§ 1. Von den Quellen der Metaphysik

[124] Wenn man eine Erkenntnis als Wissenschaft darstellen will, so muß man zuvor das Unterscheidende, was sie mit keiner andern gemein hat, und was ihr also eigentümlich ist, genau bestimmen können; widrigenfalls die Grenzen aller Wissenschaften in einander laufen, und keine derselben, ihrer Natur nach, gründlich abgehandelt werden kann.

Dieses Eigentümliche mag nun in dem Unterschiede des Objekts, oder der Erkenntnisquellen, oder auch der Erkenntnisart, oder einiger, wo nicht aller dieser Stücke zusammen, bestehen, so beruht darauf zuerst die Idee der möglichen Wissenschaft und ihres Territorium.

Zuerst, was die Quellen einer metaphysischen Erkenntnis betrifft, so liegt es schon in ihrem Begriffe, daß sie nicht empirisch sein können. Die Prinzipien derselben (wozu nicht bloß ihre Grundsätze, sondern auch Grundbegriffe gehören) müssen also niemals aus der Erfahrung genommen sein: denn sie soll nicht physische, sondern metaphysische, d.i. jenseit der Erfahrung liegende Erkenntnis sein. Also wird weder äußere Erfahrung, welche die Quelle der eigentlichen Physik, noch innere, welche die Grundlage der empirischen Psychologie ausmacht, bei ihr zum Grunde liegen. Sie ist also Erkenntnis a priori, oder aus reinem Verstande und reiner Vernunft.

Hierin würde sie aber nichts Unterscheidendes von der reinen Mathematik haben; sie wird also reine philosophische Erkenntnis heißen müssen; wegen der Bedeutung dieses Ausdrucks aber beziehe ich mich auf Kritik d. r. V. Seite 712 u. f., wo der Unterschied dieser zwei Arten des Vernunftgebrauchs einleuchtend und gnugtuend ist dargestellt worden. – So viel von den Quellen der metaphysischen Erkenntnis.

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 5, Frankfurt am Main 1977, S. 124.
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