Sechzehntes Kapitel (34. Gegenstand).

Der Marktwarenaufseher.

[146] Der Marktwarenaufseher (paṇyādhyaksha) soll von den verschiedenen Handelswaren, ob sie auf dem Landweg oder auf dem Wasserweg gekommen sind, das Wertvolle und das Geringwertige, den Preisunterschied (wohl: die [146] Preisschwankungen,1 und ob sie viel oder wenig begehrt sind, wissen; ebenso die Zeiten, sie unter die Leute hinauszustreuen oder sie aufzuhäufen,2 sie einzukaufen, zu verkaufen und anzulegen.3 Und ist eine Ware reichlich vorhanden, so soll er sie im Alleinhandel vereinigen, und den Preis erhöhen. Oder ist dieser Preis normal geworden,4 so soll er einen anderen Preis machen lassen.

Für die im eigenen Land erzeugten Königswaren soll er den vereinheitlichten Handel festsetzen (d.h. den zentralisierten durch die Krone), für die aus anderen Ländern kommenden den vielheitlichen (d.h. den für die Einzelnen unter gewissen Bedingungen freigegebenen).

Beiderlei Waren aber soll er so verkaufen lassen, daß den Untertanen damit geholfen wird. Und sogar einen großen Gewinn (für den König), der die Untertanen schädigt, soll er verbieten.

Bei Waren, die beständig nötig sind, soll er weder eine Einschränkung, was die Zeit betrifft, noch den Übelstand der Überhäufung (saṃkula, glutting the market) herbeiführen.

Oder auch mögen Händler die Königsware, nachdem der Preis dafür festgesetzt worden ist, im vielheitlichen Verschleiß verkaufen. Und sie sollen eine Hinaushaltungsgebühr, die der Ablösung angemessen ist, zahlen.5 Der sechzehnte Teil ist die Vergütungsgebühr (vyājī) für Sachen, die gemessen werden, der zwanzigste für solche, die gewogen werden, der elfte von denen, die man zählt (»wie z.B. Betelnüsse«).

In fremden Ländern erzeugte Waren soll er durch Begünstigungen (anugraha, Unterstützungen) herbeiziehen. Schiffsherren und Karawanenführern soll er soviel Befreiung von Abgaben erteilen, daß sie ihnen einen [147] Gewinn ermöglicht (āyatikshama).6 Und in Geldsachen gibt es keine Anklageberechtigung (dieser) fremden Gäste, abgesehen von denen, die ihnen zur Seite stehen, und die ihnen in die Hände arbeiten.7

Die Warenvorsteher8 sollen den Erlös aus den im vereinheitlichten Verkauf abgesetzten Waren (des Königs) in ein Holzgefäß, dessen einzige Öffnung mit einem Verschluß versehen ist, werfen. Und im achten Teil des Tages (d.h. am Schluß des Tages) sollen sie dieses dem Warenaufseher übergeben mit den Worten: »Soviel ist verkauft. Soviel bleibt übrig.« Auch das Wäg- und Meßgerät sollen sie ihm abliefern.

Soviel vom einheimischen Handel.

Was aber den ausländischen betrifft, so soll der Warenaufseher, nachdem er den Wert9 und den Preis der Waren (im eigenen Land) und der Gegenwaren (der Waren des fremden Landes) in Erfahrung gebracht hat, zusehen, wieviel Gewinn übrigbleibt, wenn die Ausgaben, die man für Zoll, [148] Weggeld, Geleitgebühr, Durchlassungsgebühr,10 Fährenabgabe, die Nahrung (für Mannschaft und Tiere) und den Königsanteil11 abgezogen hat. Käme kein Gewinn heraus durch die Ausfuhr von Waren (und Einfuhr in das fremde Land) oder durch den Wert der Waren und der Gegenwaren, dann soll er zusehen, daß er (die im eigenen Lande nötigen fremden Waren wenigstens) erhält. Darauf (d.h. wenn er in dem fremden Land die ihm nötigen Waren wirklich zusammenbekommen hat), soll er sie auf dem sicheren Landwege unter Verwendung von tüchtigen Saumtieren und Trägern fortschaffen.12 Und um der (zu erlangenden) Vergünstigungen willen soll er mit den Wald- und Grenzhütern und den Hauptleuten der Städte und des »Reichs« (des fremden Königs) nähere Beziehungen anknüpfen. Im Falle der Not (im fremden Land) soll er sein wertvolles Gut oder sich selber retten. Oder gelangt er nicht in sein eigenes Land (d.h. kann er mit dem Eingekauften [149] nicht heimkommen), dann möge er unter Bereinigung aller Abgaben (in dem fremden Land) seine Waren absetzen.13

Und was den Wasserweg betrifft, so soll er erkunden, was an Schiffsmiete14 zu entrichten wäre, die Reisezehrung, den Preis und den Umfang der Waren und Gegenwaren, die günstige Zeit für die Fahrt, die Gegenmittel gegen die Gefahren und die Platzgebräuche in den Hafenstädten.

Und nachdem er sich Kenntnis vom Verkehr auf den Flußwegen15 nach dessen Gepflogenheiten verschafft hat, soll er dahin gehen, wo ein Gewinn ist, Verlust aber soll er meiden.

Fußnoten

1 Oder: »den Wertabstand (Preisunterschied) zwischen wertvollen und minderwertigen Waren«. Er sollte da also genau Bescheid wissen, wieviel eine Ware mehr oder weniger wert ist als eine andere.


2 Oder: »sie unter die Händler hinauszuwerfen oder sie im Alleinverkauf zusammenzuhalten«.


3 Auf Zinsen (prayoga); denn der König macht vielerlei Dinge so zu Bienen, Honig auszusaugen und in seinen Stock zu tragen. Möglich freilich auch: »die Zeiten der Anwendung von Hinausstreuung oder Aufhäufung« usw. Doch da wäre prayoga namentlich in einem sutraähnlichen Werk doch recht überflüssig.


4 d.h. wohl einen höheren. Prāpta wörtlich »eingeholt«, oder: »angebracht, richtig, natürlich«, weil nämlich inzwischen die Ware teurer geworden ist (nicht ohne Zutun der Krone!).


5 Oder: die dem Verlust (für den König) entspricht. Vgl. 84, 16 f. Vaidharaṇa, von vidharaṇa abgeleitet, könnte erklärt werden als die Gebühr für die Hinaushaltung, für die Trennung, d.h. für die Ablösung dieser Waren vom Alleinverschleiß durch den König, oder auch als: die Gebühr für die Weghaltung, Aussperrung, dafür, daß der König vom Alleinverkauf abgehalten ist. Diese zweite Auffassung liegt wohl der Übersetzung Jolly's: »Entschädigungsgeld« zugrunde, Entschädigung nämlich für die Durchbrechung des königlichen Monopols (Stein), oder für den Verlust, den der König erleidet (Sham.). Sham. hat wohl z.B. 63, 6 für sich. Der Sache nach laufen natürlich beide Übertragungen ganz auf das Gleiche hinaus. Völlig verkehrt ist aber wohl Gaṇ.'s Erklärung: »Entschädigung, wenn der Preis fällt« d.h. wahrscheinlich, wenn sie zu billig verkaufen.


6 Āyati bedeutet bei Kauṭ. auch Anwartschaft, Einkommen, Gewinn, Profit. Siehe z.B. 68, 12, 13; 119, 11; 124, 6; 125, 8; 256, 13. Parihāra »Verschonen, Befreiung von Abgaben«, kann wohl auch hier = Privilegien sein. Bhaṭṭ. sagt: »Dadurch daß er die Drangsalierung durch Grenzhüter, Waldhäuptlinge, Fürstengünstlinge usw. von ihnen abwehrt und ihnen das Sechzehntel (das sie an den König zu zahlen hätten) erläßt«. Dieses Sechzehntel wäre wohl die eben genannte vyājī.


7 Dunkel ist der Rede Sinn auch hier. Daß mit »Geldsachen« namentlich Schulden gemeint sind, ist auch ohne die ausdrückliche Erklärung Bhaṭṭasvāmins klar. Wer aber darf nicht anklagen? Die fremden Kaufleute, wenn man ihnen etwas schuldet und nicht zahlen will? Oder die Einheimischen in Fällen, wo die Fremden schuldig bleiben? Beides klingt merkwürdig. Hier wird aber von Begünstigung der Fremden gehandelt, und da unser Zusatz mit ca angegliedert ist, erwartet man eine weitere Erleichterung. Sonst hätte Kauṭ. doch tu setzen müssen. Hätten nun die ausländischen Kaufleute kein Recht in Geldsachen vor Gericht zu gehen, so wären sie ja schutzlos preisgegeben. Daher wird Sham. mit seiner Übersetzung schon recht haben. Freilich bei Stempelfälschung z.B. müssen sie eine höhere Strafe zahlen als Einheimische (141, 3). Aber dergleichen ist leicht verständlich. Sabhya, wie auch Gaṇ. hat, wird wohl etwa Gesellschafter, Geschäftsteilnehmer bedeuten, upakārin Dienste leistend, in die Hände arbeitend. »Vor der sabhā auftretend, fähig in der sabhā zu reden« (wie Kirāt. XIV, 4), also »Vertreter vor Gericht« wäre gewagt und kaum passend. Solche Geschäftsteilnehmer und Handlanger unter der einheimischen Bevölkerung genießen natürlicherweise nicht jene besondere Vergünstigung der Fremden. Bhaṭṭ. meint, es seien die Diener und Arbeiter der Ausländer gemeint. Das liegt dem Ausdruck und der Sache nach weit ferner.


8 Paṇyādhisṭhātäras »die über die Waren Gesetzten«. Das deutet eher auf Untergebene des Warenaufsehers, auf niedere Beamte, als auf die Verkäufer der Waren selber, besonders da Kauṭ. adhishṭhā immer von irgend einer Art Leitung gebraucht.


9 Lies arghaṃ mūlaṃ ca. Der wirkliche Wert soll natürlich in einem solchen Verhältnis zum Preise stehen, daß ein ordentlicher Profit herausschaut.


10 Gulma ist wohl hier zunächst in der Bedeutung: »militärischer Posten, Wachtposten, Polizeiposten« zu fassen, dann meton. = Gebühr, die an solche zu zahlen ist (Sham. tax payable at military stations). Bhaṭṭasvāmins āṭavikasthānikadeya ist wohl mindestens zu eng. Die Geleitsgebühr wurde für die Dienste bewaffneter Bedeckung erhoben, die bei der Unsicherheit der Verhältnisse nötig war. In Wirklichkeit freilich steckten diese Schutzleute wohl nicht selten mit den Räubern und Verbrechern unter einer Decke, genau wie etwa die Polizei in amerikanischen Großstädten und auch an anderen Orten.


11 Bhāga die besondere, feststehende Steuer, die unmittelbar für den König zu entrichten ist. Gaṇ. hat bhāṭaka »den Lohn« (für die gedungenen Leute). Das scheint entschieden besser zu sein.


12 Diese Übersetzung einer schwierigen Stelle gibt wenigstens einen zusammenhängenden, auch mit dem Folgenden vernieteten Sinn. Aber ich fürchte, sie ist falsch. Lābha hat ja oft den hier angenommenen Sinn. Aber in unserem Zusammenhang ist er nicht einwandfrei (vgl. z.B. 99, 11). Sthalavyavahāra »Verkehr zu Lande« könnte wohl zur Not auch Beförderung zu Lande heißen; aber natürlicherweise bedeutet es »Handel zu Lande« (vgl. das gleich folgende vyavaharet). Sārapāda (vgl. z.B. sārabala vorzügliche Truppen, Kerntruppen) = »starker, vorzüglicher Fuß«, also treffliche Transporteure ist denkbar, aber sāra heißt zwei Zeilen weiter »hochwertige Ware«. So stehe hier seine andere, wahrscheinlich richtigere Übertragung: »Ist kein Profit da (in der Ausfuhr), dann möge er sein Augenmerk auf Gewinn durch Einführung oder durch den Wert der Waren und Gegenwaren richten. Darauf (wenn er dies erwogen hat) möge er mit einem Viertel seiner wertvollen Waren auf sicherer Straße Landhandel treiben«. Er soll also dann danach trachten, die dem eigenen Lande fehlenden Waren, die aber für dieses einen hohen Wert (argha) haben, zu bekommen, wenn auch beim Verkauf der eigenen Waren und beim Einkauf der fremden, der Preis (mūlya) derart sein mag, daß daran nichts »verdient« ist. Nirvahaṇa heißt nämlich nicht nur Hinausführung, sondern auch Herausführung, also wohl auch Einfuhr. Für Ausfuhr haben wir 112, 12 nishkrāmayati, 305, 8 nirṇayana. Nirvāhayati finden wir 111, 6, 10 allem Anschein nach in dem Sinn von »einführen« (und von »ausführen«), und nirgacchati hinausgehen ist = ins Land hineingehen (über die Grenze) 128, 2. Wie wir schon gesehen haben, bedurfte man dringend fremder Kaufleute, also auch fremder Waren, und bekam sie offenbar gar manchmal nicht. Warum jedoch der Warenaufseher mit einem Viertel seiner wertvollen Güter Landhandel treiben soll, begreife ich nicht ordentlich. Aber Kauṭilya selber redet öfters von der Gefährlichkeit des Seehandels. Also soll er wertvolle Waren überhaupt nur dem Landwege anvertrauen und auch von denen, die ihm zu Gebote stehen, nur ein Viertel, um dem König und dem eigenen Lande nicht auf einmal zu viel wegzunehmen; und möglicherweise geht ja alles Drangewagte verloren! Vgl. den ersten Satz von Buch V, Kap. 3.


13 Oder: »Möge er, frei in Hinsicht auf alle Abgaben, Handel treiben.« Sarvadeyaviçuddham hieße nach Bhaṭṭ. »frei von Abgaben«. Das wäre wohl dadurch möglich, daß er darauf hinwiese: »Das sind ja alles Waren eures eigenen Landes und Königs, die ich bei euch verkaufe«. Aber der Ausdruck kann, so gut wie die eben gewählte Übertragung, auch besagen: frei von Schererei, Hindernis, Nachteil usw., durch Abgaben, rein, koscher, ehrlich erfunden in bezug auf die Abgaben, cleared of all duties, d.h. er soll hübsch alle Abgaben entrichten, damit ihm keine Hemmnisse und kein Unheil erwachse. Dies ist wohl bei weitem das Wahrscheinlichste sprachlich und sachlich. Vgl. 41, 8; 17, 6 ff., 161, 4; 203, 2; 250, 2.


14 Gaṇ. hat auch hier bhāṭaka (statt bhāgaka), was wahrscheinlich richtig sein wird. Vgl. 126, 5, 7. Caritra sind wohl vor allem die »Usancen« der Kaufmannswelt.A1


15 d.h. vom Handel die Flüsse entlang (nadīpatha).


A1 Wie der Inhalt des Kapitels zeigt, ist der paṇyādhyaksha einfach ein Aufseher über die königlichen Waren, über die sehr umfangreiche Handelstätigkeit, die von der Krone im eigenen Land und in fremden betrieben wurde. Im König des Kauṭ. haben wir einen Geschäftsmann von so erstaunlicher Vielseitigkeit und Macht, daß kaum Rockefeller oder Henry Ford mit ihm verglichen werden kann. Siehe auch die schon übersetzte Strophe MBh. XII, 62, 9.

Quelle:
Das altindische Buch vom Welt- und Staatsleben. Das Arthaçāstra des Kauṭilya. Leipzig 1926, S. 146-150.
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