C. Übergang in das Wesen

[456] Die absolute Indifferenz ist die letzte Bestimmung des Seins, ehe dieses zum Wesen wird; sie erreicht aber dieses nicht. Sie zeigt sich, noch der Sphäre des Seins anzugehören, indem sie noch, als gleichgültig bestimmt, den Unterschied als äußerlichen, quantitativen an ihr hat. Dies ist ihr Dasein, womit sie sich zugleich in dem Gegensatze befindet, gegen dasselbe als nur das ansichseiende bestimmt, nicht als das fürsichseiende Absolute gedacht zu sein. Oder es ist die äußere Reflexion, welche dabei stehenbleibt, daß die Spezifischen an sich oder im Absoluten dasselbe und eins sind, daß ihr Unterschied nur ein gleichgültiger, kein Unterschied an sich ist. Was hier noch fehlt, besteht darin, daß diese Reflexion nicht die äußere Reflexion des denkenden, subjektiven Bewußtseins, sondern die eigene Bestimmung der Unterschiede jener Einheit sei, sich aufzuheben, welche Einheit denn so sich erweist, die absolute Negativität, ihre Gleichgültigkeit gegen sich selbst, gegen ihre eigene Gleichgültigkeit, ebensosehr als gegen das Anderssein zu sein.

Dies Sich-Aufheben der Bestimmung der Indifferenz aber hat sich bereits ergeben; sie hat sich in der Entwicklung ihres Gesetztseins nach allen Seiten als der Widerspruch gezeigt. Sie ist an sich die Totalität, in der alle Bestimmungen des Seins aufgehoben und enthalten sind; so ist sie die Grundlage, aber ist nur erst in der einseitigen Bestimmung des Ansichseins, und damit sind die Unterschiede, die quantitative Differenz und das umgekehrte Verhältnis von Faktoren, als äußerlich an ihr. So der Widerspruch ihrer selbst und ihres Bestimmtseins, ihrer an sich seienden Bestimmung und ihrer gesetzten Bestimmtheit, ist sie die negative Totalität, deren Bestimmtheiten sich an ihnen selbst und damit diese ihre Grundeinseitigkeit, ihr Ansichsein, aufgehoben haben. Gesetzt hiermit als das, was die Indifferenz in der Tat ist, ist sie einfache und unendliche negative Beziehung auf sich, die Unverträglichkeit ihrer mit ihr selbst, Abstoßen ihrer[456] von sich selbst. Das Bestimmen und Bestimmtwerden ist nicht ein Übergehen, noch äußerliche Veränderung, noch ein Hervortreten der Bestimmungen an ihr, sondern ihr eigenes Beziehen auf sich, das die Negativität ihrer selbst, ihres Ansichseins ist.

Die Bestimmungen, als solche abgestoßene, gehören aber nun nicht sich selbst an, treten nicht in Selbständigkeit oder Äußerlichkeit hervor, sondern sind als Momente – erstens der ansichseienden Einheit angehörig, nicht von ihr entlassen, sondern von ihr als dem Substrate getragen und nur von ihr erfüllt, und zweitens als die Bestimmungen, die der fürsichseienden Einheit immanent, nur durch deren Abstoßen von sich sind. Sie sind statt Seiender wie in der ganzen Sphäre des Seins nunmehr schlechthin nur als Gesetzte, schlechthin mit der Bestimmung und Bedeutung, auf ihre Einheit, somit jede auf ihre andere und Negation bezogen zu sein, – bezeichnet mit dieser ihrer Relativität.

Damit ist das Sein überhaupt und das Sein oder die Unmittelbarkeit der unterschiedenen Bestimmtheiten ebensosehr als das Ansichsein verschwunden, und die Einheit ist Sein, unmittelbare vorausgesetzte Totalität, so daß sie diese einfache Beziehung auf sich nur ist vermittelt durch das Aufheben dieser Voraussetzung, und dies Vorausgesetztsein und unmittelbare Sein selbst nur ein Moment ihres Abstoßens ist, die ursprüngliche Selbständigkeit und Identität mit sich nur ist als das resultierende, unendliche Zusammengehen mit sich; – so ist das Sein zum Wesen bestimmt, das Sein als durch Aufheben des Seins einfaches Sein mit sich.[457]


Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 6, Frankfurt a. M. 1979.
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