a. Der Schluß der Allheit

[381] 1. Der Schluß der Allheit ist der Verstandesschluß in seiner Vollkommenheit, mehr aber noch nicht. Daß die Mitte in ihm nicht abstrakte Besonderheit, sondern in ihre Momente entwickelt und daher als konkrete ist, ist zwar ein wesentliches Erfordernis für den Begriff, allein die Form der Allheit faßt das Einzelne zunächst nur äußerlich in die Allgemeinheit zusammen, und umgekehrt erhält sie das Einzelne noch als ein unmittelbar für sich Bestehendes in der Allgemeinheit. Die Negation der Unmittelbarkeit der Bestimmungen, die das Resultat des Schlusses des Daseins war, ist nur die erste Negation, noch nicht die Negation der Negation oder absolute Reflexion-in-sich. Jener die einzelnen Bestimmungen in sich befassenden Allgemeinheit der Reflexion[381] liegen sie daher noch zugrunde, – oder die Allheit ist noch nicht die Allgemeinheit des Begriffs, sondern die äußere der Reflexion.

Der Schluß des Daseins war darum zufällig, weil der Medius Terminus desselben als eine einzelne Bestimmtheit des konkreten Subjekts eine unbestimmbare Menge anderer solcher Mediorum Terminorum zuläßt und damit das Subjekt mit unbestimmbar anderen und mit entgegengesetzten Prädikaten zusammen geschlossen sein konnte. Indem die Mitte aber nunmehr die Einzelheit enthält und hierdurch selbst konkret ist, so kann durch sie mit dem Subjekt nur ein Prädikat verbunden werden, das ihm als konkretem zukommt. – Wenn z.B. aus dem Medius Terminus Grün geschlossen werden sollte, daß ein Gemälde angenehm sei, weil das Grün dem Auge angenehm ist, oder ein Gedicht, ein Gebäude usf. schön sei, weil es Regelmäßigkeit besitze, so könnte das Gemälde usf. dessenungeachtet häßlich sein um anderer Bestimmungen willen, aus denen auf dies letztere Prädikat geschlossen werden könnte. Indem hingegen der Medius Terminus die Bestimmung der Allheit hat, so enthält er das Grüne, die Regelmäßigkeit als ein Konkretes, das eben darum nicht die Abstraktion eines bloß Grünen, Regelmäßigen usf. ist; mit diesem Konkreten können nun nur Prädikate verbunden sein, die der Totalität des Konkreten gemäß sind. – In dem Urteil »Das Grüne oder Regelmäßige ist angenehm « ist das Subjekt nur die Abstraktion von Grün, Regelmäßigkeit; in dem Satze »Alles Grüne oder Regelmäßige ist angenehm« ist das Subjekt dagegen: alle wirklichen konkreten Gegenstände, die grün oder regelmäßig sind, die also als konkrete mit allen ihren Eigenschaften, die sie außer dem Grünen oder der Regelmäßigkeit noch haben, genommen werden.

2. Diese Reflexionsvollkommenheit des Schlusses macht ihn aber eben hiermit zu einem bloßen Blendwerk. Der Medius Terminus hat die Bestimmtheit Alle, diesen kommt im Obersatze das Prädikat unmittelbar zu, das mit dem[382] Subjekte zusammengeschlossen wird. Aber Alle sind alle Einzelnen, darin hat also das einzelne Subjekt jenes Prädikat schon unmittelbar und erhält es nicht erst durch den Schluß. – Oder das Subjekt erhält durch den Schlußsatz ein Prädikat als eine Folge; der Obersatz aber enthält in sich schon diesen Schlußsatz; der Obersatz ist also nicht für sich richtig oder ist nicht ein unmittelbares, vorausgesetztes Urteil, sondern setzt selbst schon den Schlußsatz voraus, dessen Grund er sein sollte. – In dem beliebten vollkommenen Schlusse:

Alle Menschen sind sterblich,

Nun ist Cajus ein Mensch,

Ergo ist Cajus sterblich,

ist der Obersatz nur darum und insofern richtig, als der Schlußsatz richtig ist; wäre Cajus zufälligerweise nicht sterblich, so wäre der Obersatz nicht richtig. Der Satz, welcher Schlußsatz sein sollte, muß schon unmittelbar für sich richtig sein, weil der Obersatz sonst nicht alle Einzelne befassen könnte; ehe der Obersatz als richtig gelten kann, ist vorher die Frage, ob nicht jener Schlußsatz selbst eine Instanz gegen ihn sei.

3. Beim Schlusse des Daseins ergab sich aus dem Begriffe des Schlusses, daß die Prämissen als unmittelbare dem Schlußsatze, nämlich der durch den Begriff des Schlusses geforderten Vermittlung widersprachen, daß der erste Schluß daher andere und umgekehrt diese anderen ihn voraussetzten. Im Schlüsse der Reflexion ist dies an ihm selbst gesetzt, daß der Obersatz seinen Schlußsatz voraussetzt, indem jener die Verbindung des Einzelnen mit einem Prädikate enthält, welche eben erst Schlußsatz sein soll.

Was also in der Tat vorhanden ist, kann zunächst so ausgedrückt werden, daß der Reflexionsschluß nur ein äußerlicher leerer Schein des Schließen; ist, – daß somit das Wesen dieses Schließens auf subjektiver Einzelheit beruht, diese hiermit die Mitte ausmacht und als solche zu setzen ist, – die Einzelheit, welche als solche ist und nur äußerlich[383] die Allgemeinheit an ihr hat. – Oder nach dem näheren Inhalt des Reflexionsschlusses zeigte sich, daß das Einzelne in unmittelbarer, nicht einer erschlossenen Beziehung auf sein Prädikat steht und daß der Obersatz, die Verbindung eines Besonderen mit einem Allgemeinen oder näher eines formell Allgemeinen mit einem an sich Allgemeinen, durch die Beziehung der Einzelheit, die in jenem vorhanden ist – der Einzelheit als Allheit – vermittelt ist. Dies aber ist der Schluß der Induktion.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 6, Frankfurt a. M. 1979, S. 381-384.
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