dem das Geheimnis verraten ist, welche Bewandtnis es mit der Selbstwesenheit der Natur hat; in dem Mysterium des Brotes und Weines macht es dieselbe zusammen mit der Bedeutung des inneren Wesens sich zu eigen, und in der Komödie ist es sich der Ironie dieser Bedeutung überhaupt bewußt. – Insofern nun diese Bedeutung die sittliche Wesenheit enthält, ist sie teils das Volk in seinen beiden Seiten des Staats oder eigentlichen Demos und der Familieneinzelheit, teils aber das selbstbewußte reine Wissen oder das vernünftige Denken des Allgemeinen. – Jener Demos, die allgemeine Masse, die sich als Herrn und Regenten sowie als den zu respektierenden Verstand und[542] Einsicht weiß, zwingt und betört sich durch die Besonderheit seiner Wirklichkeit und stellt den lächerlichen Kontrast seiner Meinung von sich und seines unmittelbaren Daseins, seiner Notwendigkeit und Zufälligkeit, seiner Allgemeinheit und Gemeinheit dar. Wenn das Prinzip seiner vom Allgemeinen getrennten Einzelheit in der eigentlichen Gestalt der Wirklichkeit sich hervortut und des Gemeinwesens, dessen geheimer Schaden es ist, sich offenbar anmaßt und es einrichtet, so verrät sich unmittelbarer der Kontrast des Allgemeinen als einer Theorie und dessen, um was es in der Praxis zu tun ist, die gänzliche Befreiung der Zwecke der unmittelbaren Einzelheit von der allgemeinen Ordnung und der Spott jener über diese.

Das vernünftige Denken enthebt das göttliche Wesen seiner zufälligen Gestalt, und entgegengesetzt der begrifflosen Weisheit des Chors, die mancherlei Sittensprüche vorbringt und eine Menge von Gesetzen und bestimmten Pflicht- und Rechtsbegriffen gelten läßt, hebt es sie in die einfachen Ideen des Schönen und Guten empor. – Die Bewegung dieser Abstraktion ist das Bewußtsein der Dialektik, welche diese Maximen und Gesetze an ihnen haben, und hierdurch des Verschwindens der absoluten Gültigkeit, in der sie vorher erschienen. Indem die zufällige Bestimmung und oberflächliche Individualität, welche die Vorstellung den göttlichen Wesenheiten lieh, verschwindet, haben sie nach ihrer natürlichen Seite nur noch die Nacktheit ihres unmittelbaren Daseins, sie sind Wolken, ein verschwindender Dunst, wie jene Vorstellungen. Nach ihrer gedachten Wesentlichkeit zu den einfachen Gedanken des Schönen und Guten geworden, vertragen diese es, mit jedem beliebigen Inhalt erfüllt zu werden. Die Kraft des dialektischen Wissens gibt die bestimmten Gesetze und Maximen des Handelns der Lust und dem Leichtsinne der – hiermit – verführten Jugend preis und [gibt] der Ängstlichkeit und Sorge des auf die Einzelheit des Lebens beschränkten Alters Waffen zum Betrug an die Hand. Die reinen Gedanken des Schönen und Guten zeigen[543] also das komische Schauspiel, durch die Befreiung von der Meinung, welche sowohl ihre Bestimmtheit als Inhalt wie ihre absolute Bestimmtheit, das Festhalten des Bewußtseins enthält, leer und eben dadurch das Spiel der Meinung und der Willkür der zufälligen Individualität zu werden.

Hier ist also das vorher bewußtlose Schicksal, das in der leeren Ruhe und Vergessenheit besteht und von dem Selbstbewußtsein getrennt ist, mit diesem vereint. Das einzelne Selbst ist die negative Kraft, durch und in welcher die Götter sowie deren Momente, die daseiende Natur und die Gedanken ihrer Bestimmungen, verschwinden; zugleich ist es nicht die Leerheit des Verschwindens, sondern erhält sich in dieser Nichtigkeit selbst, ist bei sich und die einzige Wirklichkeit. Die Religion der Kunst hat sich in ihm vollendet und ist vollkommen in sich zurückgegangen. Dadurch, daß das einzelne Bewußtsein in der Gewißheit seiner selbst es ist, das als diese absolute Macht sich darstellt, hat diese die Form eines Vorgestellten, von dem Bewußtsein überhaupt Getrennten und ihm Fremden verloren, wie die Bildsäule, auch die lebendige schöne Körperlichkeit oder der Inhalt des Epos und die Mächte und Personen der Tragödie waren; – auch ist die Einheit nicht die bewußtlose des Kultus und der Mysterien, sondern das eigentliche Selbst des Schauspielers fällt mit seiner Person zusammen, so wie der Zuschauer in dem, was ihm vorgestellt wird, vollkommen zu Hause ist und sich selbst spielen sieht. Was dies Selbstbewußtsein anschaut, ist, daß in ihm, was die Form von Wesenheit gegen es annimmt, in seinem Denken, Dasein und Tun sich vielmehr auflöst und preisgegeben ist, es ist die Rückkehr alles Allgemeinen in die Gewißheit seiner selbst, die hierdurch diese vollkommene Furcht- und Wesenlosigkeit alles Fremden und ein Wohlsein und Sichwohlseinlassen des Bewußtseins ist, wie sich außer dieser Komödie keines mehr findet.[544]

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 3, Frankfurt a. M. 1979, S. 529-545.
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