Erstes Kapitel (19. Gegenstand).

Die Besiedlung eines Landes.

[58] Ein Land, sei es nun ein wiedererobertes oder ein früher nicht besessenes, besiedle er durch Herbeiziehung von Leuten aus fremden Gebiet oder durch Abzapfung des Überflusses (an Bevölkerung) im eigenen Gebiet.

Die Dörfer siedle er so an, daß sie hauptsächlich aus Çūdra und Ackerbauern bestehen,2 mindestens je hundert Familien und höchstens je fünfhundert Familien umfassen, durch einen oder zwei kroça3 eines vom anderen abgegrenzt sind und einander schützen.

Einen Fluß, einen Berg, einen Waldsaum,4 eine Höhle, eine Brücke,5 einen Wollbaum (çālmali), einen çamībaum (Mimosa suma) oder einen Milchbaum setze er fest als Grenzzeichen.6

[58] In die Mitte von 800 Dörfern stelle er ein sthānīya, in die Mitte von 400 Dörfern ein droṇamukha, von 200 Dörfern ein khārvaṭika,7 als Zusammenfassung8 von 10 Dörfern ein saṃgrahaṇa (»Zusammenfassung«); an die Grenzen die Festungen der Grenzhüter. Die Tore ins Land soll er der Oberaufsicht der Grenzhüter unterstellen. Die Zwischenräume zwischen diesen9 sollen die Fallensteller, Çabaras, Pulindas, Caṇḍālas und Waldbewohner bewahren.

Den Opferpriestern, geistlichen Lehrern, Hauspriestern10 und Vedagelehrten soll er Brahmanengüter verleihen, die von Bußen und Steuern befreit sind und angemessene Einkünfte abwerfen; den Verwaltungsbeamten (adhyaksha), Rechnugsführern usw., den Revieraufsehern (gopa), Kreisvorstehern (sthānika), Elefantenabrichtern, Ärzten, Pferdeeingewöhnern und Laufboten Land, das sie nicht verkaufen, noch verpfänden dürfen.

Den Steuerzahlern gebe er schon urbar gemachte Felder aber nur als persönliches Eigentum. Solche, die vorher nicht urbar waren, nehme er den Urbarmachern nicht weg.11 Denen, die das Land nicht bebauen, nehme er es weg und gebe es andern. Oder Dorfdiener und Händler mögen es bebauen. Könnten sie nicht Ackerbau treiben, dann gäben sie geringe Steuer.12 Auch unterstütze er sie mit Getreide, Vieh und Geld; auf diese (Unterstützungen) hin können sie leicht Steuer geben.13

[59] Und Unterstützung und Befreiung von Steuern soll er ihnen so gewähren, daß sie beide seinen Schatz mehren. Sowie die beiden seinem Schatz verderblich sind, soll er sie meiden. Denn ein König mit geringem Schatze frißt einzig die Stadtbürger und die Landleute auf.

Zu gleicher Zeit mit der Besiedlung oder je nach den eingetretenen Umständen14 gewähre er Freiheit von Abgaben. Sind Leute über die Befreiung von Abgaben hinausgewachsen, dann soll er ihnen wie ein Vater helfen.15

Den Betrieb von Bergwerken, Verarbeitungswerkstätten, Nutz- und Elefantenwäldern, Hürden und Handelsverkehr, sowie Wasser- und Landwege und Handelsstädte (paṇyapaṭṭana)16 soll er einrichten.

Bewässerungswerke mit schon vorhandenem oder mit herbeizuführendem Wasser soll er anlegen lassen. Oder wenn sie andere anlegen, soll er ihnen Unterstützung mit Land, Straßen,17 Bauholz und den (anderen) nötigen Dingen dafür zukommen lassen; ebenso für heilige Stätten und Parks.

Wer sich von gemeinsam zu errichtenden Bewässerungsanlagen zurückzieht, dessen Arbeiter und Stiere sollen Arbeit dabei verrichten. An der Kostenbestreitung soll er teilnehmen, einen Gewinnanteil aber soll er nicht davon bekommen.18 Das Eigentumsrecht auf die Fische die Fährboote und die Gemüsewaren von Bewässerungsanlagen soll dem König zustehen.

Leute, die kein Ohr haben für ihre Sklaven, die ihnen als Diener Verpfändeten und die Verwandten, soll der König zum richtigen Benehmen bringen. Kinder, Greise, Kranke, Unglückliche und Schutzlose soll der König erhalten, ebenso die Frau, die noch nicht geboren hat, und die Kinder des Weibes, das geboren hat.19

Das Gut von Kindern sollen, bis sie die Mündigkeit erreicht haben, die Dorfältesten verwalten,20 ebenso das Gut der Götter.

[60] Wer Kind und Weib, Mutter und Vater, unmündige Brüder, Schwestern und Mädchenwitwen nicht erhält, während er es vermöchte, soll zwölf paṇa Strafe zahlen. Ausgenommen sind aus der Kaste Gestoßene mit Ausnahme der Mutter.21

Wer als Asket sein Heim verläßt, ohne für Frau und Kinder gesorgt zu haben, verfällt der ersten (d.h. der niedrigsten) Sāhasastrafe.22 Ebenso wer eine Frau dazu bringt, Asketin zu werden. Wer nicht mehr zum Geschlechtsverkehr fähig ist, mag als Asket sein Heim verlassen, nachdem er sich von dem ihm rechtlich Angehörigen (in gesetzlicher Weise losgelöst) hat.23 Sonst muß er festgehalten (oder: gestraft) werden.

Ein anderer Asketenstand als der des Waldsiedlers, ein anderer Verband (saṃgha) als ein durch die Geburt zusammengehöriger,24 eine andere durch freie Vereinbarung entstandene Verbindung als eine zu gegenseitiger Hilfe gegründete soll unter seiner Landbevölkerung nicht Fuß fassen.25 Noch sollen dort Hallen für Vergnügungen und Zeitvertreib sein. Schauspieler, Tänzer, Sänger, Musikanten, Vortragskünstler und Mimen sollen nicht die Arbeiten (der Landbevölkerung) stören. Denn dadurch, daß die Dörfer nur auf sich selber angewiesen bleiben und die Männer allein an den Feldern [61] ihre Freude finden, werden Königsschatz, Fronarbeit, Güter, Getreide und flüssige Sachen gemehrt.26

Eine Gegend, die vom Heere des Feindes oder von Waldstämmen gepackt oder von Krankheiten und Hungersnot heimgesucht wird, soll der König mit Abgaben verschonen, und kostspielige Vergnügen soll er verbieten.

Er schütze den Ackerbau, der von der Drangsalierung durch Bußen, Fronarbeit und Steuern, und die Viehhürden, die von Räubern reißenden Tieren, Giftschlangen und Krankheiten schwer zu leiden haben. Den Handelsverkehr, der von Günstlingen, Arbeitern,27 Räubern und Grenzhütern drangsaliert und durch Viehherden geschädigt wird, säubere er (von solchen Dingen).28

So soll der König Nutz- und Elefantenwald, Bewässerungsanlagen und Bergwerke, soweit diese alle schon früher eingerichtet sind, aufrecht erhalten und neue ins Dasein rufen.

Fußnoten

1 Pracāra bedeutet Funktion, Verrichtung, Tätigkeit. Vgl. 300, 9 (ebenfalls von den adhyaksha); 186, 6 (beim Opfer) usw. Dann am häufigsten Betriebstätigkeit, Betrieb.


2 Vgl. 294, 18. Möglich wäre auch: »aus Çūdrabauern bestehen«. Aber da ja auch bei Kauṭ. als Beschäftigung des Vaiçya an erster Stelle der Ackerbau steht, ja öfters auch Brahmanen Ackerbau betrieben, wenn sie auch nur in der größten Not selber pflügen sollten, so liegt kein Grund vor, mit Sham. und Gaṇ. den Text so aufzufassen. Wird doch die Feldbebauung, die in Wirklichkeit der Çūdra zum großen Teil besorgte, von Kauṭilya nicht einmal als Çūdraberuf genannt.A1 – Zum vorhergehenden Satz vgl. ZDMG 28, S. 104.


3 1 Kroça fast = 11/4 engl. Meile, mithin etwa 2 Kilometer. Zwischen den einzelnen Dörfern soll also ein so breiter Streifen als Grenzgebiet liegen. Natürlich wird dies Land hauptsächlich aus Äckern bestanden haben.


4 Vanaghrishṭi (wie ich lese). Ghṛishti eigentlich »das Reiben, das Streifen«. »Saum« ist meine Vermutung. Gṛishṭi kennen wir nur als einen Baum oder einen Pflanzennamen. Dann aber stünde es bei den Bäumen. Auch paßt ein Wald allein nicht als Grenzzeichen, sondern nur ein bestimmter Teil eines Waldes.


5 Oder: »einen Damm, eine Bewässerungsanlage«.


6 Wörtlich: »lasse an den Enden der Grenzgebiete stehen«, d.h. wo von beiden Seiten her das Grenzland zusammenstößt. Sīman bezeichnet, wie aus 45, 16–17 hervorgeht, hier das Grenzgebiet. – Der Milchbaum (Ficus glomerata) trägt sehr milchreiche Früchte.


7 Sthānīya, von sthāna Standort, Sitz, ist wohl etwa Amtssitz, Kreisstadt, wobei aber »Kreis« ungefähr in dem älteren Sinne zu fassen ist, wie Maximilian I. Deutschland in sechs Kreise einteilte.A2

Droṇamukha »Muldenschnaube« scheint ursprünglich einen am Ende eines Tales liegenden Ort zu bezeichnen. Khārvaṭika (oder kārvaṭika, wie bei Gaṇ.) »Gebirgsdort, Städtchen« ist wohl kein arisches Wort. »Hauptstadt eines Gaues« (und »Gaugraf« für sthānika), wobei man etwa an Altägypten denken mag, wäre wohl auch möglich. Aber alle solche Ausdrücke sind natürlich ungenau und irreführend.


8 Wegen des Instrumentals im Sinne von »als« oder »wie« vgl. meine Hindu Tales 267, Anm. 3. Im Epos ist diese Verwendung sehr häufig. Z.B. MBh. II, 68, 3 (vgl. 68, 22 mit 67, 51); III, 207, 81; VI, 27, 48; 30, 8, 9; VII, 169, 16; VIII, 93, 44 (= IX, 3, 43, doch ist vielleicht tamasā saṃvṛite, nātha zu lesen; vgl. IX, 17, 80; 23, 50); XII, 152, 22; 219, 14; XIII, 14, 84; 94, 10; XIV, 39, 4; MBh. K I, 241, 9; XV, 3, 63. Bei Kauṭ. noch corenābhiçasta »als Dieb angeklagt« 218, 11. Daher sogar kalpadrumaiḥ saha ... virejuḥ sie strahlten wie Wunschbäume (Çiçup. V, 16; vgl. Mall. dazu).A3


9 Natürlich ebenfalls an den Grenzen. Çabara und Pulinda sind Waldstämme.


10 Oder da purohita sonst der eine Hauspriester des Königs ist, auch hier: »dem Hofkaplan«.


11 Vgl. Jolly, Recht und Sitte S. 90. Hätte solch ein Gesetz z.B. in Finnland bestanden, wie unendlich viel Leiden und Ungerechtigkeit wären dann so vielen armen Teufeln erspart geblieben, die ein Stückchen karger Erde in unendlich saurer und langwieriger, Arbeit dem Urwald, dem Moor, der Steinwüste abrangen und es dann wieder fahren lassen mußten.


12 Weniger wahrscheinlich: »Die, die ihre Äcker nicht bestellen, würden zu wenig Steuer geben.« Nach Gaṇ.: »würden verlottertes Land zurückgeben«. Dann sollte eher apahīnāni stehen.


13 Wohl weniger wahrscheinlich: »Diese Dinge sollen sie später nach Bequemlichkeit (oder: können sie später bequem) zurückerstatten.« Doch so Sham. in der Anm., Gaṇ. und andere. Der allwichtige Punkt, das Steuerzahlen kommt so weniger zu seinem Rechte.


14 Yathāgatakam. Das ka weist vielleicht auf die Übersetzung: »je nachdem einer neu hinzugekommen ist«. Also bei der ersten Besiedlung für alle zusammen, die es brauchen, dann jedesmal einzeln, wenn ein neuer Ankömmling eintritt, der es nötig hat.


15 D.h. wohl auch dann noch soll er ihnen Unterstützung angedeihen lassen, wo immer sie deren bedürfen. Gaṇ. nivṛittaparihārān = pratyarpitaparihāradravyān, was mir nicht recht sprachgemäß zu sein scheint.


16 Pattana ist Hafen oder Hafenstadt (126, 10ff.), ob auch paṭṭana kann ich nicht entscheiden. Die Inder behaupten es.


17 Oder: »natürlichen Wasserläufen«. Das ist ja wichtig unter Umständen. Vgl. mārga Kanäle im menschlichen Leibe.


18 Oder sogar: »keinen Anteil (d.h. Benutzungsanteil)«? So oder wie im Text, wenn man apakrāmatas liest. Das wäre zu harte Bestrafung des Widerspenstigen, der doch teilnehmen muß an Arbeit und Auslagen. Oder soll man aprakrāmantaḥ setzen und puṇyasthānānām ārāmāṇāṃ ca mit sambhūya usw. verbinden? Dann: »An den Bewässerungsanlagen von heiligen Stätten und Parks sollen Arbeiter und Stiere zusammenstehend (alle gemeinsam) die Arbeit verrichten, ohne davon wegzugehen. Und er (der König) soll für die Ausgaben mit aufkommen, aber keinen Anteil (oder: Gewinnanteil) erhalten.« Das hat auch seine Schwierigkeiten, obwohl es sich gut an das Folgende anschlösse.A4


19 In beiden Fällen ist natürlich von alleinstehenden Frauen die Rede.


20 Varjayeyur eigentlich: »sollen weghalten« (von Beeinträchtigung, Abgaben usw.).A5


21 Nach den Textausgaben statt »Schwester und Mädchenwitwen« aber: »Schwestern, seien es nun Mädchen (unverheiratete) oder Witwen«. Die aus der Kaste Gestoßenen brauchen nicht erhalten zu werden, wohl aber die Mutter sogar in diesem Fall. Siehe Jolly, ZDMG 71, S. 227 und Jolly, Recht und Sitte S. 108,A6 (aus der Kaste gestoßenen Frauen soll man Lebensunterhalt gewähren und ihnen eine Wohnung in der Nähe des Familienhauses anweisen).


22 Die erste Sāhasastrafe (»Raubstrafe, Gewalttatsstrafe«) beträgt bei Kauṭ. 48–96 paṇa, die zweite 200–500 paṇa, die dritte 500–1000 paṇa (192, 9ff.); bei Manu sind die Zahlen 250 paṇa, 500 und 1000 (VIII, 138)A7.


23 Jolly will mit B āpṛicchya dharmasthān lesen und verweist auf 178, 14; 189,14f.; 200,2 usw. Ebenso liest Gaṇ. Dann: »nachdem er die Zivilrichter um Erlaubnis gebeten hat«. Āvṛiçcya dharmasvān sieht in der Tat sehr verdächtig aus.


24 Sajāta. Ob dabei Verwandtschaft, Klasse, Kaste oder Gegend entscheidet, läßt sich nicht bestimmt aus dem Ausdruck erschließen. Gaṇ. hat sujātād »kein anderer als ein wohlgeborener«, was wohl entschieden besser ist; die saṅgha als Verbände oder Clans von Adeligen sind uns anderswoher bekannt. Daß es aber auch andere gab, zeigt schon unsere Stelle.


25 Samayānubandha heißt gewöhnlich die Erfüllung einer Verpflichtung (Übereinkunft), vgl. auch samayānubaddha der sich zu gutem Betragen verpflichtet hat 144, 19. Danach ginge Gaṇs.'s Umschreibung saṃketaracanā sehr gut. Anubandha Gefolge, Anhang ist schon besprochen worden. sāmutthāyika findet sich auch 324, 9 und bezeichnet dort einen Helfershelfer oder Beistand; dann 317, 11 zusammenwirkend, zur Seite stehend. Vgl. laghusamuttha, gurusamuttha, laghūtthāna (288, 1ff.; 289, 7): rasch (bzw. langsam) bereit zum Handeln, Hilfe zu leisten. Befremdend wirkt das Verbot eines anderen Asketenstandes als des Waldsiedlers (vānaprastha), während doch schon 8, 5 der vierte āçrama deutlich beschrieben und anerkannt wird. Begreiflich ist der Zorn des Politikers gegen die umherstromernden Heiligen, die ja immer Spione des Feindes sein konnten. Aber darfs überhaupt keine umherziehenden Mönche geben, was wird dann aus dem armen König, dem diese heiligen Spionenaugen genommen werden? Oder sollen einfach alle Wanderasketen Spione des Fürsten werden? Das wäre schwer zu machen und hülfe wieder nicht genug, den Fürsten vor fremder Tücke zu schützen.A8


26 Für die farnde diet hat Kauṭilya wenig übrig, wie er öfters zeigt. Was aber die Vergnügungen des Landvolks betrifft, so finden wir eine viel erleuchtetere, auch politisch klügere Ansicht im 4. Kapitel des achten Buches (Text 330, 11ff.).A9


27 Störungen an Straßen, Schiffsfähren und sonstigen für den Handel wichtigen Einrichtungen können ja besonders auch, durch widerspenstige Arbeiter herbeigeführt werden. Eine oft kitzliche Arbeiterfrage gab es auch in Altindien. Freilich. kārmika bezeichnet nicht nur gewöhnliche Arbeiter, die man anstellt (wie etwa 128, 7) sondern auch Bureauarbeiter, Unterbeamte. Also mag hier »Angestellter« besser und besonders an die Zollmenschen gedacht sein. Je kleiner der Beamte, desto größer sein scharnickelnder Hochmut.


28 Vaṇikpatha heißt eigentlich Kaufmannsstraße, dann kaufmännischer Verkehr. Die Straßen wurden schon durch die hin- und hergetriebenen Viehherden abgenutzt (kshīyamāna), aber natürlich auch öfter versperrt, ja gefährlich gemacht; denn während zwar die Stiere in Indien nicht bösartig sind, muß man sich vor den Kühen oft sehr in acht nehmen, was nicht nur von ihrem Geschlecht, sondern auch von ihrer Heiligkeit kommen mag.


A1 Daß Kauṭ. den Ackerbau nicht als Çūdraberuf nenne, ist falsch. Siehe Übersetzung 3, 8–10. Nach Bṛ.-Up. I, 4, 13 wurde der Çūdra zum Ackerbau geschaffen. Die Smṛiti zeigt Verschiedenheiten in der Strenge gegen den Çūdra, besonders was den Lebensunterhalt betrifft, und zwar kann man dabei kaum von einer fortschreitenden Verschärfung, noch einer zeitlich sich entwickelnden Milderung reden. Devala erlaubt ihm den Ackerbau und die anderen Berufe des Vaiçya (zit. von Nandap. zu Vish. II, 14). Aber schon B. I, 10, 5 (= I, 10, 18, 5) und Ā. I, 1, 1, 6 sagen nur kurz und herb: »Er diene den drei höheren Kasten.« Dieser Dienst und einen beschränkten oder: einen ihm gesetzten oder zugebilligten Lebensunterhalt (niyatā vṛitti) schreibt ihm Vas. II, 20 vor. Das wird dasselbe heißen wie N.s Regel I, 54: »Was die anderen ihm gnädig zugestehen zu treiben«, oder wie sich auch übersetzen ließe: »Ackerbau, Viehzucht und Handel mit der gnädigen Bewilligung der anderen«, während er in I, 58 wenigstens für den Fall der Not erklärt: »Die hochstehende Beschäftigung gibt es nicht für den Çūdra und die niedrig stehende nicht für den Brahmanen, abgesehen von den zwei dazwischen liegenden (d.h. der des Kshattriya und der des Vaiçya); denn diese zwei sind allen Kasten gemeinsam.« Also darf da der Çūdra auch Kriegsdienst, Viehzucht, Ackerbau und Handel betreiben, ebenso wie der Brahmane. G. sagt, er solle den oberen Kasten dienen und von çilpa, d.h. Handwerken und Künsten, leben (X, 56, 60). Der ebenfalls ziemlich späte Vishṇu wiederholt diese Vorschrift (II, 8, 14) und der dem Vish. vorangehende Y. lehrt, wenn er vom Dienst bei den anderen nicht leben könne, dürfe er Handelschaft und çilpa ausüben (I, 120). Wahrscheinlich aber haben auch B. und Ā. die Ausnahme für die »Not« stillschweigend zugestanden. So bleibt wohl einzig M. als völlig erbarmungsloser Çūdraknechter übrig. Er befiehlt kategorisch: »Einzig und allein der Dienst bei den drei anderen Kasten gebührt dem Çūdra« (I, 91, vgl. IX, 334). Er ist ihm völlig rechtloser, von der anderen Gnade lebender, ewiger Sklave (VIII, 40ff.; X, 121ff.). Aber auch er verrät in X, 129, daß in der Wirklichkeit der Çūdra sogar sehr gewinnbringende Berufe ausübte. Denn wie hätte er als »Sklave« Reichtümer aufhäufen können!

Die Dörfer, die Kauṭilya im Auge hat, sind recht groß, wie wir sehen; denn wir dürfen nicht vergessen, daß es sich um Großfamilien handelt. »Deren Umfang war und ist häufig ein sehr bedeutender« (Jolly, Recht und Sitte S. 77). Die Çukran. lehrt in I, 385f., ein Dorf oder grāma umfasse einen kroça und werfe 1000 Silberkarsha Steuern ab; ein halbes Dorf werde palli genannt und ein Vierteldorf kumbha (»Krug«). Da ist grāma aber auch »Stadtbezirk« (ward). Die heutigen Dörfer sind meistens kleiner, und in den alten Zeiten wird es in der Wirklichkeit ebenso damit gestanden haben. Über 35000 Dörfer in der Madras Presidency haben weniger als 500 Einwohner. Deakin, Irrigated India S. 77. Wenige der 34000 Dörfer des Panjab gehen über die tausend Einwohner hinaus. Der Durchschnitt ist 549. Ebenda S. 307.

Das erste sūtra unseres Kapitels hat das Muster abgegeben für svargābhishyandavamanaṃ kṛitvevopaniveçita in Raghuv. XV, 29 und Kumāras. VI, 37. An beiden Orten führt Mall, unsere Kauṭ.-Stelle an, an der zweiten genau, wie wir sie in unserem Texte finden, abgesehen von Mall.s paradeçāpavāhena an der ersten mit paradeçapravāheṇa, das auch Kshīrasvā min darbietet (ZDMG. XXVIII, S. 104) statt des paradeçāpavahanena des Kauṭ. Caritravardh. behauptet zu Raghuv. XV, 29, Cāṇakya sage, abhishyandavamana sei = çākhānagara. Danach bedeutet çākhānagara eher Pflanzstadt als Vorstadt, obwohl z.B. auch Nīl. zu MBh. XII, 69, 35 es als Vorstadt erklärt. Aber in XII; 87, 8 paßt »Vorstadt« sehr schlecht. Die Wiedergabe in Nītiv. 77, 3–4 lautet: Bhūtakam (so ist wohl zu lesen; = bhūtapūrvam), abhūtapurvaṃ vā janapadaṃ svadeçābhimukhyaṃ (indem er ihm Leute des eigenen Landes zuwendet) dānamānābhyāṃ paradeçopavāhanena vā (oder indem er durch Gaben und Ehrungen solche aus fremden Ländern herbeizieht) vāsayet.

Das Grenzgebiet zwischen Dörfern scheint übrigens hauptsächlich aus Weideland bestanden zu haben.


A2 Vgl. auch die südindischen Kreise, Distrikte und Provinzen. Mookerji, Local Gov. 206ff.


A3 Ein besonders merkwürdiger Gebrauch dieses Instr. findet sich in MBh. VII, 155, 31: Tām (scil, çaktim), āpatantīm ciccheda Çakunis tailapāyinā »während die Lanze daherflog, zerschnitt sie Ç. wie einen Falter« (d.h. mit derselben spielenden Leichtigkeit). Tailapāyin und tailapāyika bedeuten nämlich nicht Schabe, cockroach oder gar Schwert (PW.), sondern Falter, wie aus M. XII, 63; Vish. XLIV, 2–3; Y. III, 211; MBh. XIII, 111, 111; 104, 114 hervorgeht, übrigens auch aus dem pakshiviçesha der Scholisaten bei Vish., im Epos und sonst. Denn pakshiviçesha heißt »eine Art geflügeltes Insekt«. Ebenso pakshin z.B. in Kauṭ. 207, 15.


A4 Auch Mookerji, dessen ganzes sechstes Kapitel her zu vergleichen wäre, hat: »Whosoever stays away« (Loc. Gov. 143f.). Aber es klingt doch gar zu sonderbar, wenn man von jemand, der seine Arbeiter und Tiere zu etwas stellt, behauptet, er nehme nicht Teil an dem betr. Werke.


A5 Nahe läge vartayeyur statt des doch recht sonderbaren varjayeyur: »sollen in Gang (Betrieb) setzen (oder: erhalten)«, also vor allem: sollen bearbeiten, nutzen lassen; denn es handelt sich besonders um Liegenschaften. Vgl. da auch vartana, das Anwenden, Auftragen (von Lack auf die Füße) Kirāt. X, 42. Vardhayeyur schlägt schon Sham. vor, und dies scheint eine Stütze in Gaṇ.s Schol. zu haben. Es wäre dann wohl dem sphātīkuryāt von 153, 1 an die Seite zu stellen und hieße: »sollen es auf Zinsen ausgeben (anlegen)«. Wegen der Vorschrift selber vgl. Übers. 256, 14–17 und den Zusatz zu der dortigen Anmerkung.


A6 Lies: Jolly, Recht und Sitte S. 120. Einen Vater muß man von sich stoßen, wenn er seine Kaste verloren hat, nicht aber die Mutter, die der Ächtung verfallen ist. Vas. XIII, 47. Vgl. Ā. I, 10, 28, 9; G. XX, 1. Eine Mutter wiegt halt tausend Väter auf. Vas. XIII, 48; M. II, 145; »Weib« unter Mutter im Index, besonders aber S. 150 und andere Stellen. Nach G. XXI, 15 muß übrigens auch dem entkasteten Vater der Lebensunterhalt gereicht werden.


A7 Vish. IV, 14 stimmt mit M. überein. Y. dagegen hat sonderbarerweise 270, 540 und 1080 paṇa. Man beachte aber, daß in all diesen Smṛitischriften der paṇa eine Kupfermünze, bei Kauṭ. (84, 5; Übers. 120, 5ff.) eine Silbermünze ist. »Der paṇa ist ein vom König geprägtes Stück Kupfer im Gewicht von 10 māsha.« Çukran. IV, 1, 233. vgl. II, 775–780.


A8 Oder soll vielleicht der ganze Asketenstand mit dem einen Wort zusammengefaßt werden, wie z.B. im Jātaka öfters nicht geschieden wird zwischen vānaprastha und saṃnyāsin? Vgl. Fick, Soz. Glied. 126f. Nach Majumdar, Corp. Life 26 hätte das Verbot anderer Verbände als der genannten den Zweck, die bestehenden Dorfgilden zu schützen. Aber es soll jedenfalls das Verbandswesen, das in Altindien mit wohl beispielloser Vielzähligkeit und Üppigkeit das ganze Volk umspannte, deshalb eingeschränkt werden, weil es der Königsmacht verderblich war. N. X, 5 sagt, die Bildung von geheimen Verbanden (mithaḥsaṃghātakaraṇa) solle der König nicht dulden. Wegen saṃghāta = saṃgha vgl. Kauṭ. 62, 15. Ebenso solle er ihnen verbieten, ohne Grund Waffen zu tragen (ahetuṃ çastradhāraṇaṃ; oder nach der anderen Lesart ahitaṃ das nutzlose, verderbliche Waffentragen). Dagegen scheint in dem paurasaṃghātabhedana, das dem Fürsten in MBh. XII, 58, 10 eingeschärft wird, saṃghāta einfach Zusammenrottung zu bedeuten.


A9 Das Epos befiehlt dem König, er solle dafür sorgen, daß Schauspieler, Tänzer, Ringer und Gaukler seine Residenzstadt zieren und die Bürger ergötzen. MBh. XII, 69, 60.

Quelle:
Das altindische Buch vom Welt- und Staatsleben. Das Arthaçāstra des Kauṭilya. Leipzig 1926, S. 58-62.
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