Anmerkung II

[151] Alles, was uns als Gegenstand gegeben werden soll, muß uns in der Anschauung gegeben werden. Alle unsere Anschauung geschieht aber nur vermittelst der Sinne; der Verstand schauet nichts an, sondern reflektiert nur. Da nun die Sinne nach dem jetzt Erwiesenen uns niemals und in keinem einzigen Stück die Dinge an sich selbst, sondern nur ihre Erscheinungen zu erkennen geben, diese aber bloße Vorstellungen[151] der Sinnlichkeit sind, »so müssen auch alle Körper mit samt dem Raume, darin sie sich befinden, vor nichts als bloße Vorstellungen in uns gehalten werden, und existieren nirgend anders, als bloß in unsern Gedanken«. Ist dieses nun nicht der offenbare Idealismus?

Der Idealismus besteht in der Behauptung, daß es keine andere als denkende Wesen gebe, die übrige Dinge, die wir in der Anschauung wahrzunehmen glauben, wären nur Vorstellungen in den denkenden Wesen, denen in der Tat kein außerhalb diesen befindlicher Gegenstand korrespondierete. Ich dagegen sage: es sind uns Dinge als außer uns befindliche Gegenstände unserer Sinne gegeben, allein von dem, was sie an sich selbst sein mögen, wissen wir nichts, sondern kennen nur ihre Erscheinungen, d.i. die Vorstellungen, die sie in uns wirken, indem sie unsere Sinne affizieren. Demnach gestehe ich allerdings, daß es außer uns Körper gebe, d.i. Dinge, die, obzwar nach dem, was sie an sich selbst sein mögen, uns gänzlich unbekannt, wir durch die Vorstellungen kennen, welche ihr Einfluß auf unsre Sinnlichkeit uns verschafft, und denen wir die Benennung eines Körpers geben, welches Wort also bloß die Erscheinung jenes uns unbekannten, aber nichts desto weniger wirklichen Gegenstandes bedeutet. Kann man dieses wohl Idealismus nennen? Es ist ja gerade das Gegenteil davon.

Daß man, unbeschadet der wirklichen Existenz äußerer Dinge von einer Menge ihrer Prädikate sagen könne: sie gehöreten nicht zu diesen Dingen an sich selbst, sondern nur zu ihren Erscheinungen, und hätten außer unserer Vorstellung keine eigene Existenz, ist etwas, was schon lange vor Lockes Zeiten, am meisten aber nach diesen, allgemein angenommen und zugestanden ist. Dahin gehören die Wärme, die Farbe, der Geschmack etc. Daß ich aber noch über diese, aus wichtigen Ursachen, die übrigen Qualitäten der Körper, die man primarias nennt, die Ausdehnung, den Ort, und überhaupt den Raum, mit allem was ihm anhängig ist (Undurchdringlichkeit oder Materialität, Gestalt etc.), auch mit zu bloßen Erscheinungen zähle, dawider kann man nicht den mindesten Grund der Unzulässigkeit anführen, und so[152] wenig, wie der, so die Farben nicht als Eigenschaften, die dem Objekt an sich selbst, sondern nur dem Sinn des Sehens als Modifikationen anhängen, will gelten lassen, darum ein Idealist heißen kann: so wenig kann mein Lehrbegriff idealistisch heißen, bloß deshalb, weil ich finde, daß noch mehr, ja alle Eigenschaften, die die Anschauung eines Körpers ausmachen, bloß zu seiner Erscheinung gehören; denn die Existenz des Dinges, was erscheint, wird dadurch nicht wie beim wirklichen Idealism aufgehoben, sondern nur gezeigt, daß wir es, wie es an sich selbst sei, durch Sinne gar nicht erkennen können.

Ich möchte gerne wissen, wie denn meine Behauptungen beschaffen sein müßten, damit sie nicht einen Idealism enthielten. Ohne Zweifel müßte ich sagen: daß die Vorstellungen vom Raume nicht bloß dem Verhältnisse, was unsre Sinnlichkeit zu den Objekten hat, vollkommen gemäß sei, denn das habe ich gesagt, sondern daß sie sogar dem Objekt völlig ähnlich sei; eine Behauptung, mit der ich keinen Sinn verbinden kann, so wenig, als daß die Empfindung des Roten mit der Eigenschaft des Zinnobers, der diese Empfindung in mir erregt, eine Ähnlichkeit habe.

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 5, Frankfurt am Main 1977, S. 151-153.
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