Des dritten Hauptstücks fünfter Abschnitt
Von der Unmöglichkeit eines kosmologischen Beweises vom Dasein Gottes

[536] Es war etwas ganz Unnatürliches und eine bloße Neuerung des Schulwitzes, aus einer ganz willkürlich entworfenen Idee das Dasein des ihr entsprechenden Gegenstandes selbst ausklauben zu wollen. In der Tat würde man es nie auf diesem Wege versucht haben, wäre nicht die Bedürfnis unserer Vernunft, zur Existenz überhaupt irgend etwas Notwendiges (bei dem man im Aufsteigen stehen bleiben könne) anzunehmen, vorhergegangen, und wäre nicht die Vernunft, da diese Notwendigkeit unbedingt und a priori gewiß sein muß, gezwungen worden, einen Begriff zu suchen, der, wo möglich, einer solchen Foderung ein Genüge täte, und ein Dasein völlig a priori zu erkennen gäbe. Diesen glaubte man nun in der Idee eines allerrealesten Wesens zu finden, und so wurde diese nur zur bestimmteren Kenntnis desjenigen, wovon man schon anderweitig überzeugt oder überredet war, es müsse existieren, nämlich des notwendigen Wesens, gebraucht.[536] Indes verhehlete man diesen natürlichen Gang der Vernunft, und, anstatt bei diesem Begriffe zu endigen, versuchte man, von ihm anzufangen, um die Notwendigkeit des Daseins aus ihm abzuleiten, die er doch nur zu ergänzen bestimmt war. Hieraus entsprang nun der verunglückte ontologische Beweis, der weder für den natürlichen und gesunden Verstand, noch für die schulgerechte Prüfung etwas Genugtuendes bei sich führet.

Der kosmologische Beweis, den wir jetzt untersuchen wollen, behält die Verknüpfung der absoluten Notwendigkeit mit der höchsten Realität bei, aber anstatt, wie der vorige, von der höchsten Realität auf die Notwendigkeit im Dasein zu schließen, schließt er vielmehr, von der zum vorausgegebenen unbedingten Notwendigkeit irgend eines Wesens, auf dessen unbegrenzte Realität, und bringt so fern alles wenigstens in das Geleis einer, ich weiß nicht ob vernünftigen, oder vernünftelnden, wenigstens natürlichen Schlußart, welche nicht allein für den gemeinen, sondern auch den spekulativen Verstand die meiste Überredung bei sich führt; wie sie denn auch sichtbarlich zu allen Beweisen der natürlichen Theologie die ersten Grundlinien zieht, denen man jederzeit nachgegangen ist und ferner nachgehen wird, man mag sie nun durch noch so viel Laubwerk und Schnörkel verzieren und verstecken, als man immer will. Diesen Beweis, den Leibniz auch den a contingentia mundi nannte, wollen wir jetzt vor Augen stellen und der Prüfung unterwerfen.

Er lautet also: Wenn etwas existiert, so muß auch ein schlechterdingsnotwendiges Wesen existieren. Nun existiere, zum mindesten, ich selbst: also existiert ein absolutnotwendiges Wesen. Der Untersatz enthält eine Erfahrung, der Obersatz die Schlußfolge aus einer Erfahrung überhaupt auf das Dasein des Notwendigen.63 Also hebt der Beweis[537] eigentlich von der Erfahrung an, mithin ist er nicht gänzlich a priori geführt, oder ontologisch, und weil der Gegenstand aller möglichen Erfahrung Welt heißt, so wird er darum der kosmologische Beweis genannt. Da er auch von aller besondern Eigenschaft der Gegenstände der Erfahrung, dadurch sich diese Welt von jeder möglichen unterscheiden mag, abstrahiert: so wird er schon in seiner Benennung auch vom physikotheologischen Beweise unterschieden, welcher Beobachtungen der besonderen Beschaffenheit dieser unserer Sinnenwelt zu Beweisgründen braucht.

Nun schließt der Beweis weiter: das notwendige Wesen kann nur auf eine einzige Art, d.i. in Ansehung aller möglichen entgegengesetzten Prädikate nur durch eines derselben, bestimmt werden, folglich muß es durch seinen Begriff durchgängig bestimmt sein. Nun ist nur ein einziger Begriff von einem Dinge möglich, der dasselbe a priori durchgängig bestimmt, nämlich der des entis realissimi: Also ist der Begriff des allerrealesten Wesens der einzige, dadurch ein notwendiges Wesen gedacht werden kann, d.i. es existiert ein höchstes Wesen notwendiger Weise.

In diesem kosmologischen Argumente kommen so viel vernünftelnde Grundsätze zusammen, daß die spekulative Vernunft hier alle ihre dialektische Kunst aufgeboten zu haben scheint, um den größtmöglichen transzendentalen Schein zu Stande zu bringen. Wir wollen ihre Prüfung indessen eine Weile bei Seite setzen, um nur eine List derselben offenbar zu machen, mit welcher sie ein altes Argument in verkleideter Gestalt für ein neues aufstellt und sich auf zweier Zeugen Einstimmung beruft, nämlich einen reinen Vernunftzeugen und einen anderen von empirischer Beglaubigung, da es doch nur der erstere allein ist, welcher bloß seinen Anzug und Stimme verändert, um für einen zweiten gehalten zu werden. Um seinen Grund recht sicher zu legen, fußet sich dieser Beweis auf Erfahrung und gibt sich dadurch das Ansehen, als sei er vom ontologischen Beweise unterschieden, der auf lauter reine Begriffe a priori sein ganzes Vertrauen setzt. Dieser Erfahrung aber bedient sich der kosmologische Beweis nur, um einen einzigen Schritt[538] zu tun, nämlich zum Dasein eines notwendigen Wesens überhaupt. Was dieses für Eigenschaften habe, kann der empirische Beweisgrund nicht lehren, sondern da nimmt die Vernunft gänzlich von ihm Abschied und forscht hinter lauter Begriffen: was nämlich ein absolutnotwendiges Wesen überhaupt für Eigenschaften haben müsse, d.i. welches unter allen möglichen Dingen die erforderlichen Bedingungen (requisita) zu einer absoluten Notwendigkeit in sich enthalte. Nun glaubt sie im Begriffe eines allerrealesten Wesens einzig und allein diese Requisite anzutreffen, und schließt sodann: das ist das schlechterdingsnotwendige Wesen. Es ist aber klar, daß man hiebei voraussetzt, der Begriff eines Wesens von der höchsten Realität tue dem Begriffe der absoluten Notwendigkeit im Dasein völlig genug, d.i. es lasse sich aus jener auf diese schließen; ein Satz, den das ontologische Argument behauptete, welches man also im kosmologischen Beweise annimmt und zum Grunde legt, da man es doch hatte vermeiden wollen. Denn die absolute Notwendigkeit ist ein Dasein aus bloßen Begriffen. Sage ich nun: der Begriff des entis realissimi ist ein solcher Begriff, und zwar der einzige, der zu dem notwendigen Dasein passend und ihm adäquat ist: so muß ich auch einräumen, daß aus ihm das letztere geschlossen werden könne. Es ist also eigentlich nur der ontologische Beweis aus lauter Begriffen, der in dem sogenannten kosmologischen alle Beweiskraft enthält, und die angebliche Erfahrung ist ganz müßig, vielleicht, um uns nur auf den Begriff der absoluten Notwendigkeit zu führen, nicht aber, um diese an irgend einem bestimmten Dinge darzutun. Denn sobald wir dieses zur Absicht haben, müssen wir sofort alle Erfahrung verlassen, und unter reinen Begriffen suchen, welcher von ihnen wohl die Bedingungen der Möglichkeit eines absolutnotwendigen Wesens enthalte. Ist aber auf solche Weise nur die Möglichkeit eines solchen Wesens eingesehen, so ist auch sein Dasein dargetan; denn es heißt so viel, als: unter allem Möglichen ist Eines, das absolute Notwendigkeit bei sich führt, d.i. dieses Wesen existiert schlechterdingsnotwendig.[539]

Alle Blendwerke im Schließen entdecken sich am leichtesten, wenn man sie auf schulgerechte Art vor Augen stellt. Hier ist eine solche Darstellung.

Wenn der Satz richtig ist: ein jedes schlechthinnotwendiges Wesen ist zugleich das allerrealeste Wesen (als welches der nervus probandi des kosmologischen Beweises ist): so muß er sich, wie alle bejahende Urteile, wenigstens per accidens umkehren lassen; also: einige allerrealeste Wesen sind zugleich schlechthinnotwendige Wesen. Nun ist aber ein ens realissimum von einem anderen in keinem Stücke unterschieden, und, was also von einigen unter diesem Begriffe enthaltenen gilt, das gilt auch von allen. Mithin werde ich's (in diesem Falle) auch schlechthin umkehren können, d.i. ein jedes allerrealestes Wesen ist ein notwendiges Wesen. Weil nun dieser Satz bloß aus sei nen Begriffen a priori bestimmt ist: so muß der bloße Begriff des realesten Wesens auch die absolute Notwendigkeit desselben bei sich führen; welches eben der ontologische Beweis behauptete, und der kosmologische nicht anerkennen wollte, gleichwohl aber seinen Schlüssen, obzwar versteckter Weise, unterlegte.

So ist denn der zweite Weg, den die spekulative Vernunft nimmt, um das Dasein des höchsten Wesens zu beweisen, nicht allein mit dem ersten gleich trüglich, sondern hat noch dieses Tadelhafte an sich, daß er eine ignoratio elenchi begeht, indem er uns verheißt, einen neuen Fußsteig zu führen, aber, nach einem kleinen Umschweif, uns wiederum auf den alten zurückbringt, den wir seinetwegen verlassen hatten.

Ich habe kurz vorher gesagt, daß in diesem kosmologischen Argumente sich ein ganzes Nest von dialektischen Anmaßungen verborgen halte, welches die transzendentale Kritik leicht entdecken und zerstören kann. Ich will sie jetzt nur anführen und es dem schon geübten Leser überlassen, den trüglichen Grundsätzen weiter nachzuforschen und sie aufzuheben.

Da befindet sich denn z.B. 1) der transzendentale Grundsatz, vom Zufälligen auf eine Ursache zu schließen, welcher[540] nur in der Sinnenwelt von Bedeutung ist, außerhalb derselben aber auch nicht einmal einen Sinn hat. Denn der bloß intellektuelle Begriff des Zufälligen kann gar keinen synthetischen Satz, wie den der Kausalität, hervorbringen, und der Grundsatz der letzteren hat gar keine Bedeutung und kein Merkmal seines Gebrauchs, als nur in der Sinnenwelt; hier aber sollte er gerade dazu dienen, um über die Sinnenwelt hinaus zu kommen. 2) Der Schluß, von der Unmöglichkeit einer unendlichen Reihe über einander gegebener Ursachen in der Sinnenwelt auf eine erste Ursache zu schließen, wozu uns die Prinzipien des Vernunftgebrauchs selbst in der Erfahrung nicht berechtigen, vielweniger diesen Grundsatz über dieselbe (wohin diese Kette gar nicht verlängert werden kann) ausdehnen können. 3) Die falsche Selbstbefriedigung der Vernunft, in Ansehung der Vollendung dieser Reihe, dadurch, daß man endlich alle Bedingung, ohne welche doch kein Begriff einer Notwendigkeit stattfinden kann, wegschafft, und, da man alsdenn nichts weiter begreifen kann, dieses für eine Vollendung seines Begriffs annimmt. 4) Die Verwechselung der logischen Möglichkeit eines Begriffs von aller vereinigten Realität (ohne inneren Widerspruch) mit der transzendentalen, welche ein Principium der Tunlichkeit einer solchen Synthesis bedarf, das aber wiederum nur auf das Feld möglicher Erfahrungen gehen kann, u.s.w.

Das Kunststück des kosmologischen Beweises zielet bloß darauf ab, um dem Beweise des Daseins eines notwendigen Wesens a priori durch bloße Begriffe auszuweichen, der ontologisch geführt werden müßte, wozu wir uns aber gänzlich unvermögend fühlen. In dieser Absicht schließen wir aus einem zum Grunde gelegten wirklichen Dasein (einer Erfahrung überhaupt), so gut es sich will tun lassen, auf irgend eine schlechterdingsnotwendige Bedingung desselben. Wir haben alsdenn dieser ihre Möglichkeit nicht nötig zu erklären. Denn, wenn bewiesen ist, daß sie dasei, so ist die Frage wegen ihrer Möglichkeit ganz unnötig. Wollen wir nun dieses notwendige Wesen nach seiner Beschaffenheit[541] näher bestimmen, so suchen wir nicht dasjenige, was hinreichend ist, aus seinem Begriffe die Notwendigkeit des Daseins zu begreifen; denn, könnten wir dieses, so hätten wir keine empirische Voraussetzung nötig; nein, wir suchen nur die negative Bedingung (conditio sine qua non), ohne welche ein Wesen nicht absolutnotwendig sein würde. Nun würde das in aller andern Art von Schlüssen, aus einer gegebenen Folge auf ihren Grund, wohl angehen; es trifft sich aber hier unglücklicher Weise, daß die Bedingung, die man zur absoluten Notwendigkeit fodert, nur in einem einzigen Wesen angetroffen werden kann, welches daher in seinem Begriffe alles, was zur absoluten Notwendigkeit erforderlich ist, enthalten müßte, und also einen Schluß a priori auf dieselbe möglich macht; d.i. ich müßte auch umgekehrt schließen können: welchem Dinge dieser Begriff (der höchsten Realität) zukommt, das ist schlechterdings notwendig, und, kann ich so nicht schließen (wie ich denn dieses gestehen muß, wenn ich den ontologischen Beweis vermeiden will), so bin ich auch auf meinem neuen Wege verunglückt und befinde mich wiederum da, von wo ich ausging. Der Begriff des höchsten Wesens tut wohl allen Fragen a priori ein Genüge, die wegen der inneren Bestimmungen eines Dinges können aufgeworfen werden, und ist darum auch ein Ideal ohne Gleiches, weil der allgemeine Begriff dasselbe zugleich als ein Individuum unter allen möglichen Dingen auszeichnet. Er tut aber der Frage wegen seines eigenen Daseins gar kein Genüge, als warum es doch eigentlich nur zu tun war, und man konnte auf die Erkundigung dessen, der das Dasein eines notwendigen Wesens annahm, und nur wissen wollte, welches denn unter allen Dingen dafür angesehen werden müsse, nicht antworten: Dies hier ist das notwendige Wesen.

Es mag wohl erlaubt sein, das Dasein eines Wesens von der höchsten Zulänglichkeit, als Ursache zu allen möglichen Wirkungen, anzunehmen, um der Vernunft die Einheit der Erklärungsgründe, welche sie sucht, zu erleichtern. Allein, sich so viel herauszunehmen, daß man so gar sage: [542] ein solches Wesen existiert notwendig, ist nicht mehr die bescheidene Äußerung einer erlaubten Hypothese, sondern die dreiste Anmaßung einer apodiktischen Gewißheit; denn, was man als schlechthinnotwendig zu erkennen vorgibt, davon muß auch die Erkenntnis absolute Notwendigkeit bei sich führen.

Die ganze Aufgabe des transzendentalen Ideals kommt darauf an: entweder zu der absoluten Notwendigkeit einen Begriff, oder zu dem Begriffe von irgendeinem Dinge die absolute Notwendigkeit desselben zu finden. Kann man das eine, so muß man auch das andere können; denn als schlechthinnotwendig erkennt die Vernunft nur dasjenige, was aus seinem Begriffe notwendig ist. Aber beides übersteigt gänzlich alle äußerste Bestrebungen, unseren Verstand über diesen Punkt zu befriedigen, aber auch alle Versuche, ihn wegen dieses seines Unvermögens zu beruhigen.

Die unbedingte Notwendigkeit, die wir, als den letzten Träger aller Dinge, so unentbehrlich bedürfen, ist der wahre Abgrund für die menschliche Vernunft. Selbst die Ewigkeit, so schauderhaft erhaben sie auch ein Haller schildern mag, macht lange den schwindelichten Eindruck nicht auf das Gemüt; denn sie mißt nur die Dauer der Dinge, aber trägt sie nicht. Man kann sich des Gedanken nicht erwehren, man kann ihn aber auch nicht ertragen: daß ein Wesen, welches wir uns auch als das höchste unter allen möglichen vorstellen, gleichsam zu sich selbst sage: Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit, außer mir ist nichts, ohne das, was bloß durch meinen Willen etwas ist; aber woher bin ich denn? Hier sinkt alles unter uns, und die größte Vollkommenheit, wie die kleinste, schwebt ohne Haltung bloß vor der spekulativen Vernunft, der es nichts kostet, die eine so wie die andere ohne die mindeste Hindernis verschwinden zu lassen.

Viele Kräfte der Natur, die ihr Dasein durch gewisse Wirkungen äußern, bleiben für uns unerforschlich; denn wir können ihnen durch Beobachtung nicht weit genug nachspüren. Das den Erscheinungen zum Grunde liegende transzendentale Objekt, und mit demselben der Grund,[543] warum unsere Sinnlichkeit diese vielmehr als andere oberste Bedingungen habe, sind und bleiben für uns unerforschlich, obzwar die Sache selbst übrigens gegeben, aber nur nicht eingesehen ist. Ein Ideal der reinen Vernunft kann aber nicht unerforschlich heißen, weil es weiter keine Beglaubigung seiner Realität aufzuweisen hat, als die Bedürfnis der Vernunft, vermittelst desselben alle synthetische Einheit zu vollenden. Da es also nicht einmal als denkbarer Gegenstand gegeben ist, so ist es auch nicht als ein solcher unerforschlich; vielmehr muß er, als bloße Idee, in der Natur der Vernunft seinen Sitz und seine Auflösung finden, und also erforscht werden können; denn eben darin besteht Vernunft, daß wir von allen unseren Begriffen, Meinungen und Behauptungen, es sei aus objektiven, oder, wenn sie ein bloßer Schein sind, aus subjektiven Gründen, Rechenschaft geben können.


Entdeckung und Erklärung des dialektischen Scheins in allen transzendentalen Beweisen vom Dasein eines notwendigen Wesens

Beide bisher geführte Beweise waren transzendental, d.i. unabhängig von empirischen Prinzipien versucht. Denn, obgleich der kosmologische eine Erfahrung überhaupt zum Grunde legt, so ist er doch nicht aus irgend einer besonderen Beschaffenheit derselben, sondern aus reinen Vernunftprinzipien, in Beziehung auf eine durchs empirische Bewußtsein überhaupt gegebene Existenz, geführet, und verläßt sogar diese Anleitung, um sich auf lauter reine Begriffe zu stützen. Was ist nun in diesen transzendentalen Beweisen die Ursache des dialektischen, aber natürlichen Scheins, welcher die Begriffe der Notwendigkeit und höchsten Realität verknüpft, und dasjenige, was doch nur Idee sein kann, realisiert und hypostasiert? Was ist die Ursache der Unvermeidlichkeit, etwas als an sich notwendig unter den existierenden Dingen anzunehmen, und doch zugleich vor[544] dem Dasein eines solchen Wesens als einem Abgrunde zurückzubeben, und wie fängt man es an, daß sich die Vernunft hierüber selbst verstehe, und, aus dem schwankenden Zustande eines schüchternen, und immer wiederum zurückgenommenen Beifalls, zur ruhigen Einsicht gelange?

Es ist etwas überaus Merkwürdiges, daß, wenn man voraussetzt, etwas existiere, man der Folgerung nicht Umgang haben kann, daß auch irgend etwas notwendigerweise existiere. Auf diesem ganz natürlichen (obzwar darum noch nicht sicheren) Schlusse beruhete das kosmologische Argument. Dagegen mag ich einen Begriff von einem Dinge annehmen, welchen ich will, so finde ich, daß sein Dasein niemals von mir als schlechterdings notwendig vorgestellt werden könne, und daß mich nichts hindere, es mag existieren, was da wolle, das Nichtsein desselben zu denken, mithin ich zwar zu dem Existierenden überhaupt etwas Notwendiges annehmen müsse, kein einziges Ding aber selbst als an sich notwendig denken könne. Das heißt: ich kann das Zurückgehen zu den Bedingungen des Existierens niemals vollenden, ohne ein notwendiges Wesen anzunehmen, ich kann aber von demselben niemals anfangen.

Wenn ich zu existierenden Dingen überhaupt etwas Notwendiges denken muß, kein Ding aber an sich selbst als notwendig zu denken befugt bin, so folgt daraus unvermeidlich, daß Notwendigkeit und Zufälligkeit nicht die Dinge selbst angehen und treffen müsse, weil sonst ein Widerspruch vorgehen würde; mithin keiner dieser beiden Grundsätze objektiv sei, sondern sie allenfalls nur subjektive Prinzipien der Vernunft sein können, nämlich einerseits zu allem, was als existierend gegeben ist, etwas zu suchen, das notwendig ist, d.i. niemals anderswo als bei einer a priori vollendeten Erklärung aufzuhören, andererseits aber auch diese Vollendung niemals zu hoffen, d.i. nichts Empirisches als unbedingt anzunehmen, und sich dadurch fernerer Ableitung zu überheben. In solcher Bedeutung können beide Grundsätze als bloß heuristisch und regulativ, die nichts als das formale Interesse der Vernunft besorgen, ganz wohl bei einander bestehen. Denn der eine sagt, ihr sollt so über[545] die Natur philosophieren, als ob es zu allem, was zur Existenz gehört, einen notwendigen ersten Grund gebe, lediglich um systematische Einheit in eure Erkenntnis zu bringen, indem ihr einer solchen Idee, nämlich einem eingebildeten obersten Grunde, nachgeht; der andere aber warnet euch, keine einzige Bestimmung, die die Existenz der Dinge betrifft, für einen solchen obersten Grund, d.i. als absolutnotwendig anzunehmen, sondern euch noch immer den Weg zur ferneren Ableitung offen zu erhalten, und sie daher jederzeit noch als bedingt zu behandeln. Wenn aber von uns alles, was an den Dingen wahrgenommen wird, als bedingtnotwendig betrachtet werden muß: so kann auch kein Ding (das empirisch gegeben sein mag) als absolutnotwendig angesehen werden.

Es folgt aber hieraus, daß ihr das Absolutnotwendige außerhalb der Welt annehmen müßt; weil es nur zu einem Prinzip der größtmöglichen Einheit der Erscheinungen, als deren oberster Grund, dienen soll, und ihr in der Welt niemals dahin gelangen könnt, weil die zweite Regel euch gebietet, alle empirische Ursachen der Einheit jederzeit als abgeleitet anzusehen.

Die Philosophen des Altertums sehen alle Form der Natur als zufällig, die Materie aber, nach dem Urteile der gemeinen Vernunft, als ursprünglich und notwendig an. Würden sie aber die Materie nicht als Substratum der Erscheinungen respektiv, sondern an sich selbst ihrem Dasein nach betrachtet haben, so wäre die Idee der absoluten Notwendigkeit sogleich verschwunden. Denn es ist nichts, was die Vernunft an dieses Dasein schlechthin bindet, sondern sie kann solches, jederzeit und ohne Widerstreit, in Gedanken aufheben; in Gedanken aber lag auch allein die absolute Notwendigkeit. Es mußte also bei dieser Überredung ein gewisses regulatives Prinzip zum Grunde liegen. In der Tat ist auch Ausdehnung und Undurchdringlichkeit (die zusammen den Begriff von Materie ausmachen) das oberste empirische Principium der Einheit der Erscheinungen, und hat, so fern als es empirisch unbedingt ist,[546] eine Eigenschaft des regulativen Prinzips an sich. Gleichwohl, da jede Bestimmung der Materie, welche das Reale derselben ausmacht, mithin auch die Undurchdringlichkeit, eine Wirkung (Handlung) ist, die ihre Ursache haben muß, und daher immer noch abgeleitet ist, so schickt sich die Materie doch nicht zur Idee eines notwendigen Wesens, als eines Prinzips aller abgeleiteten Einheit; weil jede ihrer realen Eigenschaften, als abgeleitet, nur bedingt notwendig ist, und also an sich aufgehoben werden kann, hiemit aber das ganze Dasein der Materie aufgehoben werden würde, wenn dieses aber nicht geschähe, wir den höchsten Grund der Einheit empirisch erreicht haben würden, welches durch das zweite regulative Prinzip verboten wird, so folgt: daß die Materie, und überhaupt, was zur Welt gehörig ist, zu der Idee eines notwendigen Urwesens, als eines bloßen Prinzips der größten empirischen Einheit, nicht schicklich sei, sondern daß es außerhalb der Welt gesetzt werden müsse, da wir denn die Erscheinungen der Welt und ihr Dasein immer getrost von anderen ableiten können, als ob es kein notwendiges Wesen gäbe, und dennoch zu der Vollständigkeit der Ableitung unaufhörlich streben können, als ob ein solches, als ein oberster Grund, vorausgesetzt wäre.

Das Ideal des höchsten Wesens ist nach diesen Betrachtungen nichts anders, als ein regulatives Prinzip der Vernunft, alle Verbindung in der Welt so anzusehen, als ob sie aus einer allgenugsamen notwendigen Ursache entspränge, um darauf die Regel einer systematischen und nach allgemeinen Gesetzen notwendigen Einheit in der Erklärung derselben zu gründen, und ist nicht eine Behauptung einer an sich notwendigen Existenz. Es ist aber zugleich unvermeidlich, sich, vermittelst einer transzendentalen Subreption, dieses formale Prinzip als konstitutiv vorzustellen, und sich diese Einheit hypostatisch zu denken. Denn, so wie der Raum, weil er alle Gestalten, die lediglich verschiedene Einschränkungen desselben sind, ursprünglich möglich macht, ob er gleich nur ein Principium der Sinnlichkeit ist, dennoch eben darum für ein schlechterdings notwendiges für sich bestehendes Etwas und einen a priori an sich selbst[547] gegebenen Gegenstand gehalten wird, so geht es auch ganz natürlich zu, daß, da die systematische Einheit der Natur auf keinerlei Weise zum Prinzip des empirischen Gebrauchs unserer Vernunft aufgestellet werden kann, als so fern wir die Idee eines allerrealesten Wesens, als der obersten Ursache, zum Grunde legen, diese Idee dadurch als ein wirklicher Gegenstand, und dieser wiederum, weil er die oberste Bedingung ist, als notwendig vorgestellet, mithin ein regulatives Prinzip in ein konstitutives verwandelt werde; welche Unterschiebung sich dadurch offenbart, daß, wenn ich nun dieses oberste Wesen, welches respektiv auf die Welt schlechthin (unbedingt) notwendig war, als Ding für sich betrachte, diese Notwendigkeit keines Begriffs fähig ist, und also nur als formale Bedingung des Denkens, nicht aber als materiale und hypostatische Bedingung des Daseins, in meiner Vernunft anzutreffen gewesen sein müsse.

63

Diese Schlußfolge ist zu bekannt, als daß es nötig wäre, sie hier weitläuftig vorzutragen. Sie beruht auf dem vermeintlich transzendentalen Naturgesetz der Kausalität: daß alles Zufällige seine Ursache habe, die, wenn sie wiederum zufällig ist, eben so wohl eine Ursache haben muß, bis die Reihe der einander untergeordneten Ursachen sich bei einer schlechthinnotwendigen Ursache endigen muß, ohne welche sie keine Vollständigkeit haben würde.

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 4, Frankfurt am Main 1977, S. 536-548.
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