18. Menschlichkeit und ihr Erfolg

[58] Meister Kung sagte zu Dsï Lu: »Ein Edler, der auf seine Stärke pocht, kommt vor der Zeit ums Leben; ein Gemeiner,[58] der auf seine Stärke pocht, verfällt dem Tod von Henkershand.«

In den Liedern von Bin heißt es10:


Bevor am Himmel schwarz die Regenwolken hingen,

Sah man mich Maulbeerfasern bringen

Und fest um Tür und Fenster schlingen.

Und jetzt, du niedriges Geschlecht,

Wagt einer Schmach auf mich zu bringen?


Meister Kung sprach: »Wer also sein Reich und Haus zu verwalten versteht, dem kann keiner Schmach antun, selbst wenn es einer wollte.

Das Haus Dschou hat von Hou Dsi an in seinen Werken Verdienst auf Verdienst gehäuft, also daß es zu Rang und Land kam. Der Fürst Liu verdoppelte diese Verdienste durch seine Menschlichkeit. Und dann der Große König Dan Fu zeigte eine so aufrichtige Bescheidenheit des Geistes, daß er eine Wurzel einpflanzte, die auf lange Zeit hinaus sich als fest erwies. Anfänglich wohnte der Große König in Bin, und die wilden Grenzstämme machten ihre Einfälle. Da brachte er ihnen Pelze dar und Seidenzeug, doch es half ihm nichts. Da brachte er ihnen Perlen dar und Edelsteine, doch es half ihm nicht. Darauf versammelte er die Ältesten des Landes und teilte es ihnen mit: Was jene wollen, das ist mein Land. Ich habe sagen hören: Der Edle schädigt die Menschen nicht, indem er ihnen entzieht, wovon sie leben. Meine Kinder, was tut's, wenn ihr nun keinen Herrn mehr habt? Darauf ging er allein mit seiner Frau, der Da Giang, weg. Er überstieg den Berg Liang und baute eine Stadt am Fuß des Berges Ki. Da sprachen die Leute von Bin: Das ist ein menschlicher Fürst, den dürfen wir nicht verlieren. Und sie folgten ihm nach in solchen Scharen, als ginge es zu einem Markte11.

Schon lange hatte der Himmel das Weltreich dem Hause Dschou zugedacht und waren die Leute vom Hause Yin[59] abgefallen. Daß unter diesen Umständen das Königtum der Welt nicht erlangt werde, ist ausgeschlossen. Wie hätte Wu Geng12 imstande sein sollen, Schmach über dieses Reich zu bringen?«

In den Liedern von Pe heißt es:


Er hielt die Zügel wie ein Band,

Die Renner tanzten durch den Sand13.


Meister Kung sprach: »Der dies Lied gemacht, verstand sich auf die Regierung. Wer ein Band macht, der bedient den Webstuhl hier und erzeugt das Muster dort. Das heißt, daß man nur die Nächsten in Bewegung zu setzen braucht, um die Fernsten zu beeinflussen. Wer auf diese Weise das Volk leitet, der muß es notwendig schöpferisch beeinflussen. Der Rat des Gan Mau-Liedes14 ist in der Tat der höchste.«

10

Schï Ging 155, Strauß S. 242.

11

Dieser Abschnitt ist aus Mongdsï 1 B 15, Wilhelm S. 22 übernommen. Er findet sich ähnlich auch im Lü Schï Tschun Tsiu 21, 4, Wilhelm S. 380. Hou Dsi, Der Herr der Hirse, war der legendäre Ahn des Dschouhauses. Unter einem seiner Nachfolger, dem Herzog Liu, der in den alten Balladen eine große Rolle spielt, ließen sich die Dschou in Bin, dem westlichen Rand des Reiches, nieder. Unter seinem Sohn, posthum der Große König genannt, zogen sie weiter nach Osten in die Nähe des Berges Ki, der von da an eine heilige Stätte der Dschou wurde. Der Große König war der Großvater des Königs Wen.

12

der Sohn des letzten Herrschers des Yin-Reiches, der kurz nach der Eroberung durch die Dschou gegen diese erfolglos rebellierte.

13

Das Pe-Lied, Schï Ging 38, Strauß S. 108, enthält nur den ersten Vers dieses Zitats. Beide finden sich in Schï Ging 78, Strauß S. 156. Dies ist jedoch ein Dscheng-Lied.

14

Schï Ging 53, Strauß S. 125.

Quelle:
KKungfutse: Gia Yü, Schulgespräche. Düsseldorf/Köln 1961, S. 58-60.
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