b. Qualität

[117] Um der Unmittelbarkeit willen, in der im Dasein Sein und Nichts eins sind, gehen sie nicht übereinander hinaus; soweit das Dasein seiend ist, soweit ist es Nichtsein, ist es bestimmt.[117] Das Sein ist nicht das Allgemeine, die Bestimmtheit nicht das Besondere. Die Bestimmtheit hat sich noch nicht vom Sein abgelöst; zwar wird sie sich auch nicht mehr von ihm ablösen, denn das nunmehr zum Grunde liegende Wahre ist die Einheit des Nichtseins mit dem Sein; auf ihr als dem Grunde ergeben sich alle ferneren Bestimmungen. Aber die Beziehung, in der hier die Bestimmtheit mit dem Sein steht, ist die unmittelbare Einheit beider, so daß noch keine Unterscheidung derselben gesetzt ist.

Die Bestimmtheit so für sich isoliert, als seiende Bestimmtheit, ist die Qualität, – ein ganz Einfaches, Unmittelbares. Die Bestimmtheit überhaupt ist das Allgemeinere, das ebensosehr auch das Quantitative wie weiter Bestimmte sein kann. Um dieser Einfachheit willen ist von der Qualität als solcher weiter nichts zu sagen.

Aber das Dasein, in welchem ebensowohl das Nichts als das Sein enthalten, ist selbst der Maßstab für die Einseitigkeit der Qualität als nur unmittelbarer oder seiender Bestimmtheit. Sie ist ebensosehr in der Bestimmung des Nichts zu setzen, womit dann die unmittelbare oder die seiende Bestimmtheit als eine unterschiedene, reflektierte gesetzt wird; das Nichts so als das Bestimmte einer Bestimmtheit ist ebenso ein Reflektiertes, eine Verneinung. Die Qualität, so daß sie unterschieden als seiende gelte, ist die Realität, sie als mit einer Verneinung behaftet, Negation überhaupt, [ist] gleichfalls eine Qualität, aber die für einen Mangel gilt, sich weiterhin als Grenze, Schranke bestimmt.

Beide sind ein Dasein; aber in der Realität als Qualität mit dem Akzente, eine seiende zu sein, ist es versteckt, daß sie die Bestimmtheit, also auch die Negation enthält; die Realität gilt daher nur als etwas Positives, aus welchem Verneinung, Beschränktheit, Mangel ausgeschlossen sei. Die Negation als bloßer Mangel genommen wäre, was Nichts ist; aber sie ist ein Dasein, eine Qualität, nur mit einem Nichtsein bestimmt.
[118]


Anmerkung

Realität kann ein vieldeutiges Wort zu sein scheinen, weil es von verschiedenen, ja entgegengesetzten Bestimmungen gebraucht wird. Im philosophischen Sinne wird etwa von bloß empirischer Realität als einem wertlosen Dasein gesprochen. Wenn aber von Gedanken, Begriffen, Theorien gesagt wird, sie haben keine Realität, so heißt dies, daß ihnen keine Wirklichkeit zukomme; an sich oder im Begriffe könne die Idee einer Platonischen Republik z.B. wohl wahr sein. Der Idee wird hier ihr Wert nicht abgesprochen und sie neben der Realität auch belassen. Aber gegen sogenannte bloße Ideen, gegen bloße Begriffe gilt das Reelle als das allein Wahrhafte. – Der Sinn, in welchem das eine Mal dem äußerlichen Dasein die Entscheidung über die Wahrheit eines Inhalts zugeschrieben wird, ist ebenso einseitig, als wenn die Idee, das Wesen oder auch die innere Empfindung als gleichgültig gegen das äußerliche Dasein vorgestellt und gar für um so vortrefflicher gehalten wird, je mehr es von der Realität entfernt sei.

Bei dem Ausdrucke »Realität« ist der sonstige metaphysische Begriff von Gott, der vornehmlich dem sogenannten ontologischen Beweise vom Dasein Gottes zugrunde gelegt wurde, zu erwähnen. Gott wurde als der Inbegriff aller Realitäten bestimmt und von diesem Inbegriffe gesagt, daß er keinen Widerspruch in sich enthalte, daß keine der Realitäten die andere aufhebe; denn eine Realität sei nur als eine Vollkommenheit, als ein Affirmatives zu nehmen, das keine Negation enthalte. Somit seien die Realitäten sich nicht entgegengesetzt und widersprechen sich nicht.

Bei diesem Begriffe der Realität wird angenommen, daß sie dann noch bleibe, wenn alle Negation weggedacht werde; damit wird aber alle Bestimmtheit derselben aufgehoben. Die Realität ist Qualität, Dasein; damit enthält sie das Moment des Negativen und ist allein dadurch das Bestimmte, das sie ist. Im sogenannten eminenten Sinne oder[119] als unendliche – in der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes –, wie sie genommen werden soll, wird sie ins Bestimmungslose erweitert und verliert ihre Bedeutung. Die Güte Gottes soll nicht Güte im gewöhnlichen, sondern im eminenten Sinne, nicht verschieden von der Gerechtigkeit, sondern durch sie temperiert sein (ein Leibnizischer Vermittlungsausdruck), so wie umgekehrt die Gerechtigkeit durch die Güte; so ist weder Güte mehr Güte noch Gerechtigkeit mehr Gerechtigkeit. Die Macht solle durch die Weisheit temperiert sein, aber so ist sie nicht Macht als solche, denn sie wäre jener unterworfen, – die Weisheit solle zur Macht erweitert sein, aber so verschwindet sie als den Zweck und Maß bestimmende Weisheit. Der wahre Begriff des Unendlichen und dessen absolute Einheit, der sich später ergeben wird, ist nicht als ein Temperieren, gegenseitiges Beschränken oder Vermischen zu fassen, als welches eine oberflächliche, in unbestimmtem Nebel gehaltene Beziehung ist, mit der sich nur begriffloses Vorstellen begnügen kann.- Die Realität, wie sie in jener Definition Gottes als bestimmte Qualität genommen wird, über ihre Bestimmtheit hinausgeführt, hört auf, Realität zu sein; sie wird zum abstrakten Sein; Gott als das rein Reale in allem Realen oder als Inbegriff aller Realitäten ist dasselbe Bestimmungs- und Gehaltlose, was das leere Absolute, in dem alles eins ist.

Wird dagegen die Realität in ihrer Bestimmtheit genommen, so wird, da sie wesentlich das Moment des Negativen enthält, der Inbegriff aller Realitäten ebensosehr zu einem Inbegriff aller Negationen, dem Inbegriff aller Widersprüche, zunächst etwa zur absoluten Macht, in der alles Bestimmte absorbiert ist; aber da sie selbst nur ist, insofern sie noch ein von ihr nicht Aufgehobenes sich gegenüber hat, so wird sie, indem sie zur ausgeführten, schrankenlosen Macht erweitert gedacht wird, zum abstrakten Nichts. Jenes Reale in allem Realen, das Sein in allem Dasein, welches den Begriff Gottes ausdrücken soll, ist nichts anderes als das abstrakte Sein, dasselbe, was das Nichts ist.[120]

Die Bestimmtheit ist die Negation als affirmativ gesetzt, – ist der Satz des Spinoza: Omnis determinatio est negatio. Dieser Satz ist von unendlicher Wichtigkeit; nur ist die Negation als solche die formlose Abstraktion; der spekulativen Philosophie muß aber nicht schuld gegeben werden, daß ihr die Negation oder das Nichts ein Letztes sei; dies ist es ihr sowenig als die Realität das Wahrhafte.

Von diesem Satze, daß die Bestimmtheit Negation ist, ist die Einheit der Spinozistischen Substanz – oder daß nur eine Substanz ist – die notwendige Konsequenz. Denken und Sein oder Ausdehnung, die zwei Bestimmungen, die Spinoza nämlich vor sich hat, mußte er in dieser Einheit in eins setzen; denn als bestimmte Realitäten sind sie Negationen, deren Unendlichkeit ihre Einheit ist; nach Spinozas Definition, wovon weiter unten, ist die Unendlichkeit von Etwas seine Affirmation. Er begriff sie daher als Attribute, d.h. als solche, die nicht ein besonderes Bestehen, ein Anundfürsichsein haben, sondern nur als aufgehobene, als Momente sind; oder vielmehr sind sie ihm nicht einmal Momente, denn die Substanz ist das in ihr selbst ganz Bestimmungslose, und die Attribute sind, wie auch die Modi, Unterscheidungen, die ein äußerer Verstand macht. – Ebenso kann die Substantialität der Individuen nicht gegen jenen Satz bestehen. Das Individuum ist Beziehung auf sich dadurch, daß es allem anderen Grenzen setzt; aber diese Grenzen sind damit auch Grenzen seiner selbst, Beziehungen auf Anderes, es hat sein Dasein nicht in ihm selbst. Das Individuum ist wohl mehr als nur das nach allen Seiten beschränkte, aber dies Mehr gehört in eine andere Sphäre des Begriffs; in der Metaphysik des Seins ist es ein schlechthin Bestimmtes; und daß ein solches, daß das Endliche als solches an und für sich sei, dagegen macht sich die Bestimmtheit wesentlich als Negation geltend und reißt es in dieselbe negative Bewegung des Verstandes, welche alles in der abstrakten Einheit, der Substanz, verschwinden läßt.

Die Negation steht unmittelbar der Realität gegenüber:[121] weiterhin, in der eigentlichen Sphäre der reflektierten Bestimmungen, wird sie dem Positiven entgegengesetzt, welches die auf die Negation reflektierende Realität ist, – die Realität, an der das Negative scheint, das in der Realität als solcher noch versteckt ist.

Die Qualität ist erst in der Rücksicht vornehmlich Eigenschaft, als sie in einer äußerlichen Beziehung sich als immanente Bestimmung zeigt. Unter Eigenschaften, z.B. von Kräutern, versteht man Bestimmungen, die einem Etwas nicht nur überhaupt eigen sind, sondern insofern es sich dadurch in der Beziehung auf andere auf eine eigentümliche Weise erhält, die fremden in ihm gesetzten Einwirkungen nicht in sich gewähren läßt, sondern seine eigenen Bestimmungen in dem Anderen – ob es dies zwar nicht von sich abhält – geltend macht. Die mehr ruhenden Bestimmtheiten, z.B. Figur, Gestalt, nennt man dagegen nicht wohl Eigenschaften, auch etwa nicht Qualitäten, insofern sie als veränderlich, mit dem Sein nicht identisch vorgestellt werden.

Die Qualierung oder Inqualierung, ein Ausdruck der Jakob Böhmischen, einer in die Tiefe, aber in eine trübe Tiefe gehenden Philosophie, bedeutet die Bewegung einer Qualität (der sauren, herben, feurigen usf.) in ihr selbst, insofern sie in ihrer negativen Natur (in ihrer Qual) sich aus Anderem setzt und befestigt, überhaupt die Unruhe ihrer an ihr selbst ist, nach der sie nur im Kampfe sich hervorbringt und erhält.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 5, Frankfurt a. M. 1979, S. 117-122.
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