Einleitung

[125] Nichts vollendet so sehr den absoluten Werth eines Gedichts, als wenn es, neben seinen übrigen eigenthümlichen Vorzügen, zugleich den sichtbaren Ausdruck seiner Gattung und das lebendige Gepräge seines Urhebers an sich trägt. Denn wie gross auch die einzelnen Schönheiten seyn mögen, durch welche ein Kunstwerk zu glänzen im Stande ist, wie regellos die Bahnen, welche selbst das ächte Genie manchmal verfolgt; so bleibt es doch immer gewiss, dass dasselbe da, wo es in seiner vollen Kraft thätig ist, auch immer in einer reinen und entschiedenen Individualität auftritt und sich eben so wieder in einer reinen und bestimmten Form ausprägt. Wenn daher andere Producte der Kunst nur eine einseitige Bewunderung oder eine flüchtig aufbrausende Begeisterung hervorbringen; so sind es allein die, welche jenen Grad der Vollkommenheit besitzen, in welchen der Leser seine volle und dauernde Befriedigung findet, und aus denen er wieder die Stimmung zu schöpfen vermag, die ihnen selbst das Daseyn gab. Vorzüglich aber sind sie ein dankbarer Gegenstand für die ästhetische Beurtheilung. Denn sie erheben zugleich mit sich auch ihren Beurtheiler empor und führen von selbst eine Art der Kritik herbei, die in dem einzelnen Beispiel zugleich die Gattung, in dem Werke zugleich den Künstler schildert.

Eine solche Beurtheilung schien mir Göthes Herrmann und Dorothea vorzugsweise zu verdienen. Denn in dem eigenthümlichen Geiste, der diese Dichtung beseelt, glaubte[125] ich in vorzüglich sichtbarer Stärke die doppelte Verwandtschaft zu erkennen, in welcher derselbe auf der einen Seite mit der allgemeinen Dichter- und Künstlernatur überhaupt, auf der andern mit der besondern Eigenthümlichkeit ihres Verfassers steht. Die poetische Gattung und die epische Art erscheint nur selten so rein und so vollständig, als in der meisterhaften Composition dieses Ganzen, der dichterischen Wahrheit dieser Gestalten, dem stetigen Fortschreiten dieser Erzählung; und wenn Göthes Eigenthümlichkeit in einzelnen ihrer Vorzüge stärker und leuchtender aus andern seiner Werke hervorstralt, so findet man in keinem, so wie in diesem, alle diese einzelnen Stralen in Einem Brennpunkt versammelt.

Die kritische Zergliederung dieses Werks zu übernehmen, hiess in einem noch eigentlicheren Verstande, als es die ästhetische Beurtheilung immer thun muss, in das Wesen der dichterischen Einbildungskraft einzudringen; und so trieb mich die Begierde, dieser geheimnissvollsten unter allen menschlichen Kräften mit Begriffen näher zu kommen, nicht weniger, als die Liebe zu diesem Gedicht, den Versuch zu wagen, aus dem diese Schrift entstand.

Diesem Gesichtspunkte, von dem ich ausging, habe ich mich bemüht, in der Ausführung getreu zu bleiben. Ich habe die Betrachtung des Gedichts so wenig als möglich von der Betrachtung des Dichters getrennt und dasselbe, so viel ich immer konnte, nur als den lebendig dargestellten Gedanken einer individuellen dichterischen Einbildungskraft beurtheilt. Denn die Natur eben dieser Einbildungskraft zu studiren, war mein hauptsächlichster Endzweck.

Diess bitte ich den Leser nicht aus den Augen zu verlieren, wenn er vielleicht finden sollte, dass ich mich bisweilen zu sehr von meinem Gegenstande entferne, zu hoch zu allgemeinen Grundsätzen erhebe oder zu weit auf andre Dichtungsarten und Dichternaturen verbreite. Beides war auf dem Wege, den ich einmal nahm, unvermeidlich. Denn um zu zeigen, dass diess Gedicht die allgemeine Natur der Poesie und der Kunst reiner, als nicht leicht ein andres, sich zum besondern Charakter aneignet, musste ich nothwendig,[126] das Wesen der Kunst in ihren ersten Gründen aufsuchend, bis auf die höchsten Principien der Elementar-Aesthetik zurückgehn; und um demselben, so wie dem Dichter selbst, die ihnen gebührende Stelle unter den übrigen Kunstwerken und Künstlern anzuweisen, eben so nothwendig die verschiedenen Nebenarten aufführen, welche dieselbe Gattung mit ihnen befasst.

Ich wählte aber diese Methode, immer zugleich bei meinem Gegenstande etwas Allgemeineres, die Poesie und die Dichternatur überhaupt, im Auge zu haben, nicht ohne Absicht. Jede philosophische Beurtheilung kann auf einen zwiefachen Endzweck hinarbeiten, mehr auf die objective Beschaffenheit des Werks, das sie zu würdigen versucht, oder mehr auf den Geist Rücksicht nehmen, der nothwendig war, es hervorzubringen. In dem ersteren Fall befördert sie die Gesetzmässigkeit unsrer Thätigkeit; in dem letzteren bildet sie die ihr günstige Stimmung unsres Gemüths. In dem Gemüthe des Menschen aber sind die Anlagen zu jeder Art der Kraftäusserung mit einander verwandt, und jede einzelne entwickelt sich freier und vollkommner, wenn sie durch die verhältnissmässige Ausbildung der übrigen unterstützt wird. Von welchem Gegenstande man daher immer reden mag, so kann man ihn auf den Menschen und zwar auf das Ganze seiner intellectuellen und moralischen Organisation beziehen. Bei jeder eigenthümlichen Philosophie, jedem weitumfassenden System der Naturforschung, jeder grossen politischen Einrichtung kann man untersuchen, was dadurch der philosophische, naturhistorische, politische Geist allein und in ihrer Verbindung gewonnen haben. Man kann an diese Untersuchung die noch allgemeinere anknüpfen, um wie viel dadurch der menschliche Geist überhaupt dem letzten Ziele seines Strebens näher gerückt ist, dem Ziele nemlich: die ganze Masse des Stoffs, welchen ihm die Welt um ihn her und sein inneres Selbst darbietet, mit allen Werkzeugen seiner Empfänglichkeit in sich aufzunehmen und mit allen Kräften seiner Selbstthätigkeit umzugestalten und sich anzueignen und dadurch sein Ich mit der Natur in die allgemeinste, regste und übereinstimmendste Wechselwirkung[127] zu bringen. Man muss sogar immer beides, sobald man einen hohen praktischen Endzweck verfolgt, und man darf es wenigstens nie ganz vernachlässigen, wenn man von der Kunst spricht, die aus dem Innersten des menschlichen Gemüths selbst entspringt, und von einem Kunstwerke, das mit dem Gepräge einer grossen Eigenthümlichkeit gestempelt ist.

Erwählt man nun diesen höheren Standpunkt, so bezieht man seinen einzelnen Gegenstand auf einen allgemeinen, ausser demselben liegenden Mittelpunkt und arbeitet an einem mehr oder minder beträchtlichen Theil eines weiten und erhabenen Gebäudes. Dieser Mittelpunkt ist nemlich: die Bildung des Menschen; diess Gebäude: die Charakteristik des menschlichen Gemüths in seinen möglichen Anlagen und in den wirklichen Verschiedenheiten, welche die Erfahrung aufzeigt. Man besitzt nunmehr in der Summe der Vorzüge des Geistes und der Gesinnung, welche die Menschheit bisher dargethan hat, eine idealische, aber bestimmbare Grösse, nach welcher sich der Einzelne beurtheilen lässt; man sieht ein Ziel, dem man nachstreben kann; man kennt einen Weg, auf dem es möglich ist, im höchsten Verstande des Worts Entdecker zu seyn, indem man durch die That als Dichter, Denker oder Forscher, aber vor allem als handelnder Mensch jener Summe etwas Neues hinzufügt und damit die Gränzen der Menschheit selbst weiter rückt. Man gewinnt eine Idee, welche durch Begeisterung zugleich Kraft mittheilt, da das Gesetz die Schritte nur leitet, nicht auch beflügelt, und den Muth mehr daniederschlägt, als erhebt.

Es giebt keine freie und kraftvolle Aeusserung unsrer Fähigkeiten ohne eine sorgfältige Bewahrung unsrer ursprünglichen Naturanlagen; keine Energie ohne Individualität. Deswegen ist es so nothwendig, dass eine Charakteristik, wie die eben geschilderte, dem menschlichen Geiste die Möglichkeit vorzeichne, mannigfaltige Bahnen zu verfolgen, ohne sich darum von dem einfachen Ziel allgemeiner Vollkommenheit zu entfernen, sondern demselben vielmehr von verschiedenen Seiten entgegenzueilen. Nur auf eine philosophisch empirische Menschenkenntniss lässt sich[128] die Hofnung gründen, mit der Zeit auch eine philosophische Theorie der Menschenbildung zu erhalten. Und doch ist diese letztere nicht bloss als allgemeine Grundlage zu ihren einzelnen Anwendungen, der Erziehung und Gesetzgebung, (die selbst erst von ihr durchgängigen Zusammenhang in ihren Principien erwarten dürfen), sondern auch als ein sicherer Leitfaden bei der freien Selbstbildung jedes Einzelnen ein allgemeines und besonders in unserer Zeit dringendes Bedürfniss. Je grösser die Anzahl der Richtungen ist, welche ihm offen liegen, je reichhaltiger der Stoff, welchen unsre Cultur ihm darbietet, desto mehr fühlt sich auch der bessere Kopf verlegen, unter dieser Mannigfaltigkeit eine verständige Wahl zu treffen und auch nur Mehreres davon mit einander zu verbinden. Ohne diese Verbindung aber geht die Cultur selbst verloren. Denn wenn die Cultur des Menschen die Kunst ist, sein Gemüth durch Nahrung fruchtbar zu machen, so muss er dazu seine Organe so harmonisch stimmen und eine solche äussre Lage wählen, dass er so Vieles, als möglich, sich aneignen kann, da ohne Aneignung kein Nahrungsstoff weder in das Gemüth noch in den Körper übergeht.

Eine solche Charakteristik des Menschen dürfte sich zwar nie zu einer eigentlichen Wissenschaft erheben, ob sie gleich mehr bestimmt wäre, philosophisch und zum Behuf höherer Ausbildung zu entwickeln, was der Mensch überhaupt zu leisten vermag, als historisch zu zeigen, was er bisher wirklich geleistet hat; aber sie würde dennoch nicht minder verdienen, als eine eigne, philosophisch geordnete Erfahrungstheorie von der Masse der übrigen philosophischen Kenntnisse abgesondert zu werden. In wie ferne sie hierauf Ansprüche machen und selbst eines eignen Namens bedürfen möchte, da sie sich auch in ihrem allgemeinen Theile von der Psychologie und Anthropologie wesentlich unterscheiden würde, ist hier nicht der Ort auseinanderzusetzen. Ich glaubte ihrer nur überhaupt erwähnen zu müssen, um für die Beurtheilung dieser Blätter den entfernteren Zweck bestimmter anzudeuten, den ich bei Ausarbeitung derselben nie aus den Augen verlor.[129]

Der Rückblick auf diesen entfernteren Zweck aber hat mich genöthigt, einen Gang zu wählen, der, wie ich fürchte, vielen zu lang und zu beschwerlich scheinen wird. Mein Raisonnement ist nemlich für die Individualität meines Gegenstandes vielleicht zu allgemein, für seine Anschaulichkeit zu philosophisch geworden. Wenn ich mir auch schmeicheln könnte, den Aesthetiker einigermassen befriedigt zu haben, so darf ich nicht auch hoffen, dem Dichter unmittelbar bei seinem Geschäft nützlich zu werden. Die philosophische Höhe, zu der ich mich von meinem Standpunkte aus nothwendig erheben musste, ist dem ausübenden Künstler weder bequem noch fruchtbar; er braucht mehr specielle und empirische Regeln. Wenn diese dem Philosophen zu eng und individuell sind, so er scheint ihm dagegen dasjenige, was für diesen gehörigen Gehalt und Tauglichkeit zum allgemeinen Gesetz hat, immer hohl und leer. So stehen beide in einem nothwendigen und unvermeidlichen Widerstreit mit einander.

Aber die Philosophie der Kunst ist auch nicht hauptsächlich für den Künstler und wenigstens nie für den Augenblick der Hervorbringung bestimmt. Es ist ein Vorzug und ein Unglück der Philosophie überhaupt, immer nur den Menschen, nie die Ausübung zum unmittelbaren Endzweck zu haben. Der Künstler kann ohne sie Künstler, der Staatsmann ohne sie Staatsmann, der Tugendhafte ohne sie tugendhaft seyn; aber der Mensch bedarf ihrer, um, was er von ihnen empfängt, zu geniessen und zu benutzen, um sich selbst und die Natur zu kennen und diese Kenntniss fruchtbar zu machen; und jene sogar können ihrer nicht entbehren, wenn sie sich selbst verständlich werden und mit ihrer Vernunft dem Fluge ihres Genies oder der Tiefe und Richtigkeit ihres praktischen Sinns gleichkommen wollen. Eben so ist auch die Aesthetik unmittelbar nur für denjenigen bestimmt, welcher durch die Werke der Kunst seinen Geschmack und durch einen freien und geläuterten Geschmack seinen Charakter zu bilden wünscht; der Künstler selbst kann sie nur gebrauchen, sich überhaupt zu stimmen, sich, wenn er sich eine Zeit hindurch seinem Genie überlassen[130] hat, wieder zu orientiren, den Punkt zu bestimmen, auf dem er steht und wohin er gelangen sollte. Ueber den Weg aber, der ihn zu diesem Ziele führt, kann ihm nicht mehr sie, sondern allein seine eigne und fremde Erfahrung Rath ertheilen.

Zwar wird ihm auch diese immer nur einzelne Bruchstücke zu liefern im Stande seyn, abgerissene Regeln, denen es nicht bloss an Vollständigkeit, sondern auch an Allgemeingültigkeit fehlt. Dessenungeachtet wäre es nicht minder wichtig, dieselben zu sammeln und zu ordnen, und jeder, welchem sein Talent die Bahn der Kunst mit entschiedenem Erfolge zu wandeln erlaubt, sollte sorgfältig aufzeichnen, was er auf derselben an sich selbst bewährt gefunden hat. Es würde dadurch nicht bloss der Kunst, sondern auch der Philosophie ein wesentlicher Dienst geleistet. Denn der Aesthetiker benutzt diese poetischen Geständnisse eben so, als der Psycholog die moralischen, und freut sich, die Künstlernatur, die er sonst nur mit Mühe aus ihren Werken ahndet, nun durch unmittelbare Anschauung zu erkennen. Diess ist es, was Diderots ästhetischen Aufsätzen einen so grossen Werth giebt, der Reichthum von Bemerkungen und Erfahrungen, der z.B. seine Versuche über die Mahlerei und seine Abhandlung über die dramatische Poesie so fruchtbar für den Künstler und Theoretiker macht.

Der Abstand, welcher sich zwischen dem allgemeinen Gesetz und dem individuellen Kunstwerk befindet, hindert oft, dass das letztere sogleich vollkommen als der einzelne Fall erscheine, in welchem das erstere dargestellt ist. Sehr leicht könnte sich daher der Leser in der Folge dieser Versuche zu der Beschuldigung veranlasst finden, dass ich den Charakter des beurtheilten Gedichts nicht treu genug vor Augen gehabt und meine Behauptungen nicht durch vollkommen passende Beispiele gerechtfertigt hätte. Ehe er indess ein solches Verdammungsurtheil ausspricht, muss ich ihn bitten, sich mit dem Geiste des Ganzen recht vertraut zu machen und diesen auch bei einzelnen Stellen nie aus dem Gesicht zu verlieren. Denn auch mir hat immer der Totaleindruck vorgeschwebt, und ich kenne in ästhetischen Beurtheilungen[131] keine andre Absonderungs-Methode, als diejenige, welche die einzelne Eigenschaft, auch zu einem augenblicklichen Gebrauche getrennt, noch immer durch das Ganze, mit dem sie verbunden ist, modificirt betrachtet.

Bei der Bestimmung der Dichtungsart, zu welcher Herrmann und Dorothea gehört, habe ich nöthig gefunden, eine eigne, von dem gewöhnlichen Begriff der Epopee abweichende Gattung derselben festzusetzen. Ich fürchte hiebei nicht den Vorwurf, zum Behuf eines einzelnen Gedichts ohne Noth eine neue Gattung geschaffen zu haben. Wer die Theorie der Kunst bearbeitet, befindet sich in dem gleichen Fall mit dem Naturforscher. Was diesem die Natur ist, das ist jenem das Kunstgenie. Wofern er nur gewiss ist, dass dieses und zwar in seiner vollen und reinen Kraft gewirkt hat, (denn hierüber muss er einen freien und eigenmächtigen Richterspruch fällen), so bleibt ihm nichts übrig, als die Geburten desselben gerade für das zu nehmen, wofür sie sich ankündigen, sie einfach zu beschreiben und sein System, wenn sie sich seiner Classification widersetzen, nach ihrem Bedürfniss zu erweitern.

Die Entwicklung philosophischer Theorieen an einzelnen zum Grunde gelegten Beispielen führt gewöhnlich mehr als Einen Nachtheil mit sich. Entweder leidet dadurch die Allgemeinheit der Theorie, oder es wird auch in den einzelnen Fall, von dem man ausgeht, mehr hineingelegt, als sich sonst natürlich darin gefunden hätte. So wie ich in dieser Einleitung den Zweck auseinandergesetzt habe, auf den ich hinarbeitete, glaube ich keinen dieser beiden Vorwürfe mehr befürchten zu dürfen. Bei der Methode, die ich wählte, musste sich zwar das gesammte Feld der Kunstphilosophie meinem Blicke zeigen, aber ich durfte mich nie von dem Standpunkte entfernen, auf den ich mich gestellt hatte. Wenn die erstere Betrachtung mir die Bahn, die ich zu durchlaufen hatte, eröfnete, so musste die letztere sie zu begränzen dienen. Diess bitte ich den Leser besonders da nicht zu vergessen, wo ich über andre Dichtungsarten und Dichternaturen wie z.B. über die Tragödie und über Ariost rede. Denn da ich ihrer immer nur in Beziehung auf meinen[132] eigentlichen Gegenstand erwähne, so könnte mein Raisonnement in diesen Stellen, ohne diese Erinnerung, leicht schief und einseitig erscheinen. Freilich aber gestehe ich gern, dass ein tieferes Eindringen in die Grundprincipien einer allgemeingültigen Philosophie der Kunst überhaupt mir bald zu reizend schien, um dasselbe als einen bloss untergeordneten Zweck meiner Arbeit zu betrachten, und dass meine Bemühung vielmehr wesentlich darauf hinging den gesammten Vorrath meiner Ideen über diesen Gegenstand zu einem, auch von jeder fremden Beziehung unabhängigen und so viel möglich in sich selbst vollendeten Ganzen systematisch zu ordnen.

Sollte übrigens der geschmackvolle Kunstrichter die Resultate dieser Untersuchungen mit minderer Ausführlichkeit und mit einer gedrängteren Kürze dargestellt wünschen; so fühle ich vielleicht lebhafter, als irgend einer meiner Leser, die Billigkeit dieser Forderung, in so fern sie den Styl und den Vortrag ausschliessend betrift. Für einen grossen Theil des Publicums hingegen glaub' ich meinen philosophischen Raisonnements sowohl mehr Klarheit, als mehr überzeugende Kraft dadurch ertheilt zu haben, dass ich sie unmittelbar an die Zergliederung eines vollendeten Kunstwerks angeschlossen; und ich habe der Versuchung nicht widerstehen können, manche sonst nicht unwichtige Rücksichten dem höheren Interesse aufzuopfern, welches ein so allgemein beliebtes Meisterstück jedem nicht ganz mislungenen Versuch, seine Schönheiten zu entwickeln, unstreitig zu ertheilen vermag.


Ueber Göthes Herrmann und Dorothea

Paris, im April 1798

Quelle:
Wilhelm von Humboldt: Werke in fünf Bänden. Band 2, Darmstadt 1963, S. 125-133.
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