Zweiter Abschnitt.

[385] 1. Die Anwesenheit und Abwesenheit des Wissens bei der Verbindung der Seele mit den Sinnengegenständen sind der Beweis des innern Sinnes.

2. Die Begriffe der Substanz und der dauernden Existenz desselben (des innern Sinns) sind mit der Luft erklärt.

[386] 3. Der innere Sinn ist wegen der Nicht-Gleichzeitigkeit des Willens und wegen der Nicht-Gleichzeitigkeit des Wissens eins (in jedem Körper).

4. Der aufsteigende und der niedersteigende Lebenswind, das Zuschliessen und Aufschliessen der Augen, das Leben, die Bewegungen des innern Sinns, die Veränderungen (in einem Sinne) durch etwas von dem Sinne Verschiedenes, Lust und Unlust, Verlangen und Abscheu und Wille sind Beweisgründe für die Seele.

[389] 5. Die Begriffe der Substanz und der dauernden Existenz derselben sind mit dem Winde erklärt.

6. Da bei dem Zusammentreffen des Auges mit dem Gegenstande, welches sich ausspricht in »Dies ist Yajnadatta«, keine Wahrnehmung Statt findet, so ist ein sichtbarer Grund nicht vorhanden.

[390] 7. Und von einem allgemein Aufgefassten aus findet kein Unterschied Statt.

8. Deshalb ist (die Seele nur) durch das Zeugniss der Ueberlieferung bewiesen.

9. Wegen der Ausschliessung des Wortes: »Ich« ist (die Seele) nicht (nur) durch das Zeugniss der Ueberlieferung bewiesen.

[391] 10. Wenn ein solches Wissen, wie Ich Devadatta, Ich Yajnadatta, eine Wahrnehmung ist, (wozu dann ein Beweis)?

11. Wenn die wahrgenommene Seele (auch) durch Schluss gefolgert wird, so entsteht in Folge der Festigkeit eben eine Ueberzeugung, wie bei der Wahrnehmung.

[392] 12. Die Vorstellung wie: Devadatta bewegt sich, Yajnadatta bewegt sich, wird auf den Körper durch bildliche Uebertragung bezogen.

[393] 13. Die bildliche Uebertragung wird aber bezweifelt.

14. (Die Vorstellung) »Ich« ist eine Wahrnehmung von einem (von dem Körper) Verschiedenen, weil sie in der eigenen Seele Statt findet, in dem Andern nicht Statt findet.

[394] 15. Das Ich-Vorstellen (ahamkâra) ist eine Wahrnehmung des Körpers. (Die Behauptung deshalb, dass solche Ausdrücke, wie): »Devadatta bewegt sich«, bildliche Uebertragungen seien, ist die Folge einer Selbsterhebung.

16. Aber die bildliche Uebertragung wird bezweifelt.

17. Aber nicht wird in Folge der Verschiedenheit der Körper (auch) das Wissen des Yajnadatta oder des Vishnumitra zum Gegenstande.

[395] 18. (Die Vorstellung) »Ich« ist nicht durch das Zeugniss der Ueberlieferung bewiesen, weil die Besonderheit (der Seele) durch die ursprünglichen (mukhya), (der Seele) angemessenen Eigenschaften so wie durch das Nicht-Fehlgehen der Ausschliessung wie beim Tone festgestellt ist.

19. Wegen der Nicht-Verschiedenheit der Entstehung des Glücks und des Unglücks und des Wissens giebt es nur eine Seele.

20. (Es giebt) mehrere (Seelen) wegen ihrer Zustände.

21. Dies folgt auch aus der Autorität des Sâstra.

Quelle:
Die Lehrsprüche der Vaiçeshika-Philosophie von Kaṇâda. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, Band 21, Leipzig 1867, S. 309–420, S. 385-398.
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