Sechsundzwanzigstes Kapitel (43. Gegenstand).

Der Schlächtereiaufseher.

[190] Für das Fangen, Töten und Verletzen von Nährwild (mṛigapaçu), Vögeln und Fischen, deren Unverletzlichkeit (vom König) erklärt worden ist, und derer, die im Freiwald (im Wildasyl) leben,1 lasse der Schlächtereiaufseher die höchste Geldstrafe erheben. Dörfliche Hauswirte, die sich etwas aus dem Freiwald zueignen, zahlen die mittlere Geldstrafe.

Wegen Fangen, Töten und Verletzen von Fischen und Vögeln, die keinen Schaden tun, erhebe er eine Buße von 263/4 paṇa; bei Nährwild das Doppelte. Bei solchen, die Schaden anrichten, die aber nicht darüber ertappt worden sind, nehme er den sechsten Teil, bei Fischen und Vögeln den zehnten Teil als Tötungsbuße, bei Rotwild den Zoll (der von ihnen erhoben würde) als Tötungsbuße.2

Von Vögeln und Wild soll er den sechsten lebenden Teil (d.h. den sechsten Teil der lebendig gefangenen) in die Freiwälder loslassen.

[190] Wie Meerelefanten,3 Pferde, Menschen oder Esel gestaltete Fische, die in Seen, Flüssen, Teichen (oder Reservoirs, taṭāka) oder Kanälen entstanden sind, Brachvögel, Meeradler, Moorhühner (dātyūha), Schwäne (haṃsa), Cakravāka-Enten, Fasanen, gabelschwänzige Würger (Lanius malabaricus, bṛingarāja), Cakora-Rebhühner (Perdix rufa), Kokila, Pfauen, Papageien und Predigerkrähen, (alle) zum Vergnügen gehaltenen Vögel oder andere glückbringende Tiere, seien es nun Vögel oder Vierfüßler (mṛiga), müssen vor Verletzungen und Belästigungen geschützt werden. Wer diesen Schutz mißachtet, zahlt die höchste Sāhasastrafe.

(Die Schlächter oder die Fleischverkäufer) sollen das Fleisch der frisch getöteten verschiedenen Nährwildarten ohne die Knochen verkaufen.4 Für das Knochige (die Knochenbestandteile) sollen sie Ersatz geben.5 Fehlt etwas am Gewicht, so sollen sie das Fehlende achtfach vergüten.

Von den genannten Tieren dürfen Kalb, Stier und Milchkuh nicht getötet werden.6 Wer sie tötet, zahlt eine Strafe von 500 paṇa, ebenso wer sie zu Tode quält.

[191] Aufgetriebenes, Kopf-, Bein- und Knochenloses, Ubelriechendes und von selber Gestorbenes dürfen sie nicht verkaufen. Sonst 12 paṇa Strafe.7

Nährwild und reißende Tiere und Fische, die sonst Unverletzlichkeit genießen (d.h. besonders die in den Freiwäldern) dürfen, wenn sie bösartig sind, außerhalb der Schutzorte getötet werden.

Fußnoten

1 Vgl. 49, 7 ff. Ist dieser Freiwald (abhayavana) das dortige dāntamṛiga mṛigavana? Doch wohl eher das sarvātithimṛiga mṛigavana. Stimmt das, dann kann jener Wald der »gastlichen Tiere« nicht ein Wald sein, wo jedermann ungehindert Wild töten darf, sondern ist wirklich ein Asyl für alles Wild.


2 Dieser zweite Abschnitt des Kapitels handelt also im Gegensatz zu dem vorhergehenden von Tieren, die nicht besondere Unverletzlichkeit beanspruchen können. Sind es solche, die dem Menschen keinen Schaden zufügen, dann ist auch ihre Tötung unter allen Umständen strafbar, obschon nicht so sehr wie die der vorher genannten. Kommen solche in Betracht, die Unheil stiften, dann dürfen sie wohl anstandslos abgetan werden, wenn man sie über der Schädigung betrifft. Sonst setzt es auch hier eine Strafe. Die Schlußstrophe gibt dann an, wann auch die Tiere getötet werden dürfen, die jenen königlichen Schutz genießen. »Sechster Teil« und »zehnter Teil« bezeichnen wohl, wie vielleicht schon aus çulka geschlossen werden kann, den sechsten und den zehnten Teil des Wertes der Beute, kaum der Strafe, wie Sorabji meint. Sorabji nun hat eine andere Auffassung von pravṛittahiṃsa: »those whose slaughter is permitted«. Eben so dann Gan., der hinzusetzt, dürften gewisse Tiere lange fort getötet werden, dann stürben sie aus. Aparigṛihīta ist nach ihm Wild, das nicht in des Königs Wäldern weilt. Das stimmte gut mit dem öfters vorkommenden parigraha königliche Gebäude. Eine weitere Stütze fände diese Auslegung wohl darin, daß für Nutzwildtiere da der regelrechte Zoll und für andere, abgesehen von Vögeln und Fischen, der bekannte sechste Teil, der dem König von allen Bodenerzeugnissen zukommt, entrichtet werden muß. Nur heißt hier pravṛittahiṃsa dann nicht: »deren Tötung erlaubt ist«, obwohl pravṛitta »erlaubt« 232, 5 wirklich vorkommt, sondern »deren Tötung fortgeht, fortwährend im Gang ist, beständig jagdbar«. Da wäre also zu übersetzen: »Wegen Fangen, Töten und Verletzen von Fischen und Vögeln, die nicht beständig jagdbar sind, erhebe er (zur Schonzeit) eine Buße von 263/4 paṇa ... Bei solchen, die fortwährend jagdbar und nicht des Königs Eigentum sind, nehme er den sechsten Teil« usw. Schade nur, daß die für den Weidmann so erfreuliche Mär von »vernünftiger Schonzeit« und diese ganze Übersetzung durch Kauṭ. selber jäh erwürgt wird. Denn die mṛigapaçu wären da zuerst Tiere mit Schonzeit (apravṛittavadha) und gleich darauf völlig vogelfrei (pravṛittahiṃsa)!! Nach Kauṭilya sind also alle wilden Tiere heilig, außer wenn sie Schaden stiften. Wie dabei die Jäger fuhren, denen wir auch sonst so oft in der Literatur begegnen, bildet eine Frage für sich. Parigṛhīta »(beim Schadentun) erwischt« findet sich auch 172, 18.


3 Wasserelefanten kommen auch sonst in der Literatur vor (z.B. Hindu Tales S. 155).


4 Hier wird wohl besonders klar, daß mṛigapaçu, und paçumṛiga die in einer früheren Anmerkung angegebene Bedeutung haben. In Zeile 2 mṛigapaçu mit »Wild und Vieh« zu übersetzen, wäre unsinnig. Nicht anders steht es in der Schlußstrophe. Woher könnte da hier (in Zeile 16) »Tiere und Vieh« (Jacobi SBAW 1912, S. 841, Anm. 1) richtig sein! Auch das wilde Rind kann paçu nicht bezeichnen, obwohl Gaṇ. das annimmt. Darüber habe ich schon geredet. Auch wäre es gar zu sonderbar, wenn dieses hier besonders nahmhaft gemacht und auf gleiche Stufe mit der allgemeinen Bezeichnung mṛiga gestellt würde.


5 Pratipāta Ersatz kehrt 240, 18 wieder. Mit Recht erklärt Bhaṭṭ.: »Soviel Knochen dran sind, soviel reines Fleisch sollen sie darüber dreingeben«. Knochen sollen schon am Fleisch sein, wenn es auf den Markt kommt, aber ihr Gewicht muß abgezogen werden. Sie werden wohl vor den Augen des Kunden herausgeschnitten.


6 Kalb, Stier und Kuh haben hier ihre bekannte weitere Bedeutung. Dhenu Kuh bezeichnet das milchende, säugende weibliche Tier, wie so oft (vgl. z.B. 128, 13–15), vṛisha das zeugungskräftige männliche (vgl. Bhaṭṭ. zu 129, 3 vṛishāḥ = sektārah.). Getötet werden dürfen da also nur die nicht säugenden weiblichen Tiere und die irgendwie zum Sprung nicht mehr vorteilhaften Böcke. Da wird viel zähes Wildbret auf den Markt gekommen sein. – Statt des unmöglichen ghātaḥ im folgenden Satz hat C ghāte, Gaṇ. ghnatah. Richtig wird wohl ghātayataḥ sein.


7 Trotz Bhaṭṭ. und obwohl auch Gaṇ. und Jolly parisūnam »außerhalb des Schlachthauses« haben, wonach also nur in den Schlächtereien getötete Tiere als Fleisch zu verwenden wären, halte ich doch dieses Wort für unrichtig. Daß alles Jagdwild eingefangen und lebendig in ein Schlachthaus geliefert werden soll, läßt sich gar nicht denken. Sodann erwartet man doch auch eine Bestimmung über kranke Tiere. Ç und s werden unzählige Male verwechselt. Also lese man pariçūnam, und alles ist in Ordnung. Das Ergebnis stellt sich also wie folgt: Unser Kapitel handelt nur von Wild. Die Haustiere als Eigentum des Einzelnen kommen hier nicht in Frage, aber auch nicht die großen Viehherden des Königs (siehe das 29. Kap.). Auch Fleisch von diesen wurde natürlich verkauft, aber durch die Hüter dieser Herden (bzw. durch ihren Oberaufseher), wie wir 130, 11 hören, denn diesen Satz etwa auf den vorhergehenden zu beziehen ist unmöglich; Fleisch von krepierten Tieren wurde ja nicht verkauft. Der sūnādhyaksha ist zunächst nur Aufseher über ein königliches Monopol oder Eigentum, was vorzüglich zu den Befugnissen anderer adhyaksha stimmt, dann weiterhin überhaupt Wildaufseher, keineswegs aber ein Schlachthausverwalter für alle zu tötenden Tiere. Ja sūnā bedeutet hier wohl überhaupt nicht Schlachthaus, sondern einfach Fleischverkauf, hier genauer Wildbretverkauf. Die sinnentsprechende Übersetzung von sūnādhyaksha wäre also nicht einmal »Schlächtereiaufseher«, sondern »Wildaufseher« oder doch höchstens: »Aufseher über die Tötung des Wildes«.A1


A1 Daß es aber in Altindien reichlich Schlachthäuser und Metzger gab, ist selbstverständlich, weil ja viel Fleisch gegessen wurde, und wir hören in der Literatur, besonders der ketzerischen, oft genug von beiden. Woher wären auch sonst die ausführlichen Vorschriften der Smṛiti, welche Tiere gegessen werden dürfen und welche nicht, überhaupt nötig! Die Brahmanen konnten schon deshalb nicht mit gründlichem Ernste gegen das Fleischessen vorgehen, weil ihr ganzes Opferwesen mit seinen Opfermahlzeiten auf der Tierschlächterei ruhte und selbst die heilige Kuh da nicht ausgenommen war. Als gewöhnliche Speise werden Kuh und Zugstier (anaḍuh) von Ā., wenigstens in dem uns vorliegenden Text, erlaubt, von den anderen meist ausdrücklich verboten. Daß aber Rindfleisch ein Hauptgericht wenigstens der wohlhabenden, obgleich nicht der priesterlichen Bevölkerung war, erhellt wohl schon daraus, daß Koch und Rindzermetzger (govikartar) etwa als gleichbedeutend erscheinen (MBh, IV, 2, 9). Sogar das zahme Schwein, das ebenso wie der Haushahn brahmanischen Gesetzbüchern ein Greuel aller Greuel ist, hat selber Buddha nicht verschmäht. Abgesehen von seinem viel umstrittenen letzten Mahl zeigt z.B. Aṅgutt.-Nik. III, S. 49, daß er Schweinefleisch gegessen hat. Ja, wir hören, daß ein kranker Mönch erst dann gesund wurde, als er zur Schweineschlächterei gegangen war und dort rohes Schweinefleisch gegessen und das Blut getrunken hatte. Vin. I, 202f. Die frommen Mönche sagten, er habe einen amanussika abādha gehabt, eine dämonische Krankheit, und da die amanussa besonders die fleisch- und blutbegierigen Yakkha und Rakkhasa, d.h. ursprüngliche Totenseelen, sind, so begreift sich sein Drang sehr gut. Was aber wohl christliche Mönche getan hätten, wenn ein Bruder von einem ihnen sehr anstößigen bösen Geiste besessen gewesen wäre?

Was die wunderlichen Fische von Übers. 191, 1 anlangt, so verbietet auch Ā. I, 5, 17, 38–39 die »menschenköpfigen und anderen ungeheuerlich gestalteten« zu essen.

Quelle:
Das altindische Buch vom Welt- und Staatsleben. Das Arthaçāstra des Kauṭilya. Leipzig 1926, S. 190-192.
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