Siebzehntes Kapitel (13. Gegenstand).

Die Überwachung der Prinzen.[38] 1

Der König schützt sein Königreich vor den Leuten um ihn her und vor den Feinden, wenn er selber geschützt ist, geschützt zunächst vor seinen Frauen und Söhnen.

Von der Überwachung der Frauen werden wir in dem Kapitel: »Vorschrift in betreff des Harems« reden.

Überwachung der Söhne. »Von der Geburt an soll er die Prinzen überwachen.2 Die Königssöhne sind nämlich wie die Krebse: sie vernichten ihren Erzeuger.A1 Erwacht in ihnen keine Liebe zum Vater, dann ist das beste die,stille Strafgewalt'«. So Bhāradvāja.

»Das ist grausam, eine Vernichtung des Ungesehenen3 und eine Zerstörung des Kshattriyasamens.« So Viçālāksha. »Darum ist es das Beste, der Prinz wird davon abgehalten, an einem Orte (mit dem Vater) zu sein.«4

»Das ist die Furcht vor der Schlange«,5 so Parāçara. »Denn der Prinz wird erkennen: Aus Furcht vor meiner kriegerischen Tapferkeit hält mich mein Vater fern, und wird deshalb gerade mit ihm zum Ringkampf antreten.6 Deshalb ist es am besten, er wohnt in der Festung eines Grenzhüters.«

[39] »Das ist die Furcht von Schafen.«7 Also Piçuna. »Denn er wird ganz denselben Grund (wie im vorigen Fall) als den der Abkehr erkennen8 und wird Freundschaft mit dem Grenzhüter schließen. Deshalb ist es am besten, er wohnt in der von seinem Reiche weit entfernten Festung eines Nachbarfürsten.«9

»Dann nimmt er die Stelle eines Kalbes ein.«10 Also Kauṇapadanta. »Denn der Nachbarfürst wird seinen Vater melken wie unter Zuhilfenahme des Kalbes die Kuh. Deshalb ist es am besten, er wohnt bei den Verwandten seiner Mutter.«A2

»Dann nimmt er die Stelle eines Abzeichens (dhvaja) ein.« Also Vātavyādhi. »Denn mit ihm als Abzeichen (des Bettlers, im besonderen des bettelnden Asketen) werden die Verwandten seiner Mutter auf den Bettel gehen, wie es bei Aditi und Kauçika war.11 Deshalb sollen sie ihn auf die Dörflergewohnheiten (d.h. auf die Liebesfreuden) loslassen. Söhne, die vom Vergnügen festgehalten werden, tun dem Vater nichts Böses an.«

Das ist der Tod bei lebendigem Leibe. Also Kauṭilya. Denn ein Königsgeschlecht mit unerzogenen Söhnen bricht in Stücke, sobald man es nur angreift, wie wurmzerfressenes Holz. Darum sollen die Opferpriester, wenn des Königs Hauptgemahlin im ṛitu steht, das Opfermus für Indra und Bṛihaspati hinstreuen.12 Hat sie ein Kind empfangen, dann soll der Kinderarzt sich wegen der Schwangerschaft und der Geburt Mühe geben. Hat sie geboren, soll der Hauspriester die bei einem Sohne üblichen Sakramente vollziehen. Dann sollen ihn die, die sich darauf verstehen, ausbilden, sowie er dazu geschickt ist.

»Und einer der Hinterhältler soll ihn mit Jagd, Würfelspiel, Rauschtrank und Weibern verlocken. ›Bekriege deinen Vater und bemächtige dich der Königsherrschaft‹, soll er sprechen. Ein anderer Hinterhältler soll ihn da zurückhalten.« Also die Schule des Āmbhi.13

[40] Eine große Sünde und Gefahr ist es, eine schlafende Seele aufzuwecken. Also Kauṭilya. Denn mit welch einer Art von Stoff auch immer man einen frischen Gegenstand einschmiert, den saugt er ein. So ist auch ein Jüngling mit frischem Geiste: was man ihm sagt, das nimmt er alles gläubig an, wie eine Unterweisung in einem Lehr- und Lebensbuch (çāstra). Deshalb soll man ihn das sittlich Gute und das irdisch Nützliche lehren, nicht das Gottlose und das Schädliche.

Die Hinterhältler sollen zu ihm sprechen: »Dein sind wir« und ihn sorglich hüten. Wenn er aus dem Überschäumen der Jugend heraus den Sinn auf fremde Weiber richtet, dann sollen sie ihn durch unreine Weiber, die sich als vornehme Frauen aufspielen, des Nachts in einsame Häuser locken und dort in Schrecken setzen lassen.14 Hegt er die Begierde nach Rauschtrank, dann sollen sie ihm durch giftgemischtes Getränk einen Schrecken einjagen.15 Hegt er die Begierde nach dem Würfelspiel, so sollen sie ihm durch gaunernde Männer16 einen Schrecken einjagen. Hegt er die Begierde nach der Jagd, dann sollen sie ihn durch solche, die als WegelagererA3 verkappt sind, in Angst setzen lassen. Will er gegen den Vater einen Krieg beginnen, dann sollen sie sagen: »So ist's recht«, darauf eingehen und ihn dann abspenstisch machen. Mit folgenden Worten sollen sie ihm die Lust benehmen: »An den König darf man nicht die Hand legen.17 Mißglückt dir's, dann wirst du hingerichtet. Gelingt dir's, dann stürzest du in die Hölle, erheben die Untertanen ein Geschrei des Unwillens und zerschellen dich wie eine einzelne Erdscholle.«18

[41] Einen geliebten oder einen einzigen Sohn möge der Fürst in Bande legen.19 Hat er viele Söhne, dann mag er ihn an die Grenze schicken oder in ein anderes Land, wo seine Leibesfrucht nicht ein taubes Korn oder ein Kindskopf wird.20 Ist (des Königs) Sohn mit persönlichen Vorzügen reich gesegnet, dann möge er ihn in das Feldmarschallamt oder in die Mitregentschaft einsetzen.

Der Einsichtsvolle, der, dem man die Einsicht aufdrängen muß (āhāryabuddhi), und der für die Einsicht Verlorene (durbuddhi), dies sind die verschiedenen Arten von Söhnen. Wer das sittlich Gute und das irdisch Nützliche aufnimmt, wenn er unterrichtet wird, und danach lebt, ist der Einsichtsvolle. Der da aufnimmt, aber nicht danach tut, ist der, dem man die Einsicht aufdrängen (einbläuen) muß. Wer einzig auf Abwegen geht und das Gute und Nützliche haßt, ist der für die Einsicht Verlorene.

[42] Ist solch einer (d.h. ein für die Einsicht Verlorener) der einzige Sohn,21 dann soll er (der Vater) sich es angelegen sein lassen, daß der Sohn einen Sohn bekomme (und diesen dann zum Thronerben machen). Oder er sorge dafür, daß es Erbtochtersöhne gibt. Ein alter oder kranker König aber lasse irgendeinen von den Verwandten seiner eigenen Mutter oder von seinen Sippenangehörigen22 oder von den tüchtigen Vasallen auf seinem Acker (d.h. mit des Königs Gemahlin) Samen erwecken. Nicht aber soll er einen zuchtlosen einzigen Sohn in die Königsherrschaft einsetzen.

Ein Vater von vielen Söhnen, der den einen (ungeratenen ältesten) (von der Thronfolge) ausschließt,23 sorgt nur für das Beste seiner Söhne. Abgesehen aber von (solchem oder ähnlichem) Unglück ist dann die ehrfürchtige Anerkennung für die Königsherrschaft da, wenn sie auf den Ältesten übergeht.

Oder das Königtum gehöre der Sippe (kula); denn ein Sippenverband ist schwer zu überwinden und bewohnt (beherrscht), ohne der Unglücksgefahr, des Thrones verlustig zu gehen,24 ausgesetzt zu sein, lange die Erde.

Fußnoten

1 Wie das Kapitel selber zeigt, ist besonders an den Kronprinzen gedacht.


2 D.h. achtgeben, daß sie nichts Schlimmes gegen ihn unternehmen. Möglich: »soll sie abwehren«.


3 Das Ungesehene, Unsichtbare (adṛishṭa) ist eine Bezeichnung des Verdienstes und der Schuld im früheren Dasein, wie sich diese im gegenwärtigen Leben auswirken müssen. Wir hätten da eine »Durchkreuzung des Schicksals«, mithin eine böse Gottlosigkeit. Aber solch eine Aufhebung ist ja unmöglich; wird der Prinz von seinem Vater getötet, so geschieht das durch den Zwang des adṛishṭa. Also hat Jollys Übersetzung: »Zerstörung der Zukunft« viel für sich. Möglich scheint auch seine andere Wiedergabe: »Heimlicher Mord ist eine Grausamkeit und würde den Samen des Herrschers vernichten.« Mir scheint aber noch besser zu sein: »Die Hinrichtung des nicht (als gefährlich) Wahrgenommenen«, d.h. die Hinrichtung dessen, von dem man nichts Böses erfahren hat, Hinrichtung vor der Erfahrung, ohne wirklich vor Augen liegende Tatsachen. Dṛishṭa durch die Erfahrung bekannt, als wirklich erkannt, vor Augen liegend ist ja auch bei Kauṭilya recht häufig (z.B. eben 31, 1 suptamattayor hi bhāvajñānaṃ dṛishṭam). Aḍrishṭakarman, von dem keine Taten vorliegen (unerprobt), hatten wir 14, 11. Vgl. auch darçita erwiesen, erprobt 22, 7. Der Logik zuliebe aber muß man dann übersetzen: »Das ist etwas Grausames, Mord ohne Berechtigung und Vernichtung des Herrschersamens.« Diese Übertragung wird die beste von allen sein.A4


4 Ekasthānāparodha, was mir die bessere Lesart zu sein scheint, hat am natürlichsten diesen Sinn. Das auch von Gaṇ. dargebotene avarodha: »der Prinz wird an einem Ort gefangen gehalten« ist weit weniger gut. Dann wenigstens: »wird er an einem Ort abgesperrt« (vom Vater weg) oder: »wird von ein und demselben Aufenthaltsort (mit dem Vater) abgesperrt«.


5 Die man ja auch nicht bei sich im Hause haben will.


6 Aṅke karoti fasse ich: »auf die Hüfte nehmen«, wie der Ringer tut. Vgl. haste karoti in die Hand kriegen (den Feind 283,14; 316, 13). Dagegen aṅkam upasthita an jemandes Seite getreten, zu ihm gekommen 318, 16. Gaṇ. ergänzt vikramam als Objekt. Dann: »wird gerade diese (die kriegerische Tätigkeit) aufnehmen« (wörtlich: auf den Schoß nehmen, an die Brust drücken). Mir scheint diese Bedeutung nicht verdachtfrei zu sein.


7 Die nur darauf aus sind, recht weit von der Gefahr weg zu sein. Gaṇapatis Erklärung, bei der man »Schafbocksgefahr« übersetzen muß und der Vergleich darin liegt, daß kämpfende Schafböcke vor dem Stoß scheinbar voreinander zurückweichen, kann nur schwer in denn Sanskritausdruck hineingelegt werden und paßt schlecht in den Zusammenhang. Wir sollten da wohl mindestens bhayasthānam statt sthānam haben.


8 Es ist wohl die Abkehr des Vaters vom Sohne, das Sichfernhalten von ihm gemeint, Pratyāpatti bedeutet auch die Abkehr von der Welt, besonders vom Bösen, dann Reue, Buße. So MBh. XII, 291, 8 f.A5


9 Oder direkt: »eines Vasallen«. Ein Nachbarfürst kann ja nach der Lehre der Staatsweisheit nur Feind oder Abhängiger des Fürsten sein.


10 Oder: »Das ist ein Kälberfall«, d.h. ein Fall wie mit einem Kalb.


11 Die Erzählung, auf die allem Anschein nach hier angespielt wird, kenne ich nicht. Sehr wunderlich und unwahrscheinlich ist Gaṇ.'s Auslegung.A6


12 Dieses Opfer (caru) wird in der altindischen Literatur öfters als ein Mittel erwähnt, Kinder zu bekommen. Im ṛitu steht die Frau in der unmittelbar auf die Menstruation folgenden Zeit. Wegen dieses so hochwichtigen ṛitu vgl. Weib im altindischen Epos die im Register unter dem Wort aufgeführten Stellen. – Zum folgenden Satz vgl. Raghuv. III, 12.


13 Es handelt sich da also um eine listige Probe wie im 10. und im 13. Kapitel.


14 Diese feilen Weiber sollen sich also derart betragen, daß die unschuldige junge Seele ein Entsetzen anwandelt.


15 Yogapāna und yogasurā (z.B. 211, 12; 212, 5) entsprechen dem englischen drugged liquor. Leider haben wir kein entsprechendes Wort. Solch ein geistiges Getränk ist mit einem Giftmittel gemischt, das tötet oder auch nur eine schwere Betäubung herbeiführt. Vgl. yogadhūma Zauber- oder wohl eher Mixturenrauch, Giftrauch oder -dampf (388, 17 und anderwärts); yogāgni Giftfeuer, Zauberfeuer (z.B. 388, 17); yogāñjana Mixtursalbe, Giftsalbe (225, 18) und die häufigen madanayoga und madanarasa, die beide eine Gift- und Betäubungsmixtur bezeichnen (210. 4; 314, 9; 207, 16; 212, 3; 377, 10; 401, 7–8, 11 usw.). Der Dual madanarasayoga 401, 13 (und wohl auch 401. 10–11; 36, 5) zeigt, daß diese beiden nicht ganz gleich sind. Es mag wohl der Saft der madana-Pflanze dazu gebraucht worden sein. Doch könnte madana auch »Tollmachen, Betäuben« vorstellen. Rauschtrank mit Betäubungsmitteln (z.B. mit dhattūra, Datura alba) ist ja aus der Erzählungsliteratur wohl bekannt. Die Nachwirkung muß nach unserer Stelle sehr unangenehm gewesen sein und vielleicht auch das Vergnügen selber schon ein gemischtes. Vgl. auch madanakodrava 207, 16–17; 409, 8, 19; 410, 8, 11, 18, eine zur Vergiftung gebrauchte schlechte Getreideart.


16 Kāpaṭikapurusha. Natürlich sind dazu gedungene Falschspieler gemeint. Vgl. kāpaṭika 18, 6ff. Sie sollen den Prinzen durch ihre Betrügereien und wohl auch durch ihre sonstige Aufführung zur Vernunft bringen; denn das wüste Treiben der Würfelspieler, wie es uns öfter geschildert wird, war an sich schon dazu angetan, besseren Menschen einen Ekel einzuflößen.


17 Aprārthanīya gegen den man keine Absichten hegen, den man nicht angreifen darf.A7


18 Wo Scholle an Scholle liegt, ist es ein saures, ja schier unmögliches Stück Arbeit, sie alle reinlich zu zerschlagen oder sonst zu zermalmen, sogar wenn man eine amerikanische Walze gebraucht. Eine einzelne, einsame aber ist leicht zu Staub verwandelt. So erscheint der Vergleich, namentlich für ein Ackerbauland wie Indien, als der natürlichste von der Welt. Hillebrandt aber meint: »durch einen einzigen Steinwurf töten« und verweist auf ekaloshṭaghātena, Mu drārākshasa S. 56 und seine Anm. dazu (Österr. Monatsschr. f. d. Orient 1916, S. 128). An der von ihm genannten Stelle fällt nun eine ganze Menge Soldaten über einen Einzelnen her und tötet ihn ekaloshṭagghātena oder ekaloshṭaghātam. Der Akkus, ist da Akkus, des Inhalts (figura etymologia). Vgl. z.B. Çiçup. II, 33; XVIII, 12. Woher sollte nun diese ganze Schar den Verhaßten mit einem einzigen Steinwurf töten! Steine nähmen die Soldaten wohl überhaupt nicht, und nähmen sie Steine, dann doch wahrhaftig nicht alle einen einzigen. Außerdem heißt loshṭa gar nicht Stein, sondern Erdscholle. Steinwurf wäre mindestens pashāṇavadka (Vgl. Kauṭ. 232, 16). Beachte auch im Mudrār. die var. lect. ekaikaloshṭa »die einzelne Scholle«. Endlich ist loshṭaghna ja der Name eines Gerätes zum Zerkleinern von Schollen, also wohl = Ackerwalze.A8 Wegen dieser vgl. Baudh. I, 2, 8, 13. Im übrigen aber sind in Indien die Erdschollen öfters vom Sonnenbrand so hart gebacken, daß sie gehörig weh tun können. Zerspellt sich doch der auf die Wachtel herabstoßende Falke an einer Feldscholle die Brust (Jāt. Nr. 168).


19 Der Text hieße wohl: »Einen lieblosen teuern oder einen einzigen Sohn lege er in Bande«, und das Vorhergehende: »dann abspenstig machen mit den Worten: An den König« usw. Sham.'s und Jolly's Übersetzung von virāgam ist unmöglich. An und für sich gäbe zwar virāga (vgl. virakta) »leidenschaftslos, also ohne Zuneigung, lieblos«, keinen Anlaß zu Bedenken, wenn es auch meines Wissens in dieser Bedeutung sonst nicht belegt ist. Überflüssig aber wäre es allzusehr. Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß wir virāga in seinem gewöhnlichen Sinne, wenn auch nicht im allerengsten vor uns haben.A9 Vgl. aparakta abgeneigt, nicht willig 399, 2. Zwar könnte ja bhedayeyuḥ »davon abspenstig machen« heißen: »davon abbringen«, aber es wird seine gewöhnliche Bedeutung haben: »von seinen Genossen abspenstig machen (veruneinigen)«. Natürlich sind solche sogar für die allerersten Schritte in einem derartigen Unternehmen nötig. Es mag bei bhedayeyuḥ etwas verloren gegangen sein, vielleicht auch nicht. Ausgefallen ist aber wohl kuryuḥ hinter virāgaṃ.


20 Also an einen Ort, wo ein ordentlicher Mensch aus ihm werden kann. So wenn man den Text beibehält und nur die auf der Hand liegende Verbesserung ḍimbo und shaṇḍyaṃ oder shaṇḍaṃ vornimmt. Shaṇḍam wäre zu vergleichen mit shaṇḍatila taubes Sesamkorn. Diesen Ehrentitel geben die zornigen Helden des MBh. ihrem Gegner (II, 77, 8ff.; V, 160, 114; 161, 32; VII, 133, 5; 132, 16; 137, 46; VIII, 9, 60; 66, 44; 73, 88; 74, 26; 89, 39; IX, 59, 11). Wir fänden da denselben edleren Sinn Kauṭilyas wieder, von dem wir soeben ein Zeugnis erhalten haben. Freilich heißt garbha sonst »Frucht im Mutterleib«, höchstens noch »neugeborenes Kind«. Vgl. aber kanyāgarbha Jungfernkind ganz im allgemeinen 164, 10. Doch macht sich da die Sache weit natürlicher. Dennoch scheint meine Übersetzung nicht unmöglich.A10 Es mag noch weitere Textverderbnis vorliegen. Zunächst ist vielleicht paṇḍaḥ oder shaṇḍaḥ zu lesen. Aber dann stört das na; denn es hat keinen Sinn, daß der Prinz hin soll, wo kein Embryo und kein Neugeborener als Thronerbe da ist, und noch weniger paßt da »kein Eunuche«. Also wird wohl wieder, wie so oft, ein Textteilchen verloren sein. Am nächsten läge etwa vāno vā für vāna. So bekämen wir: »Wo ein Kind im Mutterleib, ein Mannheitsloser, ein Kindskopf oder ein Ausgemergelter (als einziger Thronerbe) da ist.« Ḍimba »neugeborener Knabe« wäre kaum so gut. Ein Kind im Mutterleib kann sich ja auch als Mädchen entpuppen. Vāna käme von vai vertrocknen, erschöpft, matt werden usw., von der Kauṭ. wohl auch vīta hat (372, 8; 398, 13). Der politische Ausweg wäre vorzüglich: der Mord am eigenen Kinde unterbleibt, und der Sohn wird wohl auf den Thron des betreffenden Landes kommen. Dieses ist wahrscheinlich ein feindliches Land, kriegt also einen schlechten Herrscher – ein köstlicher Triumph der Staatskunst. Ganz sonderbar ist Gaṇ.'s Erklärung. Er liest paṇyaṃ.


21 Hillebrandts Änderung von ekaputraḥ in aputraḥ scheitert schon an asya.A11 Außerdem gehört ja der aputra gar nicht in dieses Kapitel. Auch der alte oder kranke König ist hier der Vater eines solchen schlimmen Sohnes. Der soll nämlich nicht etwa auf die vielleicht noch ferne Möglichkeit der Enkel rechnen, sondern sofort die Vikariatszeugung einleiten. Über diese s. Weib im altindischen Epos, Register unter »Zeugungsvikariat«.


22 Statt tulya muß mit B und Gaṇ. kulya gelesen werden. Das wird schon dadurch erwiesen, daß sonst der Dual und anyatareṇa stünde.


23 So besser als: »einsperrt« (saṃrodha). Sham.'s Übersetzung und die ihr zustimmende von Jolly ist unmöglich. Natürlich muß man jyeshṭabhāgi lesen. Doch geht auch jyeshṭabhāgas (B). – Viel mildere Seiten zieht Kām. auf (VII, 1–8).


24 Arājavyasana kann kaum heißen: »das Unheil der Anarchie« wie Sham. und Jolly annehmen. Das paßt nicht hierher und hieße auch arājya-, arājatā- oder arājatva- (vgl. dvairājya und vairūjya 323, 11ff.). Gaṇ.'s Erklärung, sprachlich unanfechtbar, paßt im Sinne nicht. Da der ganze Sippenverband die Herrschaft führt, so stirbt die Dynastie nicht aus, noch kommt so leicht durch anderweitiges Unglück eine andere auf den Regentenstuhl. Siehe auch Kauṭ. 328, 13.A12

Wegen der indischen Oligarchien, Clanherrschaften, Republiken usw., die besonders aus den buddhistischen Schriften bekannt sind, verweist Jolly auf Thomas JRAS 1914, S. 413; Jayaswal, Modern Review, Calcutta 1913; Vallauri in dessen Übersetzung dieser Kauṭilyastelle (Rivista di studi orientali Bd. VI, 1915 [S. A.] S. 53).


A1 Nach der gewöhnlichen Vorstellung der Inder sollte es heißen: »ihre Mutter«. Gerade wie die Maultierstute, so stirbt nach indischem Glauben die Krebsin bei der Geburt der Jungen. Diese spalten ihr nämlich den Rücken und kommen so hervor. Siehe z.B. MBh. III, 268, 9; VI, 119, 66 mit Nīl.s Glosse und das PW unter karkaṭī a), karkaṭakī 2), kulīrād, māghamā, segava. Ein Gegenstück sind die Schlangen. Die fressen ihre eigenen Jungen, sowie sie aus dem Ei geschlüpft sind. Agnipur. tr. M. N. Dutt (1908) S. 1088.


A2 Die indische Kuh muß nämlich ihr Kalb in der Nähe haben, wenn sie die Milch hergeben soll. Die Kälber werden an die Mütter (nach Mall. an deren linkes Bein) gebunden und saugen. Liebevoll belecken die Mütter das Junge. Unterdessen melken die Melker, den Eimer zwischen die Knien geklemmt, die Milch heraus, die emporschwellend braust. So Çiçup. XII, 40. Schön heißt es in Kirāt. IV, 31: »Vom Weideplatz, wo sie am Ende der Nacht umhergeschweift sind, daher, voll Sehnsucht nach der Hürde, die Herdenreihen verlassend, bringen die Kühe ihre unaufhörlich Milch träufenden Euter wie Geschenke ihren Jungen getragen.« vgl. IV, 10–17. Die beim Melken unruhige Kuh wird leicht gestachelt und sonst gezüchtigt. MBh. V, 34, 35; XII, 67, 9 usw.


A3 Statt »Wegelagerer« hier und anderwärts besser »Räuber«.


A4 Noch besser wohl: »Das ist etwas Grausames, Hinrichtung ohne gerichtliche Untersuchung und Überführung« usw. Dṛiç bedeutet ja gerichtlich untersuchen an wer weiß wie vielen Stellen der Smṛiti und dṛishṭadosha auch: eines Vergehens überwiesen, wie z.B. wohl in N. I, 181; M. VIII, 64; Y. II 71; Vish. VIII, 3; IX, 18. In Rām. II, 100, 56 (= MBh. II, 5, 104) finden wir denn unser adṛishṭa allein im Sinne von »einer, dem keine Schuld nachgewiesen ist«.


A5 Ebenso wohl »Reue« in N. I, 245, nicht »Eingeständnis«; denn dies liegt ja in brūyāt svayaṃ vā »sad« iti. Zu dieser N.-Stelle vgl. Vas. XX, 20; 29; M. IX, 83f.; MBh. XIII, 112, 6–8. Wiederaufnahme in die Kaste heißt pratyāpatti in Vas. XV, 19 und entsprechend »Rehabilitation« in A. I, 9, 24, 25; I, 10, 29, 1.


A6 Gaṇ.s Erklärung wird wohl ein Körnchen Richtiges enthalten. Mir scheint die Sache so: Kauçika ist wie sonst so oft der Āditya oder Aditisohn Indra. Frauen ziehen durchs Land, die die Göttermutter Aditi darstellen, begleitet von einem Jungen als ihrem Sohn Indra, dem Volksgeliebten. So betteln sie sich den Lebensunterhalt zusammen. Wie wir aus 378, 15 erfahren, heißen sie »Aditikauçikafrauen«. Also wird die Übersetzung etwa lauten müssen: »Denn mit ihm als Abzeichen werden die Verwandten seiner Mutter auf den Bettel gehen, wie man es an Aditi und Kauçika sieht.«


A7 Prārthayati bedeutet auch petere, losgehen auf, angreifen, anfallen. So außerdem in 173, 2; 260, 11; Kirāt. II, 21; öfters in MBh., z.B. in V, 124, 26 und im Raghuv.


A8 Es muß Ā. statt B. heißen. Diese Stelle bietet ein überaus fesseln des menschliches Bild dar: Der arme Vedalehrer, der nebenbei Ackerbau betreibt, zieht im Schweiße seines Angesichts die Walze (nikasha) über den Acker, und auf dieser sitzt, um ihr Gewicht und Nachdruck zu verleihen, stolz wie ein König auf seinem Thron, aber vielleicht dem Lehrer wenigstens innerlich Affengesichter schneidend, das Schülerlein.

Wegen ekaloshṭaghātam vgl. auch Çiçup. XVIII, 12 mushṭighātaṃ ghnantau; II, 33 samūlaghātam aghnantaḥ. Auch der Kommentar in Telangs Ausgabe des Mudrār. hat loshṭaghātaṃ hataḥ »mit Backsteinen getötet«, und Telang verweist auf Siddhāntakaumudī ed. Taranath (1863) II, 471. Sowie aber ekaloshṭa – oder ekaikaloshṭa – gelesen wird, ist diese Auslegung auch dort schon in sich unmöglich. »Backstein« soll nach Sham. und Gaṇ. loshṭa, auch in Kauṭ. 312, 2 bedeuten. Ich zweifle, daß dies je zutrifft. Neben einem Stück Holz, einem Stein usw. nennt Y. II, 298 auch die geworfene Erdscholle als gefährlich, und Vas. XXIII, 15 zählt als Selbstmordmittel auf: kāshṭha, jala, loshṭa, pāshāṇa, çastra, visha, rajju. Mit loshṭa werden in Kauṭ. 195, 13 blutende Wunden gemacht. Vgl. 232, 15ff. Das Töten mit Steinwürfen findet sich z.B. auch Jāt. II, 221f; 250ff. Es gehört dies zu den besonders qualvollen und schimpflichen Arten, jemand umzubringen. MBh. XII, 97, 22.


A9 Daß virāga in dem von mir angenommenen Sinne steht, dafür spricht auch Nītiv. 59, 7–60, 2, wo ebenfalls Agenten (yogapurusha) vom Laster abwendig machen sollen (viraktajananahetavaḥ) und zwar auch da mittels der Vertraulichkeit und der Anschmiegung (Pariçitānukūlena). – Wegen des āhārya, wie überall im Nītiv. statt ahārya gesetzt werden muß, vgl. dort 8, 10; 25, 2; 6, 3–4.


A10 Heißt doch bei Ā. I, 9, 15, 10–22 das Kind wenigstens noch beim Antritt des Vedastudiums (upanayana) garbha. Die Einführung beim Lehrer und in die Gemeinschaft der Arier aber kann im Ausnahmefall dem Kshattriya sogar erst im 22. Jahre zuteil werden.


A11 In seiner Altind. Pol. hat dann Hillebrandt das Richtige.


A12 Nach »Kauṭ. 328, 13« füge ein: Diese Stelle zeigt, daß wirklich kulasaṅgha gleich dem bekannten und in der Zusatzanmerkung zu 25, 3 besprochenen gaṇa ist. Kauṭ. erklärt also hier diese Regierungsform für die beste, während doch sonst sein Buch überall den einen Herrscher im Auge hat. Wegen der Thronfolge, bes. des Ältesten, vgl. Çukran. I, 684–704; Fick Soz. Glied. 81; Hillebrandt, Altind. Pol. 76–79; bes. aber Law, Aspects 51–69.

Quelle:
Das altindische Buch vom Welt- und Staatsleben. Das Arthaçāstra des Kauṭilya. Leipzig 1926, S. 38-43.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Anonym

Tai I Gin Hua Dsung Dschi. Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Tai I Gin Hua Dsung Dschi. Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Das chinesische Lebensbuch über das Geheimnis der Goldenen Blüte wird seit dem achten Jahrhundert mündlich überliefert. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Richard Wilhelm.

50 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon