3. Kapitel
Die rechte Auswahl / Giän Süan

[97] Es gibt ein Wort auf Erden, wenn man die Marktleute zum Kampf treibe, so könne man mit ihnen anderer Herrscher reichbesoldete Berufsheere besiegen, mit alten, schwachen und ermüdeten Bürgern vermöge man anderer Herrscher auserlesene und geübte Heere zu besiegen, mit Hämmern, Sensen und bloßen Prügeln vermöge man anderer Herrscher lange Lanzen und scharfe Waffen zu besiegen. Das sind Reden von Leuten, die nichts vom Militär verstehen. Allerdings, wenn ich ein scharfes Schwert habe, aber beim Stechen nicht treffe und beim Schlagen in die Luft haue, so ist es so wenig nütze wie ein schlechtes Schwert. Aber wenn man deswegen sagen wollte, man müsse sich beim Kampf schlechter Schwerter bedienen, so geht das nicht an. Allerdings sind die auserlesensten und besten Truppen mit den schärfsten Waffen, wenn man sie zur unrechten Zeit und am falschen Ort verwendet, so wenig nütze wie schlechte Soldaten. Aber wenn man deshalb sagen wollte, daß man sich beim Kriege schlechter Soldaten bedienen sollte, so geht das nicht an. Selbst so tapfere Helden wie der Prinz King Gi und Tschen Niän9 wünschten sich doch noch die Schärfe ihrer Waffen. Auserwählte, tüchtige Soldaten mit scharfen Waffen, die man von einem tüchtigen Führer führen ließ, halfen im Altertum manchem zur Königsherrschaft und manchem wenigstens zur Vorherrschaft im Reich. Die Könige Tang und Wu, die Fürsten Huan von Tsi, Wen[97] von Dsin, Ho Lü von Wu sind Beispiele dafür. Tang von Yin hatte siebzig der besten Kriegswagen und sechstausend Krieger, die sich dem Tode geweiht. Damit kämpfte er am Tage Wu Dsï in Tschong und nahm viele Gefangene und trieb die Feinde zurück unter großem Jubel. Er stieg von Ming Tiau empor zu den Toren von Tschau und bemächtigte sich der Herrschaft von Hia. Nachdem Giä entflohen war, übte Tang große Barmherzigkeit aus Mitleid mit dem Volk und tat das Gegenteil von dem, was Giä getan hatte. Darüber freuten sich alle guten und willigen Bürger und von nah und fern fielen sie ihm zu. So erlangte er das Königtum über die Welt.

Der König Wu hatte dreitausend Mann, die sich rennende Tiger nannten und dreihundert auserwählte Kriegswagen, mit denen er am Tage Giä Dsï auf dem Felde Mu Yä kämpfte und den Dschou Sin gefangen nahm. Er zeichnete die Würdigen in ihrer Stellung aus, beförderte die alten und erfahrenen Männer, die von der Yin-Dynastie zurückgeblieben waren. Er fragte nach den Wünschen des Volkes; mit seinen Belohnungen machte er nicht einmal bei den Tieren halt. Mit seinen Strafen verschonte er selbst die Person des Himmelssohnes nicht. Er liebte die Leute von Yin wie die seines Stammlandes Dschou. Er betrachtete andere Menschen wie sich selbst. So rühmte man auf Erden seine Tugend und alles Volk pries seine Gerechtigkeit und Wu, der König, wurde Himmelssohn.

Der Herzog Huan von Tsi hatte dreihundert vorzügliche Kriegswagen und zehntausend geübte Krieger zu Soldaten. Damit durchzog er alles Land kreuz und quer, und niemand auf Erden war, der ihm widerstehen konnte. Im Süden kam er bis Schï Siang, im Westen bis Fong Guo, im Norden bis Ling Dschï. Als der Staat Dschung-Schan den Staat Hing zugrunde gerichtet und die Barbaren den Staat We vernichtet hatten, da begründete der Herzog von Huan Hing aufs Neue in Yi I und begründete We aufs Neue in Tschu Kiu.

Der Herzog Wen von Dsin erbaute fünf Kriegswagen mit fünffacher Besatzung10. Außerdem hatte er tausend Mann scharf bewaffneter Fußgänger, die die Vorhut bildeten bei seinen Kämpfen.[98] Von den Fürsten konnte ihm keiner Schwierigkeiten bereiten und es gelang ihm, die Mauern von Dschong niederzureißen und zu bewirken, daß die Leute von We ihre Gräben alle in östlicher Richtung11 zogen und er ehrte den Himmelssohn in Hong Yung.

Ho Lü von Wu wählte an besonders starken Kriegern fünfhundert Mann aus und an besonders schnellfüßigen dreitausend Mann, die er als Vorhut verwendete. Fünfmal kämpfte er mit Tschu und siegte fünfmal. Darauf nahm er dessen Hauptstadt Ying ein. Nach Osten dehnte er seine Kriegszüge aus bis Ku Lu, nach Westen bis Ba Schu, im Norden bedrängte er Tsi und Dsin und seine Gebote galten im ganzen Reich der Mitte.

Darum muß man in Anbetracht der Verteidigungsstellen darauf aus sein, daß sie vorteilhaft gewählt sind. Was die Bewaffnung der Soldaten anlangt, so muß man darauf aus sein, daß sie tüchtig ist. Was die Bevölkerung, die einem untersteht, anlangt, muß man darauf aus sein, daß sie wohlgeübt sei. Diese vier Dinge sind ein mächtiges Hilfsmittel in einem geordneten Krieg und kommen den Zeitverhältnissen entgegen. Man darf sie nicht für zu gering halten, um darüber besonders zu reden. Das ist ein wichtiger Gesichtspunkt für die Erlangung des Sieges12.

Quelle:
Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We. Düsseldorf/Köln 1971, S. 97-99.
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