10. Mitleid im Krieg

[185] Der Staat Tschu hatte den Staat Wu angegriffen. Der Aufseher der öffentlichen Arbeiten Schang Yang und der Prinz Tschen Ki-Dsi verfolgten miteinander das flüchtende Heer von Wu. Als sie es eingeholt hatten, sprach Ki-Dsi: »Es ist die Sache des Königs. Ihr tätet wohl, den Bogen zu ergreifen.«[185]

Schang Yang nahm den Bogen zur Hand. Ki-Dsi sprach: »Nun schießt auch.« Da schoß er einen Mann tot und steckte den Bogen wieder in den Köcher.

Als sie den Fliehenden wieder nachgekommen waren, feuerte ihn Ki-Dsi wieder an, und er erschoß noch zwei Leute. Sooft er einen erschossen hatte, bedeckte er seine Augen mit der Hand.

Dann ließ er den Wagen halten und sprach: »Ich bin nur ein untergeordneter Beamter. Da habe ich meiner Pflicht genug getan, wenn ich drei Menschen getötet habe.«

Meister Kung hörte es und sprach: »Mitten im Menschenmorden zeigte er noch Sittlichkeit.«

Dsï Lu trat ärgerlich vor und sprach: »Der Diener eines Fürsten muß, wenn es sich um wichtige Sachen seines Herrn handelt, tun, was in seiner Kraft steht, und darf bis zum Tode nicht abstehen. Wie kommt Ihr dazu, Meister, diesen Menschen zu loben.«

Der Meister sprach: »Ja, es ist so, wie du sagst. Ich habe mich nur über sein gutes Herz gefreut, daß er es nicht über sich brachte, Menschen zu töten.«

Quelle:
KKungfutse: Gia Yü, Schulgespräche. Düsseldorf/Köln 1961, S. 185-186.
Lizenz: