Fünftes Kapitel (23. Gegenstand).

Das Werk der Einsammlung durch den Verwalter der Reichsschätze.

[77] Der Reichsschatzverwalter1 soll Schatzhaus, Warenhaus, Mundvorratskammer, Materialienhaus, Waffenkammer und Gefängnis bauen lassen.

Er lasse ein viereckiges Teichbett (vāpī), frei von Wasser und herandringender Feuchtigkeit2 ausgraben, die Wände von beiden Seiten her und den Boden mit breiten Steinplatten ausmauern und so ein unterirdisches Gemach herrichten, das mit Gitterbehältern aus Hartholz ausgerüstet, dem Erdboden gleich, dreistöckig und mit den verschiedenen Vorrichtungen3 versehen ist, am Boden der Lageräume an Stellen (wo es nötig ist) mit Steinchen gepflastert, mit einer einzigen Eingangstür, mit einer Treppe,4 die durch eine Maschine (hinabgelassen und hinaufgezogen werden kann) und mit einer Vorrichtung für die Gottheit.5

[77] Über dieses lasse er das Schatzhaus errichten mit Absperrung nach beiden Seiten, mit Wall und Vorraum, aus Backsteinen gemauert, umgeben von waffenbergenden Mulden.6 Oder er lasse von Männern, die dem Tod geweiht sind,7 an der Grenze des Landes als sichere Niederlage für den Fall des Unglücks einen Palast erbauen.

Ebenso errichte er ein Warenhaus und eine Kornkammer, beide mit Säulen aus Backsteinen, mit vier Hallen, einer einzigen Eingangstüre, mehreren Stockwerken für Lagerräume und auf beiden Seiten mit einem Notausgang,8 der zwischen geöffneten Säulen durchführt; (weiter:) das innere Rohmaterialienhaus mit langen, weiten Hallen und die Wände umschlossen von Mauerhöfen; ebenso geartet die mit einem unterirdischen Gemach verbundene Waffenkammer; (sodann) die Gefängnisse der verschiedenen Zivilgerichte und die für Verbrecher; diese mit gesonderten Orten für Frauen und Männer und mit Mauerhöfen, die gegen ein Entweichen wohl verwahrt sind, sowie auch versehen mit Saal, Abtritt und Brunnen für alle (Gefangenen). Badezimmer, Schutz gegen Feuer und Gift, Hut durch Katzen und Ichneumons und was für die Verehrung der besonderen Gottheit der Einzelnen nötig ist, soll er (für die Gefangenen) einrichten.9

[78] In der Kornkammer soll er ein Becken mit einer Mündung von einer Elle als Regenmesser anbringen lassen.

Von den Ämtern für die betreffenden Erzeugnisse geleitet, soll er alte und neue Edelsteine und die wertvollen und geringwertigen Rohstoffe entgegennehmen. Da gilt bei einem Betrug mit Edelsteinen die höchste Geldstrafe (daṇḍa) für den Täter und für den Anstifter; bei Betrug mit wertvollen Rohstoffen die mittlere bei Betrug mit minderwertigen sowohl die Ersetzung als eine Geldstrafe, die dem Werte (der Sache) gleichkommt.

Das gemünzte Gold soll er entgegennehmen, nachdem der Münzenprüfer es als echt befunden hat. Unechtes soll er zerschneiden lassen. Wer es gebracht hat, erhält die niedrigste Sāhasastrafe.

Reines (oder: geprüftes), volles und neues Getreide soll er empfangen; im gegenteiligen Fall beträgt die Strafe das Doppelte des Preises.

[79] Dieselben Vorschriften gelten bei Kaufmannsgütern, Rohstoffen und Waffen.

In allen Verwaltungsabteilungen10 sind bei Entwendungen im Werte von einem paṇa bis zu vier paṇa die Strafen für die Beamten, die Angestellten11 und deren Diener: die niedrigste, die mittlere, die höchste Sāhasastrafe, der Tod.12 Auf Bestehlung des Schatzes durch den13 über den Schatz Gesetzten steht der Tod. Wer dabei eine Besorgung für ihn übernimmt (d.h. wer Handlangerdienste dabei leistet), den trifft die Hälfte als Strafe.14 Eine Rüge, wenn in Unwissenheit (des Sachverhaltes er den Auftrag übernommen hat). Auf die gewaltsame Beraubung durch Banditen15 steht der Tod mit Marterung.

Daher soll der Reichsschätzeverwalter von tüchtigen Männern geleitet der Einsammlung obliegen.

So genau soll er, was sogar seit hundert Jahren von innen und von außen eingekommen ist, kennen, daß er auf eine Frage nicht zu zögern braucht, und den Rest, den der Verbrauch gelassen hat, angeben kann.16

Fußnoten

1 Saṃnidhātar, wörtlich: der zusammen Niederlegende, Depositor. Wie wir sehen werden, hat er die Einsammlung, Niederlegung und Bewahrung der Reichsschätze, d.h. der Edelsteine und Edelmetalle, der Kaufmannswaren des Königs, seiner Vorräte an Korn und anderen Lebensmitteln, seiner Walderzeugnisse oder Rohmaterialien und in gewisser Hinsicht auch – der Verbrecher zu besorgen.A1 Siehe bes. Stein 209–212.


2 Upasneha »hereindringende Feuchtigkeit« auch 101, 11; Kalāvilāsa VIII, 5.


3 Am nächsten läge: Abteilungen. Aber obwohl »Vorrichtungen« auch »Abteilungen« in sich schließt, könnte ich doch diese besondere Bedeutung von vidhāna nicht rechtfertigen. Stein (S. 211) setzt: »mit verschiedener Bestimmung«, was angeht. Kaum aber pidhāna Verschlüsse.


4 Oder: »mit Treppen«


5 Oder: »die Gottheiten«. Es ist wohl ein kleiner Raum gemeint mit dem Bild einer oder den Bildern mehrerer Gottheiten. Neben einer Gottheit des Baus (vāstudevatā) kämen bei einem Schatzhaus Kubera, verschiedene Yaksha und wohl auch Schlangengeister in Betracht. Gaṇ. sagt bei der Erklärung des gleich folgenden, mit pakveshṭakāstambhakam beginnenden Satzes die Gottheit des Schatzhauses sei Kubera, die des Warenhauses und Mundvorratspeichers Çrī, die des Speichers für Walderzeugnisse, Bau- oder Rohmaterialien Viçvakarman, die der Waffenkammer und des Gefängnisses Yama und Varuṇa. Oder devatāvidhāna ist »Tempelanlage« wie 40, 5. Auch hier hat Gaṇ. devatāpidhāna mit derselben wohl unzutreffenden Erklärung wie bei 40, 5.


6 Zu bhāṇḍavāhinī ist kulyā zu ergänzen (s. 54, 3).


7 Sham.'s Annahme, daß diese zum Tod Verurteilten dann nach Vollendung des Werkes getötet werden, damit das Geheimnis bewahrt bleibe, ist gewiß vollkommen richtig. Natürlich handelt es sich um einen »Palast«, der besonders allerlei Vorräte und Schätze aufnehmen soll.


8 Apasāra. Dieser ist jedenfalls ein Geheimnis.


9 Ich lese -rakshāḥ svadaiva- und finde dies bei Gaṇ. wieder. Nach Jollys -rakshāsthā daiva-: »Veranstaltungen zur Hut durch Katzen und Ichneumons zusammen mit der Verehrung der Gottheiten soll er einrichten«. Das »innere Rohmaterialhaus« wird besonders für weniger umfangreiche Sachen sein. Zu den kupya gehören ja vor allem die Erzeugnisse des Nutzwaldes. Baumstämme, Balken usw. schichtet man nicht in geschlossenen Räumen auf. Ziemlich viel näher mit Sham.'s, Sorabjis und Gaṇ.'s Auffassungen stimmt meine ursprüngliche, ebenfalls unabhängig gemachte Übertragung überein: »Er errichte ein Warenhaus mit Säulen aus Backsteinen, mit vier Hallen, einer einzigen Türe, mehreren Lagerraumstockwerken und auf beiden Seiten mit einem Notausgang, der zwischen geöffneten (also wohl immerA2 hohlen) Säulen hindurchführt, versehen; (dann) eine Kornkammer mit langen, weiten Hallen und die Wände umschlossen von Mauerhöfen. Innen drin ist das Materialienhaus. Dies eben (ist auch) die mit einem unterirdischen Gemach versehene Waffenkammer. Dann gesondert das Gerichtsgebäude und das Gebäude für die hohen Würdenträger, das Gefängnis, dies mit gesonderten Orten für die Frauen und die Männer und mit Höfen, die gegen ein Entweichen verwahrt sind. Und bei all diesen (Gebäuden), die Ausstattung mit Hallen, Aborten und Brunnen, Badezimmer, Maßregeln zur Bewahrung vor Feuer und Gift und Schutz durch Katzen und Ichneumons zusammen mit dem, was zur Verehrung der jeweiligen Gottheiten (der Gebäude) gehört, soll er besorgen.« Aber zunächst wäre es merkwürdig, daß bei einem so wichtigen Gebäude wie der Waffenkammer alle nähere Angabe fehlte, mit Ausnahme der sonderbaren Erklärung, daß das Haus für Walderzeugnisse oder Rohstoffe auch als Zeughaus diene. Woher sollte sodann dies Rohmaterialienhaus noch innen in der Kornkammer sein können! Endlich: wenn der saṃnidhātar Gefängnisse bauen muß, ließe es sich ja denken, daß er auch Gerichtsgebäude zu errichten habe, und da nähme man vielleicht das befremdende »Gebäude für die Großwürdenträger« mit in den Kauf. Aber dann müßten diese beiden im ersten Satz des Kapitels mit aufgeführt sein. Das Gegenteil ist unmöglich, es sei denn, der Text wäre unvollständig, wofür kein Anhalt vorliegt. S. 223, 9 haben wir dharmasthīya cāraka, und das wird »Zivilgerichtsgefängnis« bedeuten. Māhāmātrīya (bandhanāgāra) wäre dann das den Großwürdenträgern unterstellte Gefängnis. Im ersten Satz des 4. Buches hören wir, daß die Kriminalgerichts pflege drei Strafrichtern oder drei amātya anvertraut ist. Vgl. aber auch den ersten Satz des 3. Buches. Ob man nun annimmt »oder« sei = »und« oder ob man »oder« in seinen zwei gewöhnlichen Bedeutungen als Alternativ-oder als Identifikationspartikel faßt, oder ob man es ganz tilgt, immer bleiben die amātya als oberste Strafgerichtsbeamte. Wie wir schon gesehen haben, ist amātya und mahāmātra manchmal dasselbe, wie sich ja leicht begreift. Auch die obersten »Strafrichter«, die im besonderen diesen Namen tragen, gehören natürlich zu den mahāmātra. Der alleroberste ist sogar eines der größten tīrtha des Fürsten. Er und der samāhartar haben die Oberaufsicht über die Strafgerichtsbarkeit des Landes oder doch des Bauernlandes. Mithin entspricht wohl mahāmātrīya bandhanāgāra dem Kriminalgefängnis. Freilich hätte da Kauṭ. dharmasthīyam und mahāmātrīyam unmittelbar vor oder hinter bandhanāgāram stellen und beide durch ca verbinden sollen, um die Deutlichkeit zu fördern. Aber diese kommt bei ihm oft zu kurz. Auch statt tad eva, das ich in der Übersetzung oben = ebendasselbe d.h. von ganz der gleichen Art verstanden habe, schiene tadvad eva immerhin noch klarer zu sein. Dagegen macht çālākhātodapānavac ca bei meiner Auslegung des Textes gar keine Schwierigkeit. Es bezieht sich auf bandhanāgāram und hinter das ca gehört ein Punkt. Bei der in dieser Anmerkung gebotenen Übersetzung ist es äußerst vertrackt und ließe es sich wohl nur etwa so verstehen: »und was bei all diesen zu Saal, Abort und Brunnen gehört«. Weit natürlicher wäre dann einfach çālākhātodapānaṃ ca. Nun ist es immerhin möglich, daß der mit snānagṛiha- beginnende Satz sich auf alle die vorher aufgeführten Gebäude bezieht, und bei allen wäre der Schutz gegen Feuersgefahr und gegen schädliche Tiere am Platz. Was sollte aber ein Badezimmer in Kornkammer, Zeughaus usw.? So sind alles in allem die Schwierigkeiten bei der oben gewählten Übertragung geringer. Statt -vṛittāḥ hat auch Gaṇ. das leichtere -yuktāḥ. Vṛitta könnte = Verfahren, Handlung, Zeremonie sein oder = das Übliche, Geltende, die Sitte (wie z.B. MBh. XIV, 92, 10). So gut wie in Kauṭilyas Gefängnissen haben es die Eingekerkerten in Altindien sonst keineswegs. Manu IX, 288 heißt es sogar: »Und alle Gefängnisse soll er an die Hauptstraße hinstellen, wo man die schmerzgequälten und entstellten Übeltäter auch sehen kann.«


10 Oder: »in aller Ämtern« (Bureaus, adhikaraṇa).


11 Oder: »Unterbeamten« (upayukta). Vgl. Buch IV, Kap. 9.


12 D.h. bei einem Wert von einem paṇa gilt die niedrigste Sāhasastrafe oder 48–96 paṇa, bei einem Werte bis zu zwei paṇa hinauf die mittlere oder 200–500 paṇa, bei einem Werte bis zu drei paṇa hinauf die höchste oder 500–1000 paṇa, bei vier paṇa der Tod. Ich lese mit C. und Sorabji paṇādicatushpaṇaparam apahāreshu. Sham.'s Text, der wohl nach Gaṇ. zu ändern ist in paṇadvipaṇacatushpaṇāḥ paramāpahāreshu, hieße: »In allen Ämtern bestehen die Strafen für die Beamten, Unterbeamten und ihre Diener (bei Diebstahl) in einem paṇa, zwei paṇa, vier paṇa, bei größeren Entwendungen in der ersten, der mittleren, der höchsten Sāhasastrafe und im Tod.« So völlig un bestimmt hätte Kauṭ. sich unmöglich ausdrücken können. Auch wären Bußen von einem paṇa, zwei paṇa usw. hier lächerlich gering. Dasselbe gilt bei Gaṇ,'s Text mit -paṇāḥ param apahāreshu (»bei weiteren, d.h. wiederholten Diebstählen«). Die niedrigste im 9. Kapitel des 4. Buches angesetzte beträgt zwölf paṇa. Dafür aber sind die oben in meiner Übersetzung gegebenen Strafen strenger als dort. Die Hinrichtung z.B. wird in jenem Kapitel erst bei einem Diebstahl von acht bis zehn paṇa angedroht. Also ist wahrscheinlich der eine Text sowohl wie der andere oder meine ganze Auffassung unrichtig. Oder wir werden eine Unausgeglichenheit, die sich von Verschiedenheit der Quellen herschreibt, annehmen müssen.


13 Kaum: »durch einen«.


14 Man muß wohl mit Sorabji ergänzen: die Hälfte (des Wertes). Aber man erwartet eine strengere Ahndung, und die regelrechte Übertraguug wäre: »die Hälfte der Strafe«. Das ergibt aber einen Unsinn.


15 Dies die natürliche Bedeutung von abhipradharshaṇa. Es kehrt 221, 11 wieder, aber nur als Zitat der vorliegenden Stelle. Sehr verlockend klingt Sham.'s Anm. unter dem Text, nach der zu übersetzen wäre: »Auf Anfeuerung von Räubern (oder: Dieben)«, d.h. natürlich den Schatz plündern. Diese Bedeutung wäre zwar nach der Herkunft des Wortes vollkommen natürlich. Aber ich könnte sie nicht aus dem Gebrauche nachweisen. Auf jeden Fall wird hier und 221, 11 der Sinn auf dasselbe hinauslaufen und wird gemeint sein: Wenn Beamte durch Räuber oder Diebe als deren Anstifter königliches Eigentum rauben, dann trifft diese Beamten der Martertod.A3


16 Möglich auch: »den Verbrauch und was noch übrig ist, vorweisen kann«.


A1 Auch Hillebrandt, Altind. Pol. 109ff. behandelt die verschiedenen höheren Beamten. Über all die ungeheuer zahlreichen Diener des Fürsten vom Kronprinzen bis zum Kuli herab, redet sehr eingehend, aber natürlich meist sehr verschieden von Kauṭ., auch Çukran. II.


A2 Lies »innen« statt »immer«.


A3 vgl. M. IX, 272: »Die mit der Fürsorge für die Landdistrikte Betrauten und die Unterkönige (sāmanta), die bei Überfällen (durch Räuber) die Hände in den Schoß legen, soll er rasch wie die Räuber bestrafen.« So mit Berücksichtigung von N. Pariç. 15. Ob aber madhyastha ursprünglich und bei M. nicht = antarāsthita Vermittler bei Kauṭ. 226, 9 sein könnte?

Quelle:
Das altindische Buch vom Welt- und Staatsleben. Das Arthaçāstra des Kauṭilya. Leipzig 1926, S. 77-80.
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