2. Gnostiker

[428] Bei den Gnostikern machen ähnliche Bestimmungen die Grundlage aus. Der Herr Professor Neander hat sie sehr gelehrt gesammelt und ausführlich bearbeitet; einige Formen entsprechen denen, die wir angegeben haben. Einer der ausgezeichnetsten Gnostiker ist Basilides. Bei ihm ist auch das Erste der unsagbare Gott (theos arrhêtos), – der Ensoph der Kabbala; er ist als to on, ho ôn, namenlos (anônomastos), unmittelbar, auch bei Philon. Das Zweite ist dann der nous, der Erstgeborene, logos, sophia, das Betätigende (dynamis), in näherer Bestimmung die Gerechtigkeit (dikaiosynê) und der Frieden (eirênê). Hierauf folgen weiter bestimmte Prinzipien, die Basilides Archonten nennt, Häupter von Geisterreichen. Eine Hauptsache dabei ist wieder die Rückkehr, der Läuterungsprozeß der Seele, die Ökonomie der Reinigung (oikonomia katharseôn); aus der hylê muß die Seele zur sophia, zur eirênê zurückkommen. Das Urwesen trägt alle Vollkommenheit in sich verschlossen, aber nur als potentia; der Geist (nous), der Erstgeborene ist erst die erste Offenbarung des Verborgenen. Auch alle geschaffenen Wesen können nur durch die Verbindung mit Gott an der wahren Gerechtigkeit und dem daraus herrührenden Frieden Teil erhalten.[428]

Das Erste nennen die Gnostiker, z.B. Marcus, auch das Undenkbare (anennoêtos) und sogar das Nichtseiende (anousios), was nicht zur Bestimmtheit fortgeht, die monotês. Sie nennen es auch die reine Stille (sigê); das Andere sind dann die Ideen, Engel, die Äonen. Diese sind die Wurzeln, Samen der besonderen Erfüllung (logoi, rhizai, spermata, plêrômata, karpoi); jeder Äone trägt seine eigene Welt in sich.

Bei anderen, z.B. Valentin, heißt das Erste auch Äon oder das Unergründliche, der Urgrund, absolute Abgrund (bythos), worin alles ist als aufgehoben, – oder proarchê, was vor dem Prinzip ist, oder propatôr, vor dem Anfang, was noch vor dem Vater ist. Dieser ist das Tätige. Der Übergang, die Auseinanderlegung des Einen ist dann diathesis, und dies Weitere wird auch genannt das Sichbegreiflichmachen des Unbegreiflichen (katalêpsis tou akatalêptou), was wir bei den Stoikern als katalêpsis; gesehen haben. Diese Begriffe sind die Äonen, die besonderen diatheseis: die Äonenwelt heißt dann auch Erfüllung (plêrôma). Das Zweite heißt auch die Begrenzung (horos); und insofern die Lebensentwicklung näher im Gegensatze gefaßt wird, so wird sie bestimmt als in zwei Prinzipien enthalten, in der Form des Männlichen und Weiblichen. Das eine ist das plêrôma des anderen; aus ihrer Verbindung (syzygia) gehen die Erfüllungen (plêrômata) hervor, sie ist erst das Reale. Jedes hat sein es Integrierendes (syzygos); der Inbegriff dieser plêrômata ist die Äonenwelt überhaupt, das allgemeine plêrôma des bythos. Jener Abgrund heißt daher auch Hermaphrodit, Mannweib (arrhenothêlys) Ptolemaios schreibt dem bythos zwei syzygous zu, zwei diatheseis, welche durch alles Dasein vorausgesetzt werden, thelêma kai ennoia. Krause, bunte Formen treten hier ein. Die Grundbestimmung ist dieselbe; Abgrund und Enthüllung[429] ist die Hauptsache. Die Offenbarung, was herabgekommen ist, ist auch Herrlichkeit (doxa, Schechinah) Gottes, sophia ouranios (sie selbst ist horasis tou theou), dynameis agenêtoi, hai peri ousai lamprotaton phôs apastraptousi, die Ideen, logos: oder vorzugsweise der Name Gottes (to onoma tou theou, polyônymos), dieser Demiurg; das ist Erscheinen Gottes, Bestimmung. – Alle diese Formen gehen in das Trübe. Die Grundlagen sind im ganzen dieselben Bestimmungen; und das allgemeine Bedürfnis ist eben dies, das, was an und für sich ist, als das Konkrete zu bestimmen und zu fassen. – An diese Formen habe ich jedoch nur erinnern wollen, um auf ihren Zusammenhang mit dem Allgemeinen hinzudeuten; es liegt dabei ein tiefes Bedürfnis der konkreten Vernunft zugrunde.

Die Kirche hat den Gnostizismus verworfen, weil er teils im Allgemeinen stehenblieb oder die Vorstellung in Form der Einbildungskraft faßte und diese Vorstellung dem wirklichen Selbstbewußtsein, dem Christus im Fleische (Christos en sarki) entgegengesetzt war. Denn die Doketen sagten z.B., Christus hatte nur Scheinleib, Scheinleben; der Gedanke war nur Hintergrund. Die Kirche hielt dagegen fest an der bestimmten Gestalt der Persönlichkeit; sie hielt das Prinzip der konkreten Wirklichkeit fest.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 19, Frankfurt am Main 1979, S. 428-430.
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