A. Das spezifische Quantum

[394] 1. Das Maß ist die einfache Beziehung des Quantums auf sich, seine eigene Bestimmtheit an sich selbst; so ist das Quantum qualitativ. Zunächst ist es als unmittelbares Maß ein unmittelbares, daher als irgendein bestimmtes Quantum; ebenso unmittelbar ist die ihm zugehörige Qualität; sie ist irgendeine bestimmte Qualität. – Das Quantum als diese nicht mehr gleichgültige Grenze, sondern sich auf sich beziehende Äußerlichkeit ist so selbst die Qualität, und unterschieden von dieser geht es nicht über sie hinaus, so wie diese nicht über dasselbe hinausgeht. Es ist so in die einfache Gleichheit mit sich zurückgekehrte Bestimmtheit; eins mit dem bestimmten Dasein, so wie dieses mit seinem Quantum.[394]

Wenn man aus der erhaltenen Bestimmung einen Satz machen will, so kann man sich ausdrücken: Alles, was da ist, hat ein Maß. Alles Dasein hat eine Größe, und diese Größe gehört zur Natur von Etwas selbst; sie macht seine bestimmte Natur und sein Insichsein aus. Etwas ist gegen diese Größe nicht gleichgültig, so daß, wenn sie geändert würde, es bliebe, was es ist, sondern die Änderung derselben änderte seine Qualität. Das Quantum hat als Maß aufgehört, Grenze zu sein, die keine ist; es ist nunmehr die Bestimmung der Sache, so daß diese, über dies Quantum vermehrt oder vermindert, zugrunde ginge.

Ein Maß, als Maßstab im gewöhnlichen Sinne, ist ein Quantum, das als die an sich bestimmte Einheit gegen äußerliche Anzahl willkürlich angenommen wird. Eine solche Einheit kann zwar auch in der Tat an sich bestimmte Einheit sein, wie Fuß und dergleichen ursprüngliche Maße; insofern sie aber als Maßstab zugleich für andere Dinge gebraucht wird, ist sie für diese nur äußerliches, nicht ihr ursprüngliches Maß. – So mag der Erddurchmesser oder die Pendellänge als spezifisches Quantum für sich genommen werden. Aber es ist willkürlich, den wievielsten Teil des Erddurchmessers oder der Pendellänge und unter welchem Breitengrade man diese nehmen wolle, um sie als Maßstab zu gebrauchen. Noch mehr aber ist für andere Dinge ein solcher Maßstab etwas Äußerliches. Diese haben das allgemeine spezifische Quantum wieder auf besondere Art spezifiziert und sind dadurch zu besonderen Dingen gemacht. Es ist daher töricht, von einem natürlichen Maßstabe der Dinge zu sprechen. Ohnehin soll ein allgemeiner Maßstab nur für die äußerliche Vergleichung dienen; in diesem oberflächlichsten Sinne, in welchem er als allgemeines Maß genommen wird, ist es völlig gleichgültig, was dafür gebraucht wird. Es soll nicht ein Grundmaß in dem Sinne sein, daß die Naturmaße der besonderen Dinge daran dargestellt und daraus nach einer Regel, als Spezifikation eines allgemeinen Maßes, des Maßes ihres allgemeinen Körpers, erkannt würden. Ohne diesen[395] Sinn aber hat ein absoluter Maßstab nur das Interesse und die Bedeutung eines Gemeinschaftlichen, und ein solches ist nicht an sich, sondern durch Übereinkommen ein Allgemeines.

Das unmittelbare Maß ist eine einfache Größenbestimmung, wie z.B. die Größe der organischen Wesen, ihrer Gliedmaßen und so fort. Aber jedes Existierende hat eine Größe, um das zu sein, was es ist, und überhaupt um Dasein zu haben. – Als Quantum ist es gleichgültige Größe, äußerlicher Bestimmung offen und des Auf- und Abgehens am Mehr und Weniger fähig. Aber als Maß ist es zugleich von sich selbst als Quantum, als solcher gleichgültigen Bestimmung, verschieden und eine Beschränkung jenes gleichgültigen Hin – und Hergehens an einer Grenze.

Indem die Quantitätsbestimmtheit so an dem Dasein die gedoppelte ist, das eine Mal die, an welche die Qualität gebunden ist, das andere Mal aber die, an der unbeschadet jener hin- und hergegangen werden kann, so geschieht das Untergehen von etwas, das ein Maß hat, darin, daß sein Quantum verändert wird. Dies Untergehen erscheint einesteils als unerwartet, insofern an dem Quantum, ohne das Maß und die Qualität zu verändern, geändert werden kann, andern teils aber wird es zu einem als ganz Begreiflichen gemacht, nämlich durch die Allmählichkeit. Zu dieser Kategorie wird so leicht gegriffen, um das Vergehen von einer Qualität oder von etwas vorstellig zu machen oder zu erklären, indem man so dem Verschwinden beinahe mit den Augen zusehen zu können scheint, weil das Quantum die als äußerliche, ihrer Natur nach veränderliche Grenze gesetzt ist, hiermit die Veränderung, als nur des Quantums, sich von selbst versteht. In der Tat aber wird nichts dadurch erklärt; die Veränderung ist zugleich wesentlich der Übergang einer Qualität in eine andere oder der abstraktere von einem Dasein in ein Nichtdasein; darin liegt eine andere Bestimmung als in der Allmählichkeit, welche nur eine Verminderung oder Vermehrung und das einseitige Festhalten an der Größe ist.[396]

2. Daß aber eine als bloß quantitativ erscheinende Veränderung auch in eine qualitative umschlägt, auf diesen Zusammenhang sind schon die Alten aufmerksam gewesen und haben die [aus] der Unkenntnis desselben entstehenden Kollisionen in populären Beispielen vorgestellt; unter den Namen des Kahlen, des Haufens sind hierher gehörige Elenchen bekannt, d. i. nach des Aristoteles Erklärung Weisen, wodurch man genötigt wird, das Gegenteil von dem zu sagen, was man vorher behauptet hatte. Man fragte: macht das Ausraufen eines Haares vom Kopfe oder einem Pferdeschweife kahl oder hört ein Haufe auf, ein Haufe zu sein, wenn ein Korn weggenommen wird? Dies kann man unbedenklich zugeben, indem solche Wegnahme nur einen, und zwar selbst ganz unbedeutenden quantitativen Unterschied ausmacht; so wird ein Haar, ein Korn weggenommen und dies so wiederholt, daß jedesmal nach dem, was zugegeben worden, nur eines weggenommen wird; zuletzt zeigt sich die qualitative Veränderung, daß der Kopf, der Schweif kahl, der Haufe verschwunden ist. Man vergaß bei jenem Zugeben nicht nur die Wiederholung, sondern daß sich die für sich unbedeutenden Quantitäten (wie die für sich unbedeutenden Ausgaben von einem Vermögen) summieren und die Summe das qualitativ Ganze ausmacht, so daß am Ende dieses verschwunden, der Kopf kahl, der Beutel leer ist.

Die Verlegenheit, der Widerspruch, welcher als Resultat herauskommt, ist nicht etwas Sophistisches im gebräuchlichen Sinne des Worts, als ob solcher Widerspruch eine falsche Vorspiegelung wäre. Das Falsche ist, was der angenommene Andere, d.h. unser gewöhnliches Bewußtsein begeht, eine Quantität nur für eine gleichgültige Grenze, d.h. sie eben im bestimmten Sinne einer Quantität zu nehmen, Diese Annahme wird durch die Wahrheit, zu der sie geführt wird, Moment des Maßes zu sein und mit der Qualität zusammenzuhängen,[397] konfundiert; was widerlegt wird, ist das einseitige Festhalten an der abstrakten Quantumsbestimmtheit. – Jene Wendungen sind darum auch kein leerer oder pedantischer Spaß, sondern in sich richtig und Erzeugnisse eines Bewußtseins, das ein Interesse an den Erscheinungen hat, die im Denken vorkommen.

Das Quantum, indem es als eine gleichgültige Grenze genommen wird, ist die Seite, an der ein Dasein unverdächtig angegriffen und zugrunde gerichtet wird. Es ist die List des Begriffes, ein Dasein an dieser Seite zu fassen, von der seine Qualität nicht ins Spiel zu kommen scheint, – und zwar so sehr, daß die Vergrößerung eines Staats, eines Vermögens usf., welche das Unglück des Staats, des Besitzers herbeiführt, sogar als dessen Glück zunächst erscheint.

3. Das Maß ist in seiner Unmittelbarkeit eine gewöhnliche Qualität von einer bestimmten ihr zugehörigen Größe. Von der Seite nun, nach welcher das Quantum gleichgültige Grenze ist, an der, ohne die Qualität zu ändern, hin- und hergegangen werden kann, ist seine andere Seite, nach welcher es qualitativ, spezifisch ist, auch unterschieden. Beides sind Größenbestimmungen eines und desselben; aber nach der Unmittelbarkeit, in der zuerst das Maß ist, ist ferner dieser Unterschied als ein unmittelbarer zu nehmen; beide Seiten haben hiernach auch eine verschiedene Existenz. Die Existenz des Maßes, welche die an sich bestimmte Größe ist, ist dann in ihrem Verhalten zu der Existenz der veränderlichen, äußerlichen Seite ein Aufheben ihrer Gleichgültigkeit, ein Spezifizieren desselben,

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 5, Frankfurt a. M. 1979, S. 394-398.
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