2. Kapitel
Betonung des Grossen / Wu Da

[449] Wenn man die alten Urkunden durchliest, so findet man, daß die Gehilfen der drei großen Könige sowohl alle berühmte Namen hatten als auch den Tatsachen nach in Sicherheit waren.[449] Der Grund war, daß sie große Werke vollbrachten. Die Gehilfen der gemeinen Herrscher hatten in Beziehung auf Namen und Tatsachen dieselben Wünsche wie die Gehilfen der drei Könige, aber alle kamen sie in üblen Ruf und ihre Taten brachten sie in Gefahr, weil sie keine großen Werke vollbrachten. Sie alle waren nur darum bekümmert, daß sie selbst die höchste Stellung im Staat einnehmen, aber nicht darum, daß ihr Fürst die höchste Stellung auf Erden einnehme. Das war der Grund, daß sie, während sie Ruhm begehrten, nur Schmach fanden, während sie Sicherheit begehrten, nur desto mehr in Gefahr gerieten.

Meister Kung sprach: »Die Schwalben und Sperlinge suchen um die Wette ein gutes Plätzchen unter dem Dach eines einzigen Hauses aus, Mutter und Kinder füttern einander, und es ist ein Vergnügen und eine Freude. Sie denken, sie seien in Sicherheit Da fliegt vom Schornstein ein Funken empor, und der Dachbalken gerät in Brand. Die Schwalben und Sperlinge sind immer noch gleich fröhlich; warum? Weil sie nicht wissen, daß das Unglück auch über sie kommen wird. Ist das nicht töricht? Es gibt aber wenige Beamte, die klüger sind als Schwalben und Spatzen. Die Beamten werden immer reicher und vornehmer. Ihre Familie bildet eine mächtige Partei im Staate. Es ist ein Vergnügen und eine Freude. Während so die Sicherheit des Staates immer mehr gefährdet wird, ist es wie mit dem Schornstein. Und doch merken sie bis zuletzt nichts. Sie sind nicht klüger als Schwalben und Sperlinge. Wenn die ganze Welt in Unordnung ist, gibt es keinen Staat, der im Frieden leben könnte. Wenn ein ganzer Staat in Unordnung ist, gibt es keine Familie, die in Frieden leben könnte. Wenn die ganze Familie in Unordnung ist, so kann kein einzelner in ihr in Frieden leben. Das ist die Lehre davon. Darum: die Sicherheit des Kleinen beruht auf der Sicherheit des Großen, die Sicherheit des Großen beruht auf der Sicherheit des Kleinen. Kleine und Große, Vornehme und Geringe sind aufeinander angewiesen, damit alle ihre Freude genießen können.«

Bo I beriet den Thronfolger von We über die Lehren der Weltherrschaft. Der Thronfolger erwiderte ihm: »Ich habe eine Macht[450] von 1000 Kriegswagen und bin bereit, deine Belehrung zu empfangen.« Bo I erwiderte: »Wu Ho konnte 30000 Pfund heben, wie viel eher ein Pfund.«

Du Ho beriet den Fürsten Dschau Wen von Dschou über die Mittel, die Welt zum Frieden zu bringen. Fürst Dschau Wen sprach zu Du Ho: »Ich möchte erst die Mittel kennen lernen, um meinen Staat Dschou zum Frieden zu bringen.« Du Ho sprach: »Wenn meine Worte nicht ausführbar sind, so kann auch Dschou nicht in Frieden kommen. Wenn meine Worte ausführbar sind, so kommt Dschou von selbst in Frieden.«

Das ist eine Methode, zum Frieden zu kommen, ohne daß man darauf ausgeht.

Der Fürst von Dschong1 fragte den Be Dschan: »Ich höre, daß du es nicht für deine Pflicht haltest, für deinen Fürsten zu sterben oder für ihn in die Verbannung zu gehen. Ist das wahr?« Be Dschan antwortete: »Ja. Wenn ein Fürst nicht auf meine Worte hört, so daß ich meine Grundsätze nicht durchführen kann, so diene ich einem solchen Fürsten nicht. Wenn aber einer auf meine Worte hört und meine Grundsätze befolgt, wie sollte es dann Tod oder Verbannung geben?«

Be Dschans Weigerung, für seinen Fürsten zu sterben oder in die Verbannung zu gehen, stand höher als das, daß andre für ihre Fürsten sterben und in die Verbannung gehen.

Einst wollte Schun die Gegenden außerhalb der Meere unterwerfen, doch gelang es ihm nicht, aber es reichte ihm immer noch, göttlicher Herrscher zu werden. Yü wollte göttlicher Herrscher werden, doch gelang es ihm nicht, aber es reichte ihm immer noch dazu, König zu werden innerhalb der vier Meere. Tang und Wu wollten es ihm gleichtun, doch es gelang ihnen nicht, aber es reichte ihnen immer noch, als Könige erfolgreich zu sein. Die fünf Hegemonen wollten es Tang und Wu nachtun, doch gelang es ihnen nicht, aber es reichte ihnen immer noch, die Führung der Fürsten in die Hand zu bekommen. Kung und Mo wollten die große Wahrheit auf Erden durchführen, doch gelang es ihnen nicht, aber es reichte ihnen immerhin, ihren Namen berühmt zu machen. Wenn[451] also die große Absicht nicht gelingt, so gelingt doch mindestens etwas. Darum muß man nach Großem trachten.

Quelle:
Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We. Düsseldorf/Köln 1971, S. 449-452.
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