Zweiter Einwand
Zur zweiten Meditation: Über die Natur des menschlichen Geistes

[164] »Ich bin ein denkendes Ding«: das ist richtig. Nämlich daraus, daß ich denke oder (sei es wachend oder träumend) Phantasmen habe, folgt, daß ich ein Denkender bin; denn »ich denke« oder »ich bin ein Denkender« bezeichnen dasselbe. Bin ich ein Denkender, so folgt auch, daß ich bin, da ja das, was denkt, nicht ein Nichts ist.

Fügt Descartes aber hinzu: das heißt »Geist, Seele, Verstand, Vernunft«, so erheben sich mir Bedenken. Denn es dürfte schwerlich ein richtiger Schluß sein, zu folgern: ich bin ein Denkender, also bin ich Denken, oder ich bin ein Verstehender, also bin ich Verstand. Denn in gleicher Weise könnte ich sagen: ich bin ein Spazierengehender, also bin ich ein Spaziergang. Descartes setzt somit das verstehende Ding und das Verstehen, welches ein Akt des Verstandes ist, oder doch das verstehende Ding und den Verstand, der ein Vermögen des Verstehenden ist, gleich. Alle Philosophen unterscheiden aber das Subjekt von seinen Fähigkeiten und Akten, d.h. von seinen Eigenschaften und seiner Essenz. Ein anderes ist das Seiende selbst, ein anderes seine Essenz. Es könnte also sein, daß das denkende Ding zwar das Subjekt für Geist, Vernunft, Verstand, aber gleichwohl etwas Körperliches wäre; Descartes nimmt das Gegenteil an, aber ohne Beweis. Dennoch hängt davon die Triftigkeit des Schlusses ab, den er zieht.

Es heißt dort weiter: »ich weiß, daß ich existiere; frage ich nun, wer ich bin, von dem ich dies weiß, so hängt sicherlich die Antwort auf diese so bestimmt gefaßte Frage nicht[164] von irgend etwas ab, über dessen Existenz ich noch nichts weiß.«

Sicherlich hängt die Kenntnis des Satzes »ich existiere« von der ab »ich denke«, wie Descartes selbst es uns richtig gelehrt hat. Aber woher haben wir die Kenntnis des »ich denke«? Sicher doch von nichts anderem, als davon, daß wir keine Tätigkeit, sei sie welche sie wolle, ohne ein zugehöriges Subjekt uns vorstellen können, wie etwa das Tanzen ohne einen Tanzenden, das Wissen ohne einen Wissenden, das Denken ohne einen Denkenden.

Mir scheint nun gerade hieraus zu folgen, daß das denkende Ding etwas Körperliches sei; denn die Subjekte aller Tätigkeiten sind, wie es scheint, allein unter dem Begriff von etwas Körperlichem oder Materiellem zu denken. So hat es Descartes selbst am Beispiel des Wachses gezeigt, welches bei aller Veränderung von Farbe, Härte und Gestalt immer als dasselbe Ding, d.h. als dieselbe Materie trotz aller Einwirkungen, denen es unterworfen war, verstanden wird. Es folgt aber nicht, daß ich nur vermittelst eines besonderen Denkens denken kann. Denn wenn man auch daran denken kann, gedacht zu haben (was indessen bloße Erinnerung ist), so ist auf alle Fälle ein Denken des Denkens ebenso wie ein Wissen des Wissens unmöglich. Es würde dies zu einer unendlichen Reihe von Fragen führen: woher weißt du, daß du weißt, daß du weißt, daß du weißt?

Da also die Kenntnis des Satzes »ich existiere« von der Kenntnis des anderen »ich denke« abhängt und wir in diesem das Denken von einer denkenden Materie nicht trennen können, scheint die Annahme, daß die denkende Substanz materiell sei, berechtigter zu sein, als die andere, daß sie immateriell sei.


Erwiderung

Wo ich etwas als Geist, Seele, Verstand, Vernunft bezeichnete, verstand ich unter diesen Namen nicht allein die Fähigkeiten, sondern die mit der Fähigkeit zu denken ausgestatteten Dinge, wie dies bei den beiden ersteren Namen allgemein, bei den beiden anderen häufig auch sonst geschieht. Und das habe ich so deutlich und an so vielen Stellen[165] auseinandergesetzt, daß zu Mißverständnissen kein Anlaß war.

Ferner darf ein Spaziergang dem Denken nicht ohne weiteres gleich gesetzt werden, da Spaziergang ausschließlich die Tätigkeit selbst zu bedeuten pflegt, während Denken bisweilen für die Tätigkeit des Denkens, bisweilen für die Fähigkeit dazu, bisweilen für die Sache, der diese Fähigkeit zukommt, gebraucht wird.

Auch behaupte ich nicht, daß das denkende Ding und das Denken oder der Verstand (wenn darunter die Fähigkeit zu denken verstanden wird) dasselbe sei, sondern nur wenn unter Verstand das Ding verstanden wird, welches denkt. Ich gebe aber gern zu, daß ich zur Bezeichnung des Dinges oder der Substanz, um sie von allem Nichtzugehörigen zu befreien, mich möglichst abstrakter Ausdrücke bedient habe, während dieser Philosoph im Gegenteil möglichst konkrete Ausdrücke anwendet, wie Subjekt, Materie und Körper, um schon bei der Bezeichnung des denkenden Dinges es möglichst wenig vom Körper zu unterscheiden und zu trennen. Ich befürchte nicht, daß mein Verfahren, das einzelne möglichst sorgfältig zu scheiden, zur Erreichung der Wahrheit als ungeeigneter erachtet würde, als seine Methode, mehreres zugleich miteinander zu vermengen. Aber lassen wir den Streit über Worte beiseite und wenden wir uns der Sache selber zu.

Hobbes behauptet, es wäre möglich, daß das denkende Ding etwas Körperliches wäre, eine Möglichkeit, die zwar von mir nicht angenommen, aber auch nicht widerlegt sei. Das ist falsch; ich habe die gegenteilige Annahme nicht zu der Grundlage meines Schlusses gemacht, sondern sie ausdrücklich bis zur sechsten Meditation unbestimmt gelassen, wo sie bewiesen wird. Sagt er weiter, daß wir keine Tätigkeit ohne ein zugehöriges Subjekt, somit das Denken nicht ohne ein denkendes Ding auffassen können, da das, was denkt, unmöglich nichts sein kann, so ist dies richtig. Aber ohne jeden Grund und gegen allen Sprachgebrauch und jede Logik fügt er hinzu, daß daraus zu folgern scheine, daß das denkende Ding etwas Körperliches sei. Die Subjekte aller Tätigkeiten sind gewiß unter dem Begriff der Substanz oder auch, wenn man will, unter dem der Materie,[166] nämlich der metaphysischen, zu denken; aber darum doch nicht unter dem Begriff des Körpers. Pflegen doch auch die Logiker, wie jeder sonst, geistige und körperliche Substanz zu unterscheiden. Durch das Beispiel des Wachses soll auch nur bewiesen werden, daß weder Farbe, noch Härte, noch Gestalt zu dem wahren Wesen des Wachses gehört. Über das wahre Wesen des Geistes habe ich dagegen dort gar nicht, auch nicht einmal über das Wesen des Körpers gehandelt. Weiter gehört die Behauptung des Philosophen nicht zur Sache, daß ein Denken nicht das Subjekt eines anderen sein kann. Wer hat denn außer ihm dieses jemals angenommen? Sicherlich ist, um mit einem Wort die Sache zu erläutern, ein Denken ohne ein denkendes Ding nicht möglich, wie überhaupt keine Tätigkeit, oder kein Accidenz ohne Substanz, der diese einwohnen. Da wir nun aber die Substanz nicht unmittelbar durch sie selbst erkennen, sondern nur daraus, daß sie das Subjekt gewisser Tätigkeiten ist, ist es durchaus folgerichtig und auch gebräuchlich, Substanzen, die wir als Subjekte offensichtlich verschiedener Tätigkeiten oder Accidenzien erschließen, auch mit verschiedenen Namen zu benennen und hiernach zu prüfen, ob jene verschiedenen Namen verschiedene Dinge oder ein und dasselbe Ding bezeichnen. Nun gibt es aber verschiedene Accidenzien, die wir körperlich nennen, wie Größe, Gestalt, Bewegung und alles andere, das ohne räumliche Erstreckung nicht gedacht werden kann; die Substanz, der sie inne wohnen, nennen wir Körper. Es läßt sich nicht gut annehmen, daß die Subjekte der Gestalt, der räumlichen Bewegung usw. verschiedene Substanzen seien, da alle jene Accidenzien in dem gemeinsamen Begriff der Ausdehnung zusammentreffen. Es gibt aber andere Accidenzien, die wir geistige nennen, wie Erkennen, Wollen, Phantasieren, Empfinden usw., welche sämtlich in dem gemeinsamen Begriff des Denkens oder der Vorstellung oder des Bewußtseins zusammentreffen; und die Substanz, der sie einwohnen, nennen wir ein denkendes Ding oder Geist oder sonst irgendwie; wenn man sie nur nicht mit der körperlichen Substanz verwechselt. Haben doch die geistigen Accidenzien keinerlei Ähnlichkeit mit den körperlichen, und das Denken, welches der gemeinsame Begriff[167] jener ist, unterscheidet sich völlig von der Ausdehnung, dem gemeinsamen Begriff dieser. Haben wir aber klare Begriffe dieser beiden Substanzen gewonnen, so ist es leicht, aus dem, was in der sechsten Meditation gesagt ist, zu erkennen, ob sie ein und dieselbe Substanz bedeuten oder zwei verschiedene.

Quelle:
Thomas Hobbes: Grundzüge der Philosophie. Erster Teil: Lehre vom Körper. Leipzig 1949, S. 164-168.
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