4. Kapitel
Der rechte Einfluss / Dang Jan

[21] Meister Mo sah einmal zu wie weiße Seide gefärbt wurde und sprach seufzend: »Was in blauer Farbe gefärbt wird, wird blau; was in gelber Farbe gefärbt wird, wird gelb. Je nachdem man die Brühe ändert, ändert sich auch die Farbe. So kann man durch fünfmaliges Eintauchen die Seide in allen fünf Farben färben. Darum muß man sich beim Färben besonders in acht nehmen. Aber es verhält sich nicht nur beim Färben der Seide so. Auch im Staate gibt es solche Beeinflussungen. Schun ließ sich beeinflussen von Hü Yu und Bo Yang22. Yü ließ sich beeinflussen von Gau Yau und Bo I23. Tang ließ sich beeinflussen von I Yin und Dschung Hui24. König Wu ließ sich beeinflussen von Tai Gung Wang und dem Herzog Dan von Dschou25.

Diese vier Könige ließen sich in richtiger Weise beeinflussen. Darum erlangten sie die Herrschaft der Welt. Sie wurden als Himmelssöhne eingesetzt, und ihr Ruhm bedeckt die ganze Erde. Wenn Männer genannt werden, die sich auf Erden durch Güte und Gerechtigkeit ausgezeichnet haben, so werden sicher die Namen dieser vier Könige genannt.

Dagegen ließ sich der König Giä26 aus dem Hause Hia beeinflussen von Gan Sin und Ki Dschung Jung27. Der König Dschou Sin aus dem Hause Yin ließ sich beeinflussen von dem Fürsten Tschung und von O Lai28. Der König Li aus dem Hause Dschou ließ sich beeinflussen von dem Herzog Dschang Fu von Go und von Yung I Dschung29. Der König Yu ließ sich beeinflussen von dem Herzog Gu von Go und dem Herzog Dun von Tsai30.

Diese vier Könige ließen sich in unrichtiger Weise beeinflussen. Darum kam unter ihnen das Reich herunter, und sie selbst kamen um als Schandflecke der ganzen Welt. Wenn Männer genannt werden, die auf Erden durch Ungerechtigkeit und Schamlosigkeit berüchtigt waren, so werden sicher die Namen dieser vier Könige genannt.

Der Herzog Huan von Tsi31 ließ sich beeinflussen von Guan Dschung und Bau Schu. Der Herzog Wen von Dsin32 ließ sich beeinflussen von Giu Fan und Hi Yän. Der König Dschuang von[22] Ging33 ließ sich beeinflussen von Sun Schu Au und Sehen Yin Dschong. Der König Ho Lü von Wu34 ließ sich beeinflussen von Wu Yün und Wen Dschï I. Der König Gou Dsiän von Yüo35 ließ sich beeinflussen von Fan Li und dem Minister Wen Dschung.

Diese fünf Herrscher waren in der richtigen Weise beeinflußt worden, darum erlangten sie die Hegemonie über die Fürsten, und ihr Ruhm wurde in der Nachwelt verkündigt36.

Fan Gi I37 ließ sich beeinflussen von Dschang Liu So und Wang Schong. Dschung Hang Yin38 ließ sich beeinflussen von Dsi Tsin und Gau Kiang. Der König Fu Tschai von Wu39 ließ sich beeinflussen von Wang Sun Hung und Tai Tsai Pi. Der Graf Yau40 von Dschï ließ sich beeinflussen von Dschï Go Dschang Wu. Schang von Dschung Schan41 ließ sich beeinflussen von We I und Yän Tschang. Der König Kang von Sung42 ließ sich beeinflussen von Tang Yang und Tiän Bu Yin.

Diese sechs Herrscher hatten sich in unrichtiger Weise beeinflussen lassen, darum gingen ihre Länder zugrunde; sie selbst kamen in Schmach und Tod, die Tempel ihrer Ahnen entbehrten der Opfer, ihre Familie erlosch, Fürsten und Räte wurden getrennt und zerstreut, die Untertanen mußten ins Elend wandern. Wenn Männer genannt werden, die sich auf Erden durch Habsucht und Grausamkeit einen schlechten Namen gemacht, so werden sicher die Namen dieser sechs Fürsten genannt.

Ein Fürst ist nicht deshalb, weil er Fürst ist, auch schon herrlich, nicht deshalb, weil er Fürst ist, auch schon in Sicherheit; sondern nur deshalb, weil er vernunftgemäß handelt. Vernunftgemäßes Handeln aber entsteht dadurch, daß man sich in der rechten Weise beeinflussen läßt. Darum gaben sich im Altertum diejenigen, welche sich aufs Fürstsein verstanden, die größte Mühe, die rechten Leute ausfindig zu machen. Dann hatten sie es bequem bei der Erledigung der Geschäfte, weil sie den richtigen Faden gefunden hatten. Die es aber nicht verstanden, Fürsten zu sein, die brachten sich körperlich herunter, opferten ihre geistigen Kräfte, betrübten ihr Gemüt, bemühten Ohr und Auge, und ihr Land kam doch immer mehr in Gefahr, ihre Person doch immer mehr in Schande. Das macht, sie[23] wußten nicht, worauf es ankommt. Wenn man nicht weiß, worauf es ankommt, so läßt man sich nicht von den rechten Leuten beeinflussen. Läßt man sich aber nicht von den rechten Leuten beeinflussen, woher soll da die Vernunft kommen? So ging es den sechs obengenannten Fürsten. Diese sechs Fürsten haben nicht etwa ihr Land nicht wichtig genommen, nicht etwa sich selbst nicht geliebt, sondern sie machten den Fehler, daß sie sich nicht von den rechten Leuten beeinflussen ließen. Aber nicht nur mit den Ursachen von Sein und Nichtsein verhält es sich so. Auch bei den Gelehrten43 ist es so. Nicht nur die Staaten haben solche Beeinflussung.

Kung Dsï lernte bei Lau Dan, Mong Su und Kui Dsing Schu. Der Herzog Hui von Lu schickte den Dsai Yang, um sich die im kaiserlichen Tempel üblichen Bräuche mitteilen zu lassen44. Der König Huan sandte darauf den Archivar Güo hin. Herzog Hui von Lu behielt ihn bei sich, und seine Nachkommen blieben in Lu. Sie waren es, bei denen Mo Dsï lernte. Diese beiden Gelehrten hatten nicht Rang und Würden45, um die Menschen auszuzeichnen, sie hatten nicht Geld noch Gut, um den Menschen Vorteile zuzuwenden, und doch, wenn man die berühmtesten Namen auf Erden nennt, so werden diese beiden Gelehrten genannt. Beide sind schon lange tot, aber ihre Nachfolger werden immer mehr, und ihre Schüler werden immer zahlreicher und erfüllen den Erdkreis. Könige und Fürsten und große Männer folgen ihnen nach und zeichnen sie aus. Ihre geliebten Söhne und Brüder tun es ihnen gleich und lernen bei ihnen, und das geht so fort ohne Unterbrechung. Dsï Gung, Dsï Hia, Dsong Dsï lernten bei Kung Dsï. Tiän Dsï Fang lernte bei Dsï Gung. Duan Gan Mu lernte bei Dsï Hia. Wu Ki lernte bei Dsong Dsï. Kin Gu Li lernte bei Mo Dsï. Hü Fan lernte bei Kin Gu Li. Tiän Hi lernte bei Hü Fan. Die Leute aus den Schulen des Kung und Mo, die sich einen großen Namen auf Erden gemacht haben, sind so zahlreich, daß man sie gar nicht alle aufzählen kann. Das kommt alles davon, daß sie die richtigen Männer gefunden haben, um sich von ihnen beeinflussen zu lassen46.

Quelle:
Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We. Düsseldorf/Köln 1971, S. 21-24.
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