1. Kapitel
Der letzte Frühlingsmonat / Gi Tschun

[27] Im letzten Frühlingsmonat steht die Sonne im Zeichen We1. Zur Zeit der Abenddämmerung kulminiert das Siebengestirn (Tsi Sing). Zur Zeit der Morgendämmerung kulminiert der Kuhhirt (Kiän Niu). Seine Tage sind Gia und I. Sein göttlicher Herrscher ist Tai Hau (der große Leuchtende). Sein Schutzgeist ist Gou Mang (der Säer). Seine Tiere sind die Schuppentiere. Seine Note ist Güo. Seine Tonart ist Gu Siän. Seine Zahl ist acht. Sein Geschmack ist sauer. Sein Geruch ist muffig. Man opfert den Türgeistern. Unter den Opfergaben steht die Milz voran.

Nun beginnt der Wutung-Baum2 zu blühen. Der Hamster wird zur Wachtel, der Regenbogen beginnt zu erscheinen. Die Wasserpflanzen beginnen zu wachsen.

Der Himmelssohn weilt in der Tsing Yang Halle im rechten Raum3. Er fährt im Fasanenwagen, an dem große blauschwarze Drachenpferde angespannt sind. Es werden grüne Flaggen aufgesteckt, man kleidet sich in grüne Kleider und trägt grünen Nephrit. Man ißt Weizen und Schaffleisch. Die Opfergefäße sind durchbrochen, um die Luft durchziehen zu lassen.

In diesem Monat bringt der Himmelssohn gelbgrüne Kleider als Opfer für die früheren Herrscher dar4.

Es geht der Befehl an den Aufseher der Boote, die Boote umzukehren5. Nachdem er sie fünfmal umgekehrt und fünfmal wieder aufgerichtet hat, berichtet er, daß die Boote für den Himmelssohn zum Gebrauch bereit stehen. Der Himmelssohn besteigt nun zuerst wieder ein Schiff und bringt einen Stör in den hinteren Gemächern des Ahnentempels zum Opfer dar und fleht um Fruchtbarkeit für die Weizenernte. In diesem Monat regt sich die Lebenskraft aufs stärkste, die Kraft des Lichten steigt empor und dehnt sich aus. Alles Wachsende kommt hervor. Die Keime kommen alle ans Licht. Es geziemt sich nicht zu dieser Zeit Steuern einzutreiben.[27]

Der Himmelssohn verbreitet den Einfluß seiner Tugend und übt Gnade aus. Er befiehlt den Beamten die Scheunen und Keller zu öffnen, um den Armen und Bedürftigen in ihrer Notdurft und ihrem Mangel zu helfen. Es werden die Schatzkammern geöffnet und Seidenstoffe hervorgeholt, die an die Fürsten im ganzen Reich zur Aufmunterung gesandt werden. Er er kundigt sich nach berühmten Gelehrten und ehrt die Würdigen.

In diesem Monat ergeht der Befehl an den Aufseher der öffentlichen Arbeiten: nun wird bald der Frühregen fallen, die Wasser, die jetzt Tiefstand haben, werden steigen; die Städte und Märkte sind zu besuchen, und die Ebenen und Anger sind zu besichtigen. Die Dämme sind in Stand zu setzen, die Kanäle sind zu trainieren6, die Wege sind zu öffnen und zu verbinden, damit alle Hindernisse und Stockungen des Verkehrs beseitigt werden.

Netze und Fadenpfeile zum Jagen sowie Hasennetze, Vogelnetze und andere Netze, sowie Gifte um Säugetiere zu vergiften, dürfen nicht die neun Tore verlassen7.

In diesem Monat ergeht der Befehl an die Förster, die Maulbeerbäume nicht zu fällen. Die Felsentaube regt ihre Flügel, und der Wiedehopf läßt sich auf die Maulbeerbäume herab. Man setzt die Matten und Körbe für die Seidenzucht in Bereitschaft. Die Kaiserin begibt sich, nachdem sie gefastet, selbst nach Osten um Maulbeerblätter zu pflücken. Es wird den Frauen verboten müßig zu sein. Die übrigen Arbeiten der Frauen werden vermindert, sie werden zur Seidenzucht angehalten. Sind die Seidenraupen verpuppt, so werden die Cocons verteilt, die Seide gewoben und so die geleistete Arbeit verglichen8, damit seidene Gewänder für die Opfer auf dem Anger und dem Ahnentempel bereit stehen. Keine der kaiserlichen Frauen darf es wagen träge zu sein.

In diesem Monat erhält der Meister der Handwerker den Auftrag die verschiedenen Handwerker anzuweisen, den Inhalt der fünf Vorratshäuser zu prüfen: die Metalle, Felle, Häute und Sehnen, Horn und Elfenbein, Federn und Pfeilstangen, Talg, Leim, Zinnober und Firnis, damit nicht etwa eines dieser Materialien sich in schlechtem Zustand befinde. Darauf gehen die Handwerker alle an die[28] Arbeit, und die Aufseher geben tägliche Anweisung, daß nichts verfertigt wird, was nicht zeitgemäß ist, und daß keiner etwas macht, das zu kostbar und zu üppig ist und so das Herz des Herrschers verwirren könnte.

Ende dieses Monats wählt man einen glücklichen Tag aus und veranstaltet eine große Musikaufführung. Der Himmelssohn begibt sich an der Spitze der drei höchsten Würdenträger, der neun hohen Räte, der Fürsten und Räte persönlich hin, um zuzuschauen. In diesem Monate paart man die Stiere und Hengste mit den Kühen und Stuten auf den Weideplätzen. Die Füllen und Kälber, die für Opferzwecke bestimmt sind, werden gezählt und aufgeschrieben.

Die Leute der Hauptstadt veranstalten Umzüge zum Geisterbannen. Vor den neun Toren der Hauptstadt werden Opfertiere verteilt zur Beschwörung, um die Frühlingsluft vollkommen zu machen9.

Führt man diese Ordnungen durch, so fällt in allen drei Dekaden fruchtbarer Regen. Wenn im letzten Frühlingsmonat die für den Winter gültigen Ordnungen befolgt würden, so würde dauernd Kälte herrschen. Gräser und Bäume würden welken, und im Lande würde eine große Furcht sein. Wenn die für den Sommer gültigen Ordnungen befolgt würden, so würden die Menschen viel unter Krankheiten zu leiden haben. Der zeitgemäße Regen würde nicht fallen, und auf Bergen und Hügeln würde es keine Ernte geben. Wenn die für den Herbst gültigen Ordnungen befolgt würden, so würde der Himmel immer bewölkt und verfinstert sein; strömende Regen würden frühe fallen, und Wehr und Waffen würden sich erheben.

Quelle:
Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We. Düsseldorf/Köln 1971, S. 27-29.
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