C. Philosophie der Neuakademiker

[336] Dem stoischen und epikureischen Dogmatismus tritt zunächst die Neue Akademie gegenüber. Sie ist eine Fortsetzung der Akademie Platons. Die Nachfolger des Platon teilt man in alte, mittlere und neuere Akademie, dann vierte, auch fünfte (neueste). Am merkwürdigsten ist Arkesilaos und Karneades. Die mittlere Akademie wird dem Arkesilaos zugeschrieben, die neuere enthält die Gedanken des Karneades. Ich bemerke, daß man bei einigen Karneades als den Stifter der Neuen Akademie aufgeführt findet und dann Arkesilaos als den Stifter der mittleren Akademie, – eine Unterscheidung, die nichts heißt. Beide sind mit dem Skeptizismus nahe verwandt, und die Skeptiker haben selbst oft Mühe, den Skeptizismus zu unterscheiden von dem akademischen Prinzip. Der Skeptizismus hat beide schon als Skeptiker genommen, doch noch mit einem Unterschiede von der Reinheit des Skeptizismus, der freilich sehr formell ist und wenig besagen will, den aber doch die so subtilen Skeptiker allerdings aufgefaßt haben. Oft besteht der Unterschied nur in Wortbestimmungen, in ganz äußerlichen Unterschieden.

Das Allgemeine der Akademiker ist, daß sie die Wahrheit als eine subjektive Überzeugung des Selbstbewußtseins aussprechen, was mit dem subjektiven Idealismus neuerer Zeit übereinkommt. Die Wahrheit, insofern sie nur eine subjektive Überzeugung ist, ist daher von den Neuakademikern nur Wahrscheinlichkeit genannt worden. Sie sind Fortsetzung von Platon, und so Platoniker. Sie bleiben aber nicht[336] bei dem platonischen Standpunkt stehen und konnten es nicht. Platon blieb, wie wir oben sahen, in der abstrakten Idee stehen: das Große allein in der Philosophie ist, das Unendliche und Endliche zu verknüpfen. Die Ideen Platons sind angenommen vom Bedürfnis der Vernunft, dem Enthusiasmus des Wahren; sie sind aber in sich das Bewegungslose, das Allgemeine. Aristoteles fordert Entelechie, sich in sich bestimmende Tätigkeit. Das Bedürfnis der Wissenschaftlichkeit der Begründung hat notwendig über diese Weise des Platon hinausführen müssen. Die Akademiker verhielten sich negativ gegen Stoiker und Epikureer, die eben das Bedürfnis der Wissenschaft hatten, das Platon noch nicht kannte, dem Allgemeinen der Idee Inhalt zu geben, die bestimmte Bestimmtheit zu fassen. Platon geht im Timaios z.B. ins Bestimmte, organische Leben, wird aber unendlich trivial und ganz unspekulativ, – Aristoteles ganz anders. Platons Ideen oder Allgemeinen wurden durch das Denken aus ihrer Ruhe gerissen, – dieser Allgemeinheit, worin es sich nicht als Selbstbewußtsein erkannt hat. Das Selbstbewußtsein trat ihnen mit größeren Ansprüchen gegenüber, die Wirklichkeit überhaupt machte sich gegen die Allgemeinheit geltend; und die Ruhe der Idee mußte in die Bewegung des Denkens übergehen.

Den Zusammenhang mit der Platonischen Philosophie sehen wir leicht darin, wenn wir uns erinnern, daß bei Platon die Idee, und zwar die Idee der Allgemeinheit, das Prinzip gewesen ist. Die Folgenden haben sich besonders an diese Allgemeinheit gehalten, und mit dieser haben sie auch die Platonische Dialektik verbunden, – eine Dialektik, die darauf gegangen ist, das Allgemeine als solches zu behaupten und das Bestimmte, Besondere als richtig aufzuzeigen. Eine solche Dialektik läßt nichts übrig als die abstrakte Allgemeinheit. Die Ausbildung des Konkreten ist zum Teil bei Platon nicht weit gegangen; seine Dialektik hat sehr häufig nur ein negatives Resultat, wodurch die Bestimmungen nur aufgehoben werden, – es bleibt im Ganzen seine Idee mehr[337] bei der Form der Allgemeinheit stehen. Die Neuakademiker haben nun überhaupt diese Stellung gehabt, dialektisch zu verfahren gegen die Bestimmtheit der Stoiker und Epikureer; und sie haben damit, insofern von Wahrheit die Rede ist, nur Wahrscheinlichkeit und subjektive Überzeugung gelten lassen. Wir haben gesehen, daß die stoische und epikureische Philosophie beide darauf gehen, für das Prinzip, für das Kriterium der Wahrheit ein Bestimmtes zu machen, so daß dies Kriterium ein Konkretes sein soll. Bei den Stoikern ist es die kataleptische Phantasie, eine Vorstellung, ein bestimmter Inhalt, – aber so, daß der Inhalt auch gedacht, begriffen, ein Gedanke ist, der zugleich inhaltsvoll ist. Dies ist das Konkrete, ein Zusammenknüpfen von Inhalt und Gedanken, was jedoch selbst noch formell bleibt. Gegen dies Konkrete wendet sich nun die Dialektik der Neuakademiker.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 19, Frankfurt am Main 1979, S. 336-338.
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