II

[11] Rādhā, während allverliebt im Haine Hari scherzte,

Ging hinweg, ob dem verlornen Vorzug eifersüchtig,

Und in einer Laube, deren Wipfel laut von Bienen-

Schwärmen tönte, sprach mit Härmen sie zur Freundin also:

(1)


Der mit dem Nektar der Lippe versüßet den Ton des bezaubernden Rohres,

Flitternden Blickes und flatternden Kranzes, geschütterter Ringe des Ohres,

Dort wie sich Hari gebärdet im Reigen,

Denk' ich, wo munterer Scherz ihm ist eigen.

(2)
[11]

Dem mit beaugetem Pfauengefieder bespangt ist Fülle des Haares,

Reich mit Puramdara's Bogen bezogen das weiche Gewölk des Talares,

Dort wie sich Hari gebärdet im Reigen,

Denk' ich, wo munterer Scherz ihm ist eigen.

(3)


Üppiggelendeten ländlichen Frauen zu küssen den Mund voll Begierde,

Süß bandhujīvischen Lippengeknospes mit lockender, lächelnder Zierde,

Dort wie sich Hari gebärdet im Reigen,

Denk' ich, wo munterer Scherz ihm ist eigen.

(4)


Mit den erschaudernden Ranken des Armes ein Hirtinnentausend umkränzend,

Mit bejuweleten Händen und Füßen und Busen das Dunkel durchglänzend,

Dort wie sich Hari gebärdet im Reigen,

Denk' ich, wo munterer Scherz ihm ist eigen.

(5)


Schimmer von sandelbemaleter Stirn zu des Mondes Beschämung ergießend,

Schwellende Brüste mit ungestüm pochender Pforte des Herzens umschließend,

Dort wie sich Hari gebärdet im Reigen,

Denk' ich, wo munterer Scherz ihm ist eigen.

(6)


Edelgesteiniges mákara-förmiges Ohrengehäng' um die Wangen,[12]

Safrangemantelt, von Helden und Heiligen, Göttern und Geistern umfangen,

Dort wie sich Hari gebärdet im Reigen,

Denk' ich, wo munterer Scherz ihm ist eigen.

(7)


Lehnend am weißen Kadamba, das Grauen und Grausen von Kali beschwichtend,

Mich mit Anaṅga's Gedanken und Blicken empor auch ein weniges richtend,

Dort wie sich Hari gebärdet im Reigen,

Denk' ich, wo munterer Scherz ihm ist eigen.

(8)


Es zählet aller Zierden Zahl, und stößt sich nicht an die Verstoßung,

Es sehnet nach Versöhnung sich, und weiset ferne die Verschuldung;

Nach Kṛṣṇa, der mit andern zwar sich letzt und ohne mich ergetzet,

Macht liebend wieder doch sich auf dies leide Herz! Was soll ich machen?

(10)


Mir, der verborgnen im laubigen Dach, ihn, den Schlummrer in nächtlicher Hülle,

Mir, der allspähenden furchtsames Blicks, ihn, den lachenden wonniger Fülle,

Freundin, den Keśi-Besieger, den klaren,

Bring' ihn zum Spiele mir, liebesbewegt sich der wunschesgewährten zu paaren.

(11)
[13]

Mir, der bei seinem Erscheinen errötenden, ihn, den beredsamen Koser,

Mir, der mit lieblichem Lächeln begrüßten, ihn, der dies Gewand macht loser,

Freundin, den Keśi-Besieger, den klaren,

Bring' ihn zum Spiele mir, liebesbewegt sich der wunschesgewährten zu paaren.

(12)


Mir, der aufs grünende Bette gesunkenen, ihn, der mir liege zur Seiten,

Mir, der bereiten zu Kuß und Umfang, ihn die Lippen zu saugen bereiten,

Freundin, den Keśi-Besieger, den klaren,

Bring' ihn zum Spiele mir, liebesbewegt sich der wunschesgewährten zu paaren.

(13)


Mir mit ermattet gesunkenem Aug', ihn mit lustvoll erschauernden Wangen,

Mir, der im Tau der Erschöpfung zerfloßnen, ihn trunken von Zittern umfangen,

Freundin, den Keśi-Besieger, den klaren,

Bring' ihn zum Spiele mir, liebesbewegt sich der wunschesgewährten zu paaren.

(14)


Mir, von des Kokila Girren umschwirrt, ihn, den Sieger anaṅgischer Regeln,

Mir, mit zerknitterten Blumen im Haar, ihn am Busen mit Spuren von Nägeln,

Freundin, den Keśi-Besieger, den klaren,

Bring' ihn zum Spiele mir, liebesbewegt sich der wunschesgewährten zu paaren.

(15)
[14]

Mir, der bespanget erklingelt der Fuß, ihn, durchmessend die Bahn von Genüssen,

Mir, der entkettet der Gürtel ertönt, ihn, der fasset beim Haar, um zu küssen,

Freundin, den Keśi-Besieger, den klaren,

Bring' ihn zum Spiele mir, liebesbewegt sich der wunschesgewährten zu paaren.

(16)


Mir, im Gefühle der Wonne betäubt, ihn, dem halb ist das Aug' aufgegangen,

Mir, der die Ranke des Leibs hinsinkt, ihn mit steigendem Liebesverlangen,

Freundin, den Keśi-Besieger, den klaren,

Bring' ihn zum Spiele mir, liebesbewegt sich der wunschesgewährten zu paaren.

(17)


Wie aus der Hand die Flöt' ihm sinkt, wie aus den schiefen Augenbrauenranken

Der frohen Frauen freier Blick ihn trifft, die Wang' ihm perlt von hellem Schweiße,

Und, da sein Auge mich erblickt, verlegnes Lächeln um den Mund ihm spielt,

Govind' im Hain von Hirtinnen-Gedräng umgeben seh' ich, und es freut mich.

(18)

Quelle:
Gītagovinda: Das indische Hohelied des bengalischen Dichters Jayadeva. Leipzig [1920], S. 11-15.
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