7. Kapitel
Beseitigung der Verblendung / Kü Yu

[256] Ein Anhänger des Mo Di22 aus der Ostgegend namens Siä Dsï reiste nach Westen, um den König Hui von Tsin zu besuchen. Der König Hui fragte einen Anhänger des Mo Di aus Tsin namens Tang Gu Go nach ihm. Tang Gu Go befürchtete, daß der König den Siä Dsï ihm vorziehen könnte. So erwiderte er: »Der Siä Dsï ist ein Sophist aus dem Osten. Er ist ein gefährlicher Mensch, der eifrig darauf aus ist, für seine Ratschläge einen jungen Herrscher zu interessieren.« Darum erwartete der König ihn mit heimlichem Grimm.

Als Siä Dsï ankam, legte er dem König seine Ratschläge vor. Aber der König hörte nicht darauf, deshalb wurde Siä Dsï unwillig, verabschiedete sich und ging.

Wer Worte anhört, tut es doch stets, um etwas Gutes zu bekommen. Waren aber die Worte wirklich gut, was schadete es dann, ob jener eifrig darauf aus war, junge Herrscher zu interessieren? War aber das, was jener sagte, nicht gut, was hätte es dann genützt, selbst wenn er nicht die Absicht gehabt hätte, junge Herrscher zu interessieren? Indem der König Hui die Worte des Siä Dsï nicht um ihrer Güte willen für wahr hielt, sondern nur weil er dachte, daß jener die Absicht habe einen jungen Herrscher zu gewinnen, für verkehrt hielt, hat er einen großen Fehler in Beziehung auf die rechte Art zu hören gemacht.[256]

Wer so gesinnt ist, der kann sich so viele Mühe geben, wie er will im Empfangen von Fremden, er mag Auge und Ohr noch so sehr ermüden, er erreicht doch nicht, was er meint. Das war der Grund, warum der Geschichtschreiber Ding sein verkehrtes Wesen treiben konnte. Diesem Geschichtschreiber Ding gelang es nämlich mit Hilfe spiritistischer Umtriebe andere zu beschuldigen und ohne Schuld töten zu lassen, worüber die ganze Beamtenschaft in Aufregung geriet und der Staat beinahe zugrunde gegangen wäre. Wenn die Menschen alt werden, so pflegt ihr Leib zu zerfallen, während ihre Weisheit immer mehr zunimmt. Dagegen der König Hui verfiel im Alter sowohl leiblich als geistig.

Der König We von Tschu lernte die Urkunden bei Schen Yin Hua. Das mißfiel dem Dschau Li.

Der König We liebte den Sport. Ein Beamter half ihm beim Sport, der sagte im Auftrag des Dschau Li zum König: »Die Leute im Volk behaupten alle, Ihr seiet der Schüler des Schen Yin Hua.«

Der König war mißvergnügt und war daher dem Schen Yin Hua gegenüber unfreundlich.

Jener Beamte war ein verschlagener Mensch. Mit einem Wort brachte er es dahin, daß der König We nicht auf die Lehren der verewigten Könige hörte und Staatsmänner von großer Bildung nicht ankamen, während Dschau Li seine Selbstsucht ausüben konnte. Darum muß man sorgfältig auf die Reden von verschlagenen Leuten achten. Ferner macht ein Herrscher, der oft böse wird, den Falschen die Bahn frei. Wenn den Falschen die Bahn frei gemacht ist, dann ist es schwierig, die Schlechten abzuhalten und zu beseitigen23. Wenn man einen Pfeil in Bewegung setzt, so fliegt er weit, wenn man Wasser in Bewegung setzt, so trocknet es. Wenn man einen Herrscher in Bewegung setzt, so macht er Verkehrtheiten. Wer aber Verkehrtes treibt, ist kein Edler. Nur wer feste Grundsätze hat, ist sicher davor, daß er nicht in Bewegung gesetzt werden kann.

Es lebte einst ein alter Mann24 mit einem andern Mann als Nachbar zusammen. Der Nachbar hatte einen dürren Wutungbaum. Da sprach der alte Mann davon, daß dieser Wutungbaum zu nichts[257] zu brauchen sei. Darauf hieb ihn der Nachbar ab. Da erbat ihn sich der alte Mann als Brennholz. Der Nachbar aber wurde unwillig und sprach: »Wenn die Nachbarn so hinterlistig sind, wer kann da noch ihr Nachbar sein?« Dieser Mann war verblendet. Denn ob jener den Baum sich als Brennholz ausbat oder nicht, hatte doch keinerlei Einfluß darauf, ob der dürre Wutungbaum gut war oder nicht.

Ein Mann aus Tsi25 war gierig nach Gold. Am frühen Morgen kleidete er sich an, setzte seine Mütze auf und ging an einen Ort, wo Gold verkauft wurde. Angesichts der Leute raffte er Gold an sich und wollte es wegtragen. Der Büttel verhaftete ihn und band ihn. Dann fragte er ihn: »Es standen doch so viele Leute umher, wie konntet Ihr da andrer Leute Gold wegnehmen?«

Er sprach zum Büttel: »Ich sah durchaus nicht die Menschen, ich sah nur das Gold.« Das ist wirklich ein Beispiel großer Verblendung.

Wenn die Menschen durch irgend etwas verblendet sind, so nehmen sie tatsächlich den Tag für die Nacht, weiß für schwarz und Yau für Giä.

Auch ist der Schaden der Verblendung sehr groß. Die Fürsten von Staaten, die dem Untergang verfallen sind, sind stets verblendet. Darum muß man sich erst von seinen Verblendungen trennen, ehe man weise wird. Wer sich von seinen Verblendungen trennen kann, der vermag seine ursprüngliche Bestimmung zu erfüllen.

Quelle:
Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We. Düsseldorf/Köln 1971, S. 256-258.
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