5. Kapitel
Erfolg und Ruhm / Gung Ming

[24] Wenn man den rechten Weg einschlägt, so läßt sich Erfolg und Ruhm garnicht vermeiden. Sie kommen so notwendig wie der Schatten dem Körper, wie das Echo der Stimme folgt. Ein guter Angler holt die Fische aus einer Tiefe von zehn Klaftern herauf, weil sein Köder anzieht. Ein guter Schütze holt die Vögel aus einer Höhe von hundert Klaftern herunter, weil sein Bogen stark ist. Ein guter Fürst bringt die Barbaren und Welschen47 dazu, daß sie ihre Sitten ändern und ihre Gewohnheiten aufgeben und sich ihm unterwerfen, weil seine Tugend mächtig ist.

Ist das Wasser tief, so wenden Fische und Schildkröten sich ihm zu. Sind die Wälder dicht, so wenden die Vögel der Luft sich ihnen zu. Sind die Wiesen üppig, so wendet das Wild sich ihnen zu. Ist ein Menschenherrscher tüchtig, so wenden die Helden sich ihm zu. Darum trachtet ein weiser König nicht danach, daß die Leute sich ihm zuwenden, sondern er trachtet nach dem, warum sie sich ihm zuwenden.

Wenn man einen zum Lachen zwingt, so ist er darum doch nicht fröhlich. Wenn man einen zum Weinen zwingt, so ist er darum doch nicht traurig. So kann einer, der nur gezwungen auf dem rechten Pfade geht, auch nur Kleines vollbringen und nichts Großes. Der Essig im Faß muß gelb und sauer sein, damit die Essigälchen sich darinnen sammeln; ist's bloßes Wasser, so geht es sicher nicht. Wenn man durch eine Katze Mäuse anlocken wollte oder durch Eis Fliegen anlocken wollte, so mag man sich noch so viel Mühe geben, es wird doch nicht gelingen. Wollte man mit faulen Fischen Fliegen vertreiben, so würden die Fliegen nur um so mehr herankommen, ohne daß man's hindern kann. Das macht, weil man sie nicht durch ein Lockmittel vertreiben kann. Wenn Tyrannen wie Giä und Dschou Sin die Leute durch Abschreckungsmittel anziehen wollten, so mögen sie die Bußen, die Strafen noch so streng gemacht haben, was hilft's! Wenn die große Kälte da ist, so schätzen die Leute die Wärme. Brütet die große Hitze am Himmel, so laufen die Leute der Kühlung nach. So kennen die Leute keine Beständigkeit.[25] Sehen sie ihren Vorteil, so sammeln sie sich, verschwindet er, so gehen sie weg.

Wer ein Weltherrscher sein will, der darf nicht unbeachtet lassen, wonach die Leute laufen. Heutzutage nun herrscht wohl große Kälte und Hitze, aber die Leute laufen nirgends hin; denn wo sie sich auch hinwenden, sie treffen überall das Gleiche.

Wer die Welt beherrschen will, der muß unter allen Umständen den Leuten etwas anderes zeigen. Wer in seinen Handlungen sich nicht abhebt von der allgemeinen Verwirrung, der mag vielleicht wirklichen Vorteil bringen, die Leute laufen ihm doch nicht zu. Weil die Leute heute niemand mehr zulaufen, darum ist es mit dem Großkönigtum vorbei. Das ist ein Glück für die grausamen Landesherren, aber das Volk gerät dadurch in Verzweiflung. Darum wenn es heutzutage einen guten Herrn gibt, so darf er es nicht versäumen, darauf zu achten; wenn es einen würdigen Fürsten gibt, so darf er es nicht versäumen, danach zu handeln. Güte und Schlechtigkeit muß man klar auseinander halten, wie die zugemessene Lebenszeit sich nicht verändern läßt, wie ein guter und schlechter Name sich nicht vertauschen läßt. Tyrannen wie Giä und Dschou Sin saßen auf dem höchsten Thron, und die ganze Welt gehörte ihnen. Sie hatten die Macht, das ganze Volk auf Erden zu vernichten, und doch erlangten sie es nicht, daß sie einen guten Namen hinterließen. Ihre treuen Diener Guan Lung Pong und der Königssohn Bi Gan mochten die grausamsten Todesarten auf sich nehmen, um den Fehlern ihrer Herrscher entgegenzutreten, und doch vermochten sie es nicht, ihnen einen guten Namen zu verschaffen. Der Ruhm ist etwas, das man keinem andern mitteilen kann. Jeder muß selbst entsprechend handeln.

Fußnoten

1 Kui (Szepter) enthält 21 Sterne der Sternbilder Andromeda und Fische. Hu (Bogensehne) enthält Sterne des Großen Hundes und des Schiffs Argo. Er steht nicht in den 28 Mondhauskonstellationen, wird als südlich des Gui (Teufel, Krebs) angegeben. Giän Sing (Festigen) ist ebenfalls unter den 28 Mondhäusern nicht genannt, er wird als oberhalb des Scheffels befindlich angegeben. (Kopf des Schützen.)

Die Tonart Gia Dschung (Doppelglocke) ist eine weibliche Tonart. Vgl. auch Buch I, Anm. 5.


2 Die Sage geht, daß der Habicht in diesem Monat einen geraden Schnabel bekommt und keine Vögel mehr tötet. Im Herbst im achten Monat verwandelt sich die Turteltaube wieder in den Habicht (vgl. Li Gi, Wang Dschï III, 2). Es wird damit symbolisch der Wechsel der Yin- und Yangkraft ausgedrückt.


3 Vgl. Buch I, Anm. 10.


4 Auf dem Erdaltar wird dem Gott der Erde Hou Tu geopfert und um eine reichliche Ernte gebeten.


5 Um die leichteren Verbrecher frei zu lassen.


6 Die dunkle Schwalbe kommt um die Zeit des Frühlingsäquinoctiums und geht um die Zeit des Herbstäquinoctiums. Die dunkle Schwalbe ist der Totenvogel des Ki, des Ahns der Schangdynastie.


7 Gau Me, der Gott der Ehen, wird auf dem Anger als anwesend gedacht. Das Frühjahr ist die Zeit der Eheschließungen. Ehevermittlung war gesetzlich zur Eheschließung erforderlich. Hier tritt die Gottheit für den menschlichen Vermittler ein. Vgl. Anm. 9. In Dschou Li ist noch ein merkwürdiger Frühlingsbrauch erwähnt, daß an dem Opfertag für Gau Me Jünglinge und Mädchen vor der Stadt zusammenkommen konnten, ohne daß es verhindert wurde. Es liegen hier Spuren eines alten Vegetationsfestes vor, zur Beförderung des Erntewachstums und der Nachkommenschaft.


8 Der Harem des Großkönigs bestand aus einer Königin, drei Frauen zweiter Ordnung, neun Frauen dritter Ordnung, 27 Frauen vierter Ordnung usw.


9 Dadurch sollte die Hoffnung auf männliche Nachkommenschaft symbolisiert werden.


10 Nämlich kriegerische Unternehmungen.


11 Zum Zweck des Fischfangs und der Jagd, damit keine unausgewachsenen Tiere getötet werden.


12 Das Eis wird zusammen mit Lauch und Eiern geopfert.


13 Dies ist jeweils der vierte Tag einer Dekade, deren der Monat drei hat.


14 Textänderung nach Dschu Dsï Ping I 22, 4.


15 Vgl. Dschuang Dsï Abschnitt Yang Wang.


16 Vgl. Huai Nan Dsï, wo die Geschichte jedoch von einem anderen Herrscher erzählt wird.


17 Lies Tsu statt Lu cfr. Dschu Dsï Ping I 22.


18 Jenes und dieses sind im Taoismus technische Ausdrücke für Objekt und Subjekt.


19 Der Kommentar Gau nennt als die sechs Neigungen: Leben, Sterben, Ohr, Auge, Mund, Nase. Da man Leben und Sterben nicht als Neigungen bezeichen kann, so muß eine andere Deutung gesucht werden, vermutlich sind die sechs buddhistischen Ayatana damit gemeint, nämlich: Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack, Gefühl, Verstand. In diesem Fall wäre die sechs wohl eine spätere Korrektur der zu Beginn des Abschnitts genannten vier.


20 Pong Dsu, der Großvater Pong, ist der Sage nach ein tüchtiger Beamter der Yindynastie, der 700 Jahre gelebt hat, vgl. Lun Yü XII, 1.


21 Es scheint im Text hier etwas zu fehlen. Dschu Dsï Ping I schlägt vor die Worte von »aber während er nach außen hin ... ankommt« von oben hierher zu verlegen.


22 Anmerkung des Gau Yu: Schun ist der Nachkomme fünften Gliedes von Dschuan Hü, der Sohn des Gu Sou. Sein persönlicher Name war Tschung Hua.

Hü Yu war aus Yang Tschong. Yau wollte ihn anstellen, aber er kam nicht (vgl. Dschuang Dsï, Buch XXIV, 2).

Bo Yang soll einer Sage nach Lau Dsï in einer früheren Reïncarnation gewesen sein, den Schun zum Lehrer nahm.


23 Yü ist ein Nachkomme sechsten Grades von Dschuan Hü, der Sohn des Gun. Sein persönlicher Name war Wen Ming.

Gau Yau ist sein berühmter Minister, vgl. Schu Ging Teil II, Buch 3. Bo I soll der Sohn des Gau Yau gewesen sein, doch wird dieser Sohn im Chinesischen anders geschrieben. Nach andern ist dieser Bo I der dritte Sohn des Gau Yang, mit dem persönlichen Namen Hui Kai, gewesen.


24 Tang war der Nachkomme zwölften Grades von Hiä, der Sohn des Dschu Gui. Sein persönlicher Name war Tiän I. I Yin ist sein berühmter Minister, vgl. Mong Dsï an verschiedenen Orten, Schu Ging und Schï Ging Teil IV, Buch 4. Dschung Hui soll ebenfalls ein Minister Tangs gewesen sein, über den aber in den Klassikern nichts Näheres enthalten ist.


25 König Wu ist der Sohn des Königs Wen aus der Dschoudynastie mit dem persönlichen Namen Fa Tai Gung Wang, wörtlich die Hoffnung des Großvaters. Er war ein Eremit, der dem König Wu half, den Dschou Sin zu besiegen. Er wurde von dem König Tschong mit dem Staate Tsi belehnt.

Der Herzog von Dschou, mit dem persönlichen Namen Dan, ist der jüngere Bruder des Königs Wu, der für dessen unmündigen Sohn, den König Tschong, die Regierung führte. Er wurde mit dem Staate Lu belehnt.


26 Giä war der Sohn des Gui, des letzten Königs der Hiadynastie. Gan Sin und Ki Dschung Jung waren böse Minister unter ihm. Ki Dschung Jung wird bei Mo Dsï und anderen auch häufig Tui Tschï genannt.


27 Giä war der Sohn des Gui, des letzten Königs der Hiadynastie. Gan Sin und Ki Dschung Jung waren böse Minister unter ihm. Ki Dschung Jung wird bei Mo Dsï und anderen auch häufig Tui Tschï genannt.


28 Dschou, der Sohn des Kaisers I, war der letzte Herrscher aus dem Hause Yin. Sein persönlicher Name war Sin (bzw. Schou oder Schou De). Der Fürst von Tschung hieß Hu mit Namen. O Lai stammte aus dem Geschlechte Ying. Er war der Sohn des Fe Liän. Beides waren schmeichlerische Beamte des Dschou Sin.


29 Er war der Sohn des Königs I. Die beiden genannten Minister waren auf Privatgewinn aus und vernachlässigten das öffentliche Wohl. Infolgedessen kam die Dschoudynastie unter ihm sehr zu Schaden.


30 Der Enkel des obengenannten Königs Li, der nach der besseren Regierung des Königs Hüan auf den Thron kam und in elfjähriger Regierung das Reich wieder herunterbrachte. Die beiden genannten Minister, deren Namen übrigens verschieden geschrieben werden, zeichneten sich durch Schmeichelei und Zungenfertigkeit aus. Auch dieser König starb im Aufruhr wie der König Li.


31 Der erste der fünf Hegemonen. Guan Dschung und Bau Schu waren seine Minister.


32 Der Nachfolger des Herzogs Huan von Tsi in der Hegemonie des Reiches. Die Genannten sind seine beiden Minister. Hi Yän wird übrigens auch Gau Yän oder Go Yän geschrieben.


33 Der König Dschuang von Ging war ebenfalls einer der Hegemonen. Sun Schu Au ist im letzten Stück schon erwähnt. Schen Ying Dschong oder Schen Dschu Liang ist der in Lun Yü Kap. VII, 18 und XIV, 16. 18 erwähnte Schä Gung, ein Zeitgenosse des Konfuzius.


34 Der König Ho Lü von Wu war einer der mächtigsten Fürsten des damaligen südlichen China. Wu Yün oder Wu Dsï Sü und Wen Dschï I oder Wen I waren seine Minister.


35 Gou Dsiän gelang es, nachdem er anfänglich von König Fu Tschai von Wu besiegt worden war, den Staat Wu zu zerstören und die Vormacht im Süden an sich zu reißen.


36 Die hier gegebene Aufzählung der fünf Hegemonen weicht von der gewöhnlichen ab. Diese rechnet als ersten Hüan von Tsi (643), als zweiten Wen von Tsin (628), als dritten Siang von Sung (637), als vierten Dschuang von Tschu, identisch mit Dschuang von Ging im Text (591), als fünften Mu von Tsin (621).


37 Fan Gi I, der Sohn des Fang Yang Dsï, bekannt unter dem Namen Dschau Dsï, war das Haupt eines mächtigen Geschlechts. Dschang Liu So und Wang Schong waren seine beiden Hausräte.


38 Das Geschlecht Dschung Hang war das zweite der mächtigen Geschlechter im Staate Dsin. Die beiden Genannten sind seine Hausräte. Der Text ist auf Grund von Mo Dsï korrigiert.


39 Fu Tschai war der Sohn des siegreichen Königs Ho Lü, siehe oben. Er unterlag dem Staate Yüo und beging Selbstmord.


40 Yau von Dschï ist das Haupt einer der großen Familien von Dsin. Er wurde von Dschau Siang Dsï getötet.


41 Schang von Dschung Schan war Nachkomme des Prinzen Me aus We, er wurde mit Dschung Schan belehnt, das der Staat We erobert hatte, We I und Yän Tschang waren seine Hausräte.


42 Statt Tiän Bu Yin steht bei Mo Dsï: Yu Bu Li. Der König war wegen seiner wahnsinnigen Grausamkeit, durch die er sein Reich zugrunde richtete, bekannt.


43 Im Text steht Kaiser und Könige. Da aber diese schon oben genannt sind, während im folgenden Gelehrte genannt werden, so ist diese Lesart, die bei Mo Dsï erhalten ist, vorzuziehen.


44 Er hatte nämlich die Absicht, die Opfer für die Ahnen der Dschou-Dynastie, die kaiserliches Vorrecht waren, auch in Lu einzuführen, mit der Begründung, daß das Herrscherhaus in Lu auch vom Hause Dschou abstamme.


45 Nämlich Kung Dsï und Mo Dsï.


46 Diese Aufzählung ist einerseits deshalb interessant, weil sie zeigt, daß Kung Dsï und Mo Dsï lange Zeit noch als gleich berühmt galten. Andererseits gewinnen wir einen Einblick in die Entwicklung der beiden Gelehrtenschulen bis auf die Zeiten von Mong Dsï und Dschuang Dsï herab. In dem parallelen Kapitel von Mo Dsï werden als Beispiele nur Duan Gan Mu und Kin Dsï (Kin Gu Li) genannt, denen als Gegenbeispiel Dsï Sï, I Ya und Schu Diau gegenübergestellt werden.


47 Fan Schä, wörtlich: Mensch mit umgedrehter Zunge, d.h. unverständlich redende. Der Kommentar hat daraus ein Volk gemacht, das im Süden wohnt, und dessen Zungenwurzel vorne im Mund angewachsen sei, während die Zunge nach hinten geht.

Quelle:
Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We. Düsseldorf/Köln 1971, S. 24-26.
Lizenz:

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