8. Mißverstandene Menschlichkeit

[36] Dsï Lu war Amtmann von Pu. Da setzte er, um Vorkehrungen gegen Überschwemmungen zu treffen, mit der Bevölkerung die Kanäle und Gräben instand. Da die Leute viel Arbeit und Mühe dabei hatten, ließ er jedem einen Korb Reis und einen Topf Suppe austeilen.

Meister Kung hörte davon und sandte den Dsï Gung hin, um der Sache Einhalt zu tun.

Da wurde Dsï Lu ernstlich böse, ging hin, trat vor den Meister Kung und sprach: »Da die Regenzeit bald kommt, habe ich, um Vorkehrung gegen Wassernot zu treffen, durch die Leute die Kanäle und Gräben instandsetzen lassen. Da die Leute meistens abgearbeitet und hungrig waren, habe ich jedem einen Korb Reis und einen Topf Suppe austeilen lassen. Ihr habt den Dsï Gung geschickt, um der Sache Einhalt zu tun, das heißt, Ihr habt mich verhindert, Menschlichkeit zu üben. Ihr lehrt uns Menschlichkeit und verhindert doch deren Ausübung. Das kann ich nicht annehmen.«

Meister Kung sprach: »Wenn du der Meinung warst, daß die Leute Hunger leiden, warum hast du es nicht dem Fürsten berichtet, daß er seine Speicher öffnen ließe, um ihnen zu helfen? Statt dessen hast du sie eigenmächtig mit einer Speise beschenkt. Damit hast du gezeigt, daß der Fürst keine Gnade kennt, und dafür die Güte deines Charakters ins Licht gesetzt. Wenn du sofort damit aufhörst, so mag es noch hingehen. Andernfalls ziehst du dir sicher Strafe zu.«

Quelle:
KKungfutse: Gia Yü, Schulgespräche. Düsseldorf/Köln 1961, S. 36-37.
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