8. Diebstahl geistigen Eigentums

[80] Dsï Gung war Amtmann von Sin Yang geworden. Als er von Meister Kung Abschied nahm, sprach dieser: »Sei eifrig, sei vorsichtig, halte dich an die Zeiten des Himmels9. Verdränge niemand, fordere niemand heraus, sei nicht grausam, stiehl nicht.«

Dsï Gung sprach: »Ich habe doch seit meiner Jugend Euch gedient, Meister, wie sollte ich da in Gefahr kommen zu stehlen?«

Meister Kung sprach: »Du mißverstehst mich. Wenn man einen tüchtigen Mann durch einen andern tüchtigen ersetzt, das nennt man verdrängen. Wenn man durch einen Untüchtigen einen Tüchtigen ersetzt, das nennt man Herausforderung. Wenn man lässig ist im Befehlen und schnell im Strafen, das nennt man Grausamkeit. Wenn man andrer Leute Gutes sich selber zuschreibt, das nennt man Diebstahl. Mit Diebstahl meine ich nicht Entwenden von Geld und Gut. Ich habe gehört: Wer es versteht, Beamter zu sein, der hält das Recht hoch und nützt dadurch dem Volk. Wer es nicht versteht, Beamter zu sein, der beugt das Recht und vergewaltigt das Volk. Daraus entsteht dann der Groll. Im Umgang mit untergebnen Beamten kommt es vor allem auf[80] Unparteilichkeit an, in Geldsachen vor allem auf Uneigennützigkeit. Unparteilichkeit und Uneigennützigkeit muß man unverbrüchlich festhalten. Wer anderer Gutes verheimlicht, der ist ein Verdunkler der Weisen, wer anderer Schlechtes bekannt macht, der ist ein gemeiner Mensch. Ohne im stillen einen andern ermahnt zu haben, ihn nach außen hin bloßstellen, das heißt den Frieden und die Eintracht untergraben. Rede von andrer Leute Gutem, als sei es dein eignes, rede von andrer Leute Schlechtem, als beträfe es dich selbst. So ist der Edle in allen Stücken behutsam.«

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Daß Handeln »zeitgemäß« sein muß, war schon ein zur Dschouzeit bekannter Grundsatz, der in der früheren Hanzeit weitgehende Beachtung fand. Konfuzius selbst wurde der »unzeitgemäße« Heilige genannt und sein weltlicher Mißerfolg eben dieser Tatsache zugeschrieben.

Quelle:
KKungfutse: Gia Yü, Schulgespräche. Düsseldorf/Köln 1961, S. 80-81.
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