Zweiter Theil

[173] 107. Bis hier habe ich mich auf eine ausführliche und deutliche Darstellung der ganzen hier in Frage stellenden Materie beschränkt, und wenn ich auch noch nicht von den Einwürfen des Herrn Bayle im besondern gesprochen habe, so habe ich doch gesucht, denselben zuvorzukommen und die Mittel für die Erledigung derselben zu bieten. Allein da ich unternommen habe, ihnen im einzelnen entgegenzutreten, weil vielleicht einzelne Punkte noch eine grössere Erläuterung bedürfen und überdem seine Einwürfe voll Geist und Gelehrsamkeit sind und diese Streitfragen in ein viel helleres Licht setzen können, so wird es gut sein, wenn ich die Haupteinwürfe zusammenstelle, welche sich in seinen Werken zerstreut vorfinden und daran meine Widerlegungen anknüpfe. Ich habe gleich im Beginn gesagt, »dass Gott bei dem moralischen und physischen Uebel mitwirkt und zwar bei dem einen und dem andern in moralischer und physischer Weise und dass auch der Mensch hierbei physisch und moralisch in einer freien und thätigen Weise mitwirkt, welche ihn tadelns- und[173] strafwürdig macht.« Ich habe auch gezeigt, dass jeder dieser Punkte seine Schwierigkeiten hat; die grösste liegt aber darin, dass Gott an dem moralischen Uebel in moralischer Weise mitwirkt, d.h. an der Sünde, ohne doch deren Urheber oder ein Mitschuldiger dabei zu sein.

108. Er thut es, indem er es gerechter Weise zulässt und indem er uns in seiner Weisheit zum Guten leitet, wie ich es in einer genügend verständlichen Weise dargelegt haben dürfte. Aber da gerade hier Herr Bayle es unternimmt, diejenigen zu Boden zu schlagen, welche behaupten, dass der Glaube nichts enthalte, was sich mit der Vernunft nicht vertrüge, so habe ich auch gerade hier zu zeigen, dass meine Sätze von einem Wall geschützt sind, und selbst von Gründen, welche dem stärksten Feuer seiner Batterien widerstehen können, um bei seinem Gleichniss stehen zu bleiben. Seine Angriffe gegen mich finden sich in Kap. 144 seiner Antwort auf die Fragen etc. (Theil III. S. 812), wo er die theologische Lehre in sieben Sätze zusammenfasst und ihr neunzehn philosophische Sätze entgegenstellt, gleich so vielen schweren Kanonen, um einen Riss in meinen Wall zu schiessen. Ich beginne mit den theologischen Sätzen.

109. I. »Gott,« sagt er, »das ewige, nothwendige, unendlich gute, heilige, weise und mächtige Wesen besitzt von aller Ewigkeit einen Ruhm und eine Seligkeit, welche niemals sich vermehren noch vermindern kann.« Dieser Satz des Herrn Bayle ist ebenso philosophisch, wie theologisch. Wenn man sagt, Gott besitze einen Ruhm, wenn er allein ist, so hängt dies von der Bedeutung dieses Wortes ab. Man kann mit Einigen sagen, dass der Ruhm in der Genugthung bestehe, welche sich aus der Kenntniss der eigenen Vollkommenheiten ergebe und in diesem Sinne besitzt Gott diesen Ruhm immer; besteht aber der Ruhm darin, dass die Andern davon Kenntniss erhalten, so kann man sagen, dass Gott diesen Ruhm nur erwirbt, wenn er sich vernünftigen Geschöpfen zu erkennen giebt, obgleich es richtig ist, dass Gott dadurch kein neues Gut erlangt, sondern dass vielmehr die vernünftigen Geschöpfe darin ein Gut[174] empfangen, wenn sie den Ruhm Gottes, so wie es sich gehört, erfassen.

110. II. »Er entschloss sich frei zur Erschaffung von Geschöpfen und er wählte unter einer unendlichen Zahl möglicher Wesen, die, welche ihm gefielen, um ihnen das Dasein zu geben und das Universum zu bilden, während er alle andern in ihrem Nichts beliess.« Auch dieser Satz stimmt ganz, wie der vorige, mit dem Theile der Philosophie, welchen man natürliche Theologie nennt. Man muss hier ein wenig die Worte hervorheben, dass Gott diejenigen möglichen Wesen auswählt, welche ihm gefielen. Denn wenn ich sage, dies gefällt mir, so ist das so viel, als wenn ich sage, ich finde dies gut. Daher ist es die ideale Güte des Gegenstandes, welche gefällt und welche ihn unter vielen andern wählen lässt, die nicht, oder doch weniger gefallen, d.h. die weniger von der Güte enthalten, welche mich bestimmt. Nun können Gott nur die wahren Güter gefallen und deshalb ist das, was Gott am meisten gefällt, auch das Beste.

111. III. »Da die menschliche Natur zu den Wesen gehörte, welche Gott erschaffen wollte, so schuf er einen Mann und eine Frau und gewährte ihnen neben anderer Gunst den freien Willen, so dass sie ihm gehorchen konnten; aber er bedrohte sie mit dem Tode, im Fall sie seinem ihnen gegebenen Befehle nicht gehorchten, nach welchem sie sich einer gewissen Frucht enthalten sollten.« Dieser Satz ist zum Theil offenbart und kann ohne Bedenken angenommen werden, im Fall der freie Wille richtig so aufgefasst wird, wie ich ihn erläutert habe.

112. IV. »Dennoch assen sie davon und wurden von da ab sie selbst und ihre ganze Nachkommenschaft zu dem Elend dieses Lebens, zum zeitlichen Tode und ewiger Verdammniss verurtheilt, auch einer solchen Neigung zur Sünde unterworfen, dass sie sich derselben beinah ohne Aufhören und Ende überlassen.« Man hat Grund zur Annahme, dass die verbotene Handlung durch sich selbst diese schlimmen Folgen in Gemässheit einer natürlichen Wirkung herbeiführte und dass deshalb und nicht blos rein willkürlich Gott es ihnen verboten hatte; ähnlich wie man den kleinen Kindern die Messer verbietet.[175] Der berühmte Fludd oder de Fluctibus, ein Engländer, schrieb einmal ein Buch, de Vita, Morte et Resurrectione (über Leben, Tod und Auferstehung) unter dem Namen R. Otreb, worin er behauptete, dass die Frucht des verbotenen Baumes ein Gift gewesen sei; doch kann ich in diese Einzelheiten nicht eingehen. Es genügt, dass Gott eine schädliche Sache verboten hat; man darf deshalb nicht annehmen, dass Gott hier einfach den Gesetzgeber gespielt habe, welcher ein rein positives Gesetz erlässt, oder einen Richter, welcher rein willkürlich eine Strafe auferlegt und vollzieht, ohne alle Verbindung zwischen dem Uebel der Schuld und dem Uebel der Strafe. Auch braucht man sich nicht vorzustellen, dass Gott deshalb in seinem gerechten Zorn ganz ausdrücklich durch eine ausserordentliche That und um zu strafen eine Verderbniss in die menschliche Seele und den menschlichen Körper gelegt habe, ohngefähr so, wie die Athener den Verurtheilten den Schierlingssaft trinken liessen. Herr Bayle fasst es aber so auf; er spricht, als wenn die ursprüngliche Verderbniss in die Seele des ersten Menschen durch einen Befehl und eine Thätigkeit Gottes gelegt worden. Deshalb macht er den Einwurf (Antwort auf die Fragen etc. Kap. 178, S. 1218, Thl. III.): »dass die Vernunft einen Monarchen nicht lieben werde, welcher Jemand sammt seinen Nachkommen als Züchtigung dahin verurtheilt, dass er immer zum Aufstand geneigt sein solle;« vielmehr trifft diese Züchtigung auf natürliche Weise die Schlechten, ohne Befehl eines Gesetzgebers und sie finden Geschmack am Bösen. Wenn die Trunkenbolde als eine natürliche in dem Körper vorgehende Folge Kinder erzeugten, die demselben Laster zuneigten, so würde dies eine Strafe ihrer Voreltern, aber keine gesetzlich verordnete Strafe sein. Etwas ähnlich verhält es sich mit den Folgen der Sünde des ersten Menschen, da die Betrachtung der göttlichen Weisheit uns glauben lässt, dass das Reich der Natur dem der Gnade dient und dass Gott als Baumeister alles so gemacht hat, wie es Gott, als Monarchen betrachtet, angemessen schien. Wir kennen weder die Natur der verbotenen Frucht, noch die Natur der That und ihrer Wirkungen genug, um über das Einzelne des Vorganges[176] urtheilen zu können; danach ist man es Gott schuldig, anzunehmen, dass sie etwas anderes, als was die Maler uns darstellen, enthalten hat.

113. V. »Es hat Gott in seiner grenzenlosen Barmherzigkeit gefallen, eine kleine Anzahl Menschen von dieser Verdammniss zu befreien. Indem er sie während dieses Lebens der Verderbniss der Sünde und dem Elend ausgesetzt liess, hat er ihnen doch eine Hülfe gewährt, durch welche sie die Seligkeit des Paradieses erlangen, welche nie enden wird.« Früher haben Mehrere bezweifelt, ob die Zahl der Verdammten so gross sei, als man gewöhnlich annimmt, wie ich schon früher bemerkt habe; sie haben anscheinend noch eine Art Mittelzustand zwischen der ewigen Verdammniss und vollkommenen Seligkeit angenommen. Indess bedarf es dessen nicht, es genügt, dass wir uns an die Ansicht der Kirche halten, wo dieser Satz des Herrn Bayle nach den Grundsätzen der hinreichenden Gnade verstanden wird, welche allen Menschen gewährt ist, sofern sie nur den guten Willen haben. Obgleich Herr Bayle selbst der entgegengesetzten Ansicht ist, hat er doch (wie er am Rande bemerkt) die Ausdrücke vermeiden wollen, welche nicht zu dem System passen, nach welchem die Beschlüsse Gottes seiner Voraussicht der zufälligen Ereignisse nachfolgen.

114. VI. »Gott hat von Ewigkeit alles was sich ereignen wird, vorausgesehen; er hat alle Dinge geregelt; jedes an seinen Platz gestellt; er leitet und regiert ohne Unterbrechung nach seinem Gefallen, so dass nichts ohne seine Erlaubniss, oder gegen seinen Willen geschieht und dass er alles, wie es ihm gefällt und so weit und so oft es ihm gefällt, verhindern kann, was ihm nicht gut erscheint, also auch die Sünde, die ihn von allem am meisten verletzt und die er am meisten verabscheut; auch kann er in jeder Seele alle Gedanken, die ihm gefallen, erzeugen.«

Dieser Satz ist noch rein philosophisch, d.h. durch das Licht der natürlichen Vernunft erkennbar. Auch ist es wohl absichtlich, dass während der Satz II. sich auf das »was Gott gefällt« stützt, der Satz hier auf das »was ihm gut scheint«, d.h. auf das gestützt wird, was Gott zu thun für gut findet. Er kann vermeiden[177] oder beseitigen wie ihm gut scheint, alles was ihm nicht gefällt; allein man muss bedenken, dass manche Gegenstände, von denen er sich abwendet, wie gewisse Uebel und vor allem die Sünde, welche sein vorgehender Wille abgewiesen hat, durch seinen nachfolgenden oder entscheidenden Willen nur so weit haben verworfen werden können, als es die Regel des Besten gestattet, welches der Weiseste, nachdem er alles in Rechnung genommen, zu wählen hatte. Wenn man sagt, dass die Sünde Gott am meisten beleidige und dass er sie am meisten verabscheue, so ist dies eine menschliche Art zu sprechen. Denn eigentlich kann Gott nicht beleidigt werden, d.h. verletzt, belästigt, beunruhigt oder erzürnt werden; dagegen verabscheut er das Bestehende nicht, vorausgesetzt, dass, etwas verabscheuen, bedeutet: eine Sache mit Widerwillen betrachten, oder in einer Weise, die uns anekelt, uns schmerzt, uns beängstigt; denn Gott kann weder Kummer, noch Schmerzen, noch Unbequemlichkeiten erleiden; vielmehr ist er stets vollkommen zufrieden und wohl auf. Indessen sind jene Ausdrücke in ihrem wahren Sinne wohl begründet. Die höchste Güte Gottes lässt seinen vorgehenden Willen jedes Uebel abweisen und das moralische am meisten; sie lässt es nur aus höheren, unüberwindlichen Gründen und mit solchen Verbesserungen zu, welche dessen üble Folgen mit Vortheil gut machen. Es ist auch richtig, dass Gott in jeder menschlichen Seele alle von ihm gebilligte Gedanken hervorrufen kann; allein dies wäre eine Handlungsweise durch Wunder in einem höheren Maasse, als sein Plan, welcher der möglichst beste erwählte ist, gestattet.

115. VII. »Gott bietet seine Gnade Leuten an, vom denen er weiss, dass sie dieselbe nicht annehmen wollen und sollen und die sich dadurch strafbarer machen sollen, als sie ohne dieses Erbieten gewesen wären. Er erklärt ihnen, dass er deren Annahme lebhaft wünscht und er giebt ihnen nicht die Gnade, obgleich er weiss, dass sie sie annehmen würden.« Es ist richtig, dass diese Leute durch ihre Abweisung strafbarer werden, als wenn ihnen nichts angeboten worden wäre und dass Gott dies weiss; allein es ist[178] besser, dass Gott das Verbrechen gestatte, als dass er in einer Weise handele, welche ihn selbst tadelnswerth machen und dahin führen würde, dass diese Schlechten einigen Grund sich zu beklagen hätten, weil sie sagen könnten, dass sie es nicht besser hätten machen können, wenn sie auch wollten oder gewollt hätten. Gott will, dass sie seine Gnade, deren sie fähig sind, empfangen und dass sie sie annehmen und er will insbesondere ihnen die Gnaden geben, von denen er voraussieht, dass sie sie annehmen würden, allein immer mit einem nur vorgängigen, abgesonderten oder besondern Willen, dessen Ausführung in dem allgemeinen Plan der Dinge nicht immer ausgeführt werden kann. Auch dieser Satz wird nicht minder von der Philosophie, wie von der Offenbarung aufgestellt, ebenso wie drei andere von den bisher aufgestellten sieben, da nur der dritte, vierte und fünfte Satz der Offenbarung bedürfen.

116. Ich lasse jetzt die 17 philosophischen Sätze folgen, welche Herr Bayle den vorstehenden 7 theologischen entgegenstellt.

I. »Da das unendlich vollkommene Wesen in sich selbst einen Ruhm und eine Seligkeit besitzt, die niemals vermindert oder vermehrt werden kann, so hat allein seine Güte es bestimmt, dies Universum zu schaffen. Weder der Ehrgeiz, noch Lob, noch das eigennützige Motiv, seine Seligkeit und seinen Ruhm zu vermehren haben dabei mitgewirkt.«

Dieser Satz ist ganz gut; das Lob Gottes hilft ihm nichts, aber wohl den Menschen, welche ihn loben und er hat ihr Gutes gewollt. Indess ist es, wenn man sagt, dass Gottes Güte allein ihn zur Erschaffung dieses Universums bestimmt habe, gut, hinzuzufügen, dass seine Güte ihn vorhergehend bestimmt habe, alles mögliche Gute hervorzubringen; aber dass seine Weisheit dabei die Auswahl getroffen und die Ursache davon gewesen, dass er nachfolgend die beste erwählt habe und dass seine Macht ihm das Mittel gewährt, den grossen gefassten Plan wirklich auszuführen.

117. II. »Die Güte des unendlich vollkommenen Wesens ist unendlich und sie würde nicht unendlich gross sein, wenn man eine grössere als die seine sich vorstellen könnte. Diese Bestimmung der Unendlichkeit[179] haftet auch allen seinen andern Vollkommenheiten an, seiner Liebe zur Tugend, seinem Hasse des Lasters u.s.w., sie müssen die grössten sein, die man sich vorstellen kann«. [Man sehe Herrn Jurien in den drei ersten Abschnitten seines »Urtheils über die Methoden«, wo »er sich stets auf diesen Satz, als einen obersten Grundsatz stützt. Man sehe auch bei Herrn Wittichius in seiner Providentia Dei, Nr. 12 die Worte des heiligen Augustin, Buch I Ueber die christliche Lehre Kap. 7.«: Cum cogitatur Deus, ita cogitetur ut aliquid, quo nihil melius sit atque sublimius. (Wenn Gott vorgestellt wird, geschehe es als ein Wesen, über welches es kein besseres und höheres giebt.) Und bald darauf: Nec quisquam inveniri potest, qui hoc Deum credat esse, quo melius aliquid est. (Niemand kann sich Gott so vorstellen, dass er meint, es gebe noch etwas Besseres, als Gott.)]

Dieser Satz ist ganz der meine, und ich folgere dar aus, dass Gott das möglichst Beste thut; sonst wäre die Ausübung seiner Güte beschränkt und damit seine Güte selbst, wenn sie ihn nicht dahin triebe und wenn ihm der gute Wille fehlte; oder es hiesse seine Weisheit und seine Macht beschränken, wenn ihm die Kenntnisse fehlten, um das Beste zu erkennen und die Mittel dazu aufzufinden, oder wenn ihm die nöthigen Kräfte zur Anwendung dieser Mittel abgingen. Dennoch ist der Satz von der Unendlichkeit von Gottes Liebe zur Tugend und von seinem Hasse des Lasters zweideutig. Wäre dies unbedingt und ohne Beschränkung in der Ausübung richtig, so würde es kein Laster in der Welt geben. Vielmehr ist zwar jede Vollkommenheit Gottes an sich unendlich, aber sie wird nur nach Verhältniss des Gegenstandes und so ausgeübt, wie die Natur der Dinge es mit sich bringt. Deshalb überwiegt bei ihm die Liebe zu dem Bessern im Ganzen alle andern Neigungen und einzelnen Verabscheuungen; nur diese Liebe allein ist unendlich, da Gott durch Nichts gehindert werden kann, sich für das Beste zu entscheiden; und wenn also ein Laster mit dem möglichst besten Plane verknüpft ist, so gestattet Gott dasselbe.

118. III. »Da eine unendliche Güte den Schöpfer bei Erschaffung der Welt geleitet hat, so sind alle[180] Kennzeichen des Wissens, der Geschicklichkeit, der Macht und Grösse, welche in seinem Werke hervor treten zum Glück der vernünftigen Geschöpfe bestimmt. Er hat gewollt, dass die Menschen seine Vollkommenheiten nur deshalb kennen lernen, damit diese Art von Geschöpfen ihr Glück in der Erkenntniss, Bewunderung und Liebe des höchsten Wesens fänden.«

Dieser Satz scheint mir nicht bestimmt genug. Ich gebe zu, dass das Glück der vernünftigen Geschöpfe den Haupttheil in den Absichten Gottes bildet, da sie ihm am meisten ähneln, aber ich sehe nicht ein, wie man zeigen will, dass dies sein einziges Ziel gewesen sei. Das Reich der Natur muss allerdings dem Reiche der Gnade dienen; allein in dem grossen Plane Gottes ist alles mit einander verknüpft und deshalb wird auch das Reich der Gnade in gewisser Weise dem Reiche der Natur angepasst sein, so dass dieses die möglichste Ordnung und Schönheit sich erhält, um die Verbindung beider zu der möglichst vollkommensten zu machen. Man kann deshalb nicht annehmen, dass Gott um einiger moralischen Uebel willen die ganze Ordnung der Natur umstosse. Jede Vollkommenheit und jede Unvollkommenheit in den Geschöpfen hat ihren Preis, aber nichts hat einen unendlichen Preis. Deshalb übersteigt das moralische und physische Gute und Uebel der vernünftigen Geschöpfe nicht in unendlicher Weise das blos metaphysische Gute und Uebel, d.h. das, was zur Vollkommenheit der übrigen Geschöpfe gehört, obgleich dies doch der Fall sein müsste, wenn der obige Satz in voller Strenge wahr wäre. Als Gott dem Propheten Jonas erklärte, weshalb er den Bewohnern von Ninive verziehen habe, so berührte er selbst die Rücksicht auf die Thiere, welche bei der Zerstörung dieser grossen Stadt mit untergegangen sein würden. Nichts ist vor Gott unbedingt verächtlich oder schätzenswerth. Der Missbrauch oder die übertriebene Ausdehnung des hier vorliegenden Satzes scheint zum Theil die Schwierigkeiten veranlasst zu haben, die Herr Bayle hier aufstellt. Es ist gewiss, dass ein Mensch bei Gott mehr bedeutet, als ein Löwe, dennoch dürfte es zweifelhaft sein, ob Gott einen Menschen dem ganzen Löwengeschlecht in jeder Beziehung voranstellen würde; aber selbst wenn dies der[181] Fall wäre, so folgte noch nicht, dass der Vortheil einer bestimmten Anzahl von Menschen die allgemeine Unordnung unter einer unzähligen Anzahl von Geschöpfen überwiegen müsse. Solche Meinung wäre noch ein Ueberbleibsel des alten, so verrufenen Satzes, wonach alles nur für den Menschen geschehen ist.

119. IV. »Die Wohlthaten, welche Gott den, der Glückseligkeit fähigen Geschöpfen erzeigt, sollen nur deren Glück befördern. Gott gestattet deshalb nicht, dass sie zu deren Unglück benutzt werden, und wenn der schlechte Gebrauch, welchen sie davon machen, sie in's Verderben führen könnte, so würde er ihnen sichere Mittel für einen blos guten Gebrauch derselben gewährt haben, da ohnedem es keine wirklichen Wohlthaten sein würden und Gottes Güte dann geringer sein würde, als man sie bei einem andern Wohlthäter sich vorstellen könnte. (Ich meine, bei einer Ursache, die mit ihren Geschenken zugleich die sichere Geschicklichkeit, sich ihrer gut zu bedienen, gewähren würde.)«

Hier sehen wir schon den Missbrauch, oder die schlimme Wirkung des vorherigen Satzes. Es ist im strengen Sinne nicht richtig (obgleich es so scheint) dass die von Gott den des Glückes fähigen Geschöpfen mitgetheilten Wohlthaten, nur ihr Glück bezwecken. Alles ist in der Natur verknüpft, und wenn ein geschickter Künstler, oder Baumeister, oder Maschinenmeister oder Staatsmann dieselbe Sache zu verschiedenen Zwecken benutzen, wenn sie aus einem Stein zwei Trinkschalen machen, sobald dies sich bequem ausführen lässt, so kann man von Gott sagen, dass er, dessen Weisheit und Macht vollkommen sind, es immer so macht. Es gehört dahin die Ersparniss an Raum, an Zeit, an der Lage, an dem Stoffe, welche gewissermassen seine Unkosten sind. Deshalb hat Gott bei seiner Vornahme mehr als einen Gesichtspunkt. Das Glück aller seiner vernünftigen Geschöpfe ist einer seiner Gesichtspunkte, aber es hat nicht sein ganzes Ziel und selbst nicht sein letztes Ziel. Deshalb kann das Unglück einiger dieser Geschöpfe als eine Nebenfolge eintreten und als eine Wirkung von andern grössern Gütern, wie ich schon früher gesagt habe und wie Herr Bayle auch in gewisser[182] Beziehung anerkannt hat. Die Güter als solche, an sich selbst genommen, sind der Gegenstand des vorgehenden Willens Gottes. Gott wird so viel Vernunft und Kenntniss in dem Universum hervorbringen, als sein Plan gestattet. Man kann sich ein Mittleres zwischen einem vorgehenden, reinen und ursprünglichen Willen und einem nachfolgenden und abschliessenden Willen vorstellen. Der vorgehende, ursprüngliche Wille hat jedes Gut und jedes Uebel für sich zum Gegenstande, als gelöst aus aller Verbindung mit andern; dieser Wille will das Gute erreichen und das Uebel hindern; der mittlere Wille geht auf Verbindungen, wie wenn man ein Gut an ein Uebel heftet. Dieser Wille wird sich einer solchen Verbindung zuneigen, wenn das Gute das Uebel übersteigt; dagegen ergiebt sich der schliessliche und entscheidende Wille aus der Erwägung aller Güter und aller Uebel, die dabei zu berücksichtigen sind; er ergiebt sich also aus einer alles umfassenden Verbindung. Deshalb muss der mittlere Wille zwar in Beziehung auf einen vorgehenden, reinen und anfänglichen Willen gewissermassen als ein nachfolgender angesehen werden, aber in Bezug auf den schliesslichen und entscheidenden Willen nur als ein vorgehender. Gott giebt dem menschlichen Geschlecht die Vernunft, es entstehen daraus mitfolgende Uebel. Sein vorgehender reiner Wille will die Vernunft als ein grosses Gut und zur Verhinderung der betreffenden Uebel gewähren; aber wenn es sich um die Uebel handelt, welche dieses Geschenk, was Gott uns mit der Vernunft gemacht hat, begleiten, so wird ein solches Zusammengesetzte, was aus der Verbindung der Vernunft mit diesen Uebeln hervorgeht, der Gegenstand des mittleren Willens Gottes werden und derselbe wird, je nachdem dabei das Gute oder das Uebel überwiegt, dahin streben, dieses Zusammengesetzte hervorzubringen oder zu hindern. Ja selbst wenn die Vernunft den Menschen mehr Uebles als Gutes bereitete (was ich jedoch nicht einräume) in welchem Falle der mittlere Wille Gottes sie in dieser Verbindung zurückweisen würde, könnte es doch sein, dass die Vernunft bei den Menschen trotz deren üblen Folgen für sie doch der Vollkommenheit des Universums mehr entspräche und deshalb würde der[183] schliessliche Wille oder der Entschluss Gottes, welcher aus sämmtlichen Erwägungen hervorgeht, doch dahin gehen, dem Menschen die Vernunft zu verleihen. Weit entfernt, deshalb tadelnswerth zu sein, würde Gott es vielmehr sein, wenn er nicht so handelte. So tritt das Uebel oder die Mischung vom Gutem und Uebeln, wo letzteres überwiegt, nur als Mitfolge ein, weil es mit grösseren Gütern ausserhalb dieser Mischung verknüpft ist. Deshalb darf diese Mischung oder diese Zusammensetzung nicht als eine Gnade oder als ein von Gott uns gewährtes Geschenk aufgefasst werden; aber das damit vermischte Gute wird allerdings nicht aufhören, ein solches Geschenk zu sein. Solcher Art ist also das Geschenk der Vernunft für die, welche davon einen schlechten Gebrauch machen. Sie bleibt immer an sich ein Gut; aber die Verbindung dieses Gutes mit den aus dessen Missbrauch hervorgehenden Uebeln ist in Bezug auf die dadurch unglücklich Gewordenen kein Gut; es tritt da nur ein als Mitfolge, weil es für das Universum ein grösseres Gut bewirkt, und dies hat sicherlich Gott bestimmt, die Vernunft auch denen zu gewähren, welche daraus ein Werkzeug für ihr Unglück machen; oder um genauer nach meinem System zu sprechen: Gott fand unter den möglichen Wesen auch einige vernünftige Geschöpfe, welche ihre Vernunft missbrauchen und hat so diesen Uebeln ein Dasein gewährt, welche in dem möglichst besten Universum enthalten sind. So erklärt es sich, dass Gott Güter gewährt, welche durch den Fehler der Menschen sich in Uebel verwandeln. Oft geschieht dies als gerechte Strafe für den Missbrauch, den sie von seiner Gnade gemacht haben. Aloysius Novarinus hat ein Buch über die verborgenen Wohlthaten Gottes geschrieben; man könnte auch eins über die verborgenen Strafen Gottes schreiben; hier passt das Wort von Claudian bei einigen:


Tolluntur in altum,

Ut lapsu graviere ruant.


(Sie werden hoch erhoben, damit sie

mit einem um so schwereren Fall herabstürzen.)


Sollte Gott ein Gut nicht geben, von dem er weiss, dass[184] ein böser Wille es missbrauchen wird, während der allgemeine Plan der Dinge dessen Gewährung fordert? oder sollte er Mittel gewähren, die es sicher verhindern, im Widerspruch mit dieser allgemeinen Ordnung, so wäre dies (wie ich schon gesagt) so viel, als dass Gott selbst sich tadelnswerth machen sollte, damit der Mensch es nicht werde. Der Einwurf, den man hier macht, dass solche Güte Gottes geringer sei, als die eines andern Wohlthäters, der ein nützlicheres Geschenk gewähre, erwägt nicht, dass die Güte eines Wohlthäters sich nicht blos nach einer einzelnen Wohlthat bemisst. Oft ist das Geschenk eines Privatmannes grösser, als das eines Fürsten, aber die sämmtlichen Geschenke jenes werden geringer sein, als die sämmtlichen des Fürsten. Deshalb könnte man die von Gott gewährten Geschenke nur schätzen, wenn man deren ganze Ausdehnung mit Bezug auf das ganze Universum in Betracht nähme. Endlich könnte man sagen, dass Geschenke, bei denen man voraussieht dass sie schaden, nur die Geschenke eines Feindes seien; echthrôn dôra adôra. (Geschenke der Feinde sind keine Geschenke.)


Hostibus eveniant talia dona meis.


(Meine Feinde mögen solche Geschenke bekommen.)


Allein dies gilt nur, wenn bei dem Geschenkgeber eine Bosheit oder Schuld besteht, wie es bei dem Eutrapelos der Fall war, von dem Horaz spricht, welcher Leuten Gutes that, um ihnen die Mittel zu ihrem Untergang zu gewähren. Dessen Absicht war schlecht, aber die Absicht Gottes kann nicht besser sein, als sie ist. Sollte denn sein System verdorben werden? sollte es denn in dem Universum weniger Schönheit, weniger Vollkommenheit, weniger Vernunft geben, weil es darin Leute giebt, welche die Vernunft missbrauchen? Hier gelten jene bekannten Regeln: Abusus non tollit usum. (Der Missbrauch hebt den Gebrauch nicht auf.) Es giebt einen scandalum datum et scandalum acceptum. (Es giebt ein gegebenes und ein genommenes Aergerniss.)

120. V. »Ein Wesen, was Böses bewirken will, kann recht wohl seine Feinde mit herrlichen Geschenken[185] überhäufen, sofern es weiss, dass sie davon einen ihnen verderblichen Gebrauch machen werden. Es entspricht deshalb einem unendlich guten Wesen nicht, den Geschöpfen einen freien Willen zu verleihen, von denen es sicher weiss, dass sie davon einen Gebrauch machen werden, der sie unglücklich macht. Wenn es also ihnen einen freien Willen geben will, so verbindet es damit auch das Geschick, denselben immer zweckmässig zu gebrauchen und es gestattet ihnen nicht, bei irgend einer Gelegenheit dieses Geschick nicht in Ausübung zu bringen. Hätte dieses Wesen daher kein sicheres Mittel für einen festen guten Gebrauch dieses freien Willens, so wird es eher diese Fälligkeit ihnen nehmen, als zulassen, dass sie zur Ursache ihres Unglücks werde. Dies ist um so offenbarer, als der freie Wille eine Gnade ist, welche Gott selbst für sie ausgewählt hat, ohne dass die Geschöpfe es verlangt haben. Gott ist deshalb für das Unglück, welches dieser freie Wille ihnen bringen kann, mehr verantwortlich, als wenn er denselben ihnen nur auf ihre dringenden Bitten gewährt hätte.«

Hier muss das am Schluss des vorgehenden Satzes Gesagte wiederholt werden, da es zur Beseitigung des gegenwärtigen Satzes genügt. Auch geht man immer von der falschen im dritten Satze aufgestellten Annahme aus, wonach das Glück der Geschöpfe, das ausschliessliche Ziel Gottes gewesen sein soll. Wäre dies der Fall gewesen, so gäbe es vielleicht keine Sünde, kein Unglück, selbst nicht als blose Mitfolge. Gott hätte dann eine solche Folge von Möglichkeiten gewählt, welche alle diese Uebel ausgeschlossen hätte. Gott würde aber es dann an dem haben ermangeln lassen, was er dem Universum schuldete, d.h. an dem, was er sich selbst schuldete. Gäbe es nur Geister, so fehlte denselben die nothwendige Verbindung, die Ordnung der Zeit und des Raumes. Diese Ordnung erfordert den Stoff, die Bewegung mit ihren Gesetzen. Wenn man sie auf die möglichst beste Weise mit den Geistern verbindet, so wird man auf unsere Welt zurückkommen. Betrachtet man die Dinge nicht im Grossen, so findet man tausenderlei Dinge, die nicht so gemacht worden sind, wie es sein sollte. Verlangt man, dass Gott den vernünftigen Geschöpfen[186] nicht den freien Willen gebe, so verlangt man, dass überhaupt solche Geschöpfe nicht sein sollen und verlangt man, dass Gott sie an dem Missbrauch dieses freien Willens hindern solle, so verlangt man, dass es nur solche Geschöpfe ganz allein gebe mit dem, was rein für sie eingerichtet wäre. Hätte Gott es nur auf diese Geschöpfe abgesehen, so hätte er sie unzweifelhaft gehindert, sich in das Verderben zu stürzen. Doch kann man in gewissem Sinne selbst sagen, dass Gott diesen Geschöpfen das Geschick gegeben habe, wonach sie ihren freien Willen immer gut gebrauchen können, denn in dem natürlichen Licht der Vernunft ist dieses Geschick enthalten; man braucht nur immer den Willen zu haben, gut zu handeln; allein den Geschöpfen fehlt oft das Mittel, sich diesen schuldigen Willen zu geben und oft fehlt ihnen selbst der Wille, sich der Mittel zu bedienen, welche mittelbar einen guten Willen herbeiführen, wie ich schon wiederholt bemerkt habe. Man muss diesen Mangel einräumen und anerkennen, dass Gott die Geschöpfe vielleicht davon hätte ausnehmen können, weil anscheinend nichts hindert, dass es Geschöpfe gebe, die ihrer Natur nach immer einen guten Willen haben. Aber ich entgegne, dass es nicht nothwendig und dass es nicht ausführbar gewesen ist, dass alle vernünftigen Geschöpfe eine so grosse Vollkommenheit besässen, welche sie der Gottheit so nahe brächte. Vielleicht könnte dies wohl durch eine besondere Gnade geschehen; aber selbst wenn dies der Fall wäre, sollte da Gott in Bezug auf die vernünftigen Geschöpfe durch lauter Wunder gehandelt haben? Es gäbe nichts weniger Vernünftiges, als solche fortlaufende Wunder. Es giebt Abstufungen unter den Geschöpfen; die allgemeine Ordnung verlangt es, und es scheint der Ordnung der göttlichen Regierung ganz zu entsprechen, dass die grosse Bevorzugung und die Befestigung in dem Guten leichter denen, welche einen guten Willen haben, gewährt werde, wo sie in einem unvollkommeneren Zustande und in einem Zustande des Kampfes und der Pilgerschaft sich befinden; in Ecclesia militante, in statu viatorum. (Innerhalb einer kämpfenden Kirche, in einem Zustande von Wanderern.) Selbst die guten Engel sind nicht so geschaffen worden, dass sie nicht[187] sündigen konnten. Ich will indess damit nicht bestreiten, dass es nicht auch Geschöpfe giebt, die als höchst glücklich geboren sind, oder die vermöge ihrer Natur nicht sündigen können, und welche heilig sind. Manche geben dieses Vorrecht vielleicht der heiligen Jungfrau; auch die römische Kirche stellt dieselbe heut zu Tage über die Engel. Indess genügt es uns, dass das Universum sehr gross und sehr mannichfaltig ist; es zeigt von wenig Wissen, wenn man es beschränken wollte. – Aber, sagt Herr Bayle, Gott hat doch den freien Willen Geschöpfen gewährt, welche sündigen können, ohne dass sie ihn um diese Gnade gebeten haben, und der, welcher ein solches Geschenk macht, ist für das Unglück mehr verantwortlich, was es denen bereitet, die sich dessen bedienen, als wenn er es nur auf ihre dringenden Bitten gewährt hätte. Allein die dringenden Bitten haben bei Gott keine Bedeutung; er weiss besser, als wir, was wir brauchen und er gewährt uns, was mit dem Ganzen sich verträgt. Nach Herrn Bayle scheint der freie Wille hier nur in der Fähigkeit zu sündigen zu bestehen und doch erkennt er anderwärts an, dass Gott und die Heiligen auch ohne diese Fähigkeit frei seien. Mag dem sein, wie ihm wolle, so habe ich schon gezeigt, dass Gott bei Ausführung dessen, was seine Weisheit und seine Güte zusammen verlangen, für das Uebel, welches er zulässt, nicht verantwortlich ist. Selbst die Menschen sind, wenn sie ihre Pflicht thun, für die Ereignisse nicht verantwortlich, gleich viel, ob sie dieselben voraussehen oder nicht.

121. VI. »Es ist ein ebenso sicheres Mittel, einem Menschen das Leben zu nehmen, wenn man ihm eine seidene Schnur giebt, von der man sicher weiss, dass er sie freiwillig benutzen wird, um sich zu erhängen, als wenn man ihn durch einen Dritten erdolchen lässt. Man verlangt nach seinem Tode bei dem ersten Verfahren ebenso sehr, als wenn man das andere anwendet; ja im ersteren Falle geschieht es in boshafterer Absicht, weil man demselben die ganze Mühe und Schuld seines Unterganges zuzuschieben sucht.«

Die Schriftsteller, welche von den Pflichten handeln (de Officiis), wie Cicero, der heilige Ambrosius, Grotius, Opalenius, Sharrok, Rachelius, Pufendorf und ebenso die[188] Casuistiker, lehren, dass es Fälle gebe, wo man das, was man zur Verwahrung erhalten habe, nicht zurückzugeben brauche. So wird man z.B. einen Dolch nicht zurückgeben, wenn man weiss, dass der Niederleger damit Jemand erstechen will. Gesetzt, ich hätte den Feuerbrand in meinen Händen, mit dem die Mutter des Meleager ihn tödten will, oder den verzauberten Wurfspiess, den Cephalus ohne sein Wissen gebraucht, um seine Procris zu tödten, oder die Pferde des Theseus, welche seinen Sohn Hippolyt zerrissen; würden mir diese Dinge abverlangt, so hätte ich, wenn ich den Gebrauch kennte, der davon gemacht werden sollte, das Recht sie zu verweigern. Aber wie, wenn der ordentliche Richter mich zur Zurückgabe verurtheilte, weil ich ihm nicht beweisen könnte, welche schlimme Folgen daraus nach meiner Kenntniss dies haben werde? Z.B. wenn Apollo mir die Weissagungskunst, wie der Cassandra verliehen hätte, mit dem Beding, dass ich keinen Glauben finden sollte? Ich müsste dann diese Dinge zurückgeben, da ich mich dessen ohne mein Verderben, nicht entziehen könnte. In dieser Weise wäre ich genöthigt, zu dem Uebel mit beizutragen. Oder ein anderes Beispiel: Jupiter verspricht der Semele, oder die Sonne dem Phaeton, oder Cupido der Psyche, ihr die Bitte, welche sie stellen werde, zu erfüllen. Sie schwören bei dem Styx:


Di, cujus jurare timent et fallere Numen.


(Ein Wesen, bei dem selbst die Götter sich scheuen zu schwören und es zu täuschen.)


Man möchte die halb gehörte Bitte hemmen, aber zu spät:


Voluit Deus ora loquentis

Opprimere; exierat jam vox properata sub auras.

(Gott wollte die Bitten des Sprechenden

Hemmen; aber das beschleunigte Wort war schon in die Lüfte erschallt.)


Man möchte den Bittenden, nachdem er gesprochen, davon abbringen und ihm, leider vergebliche, Vorstellungen[189] machen; allein man wird gedrängt; es wird gesagt:


Thust Du Schwüre, um sie nicht zu halten?


Das Gesetz des Styx ist unverletzlich; man muss sich unterwerfen. Hat man gefehlt, als man schwur, so wird man noch mehr fehlen, wenn man das Geschworene nicht hält; man muss das Versprochene gewähren, so verderblich es auch für den Bittenden sein wird, denn es würde mir verderblich werden, wenn ich meinen Schwur nicht hielte.

Die Lehre dieser Fabeln will wohl andeuten, dass die höchste Noth uns nöthigen kann, dem Uebel nachzugeben. Gott kennt allerdings keinen Richter, welcher ihn nöthigen könnte das zu geben, was zum Unheil führt; er fürchtet nicht, wie Jupiter, den Styx; allein seine eigne Weisheit ist der höchste Richter, den er finden kann; ihre Entscheidungen unterliegen keiner Berufung, es sind die Beschlüsse des Schicksals. Die ewigen Wahrheiten, die Gegenstände seiner Weisheit, sind unverletzlicher als der Styx. Diese Gesetze, dieser Richter zwingen nicht; sie sind stärker, weil sie überzeugen. Die Weisheit zeigt Gott nur die bestmöglichste Ausübung seiner Güte; das daraus hervorgehende Uebel ist die unvermeidliche Folge des Bessern. Ich füge noch das Schlagendere hinzu: »Das Uebel erlauben in der Weise, wie Gott es thut, ist die grösste Güte.«


Si mala sustulerat, non erat ille bonus.

(Hätte er das Uebel aufgehoben, so wäre er kein Guter gewesen.)


Es ist also nur ein Querkopf, der hiernach noch behaupten kann, dass es boshafter sei, wenn man Jemand die ganze Mühe und die ganze Schuld seines Verderbens belasse. Wenn Gott dieses thut, so gehörte jenem diese Schuld schon vor seinem Dasein; sie war dann in Gottes Wissen vor dem Beschluss Gottes, der sie in das Sein treten liess, nur eine rein-mög liche. Kann sie da unterlassen oder einem Andern zugewendet werden? Damit ist alles gesagt.

[190] 122. VII. »Ein wirklicher Wohlthäter giebt schnell und wartet damit nicht, bis die, welche er liebt, lange deshalb gelitten haben, weil er ihnen das vorenthalten, was er ihnen leicht und ohne Unbequemlichkeit gewähren konnte. Wenn er wegen seiner beschränkten Kraft das Gute nicht ohne Erregung von Schmerzen oder ohne sonst eine Unbequemlichkeit gewähren kann, so fügt er sich dem (man sehe das geschichtliche und kritische Wörterbuch. II. Ausgabe, S. 2261); aber nur ungern und er benutzt niemals diese Art Gutes zu thun, wenn er das Gute so thun kann, dass seine Gunst mit keinem Uebel vermischt wird. Wenn der Nutzen, welcher aus zu erduldenden Uebeln hervorgeht, ebenso leicht aus einem reinen Gut, als wie aus diesen Uebeln gewonnen werden kann, so wird er den geraden Weg des reinen Guts einschlagen und nicht den Umweg, welcher durch Uebel zum Guten führt. Wenn er Reichthümer und Ehren auf Menschen häuft, so geschieht es nicht, damit die, welche sie geniessen, bei deren Verlust um so härter betrübt werden, indem sie an diese Genüsse gewöhnt waren und damit sie dadurch unglücklicher werden, als die, welche diese Vortheile niemals gehabt haben. Nur ein boshaftes Wesen würde um diesen Preis Güter auf Personen häufen, die es am meisten hasst. Man vergleiche damit die Stelle bei Aristoteles, in seiner Rhetorik, Buch I, Kap. 23: hoion ei doiê an tis tini, hina aphelomenos, lypêsê, hothen kai tout' eirêtai. Das heisst: Gleichwie wenn Jemand einem Anderen etwas giebt, damit er diesem (nachher) durch die Beraubung desselben Schmerz bereite. Daher auch jenes Sprichwort:


Grosse Güter giebt Gott Vielen nicht als Freund,

Sondern um durch deren Beraubung ihnen grössern Schmerz zu bereiten.«
[191]

Alle diese Einwürfe drehen sich um denselben Scheingrund; sie verändern und verstecken das thatsächliche und sagen die Dinge nur halb. Gott sorgt für das Menschengeschlecht, er liebt es, er will ihm wohl; nichts ist sicherer, als dies. Trotzdem lässt er die Menschen fallen, er lässt sie oft untergehen, er gewährt ihnen Güter, welche zu ihrem Verderben ausschlagen und wenn er Jemand glücklich macht, so geschieht es, nachdem dieser lange gelitten hat; wo bleibt da seine Liebe, wo seine Güte, ja, wo bleibt da seine Macht? Allein dies sind eitle Einwürfe, welche die Hauptsache unterdrücken und verhüllen, dass es Gott ist, von dem man spricht; vielmehr scheinen sie von einer Mutter, einem Vormund, einem Erzieher zu sprechen, der nur für die Erziehung, die Erhaltung und das Glück der einzelnen betreffenden Person zu sorgen hat und der seine Pflichten vernachlässigt. Gott aber sorgt für das Universum, er vernachlässigt Nichts, er wählt unbedingt das Beste. Wenn Jemand damit böse und unglücklich wird, so gehörte es zu ihm, so zu sein. Man sagt, Gott hätte das Glück Allen verleihen können, ohne irgend eine Unbequemlichkeit, denn Gott vermöge alles. Aber ist er auch verpflichtet dazu? Gerade weil er es nicht thut, ist dies ein Zeichen, dass er ganz anders zu handeln hatte. Wenn man folgert, dass es entweder zu bedauern sei und aus Mangel an Macht geschehe, wenn er die Menschen nicht glücklich macht und er das Gute nicht sofort und frei vom Uebel gewährt; oder, dass er das Gute nur aus Mangel an gutem Willen nicht rein und genug gewähre, so heisst dies, unsern Gott mit dem Gotte des Herodot vergleichen, der voll Neid ist oder mit dem bösen Geist des Dichters, dessen Verse Aristoteles anzieht und die ich oben übersetzt habe, welcher Güter nur austheilt, damit er durch deren Wegnahme um so mehr Schmerzen bereite. Dies ist ein Spiel mit Gott durch ununterbrochene Gleichstellung desselben mit menschlichen Zuständen; das heisst ihn als einen Menschen darstellen, der sich ganz einem bestimmten Geschäft hingiebt, welcher seine Güte nur den ihm bekannten Dingen zuwendet und dem entweder die Fälligkeit oder der gute Wille fehlt. Gott hat aber keinen Mangel daran; er könnte das Gute, was wir erwünschen,[192] gewähren; ja er will es, für sich allein genommen; aber er ist dazu nicht verbunden auf Kosten anderer grösserer Güter, welche sich dem entgegenstellen. Uebrigens braucht man sich darüber nicht zu beklagen, dass man gewöhnlich nur durch viele Leiden, und indem man das Kreuz Jesu Christi trägt, zum Heil gelangt. Diese Uebel machen die Erwählten zu Nachfolgern ihres Herrn und vermehren ihr Glück.

123. VIII. »Der grösste und wahrhafteste Ruhm, welchen ein Herr über Andere erwerben kann besteht darin, dass er unter denselben die Tugend, die Ordnung, den Frieden, die Zufriedenheit aufrecht erhält. Der Ruhm, welcher ihm aus deren Unglück erwächst, ist nur ein falscher Ruhm.«

Wenn wir den Staat Gottes kennten, so würden wir sehen, dass es der vollkommenste ist, der erdacht werden kann; dass Glück und Tugend so viel darin bestehen, als nach dem Gesetz des Besseren möglich ist; dass die Sünde und das Unglück (welche gänzlich aus der Ordnung der Dinge auszuschliessen, Gründe der höchsten Ordnung nicht gestatteten) im Vergleich zum Guten beinah verschwinden und selbst zur Hervorbringung grösserer Güter dienen. Da also diese Uebel in's Dasein treten mussten, so mussten auch Einzelne denselben unterworfen werden und wir sind diese Einzelnen. Wären es Andere, bliebe da nicht doch derselbe Schein des Hebels? Oder würden nicht vielmehr diese Andern die seien, die man mit »Wir« bezeichnet. Wenn für Gott einiger Ruhm aus dem Uebel deshalb folgt, weil er es zum Mittel für ein grösseres Gut gemacht, so sollte er diesen Ruhm daraus ziehen. Es ist deshalb dieser Ruhm kein falscher Ruhm, wie etwa der eines Fürsten, der seinen Staat umstürzte, um die Ehre von dessen Wiederherstellung sich zu erwerben.

124. IX. »Die grösste Liebe zur Tugend, welche dieser Herr beweisen könnte, wäre, wenn er es vermöchte, die, dass diese Tugend immer und ohne Mischung mit dem Laster geübt würde. Wenn er diesen Vortheil seinen Unterthanen leicht verschaffen könnte und er doch gestattete, dass das Laster sein Haupt erhöbe, nur um es, nachdem er es lange zugelassen, dann strafen zu können, so wäre seine Liebe[193] zur Tugend nicht die grösstmöglichste und daher nicht unendlich.«

Ich bin noch nicht bis zur Hälfte der 19 Einwürfe gekommen und schon bin ich es müde, immer die nämliche Sache zu widerlegen und darauf zu antworten. Herr Bayle vervielfacht ohne Noth seine angeblichen, meinen Sätzen entgegengestellten Einwürfe. So wie man die mit einander verknüpften Dinge sondert, die Theile von dem Ganzen trennt, das menschliche Geschlecht von dem Universum und die einzelnen Eigenschaften Gottes von einander, die Macht von der Weisheit löst, darf man sagen, Gott kann es machen, dass die Tugend in der Welt sich mit dem Laster nicht vermischt und dass Gott dies selbst leicht bewirken kann. Aber weil er das Laster zulässt, so muss die Ordnung des Universum, welche sich als die vorzüglichere gegen jeden andern Plan gezeigt, dies verlangt haben. Man muss annehmen, dass eine andere Einrichtung nicht gestattet gewesen, weil es damit nicht besser gemacht werden konnte. Es ist dies eine bedingte, moralische Nothwendigkeit, die der Freiheit Gottes nicht widerspricht, sondern die Wirkung seiner Wahl ist. Quae ratione contraria sunt, ea nec fieri posse a sapienti credendum est. (Das der Vernunft Widersprechende kann, wie man annehmen muss, selbst von dem Weisen nicht geschehen.) Man entgegnet hier, dass Gottes Liebe zur Tugend daher nicht die grösste, welche man sich vorstellen könne, sei; dass sie keine unendliche sei. Darauf habe ich schon bei Nr. II. geantwortet und gesagt, dass die Liebe Gottes zu den erschaffenen Dingen dem Werthe derselben entspreche. Die Tugend ist die edelste Eigenschaft der geschaffenen Dinge, allein sie ist nicht die alleinige gute Eigenschaft; es giebt deren noch zahllose andere, welche die Zuneigung Gottes auf sich ziehen. Aus allen diesen Neigungen geht das möglichst viele Gute hervor; gäbe es nur die Tugend, so gäbe es auch nur vernünftige Geschöpfe und daher weniger Gutes. Midas hielt sich für weniger reich, als er nur Gold hatte; die Weisheit verlangt auch die Mannichfaltigkeit. Die blose Vervielfältigung einer Sache wäre ein Ueberfluss und die Armuth. Tausend gut eingebundene Virgile in seiner Bibliothek zu haben, immer[194] die Arien aus der Oper Cadmus und Hermione zu singen, alles Porzellan zu zerbrechen, um nur Tassen von Gold zu haben, nur Knöpfe aus Diamanten zu tragen, nur Rebhühner zu essen, nur Wein aus Ungarn oder Schiras zu trinken, wäre dies vernünftig? Die Natur hat der Thiere, der Pflanzen, der leblosen Körper bedurft. In diesen von Gott geschaffenen vernunftlosen Dingen giebt es Wunderbares zur Uebung der Vernunft. Was sollte ein einsichtiges Geschöpf machen, wenn es keine Dinge gäbe, denen die Einsicht abgeht? An was sollte es denken, wenn es keine Bewegung, keinen Stoff, kein Sinnesorgan gäbe? Hätte es nur deutliche Gedanken, so wäre es ein Gott und seine Weisheit ohne Schranken. Dies ist eine Folge meiner Erwägungen. Erst sobald es eine Mischung verworrener Gedanken giebt, sind die Sinne, ist der Stoff da; denn alle jene verworrenen Gedanken kommen aus der Beziehung aller Dinge untereinander, je nach der Dauer und der Ausdehnung. Deshalb giebt es nach meiner Philosophie kein vernünftiges Geschöpf ohne irgend einen organischen Körper und keinen, von dem Stoff ganz losgelösten, erschaffenen Geist. Diese organischen Körper wechseln aber nicht minder in ihrer Vollkommenheit, wie die Geister, denen sie angehören. Da es also nach Gottes Weisheit einer körperlichen Welt bedarf, einer Welt von Substanzen, die des Wahrnehmens, aber nicht der Vernunft fähig sind; da endlich von allen Dingen das gewählt werden musste, was zusammen die beste Wirkung erzielte und das Laster nur durch diese Thür mit in die Welt eingetreten ist, so würde Gott nicht vollkommen gut, nicht vollkommen weise gewesen sein, wenn er es ausgeschlossen hätte.

125. X. »Der grösste Hass gegen das Laster besteht nicht darin, dass man es lange Zeit herrschen lässt und dann es straft, sondern dass man es vor seiner Geburt erstickt, d.h. hindert, dass es sich irgendwo zeige. Wenn z.B. ein König seine Finanzen in so gute Ordnung brächte, dass nie eine Unterschlagung geschehen könnte, so würde er gegen die Ungerechtigkeit der Einwohner mehr Hass beweisen, als wenn er sie erst bestrafte, nachdem er gelitten, dass sie sich mit dem Blute des Volkes mästeten.«[195]

Das ist immer dieselbe Rede; eine ganze volle Vermenschlichung Gottes. Einem König soll in der Regel nichts so sehr angelegen sein, als seine Unterthanen vor Unterdrückung zu schützen. Eine der wichtigsten Obliegenheiten für ihn ist die Ordnung seiner Finanzen. Dennoch muss er zu Zeiten das Laster und Unordnungen gestatten. Er muss z.B. einen grossen Krieg beginnen, oder er hat sich schon erschöpft, er kann keine Generale finden, er muss die schonen, welche er hat und welche ein grosses Ansehen bei den Soldaten geniessen, einen Braccio, einen Sforza, einen Wallenstein; das Geld fehlt für die dringendsten Bedürfnisse; der König muss sich an die grossen Finanzleute wenden, welche einen gesicherten Credit geniessen und er muss gleichzeitig gegen ihre Unterschlagungen nachsichtig sein. Allerdings ist diese unglückliche Nothwendigkeit meist die Folge von vorausgegangenen Fehlern, allein dies ist bei Gott nicht ebenso; er braucht Niemand, er macht keine Fehler, er thut immer das Beste. Man kann nicht einmal wünschen, dass die Sachen besser gingen, sofern man sie versteht, und es wäre eine Sünde für den Schöpfer aller Dinge, wenn er das darin enthaltene Böse daraus entfernen wollte. Dieser Zustand einer vollkommenen Regierung, wo man das möglichst Gute will und thut, wo selbst das Uebel nur dem grösseren Gute dient, kann der mit dem Staate eines Fürsten verglichen werden, dessen Geschäfte im Verfall sind und der sich hilft, so gut er kann? oder mit dem eines Fürsten, welcher die Unterdrückung begünstigt, um sie nachher zu bestrafen und der sich freut, wenn er die Kleinen am Bettelstab und die Grossen auf dem Schaffot sieht?

126. XI. »Ein Gebieter, welcher sich für die Tugend und das Wohl seiner Unterthanen interessirt, sorgt auf alle mögliche Weise dafür, dass seine Gesetze nicht verletzt werden; ist er genöthigt, seine Unterthanen für ihren Ungehorsam zu züchtigen, so thut er es so, dass die Strafe sie von der Hinneigung zum Bösen heilt und in ihrer Seele wieder eine feste und beharrliche Neigung zum Guten herstellt. Er ist weit entfernt von der Absicht, durch die Strafe ihrer[196] Fehler ihre Neigungen zum Bösen immer mehr zu stärken.«

Um die Menschen zu bessern, that Gott alles, was sich gehört und selbst alles, was von seiner Seite, unbeschadet dessen, was sich gehört, geschehen kann. Das gewöhnlichste Ziel der Strafe ist die Besserung; aber es ist nicht das einzige, noch das, was Gott sich immer vorsetzt. Ich habe dies schon früher bemerkt. Die Erbsünde, welche die Menschen zum Bösen hinneigen macht, ist nicht eine blose Strafe der ersten Sünde, sie ist vielmehr eine natürliche Folge derselben. Ich habe auch, bei meiner Erwiderung auf den vierten theologischen Satz, dieses angedeutet. ES ist wie mit der Trunkenheit, die eine Strafe des übermässigen Trinkens ist; und gleichzeitig ist sie auch eine natürliche Folge, die zu neuen Sünden antreibt.

127. XII. »Wenn man das Uebel zulässt, was man verhindern kann, so sorgt man sich nicht darum, ob es geschieht oder nicht geschieht, ja es ist eher ein Wunsch, dass es geschehe.«

Durchaus nicht. Wie oft lassen Menschen Uebel zu, die sie bei Anwendung aller ihrer Kraft nach dieser Seite hin, verhindern könnten? Aber andere und wichtigere Sorgen hindern sie daran. Man wird sich selten zu einer Verbesserung der umlaufenden schlechten Münzen entschliessen, wenn man in einen grossen Krieg verwickelt ist. Das, was das englische Parlament in dieser Beziehung noch vor dem Frieden von Ryswick that, wird mehr gelobt, als nachgeahmt werden. Kann man daraus folgern, dass der Staat sich um diese Unordnung nicht kümmere, ja dass er sie wünsche. Gott hat nun noch einen stärkeren und seiner würdigeren Grund, wenn er die Uebel gestattet. Er zieht nicht allein daraus grössere Güter, sondern er findet sie auch mit den grössten aller möglichen Güter verknüpft. Es wäre also ein Fehler, wenn er jene nicht gestatten wollte.

128. XIII. »Es ist ein grosser Fehler der Regierenden, wenn sie sich um das Dasein oder Nicht-Dasein der Unordnung in ihrem Staate nicht kümmern. Der Fehler ist noch grösser, wenn sie dieselbe wollen, ja wünschen. Wenn sie auf geheimen und mittelbaren,[197] aber untrüglichen Wegen eine Empörung in ihrem Staate erregten, welche ihn dem Untergange nahe brächte, um dadurch sich Ruhm zu verschaffen, indem sie zeigen, dass sie den zur Rettung eines grossen dem Untergange nahen Reichs nöthigen Muth und Verstand besitzen, so wäre dies höchst verdammenswerth. Wenn sie aber diese Empörung erregten, weil nur dadurch das gänzliche Verderben ihrer Unterthanen gehemmt und nur dadurch das Glück ihrer Völker auf neuen Grundlagen und für mehrere Jahrhunderte befestigt werden könnte, so müsste man diese unglückliche Nothkeit beklagen (man sehe was hierüber auf Seite 84, 86, 140 über die Gewalt der Nothwendigkeit gesagt worden), zu der sie genöthigt worden sind und sie für den davon gemachten Gebrauch loben.«

Dieser und mehrere andere hier aufgestellte Sätze sind auf die Regierung Gottes nicht anwendbar. Einmal ist es nur ein sehr kleiner Theil seines Reichs, von dem man uns die Unordnung vorhält und dann ist es falsch, dass er sich um diese Uebel nicht kümmere, sie wünsche, sie entstehen lasse, um des Ruhmes ihrer Beseitigung willen. Gott will die Ordnung und das Gute; aber mitunter ist das, was in einem Theile Unordnung ist, Ordnung im Ganzen. Ich habe schon jene Rechtsregel angeführt: Incivile est, nisi tota lege inspecta judicare. (Es ist unrecht, wenn man ohne Einsicht des ganzen Gesetzes entscheidet.) Die Gestattung der Uebel kommt von einer Art moralischer Nothwendigkeit; Gott ist dazu durch seine Weisheit und seine Güte genöthigt; diese Nothwendigkeit ist eine glückliche, während die, in welcher sich der Fürst im obigen Satze befindet, eine unglückliche ist. Sein Staat ist durchaus verdorben, während die Regierung Gottes den möglichst besten Staat ergiebt.

129. XIV. »Die Gestattung eines bestimmten Uebels ist nur dann zulässig, wenn nur dadurch ein grösseres Uebel vermieden werden kann; aber sie ist bei denen nicht entschuldbar, welche ein ganz wirksames Mittel gegen dieses Uebel und gegen alle aus der Unterdrückung jenes sich ergebenden weiteren Uebel in ihren Händen haben.«[198]

Dieser Satz ist wahr, aber er kann nicht gegen die Regierung Gottes geltend gemacht werden. Die höchste Vernunft nöthigt ihn, das Uebel zu gestatten. Wenn Gott nicht das unbedingt und durchaus Beste wählte, so wäre dies ein viel grösseres Uebel, als alle jene besondern Uebel, welche er durch dieses Mittel verhindern könnte. Diese schlechte Wahl würde seine Weisheit und Güte aufheben.

130. XV. »Ein allmächtiges Wesen, was der Schöpfer des Stoffes und der Geister ist, kann mit diesem Stoffe und diesen Geistern alles machen, was es will. Jeden Zustand und jedwede Gestalt kann es diesen Geistern geben. Wenn es daher ein physisches oder moralisches Uebel gestattet, so geschieht es nicht, weil ohnedem ein anderes grösseres physisches oder moralisches Uebel ganz unvermeidlich folgen würde. Alle Gründe für eine Mischung von Uebeln und Gütern, die aus der beschränkten Macht des Wohlthäters gerechtfertigt werden, würde bei diesem Wesen keine Anwendung finden.«

Es ist richtig, dass Gott aus dem Stoffe und den Geistern alles macht, was er will; allein er gleicht einem guten Bildhauer, welcher aus seinem Marmorblock nur das Beste und das, was er für gut hält, machen will. Gott macht aus dem Stoffe die schönste aller möglichen Maschinen; er macht aus den Geistern die schönste aller möglich-denkbaren Regierungen und noch mehr, er errichtet für ihre Vereinigung die vollkommenste aller Harmonien nach dem von mir dargelegten Systeme. Da nun sich das physische und moralische Uebel in diesem vollkommenen Werke vorfinden, so muss man (gegen das was Herr Bayle hier behauptet) annehmen, dass ohnedem ein noch grösseres Uebel ganz unvermeidlich gewesen sein würde. Ein so grosses Uebel würde ergeben, dass Gott schlecht gewählt haben würde, wenn er anders, als geschehen, gewählt hätte. Gott ist allerdings allmächtig; allein seine Macht ist unbestimmt in ihrer Richtung und die Güte und Weisheit bestimmen sie gemeinsam, das Beste zu schaffen. Herr Bayle macht noch einen ihm allein zugehörigen Einwurf, welchen er den Ansichten der modernen Cartesianer entnimmt, wonach Gott den Seelen beliebige Gedanken[199] einflössen kann, ohne diese von irgend einer Beziehung zum Körper abhängig zu machen. Dadurch könne man den Seelen eine Menge Uebel ersparen, welche nur von körperlichen Unordnungen herkommen. Hierüber werde ich noch später sprechen, hier möge die Bemerkung genügen, dass Gott kein schlecht in sich verbundenes System voller Dissonanzen aufstellen konnte. Die Natur der Seele ist der Art, dass sie unter andern auch die Körper vorstellt.

131. XVI. »Man ist eben so sehr Ursache eines Ereignisses, wenn man es auf moralischem Wege herbeiführt, wie wenn es auf physischem geschieht. Ein Staatsminister, welcher ohne aus seinem Cabinet herauszutreten, nur durch Benutzung der Leidenschaften bei den Leitern einer Niederträchtigkeit, alle deren Complote zerstört, ist nicht minder der Zerstörer dieser Niederträchtigkeit, als wenn er dies durch einen Handstreich thut.«

Ich kann diesen Satz annehmen. Man legt das Uebel immer moralischen Ursachen zur Last und nicht immer physischen. Wenn ich indess das Unrecht eines Andern nur durch Begehung eines eigenen Unrechts hindern kann, so darf ich es geschehen lassen und ich bin dann nicht Mitschuldiger und nicht die moralische Ursache. Bei Gott würde nun jeder Fehler von ihm für ein Unrecht seinerseits gelten; ja er würde selbst mehr als ein Unrecht sein, weil er die Göttlichkeit zerstörte. Es wäre aber ein grosser Fehler bei ihm, wenn er nicht das Beste erwählte, wie ich schon oft gesagt habe und er würde also in diesem Falle die Sünde nur durch etwas hemmen, was schlechter wäre, als alle Sünde.

132. XVII. »Es ist gleich, ob ich eine nothwendige Ursache oder eine freie Ursache in dem Zeitpunkte aufwende, wo ich letztere als bestimmt erkenne. Wenn ich annehme, dass das Schiesspulver die Kraft sich zu entzünden oder auch nicht zu entzünden hat, wenn das Feuer es berührt und wenn ich sicher weiss, dass es um 8 Uhr des Morgens Willens ist, sich zu entzünden, so bin ich die Ursache seiner Wirkungen, wenn ich das Feuer zu dieser Stunde an es heranbringe, ebenso als wenn ich angenommen hätte, dass, wie es wirklich der Fall ist, es sich hier um eine nothwendige Ursache[200] handelt. Denn für mich wäre es im ersten Falle keine freie Ursache mehr; ich benutzte das Pulver in dem Zeitpunkte, wo es durch seine eigene Wahl sich in der Nothwendigkeit befindet. Es ist unmöglich, dass ein Wesen frei oder nicht bestimmt sei in Beziehung auf das, wozu es schon entschlossen ist. Alles, was besteht, besteht nothwendig, wenn es besteht (to einai to on, hotan ê, kai to mê on mê einai, hotan mê ê, anankê. Es ist nothwendig, dass das Seiende ist, wenn es ist und dass das Nichtseiende wenn es nicht ist, nicht ist. Aristoteles Hermeneia, Kap. 9. Die Nominalisten haben diesen Satz von Aristoteles angenommen. Scotus und mehrere andere Scholastiker scheinen ihn zu verwerfen, allein im Grunde laufen ihre Unterscheidungen auf dasselbe hinaus. Man sehe die Jesuiten von Coimbra über diese Stelle bei Aristoteles, S. 880 u. f.)«

Auch diesen Satz kann ich annehmen, nur möchte ich einige Ausdrücke ändern. Ich nehme »frei« und »nicht bestimmt« nicht für ein und dasselbe, und ich halte »frei« und »bestimmt« für keine Gegentheile. Eine völlige Unbestimmtheit im Sinne eines völligen Gleichgewichts ist bei dem Menschen nicht vorhanden; es besteht immer ein Uebergewicht bei einer Neigung und man neigt deshalb nach einer Seite mehr als nach der andern; allein man ist niemals zu der Wahl, die man trifft, gezwungen, in dem Sinne einer unbedingten und metaphysischen Nothwendigkeit, da man anerkennen muss, dass Gott und der Weise durch eine moralische Nothwendigkeit zu dem bessern bestimmt werden. Man muss auch anerkennen, dass man zu der Wahl durch eine bedingte Nothwendigkeit gezwungen wird, wenn man wirklich wählt, und selbst schon vorher ist man durch die Wahrheit des Kommenden gezwungen, weil man dann es thun wird. Diese bedingten Nothwendigkeiten schaden nicht. Ich habe schon oben darüber mich ausgesprochen.

133. XVIII. »Wenn ein ganzes Volk sich der Empörung schuldig gemacht hat, so ist es keine genügende Milde, wenn man nur dem hundert-tausendsten Theile desselben verzeiht, und alle Uebrigen, selbst die Kinder an der Mutterbrust zu Tode bringt.«[201]

Man scheint anzunehmen, dass es hunderttausendmal mehr Verdammte alsErrettete gebe und dass die ungetauften Kinder zu den ersteren gehören. Ich habe beides bestritten; insbesondere die Verdammniss dieser Kinder. Ich habe schon früher darüber gesprochen. Herr Bayle macht diesen seinen Einwurf auch anderwärts geltend (Antwort auf die Fragen eines Provinzialen. Thl. III. Kap. 178. S. 1223), wo er sagt: »Offenbar muss ein Fürst, welcher sowohl gerecht wie gnädig handeln will, bei einer Stadt, die sich empört hat, sich mit der Bestrafung einer kleinem Zahl von Meuterern genügen lassen und den übrigen allen verzeihen; denn wenn die Zahl der Gezüchtigten zu der der Begnadigten sich wie Tausend zu Eins verhält, so kann er nicht für sanftmüthig, sondern nur für grausam gelten. Sicherlich würde er für einen abscheulichen Tyrann gelten, wenn er Strafen von langer Dauer anwendete und das Blut nur deshalb sparte, weil er meint, dass man den Tod einem elenden Leben vorziehen werde und wenn der Trieb der Rache mehr Antheil an seiner Strenge hätte, als die Absicht durch die beinah allen Aufrührern auferlegte Strafe dem allgemeinen Wohl zu dienen. Man meint, dass die Verbrecher, die man hinrichtet, ihr Verbrechen durch den Verlust ihres Lebens völlig aussühnen, dass das Volk nicht mehr verlangt, und dass es über ungeschickte Henker unwillig wird. Das Volk würde sie steinigen, wenn es wüsste, dass sie aus Absicht wiederholte Hiebe thun; selbst die dabei gegenwärtigen Richter wären nicht ausser Gefahr, wenn man glaubte, dass sie sich an diesem schlechten Spiel der Henker ergötzten und dass sie dieselben unter der Hand dazu veranlasst hätten. Man verstehe dies nicht in strenger Allgemeinheit. In manchen Fällen billigt es das Volk, dass man gewisse Verbrecher am langsamen Feuer sterben lässt, wie Franz I. einige Personen so sterben liess, welche nach den berüchtigten Placaten von 1534 der Ketzerei angeschuldigt waren. Das Volk hatte kein Mitleiden mit Ravaillac, der auf mehrfache Weise fürchterlich gequält wurde. Man sehe den Mercure Français. B. I. Blatt 453 u. f. Man sehe auch die Geschichte vom Tode Heinrich IV. von Peter Matthieu und man übersehe[202] nicht, was er über die Richter sagt, welche sich über die von diesem Vatermörder verdiente Strafe beriethen. Endlich ist es im höchsten Maasse notorisch, dass die Fürsten, welche sich nach dem heiligen Paulus richten würden, d.h. alle, welche er zum ewigen Tode verdammt, hinrichten lassen wollten, für Feinde des menschlichen Geschlechts und für Zerstörer der Gesellschaften gelten würden. Unzweifelhaft würden ihre Gesetze, anstatt nach dem Ziele aller Gesetzgeber die Gesellschaft aufrecht zu erhalten, mir ihren gänzlichen Untergang herbeiführen. [Man nehme die Worte des jüngeren Plinius hinzu, der Buch 8 in seinem 22. Briefe sagt: Mandemus memoriae, quod vir mitissimus, et ob hoc quoque maximus, Phrasea crebro dicere solebat, qui vitia odit, homines odit. (Ich bringe empfehlend in Erinnerung, was ein höchst milder und deshalb grosser Mann, Phrasea, öfters gesagt hat: ›Wer die Fehler hasst, hasst auch die Menschen.‹)]« Er fügt hinzu, dass man von den Gesetzen Drako's, des atheniensischen Gesetzgebers, sage, dass sie mit Blut, statt mit Tinte geschrieben seien, weil sie alle Verbrechen mit der höchsten Strafe belegten, und weil die Verdammniss eine viel grössere Strafe sei, als der Tod. Allein man bedenke, dass die Verdammniss eine Folge der Sünde ist, und ich antwortete einmal einem Freunde, welcher mir das Missverhältniss zwischen einer ewigen Strafe und einem begrenzten Verbrechen vorhielt, dass hier nichts Unrechtes sei, wenn die Fortdauer der Strafe nur eine weitere Folge von der Fortdauer der Sünde sei, wie ich noch später besprechen werde. Was die Zahl der Verdammten anlangt, so würde, wenn sie bei den Menschen viel grösser, als die der Geretteten sein sollte, dies nicht hindern, dass in dem Universum die glücklichen Geschöpfe an Zahl die unglücklichen weit übertreffen. Das Beispiel eines Fürsten, welcher nur die Häupter der Empörer bestraft und das Beispiel eines Feldherrn, der ein Regiment nur dezimirt, haben hier keine Anwendung. Das eigene Interesse nöthigt den Fürsten und Feldherrn, den Schuldigen zu verzeihen, selbst wenn sie schlecht bleiben sollten; Gott dagegen verzeiht nur denen, die sich bessern; er kann sie herausfinden und diese Strenge entspricht mehr der[203] vollkommenen Gerechtigkeit. Fragt man aber, weshalb Gott nicht Allen das Geschenk der Bekehrung gewährt, so gehört dies zu einer andern Frage, die mit dem Satze hier keine Beziehung hat. Ich habe schon gewissermassen darauf geantwortet, nicht um die Gründe Gottes darzulegen, sondern nur um zu zeigen, dass ihm solche nicht fehlen werden und dass dagegen sich nichts vollgültiges sagen lasse. Wir wissen endlich, dass man manchmal ganze Städte zerstört und die Bewohner über die Klinge springen lässt, um die Uebrigen abzuschrecken. Dergleichen kann einen grossen Krieg oder eine grosse Empörung abkürzen und man spart dadurch Blut, indem man es vergiesst; das ist kein dezimiren. Ich kann allerdings nicht behaupten, dass die Bösen unseres Welttheils so streng bestraft werden, um die Bewohner anderer Himmelskörper in Furcht zu erhalten und zu bessern; allein viele andere Gründe der all gemeinen Harmonie können dieselbe Wirkung hervorbringen, welche wir nicht kennen, weil uns die Ausdehnung des Gottesstaats und die Form der allgemeinen Republik der Geister und der ganze Aufbau der Körper nicht genügend bekannt ist.

134. XIX. »Die Aerzte, welche unter vielen zur Heilung eines Kranken geeigneten Medicinen, von denen sie wissen, dass er mehrere sehr gern einnehmen werde, gerade die auswählen, von der sie wissen, dass der Kranke sie nicht einnehmen wird, haben gut ermahnen und bitten, er solle sie nehmen; man wird doch mit Recht glauben, dass sie keine Lust haben, ihn zu heilen, denn sonst würden sie ihm eine von den guten Arzneien gegeben haben, von denen sie wissen, dass er sie gern hinnimmt. Wissen sie ausserdem, dass die Abweisung der verordneten Arznei die Krankheit erschweren und tödtlich machen werde, so könnte man wohl sagen, dass sie, trotz aller ihrer Ermahnungen, doch den Tod des Kranken wünschen.«

Gott will alle Menschen erretten; d.h. er würde sie erretten, wenn sie selbst ihn nicht daran hinderten und die Annahme seiner Gnade verweigerten und Gott ist weder verpflichtet noch durch seine Vernunft geneigt, den bösen Willen immer zu überwinden. Dennoch thut er dies manchmal, wenn höhere Gründe dies gestatten[204] und wenn sein nachfolgender und beschliessender Wille, der sich aus allen seinen Erwägungen ergiebt, ihn zur Auswahl einer bestimmten Anzahl Menschen veranlasst. Er leistet Allen Hülfe zu ihrer Bekehrung und Beharrlichkeit; diese Hülfe genügt für die, welche den guten Willen haben, aber sie genügt nicht immer zur Verleihung des guten Willens. Die Menschen erlangen diesen guten Willen entweder durch besondere Hülfe oder durch Umstände, welche die allgemeinen Hülfen erfolgreich machen. Gott bietet auch noch Hülfsmittel an, trotzdem dass er weiss, dass man sie abweisen und dadurch sich noch schuldiger machen werde; aber soll denn Gott ungerecht sein, damit der Mensch weniger strafbar sei? Auch kann die Gnade, welche den einen nichts hilft, andern nützen und sie gehört immer zur Vollständigkeit des Planes Gottes, welcher der beste ist, der zu fassen möglich ist. Soll Gott keinen Regen senden, weil einzelne Orte davon Schaden leiden? Soll die Sonne nicht so viel scheinen, als es im allgemeinen nöthig ist, weil einzelne Orte dadurch zu sehr ausgetrocknet werden? Alle jene von Herrn Bayle in seinen Sätzen gegebenen Beispiele von einem Arzt, einem Wohlthäter, einem Staatsminister, einem Fürsten sind nur deshalb schlagend, weil man deren Pflichten kennt sammt dem, was der Gegenstand ihrer Sorgfalt sein kann und soll; sie haben es nur mit einem Gegenstande zu thun und sie fehlen hier oft aus Nachlässigkeit oder Bosheit. Der Gegenstand Gottes hat etwas unendliches an sich; seine Sorgfalt umfasst das Universum; was wir davon kennen, ist so viel wie nichts und doch wollen wir seine Weisheit und Güte nach unserm Wissen messen; welche Verwegenheit oder besser, welche Thorheit! Die Einwürfe setzen Falsches voraus; es ist verkehrt, wenn man über das Recht entscheiden will, ohne das Thatsächliche zu kennen. Wenn man mit dem heiligen Paulus ausruft: O altitudo divitiarum et sapientiae (Oh, welche Grösse der Reichthümer und der Weisheit), so entsagt man nicht der Vernunft; im Gegentheil, man benutzt die Gründe, welche man kennt; denn sie lehren uns jene Unermesslichkeit Gottes, von welcher der Apostel spricht. Man gesteht damit nur seine Unkenntniss des Thatsächlichen, aber erkennt, ehe man[205] es sieht, dass Gott alles so gut, als möglich macht, in Gemässheit seiner All-Weisheit, welche sein Handeln leitet. Wir haben allerdings schon davon Proben und Ausführungen vor uns, wenn wir etwas in sich ganz Vollendetes und Einzelnes so zu sagen unter Gottes Werken erblicken. Ein solches, so zu sagen von der Hand Gottes gebildetes Ganze ist eine Pflanze, ein Thier, ein Mensch. Wir können die Schönheit und das Kunstvolle seines Baues nicht genug bewundern. Sehen wir dagegen einen zerbrochenen Knochen, ein Stück Fleisch von Thieren, einen Zweig von einer Pflanze, so scheint da nur Unordnung zu sein, wenn nicht ein tüchtiger Anatom sie betrachtet und auch dieser würde darin nichts erkennen, wenn er nicht früher solche Stücke in Verbindung mit dem Ganzen gesehen hätte. So ist es auch mit der Regierung Gottes; das, was wir bis jetzt davon sehen können, ist ein Stück und nicht gross genug, um daran die Schönheit und Ordnung des Ganzen zu erkennen. So führt die Natur der Dinge von selbst dahin, dass diese Ordnung in dem Staate Gottes, den wir hier unten noch nicht sehen, der Gegenstand unseres Glaubens, unserer Hoffnung, unseres Gottvertrauens ist. Giebt es Leute, die hier anders urtheilen, desto schlimmer für sie; sie sind die Unzufriedenen in diesem Staate, der grösser und besser ist, als alle Monarchieen. Sie handeln unrecht, dass sie die Proben, welche er von seiner Weisheit und unendlichen Güte gegeben hat, nicht beachten, womit Gott sich nicht blos als ein bewundernswürdiger, sondern auch liebenswürdig über Alles hinaus zu erkennen giebt.

135. Ich hoffe, dass Alles, was in diesen 19 von mir betrachteten Sätzen des Herrn Bayle enthalten ist, die erforderliche Antwort erhalten haben wird. Es scheint, dass er früher viel über diesen Gegenstand nachgedacht hat und daher das stärkste in diesen Sätzen ausgesprochen hat, was sich über die moralische Ursache des moralischen Uebels sagen liess. Indess finden sich hierüber noch hie und da verschiedene Stellen in seinen Werken, die man nicht gut mit Stillschweigen übergehen kann. Er übertreibt oft die Schwierigkeit, die nach seiner Ansicht besteht, wenn man Gott ganz von der Schuld an der Sünde befreien will. Er bemerkt (Antwort[206] auf die Fragen etc. Kap. 161, S. 1024), dass Molina, im Fall er auch die Freiheit mit dem Vorherwissen vereinigt habe, doch dies nicht in Bezug auf die Verträglichkeit der Güte und Heiligkeit Gottes mit der Sünde gethan habe. Er lobt die Aufrichtigkeit derer, welche offen eingestehen (wie Piscator nach ihm gethan haben soll), dass alles zuletzt auf den Willen Gottes zurückgeführt werden müsse, und welche behaupten, dass Gott nicht aufhören würde, gerecht zu sein, selbst wenn er der Urheber der Sünde wäre und selbst wenn er Unschuldige verdamme. Auf der andern Seite, oder in andern Stellen billigt er, wie es scheint, die Ansichten derer, welche Gottes Güte auf Kosten seiner Grösse retten, wie Plutarch es in seinem Buche gegen die Stoiker thut, wo er sagt: »Es wäre vernünftiger, wenn man mit den Epikuräern anerkennte, dass unzählige Theilchen (oder Atome, die zufällig in einem grenzenlosen Raume herumspringen), durch ihre Kraft die Schwäche Jupiters überwögen und trotz seiner und gegen seinen Willen und seine Natur, viele schlechte und unsinnige Dinge zu Stande brächten, als darin einzustimmen, dass er der Urheber von aller Verwirrung und Schlechtigkeit sei.«

Das was sich hier für die eine oder die andere Partei, für oder gegen die Stoiker und Epikuräer sagen lässt, scheint Herrn Bayle zu dem epechein der Pyrrhonianer geführt zu haben, d.h. zur Zurückhaltung des Urtheils in Beziehung auf die Vernunft, sofern der Glaube bei Seite gelegt wird, dem er sich, wie er sagt, offen unterwerfe.

136. Indem er indess seine Begründungen weiter verfolgt, scheint es, als habe er die Aussprüche der Sekte des Monés, eines Ketzers aus dem dritten Jahrhundert des Christenthums, wieder aufwecken und verstärken wollen, oder die eines gewissen Paulus, eines Hauptes der armenischen Manichäer aus dem siebenten Jahrhundert, von dem sie den Namen der Paulianer erhielten. Alle diese Ketzer erneuerten das, was ein alter Philosoph im obern Asien, Namens Zoroaster, gelehrt hatte, wonach es zwei vernünftige Prinzipien aller Dinge, ein gutes und ein böses giebt. Diese Lehre herrscht bei den Indiern, wo noch jetzt viele Leute[207] diesen Irrthum festhalten, der sehr geeignet ist, die menschliche Unwissenheit und Abergläubigkeit für sich einzunehmen, da selbst in Amerika viele wilde Völker ähnliches angenommen haben, ohne der Philosophie zu bedürfen. Die Slaven hatten (nach Helmold) ihren Zarnebog, d.h. ihren schwarzen Gott. Die Griechen und die Römer hatten trotz ihrer Weisheit einen Vejovis, oder Gegen-Jupiter, der auch Pluto hiess und daneben noch eine Menge böser Gottheiten. Die Göttin Nemesis liebte es, die sehr Glücklichen zu erniedrigen und Herodot deutet an mehreren Stellen an, dass alle Götter nach seiner Ansicht neidisch seien, was indess nicht zu der Lehre von zwei Prinzipien stimmt.

137. Plutarch kennt in seiner Abhandlung über Isis und Osiris keinen ältern Schriftsteller, der dies gelehrt habe, als den Magiker Zoroaster, wie er ihn nennt. Trogus oder Justin macht daraus einen König der Baktrier, welcher von Ninus oder Semiramis besiegt wurde. Er schreibt ihm die Kenntniss der Astronomie und die Erfindung der Magie zu; indess war diese Magie wohl die Religion der Feueranbeter und er hat anscheinend das Licht oder die Wärme als das gute Prinzip aufgefasst; indess fügte er demselben das böse Prinzip hinzu, d.h. die Dunkelheit, die Finsterniss, die Kälte. Plinius erwähnt das Zeugniss eines gewissen Hermippus, eines Auslegers von Zoroaster's Büchern, der ihn zum Schüler eines Azonacus in der Magie macht, im Fall dieser Name nicht den verdorbenen Oromases bezeichnet, über den ich noch sprechen werde, und welchen Plato im Alcibiades zum Vater des Zoroaster macht. Die neueren Orientalen nennen den griechischen Zoroaster Zerdust; er soll dem Mercur entsprechen, weil die Mittwoch (Mercredi) bei einigen Völkern ihren Namen davon erhalten hat. Seine Geschichte und die Zeit, wenn er gelebt hat, ist schwer aufzuklären. Snider setzt ihn 500 Jahr vor der Eroberung Troja's an; die Aelteren nehmen nach den Berichten von Plinius und Plutarch das zehnfache an. Indess setzt ihn der Lydier Xanthus (in der Vorrede des Diogenes Laertius) nicht früher, als 600 Jahr vor dem Feldzug des Xerxes. Plato erklärt an der erwähnten Stelle, wie Herr Bayle bemerkt, dass die Magie des Zoroaster nur in dem[208] Studium der Religion bestanden habe. Herr Hyde sucht in seinem Buche über die Religion der alten Perser diese Magie zu rechtfertigen, und sie nicht nur von dem Verbrechen der Gottlosigkeit rein zu waschen, sondern auch von dem der Abgötterei. Der Feuerkultus bestand bei den Persern und Chaldäern. Man glaubt, dass Abraham ihn bei seinem Abgang von Ur in Chaldäa verlassen habe. Mithra war die Sonne und war auch der Gott der Perser und nach Ovid hat man ihm Pferde geopfert;


Placat equo Persis radiis Hyperiona cinctum

Ne detur celeri victima tarda Deo.


(Perses versöhnte den Strahlenbekränzten Hyperion durch ein Pferd, damit dem schnellen Gotte kein langsam sich bewegendes Opfer gebracht werde.) Indess glaubt Herr Hyde, dass die Perser bei ihrem Gottesdienst die Sonne und das Feuer nur als Symbole der Gottheit benutzten. Vielleicht muss man hier, wie anderwärts, zwischen den Weisen und dem Volke unterscheiden. In den bewundernswerthen Ruinen von Persepolis oder von Tschel-Minar (was 40 Säulen bedeutet) finden sich Reliefs, welche ihre Gebräuche darstellen. Ein holländischer Gesandter hatte sie von einem Maler mit vielen Unkosten abzeichnen lassen, welcher viel Zeit darauf verwendet hatte. Durch irgend einen Zufall kamen diese Zeichnungen in die Hände von Herrn Chardin, den bekannten Reisenden, wie er selbst erzählt und es wäre schade, wenn sie verloren gingen. Diese Ruinen gehören zu den ältesten und schönsten Bauwerken der Erde und ich wundere mich, dass ein so wissbegieriges Zeitalter, wie das unsrige, sich so wenig darum kümmert.

138. Die alten Griechen und die neueren Orientalen stimmen darin überein, dass Zoroaster den guten Gott Oromazes genannt habe, oder vielmehr Oromasdes und den bösen Gott Arimanius. In Erwägung, dass die grossen Fürsten von Hoch-Asien den Namen Hormisdas führen, und dass Irmin oder Hermin ein Gott oder Heroe der Celtoscythen, d.h. der Germanen gewesen ist, ist mir der Gedanke gekommen, dass dieser[209] Arimanius oder Irmin ein alter grosser Eroberer gewesen sein mag, der von Westen gekommen ist, wie Tchingis Chan und Tamerlan, die von Osten kamen, es später gewesen sind. Ariman würde also von Nordwesten, d.h. von Germanien und Sarmatien gekommen sein; er wild durch die Alanen und Massageten gezogen und in den Staat eines Hormisdias eingefallen sein, welcher ein grosser König in Hoch-Asien war, wie andere Scythen nach dem Bericht des Herodot es zur Zeit des Cyaxares, Königs der Meder gethan haben. Dieser Monarch, welcher civilisirte Völker regiert und sie gegen die Barbaren zu vertheidigen gesucht habe, mag später bei denselben Völkern für den guten Gott gehalten worden sein, während das Haupt der Verwüster zum Symbol des bösen Prinzips geworden, was alles ganz natürlich ist. Nach dieser Mythologie scheinen diese beiden Fürsten lange mit einander gekämpft zu haben, ohne dass einer den andern besiegt hat. So haben sich beide als die beiden Prinzipien erhalten und nach der, dem Zoroaster zugeschriebenen Hypothese, sich in die Herrschaft der Welt getheilt.

139. Es bleibt also nur zu beweisen, dass ein alter Gott oder Heroe der Germanen Hermann, oder Ariman, oder Irmin genannt worden ist. Tacitus berichtet, dass die drei Völker, welche Germanien bildeten, die Ingävonen, die Istävonen und die Herminonen oder Hermionen nach den drei Söhnen des Mannus benannt worden. Mag dies wahr sein oder nicht, so zeigt es doch, dass ein Heroe, Namens Hermin, bestanden hat, von dem die Hermionen, wie dem Tacitus gesagt worden, ihren Namen erhalten hatten. Herminons, Hermenner, Hermunduri bezeichnen dasselbe, nämlich Soldaten. Selbst in der spätem Geschichte waren die Arimanni militärische Männer und in dem Lombardischen Recht giebt es ein Leim von Arimandia.

140. Ich habe anderwärts gezeigt, dass anscheinend der Name eines Theils von Germanien dem Ganzen beigelegt worden und dass nach diesem Namen Hermionen oder Hermunduren alle deutschen Völker Hermannen oder Germanen genannt worden sind; denn der Unterschied dieser beiden Worte liegt nur in der Betonung des H. Ebenso unterscheidet sich der Anfangslaut in dem[210] Germani der Römer und dem Hermanos der Spanier oder in dem Gammarus der Lateiner und dem Hummer (einem Seekrebs) der Niederdeutschen. Auch kommt es oft vor, dass der Name eines Theiles einer Nation auf die ganze übertragen wird; so sind alle Germanen von den Franzosen Alemannen genannt worden, obgleich dieser Name nach dem alten Gebrauch nur den Schwaben und Schweizern zukommt. Obgleich Tacitus den Ursprung des Namens Germanen nicht recht gekannt hat, sagt er doch etwas, was diese meine Ansicht unterstützt, indem es nach ihm der Name von etwas Erschreckendem oder Erschrecklichem ist, wie das lateinische ob metum (aus Furcht). Es bedeutet nämlich einen Krieger; Heer, Hari ist das Heer; davon kommt Hariban oder Ruf des Haro, d.h. ein allgemeiner Befehl, sich in dem Heere einzufinden, was man in Arriere-Ban verunstaltet hat. Deshalb ist Hariman oder Ariman, German oder Guerremann ein Soldat. Denn so wie Hari, Heer die Armee ist, so bezeichnet Wehr die Waffen; wehren, fechten, Kriegführen; das Wort Guerre, Guerra kommt offenbar aus demselben Stamm. Ich habe bereits von dem feudum Arimandiae (Lehn in Bezug auf den Heerbann) gesprochene nicht blos die Herminonen oder Germanen bedeuten dasselbe, sondern auch jener alte Herman, der angebliche Sohn von Mannus hat diesen Namen anscheinend erhalten, um ihn damit vorzugsweise als Krieger zu bezeichnen.

141. Indess handelt nicht blos diese Stelle bei Tacitus von diesem Gotte oder Heroen; sicherlich hat es einen solchen bei diesen Völkern gegeben, denn Karl der Grosse hat in der Nähe der Weser die sogenannte Irminsäule angetroffen und zerstört, welche zu Ehren dieses Gottes errichtet worden war. Dies in Verbindung mit der Stelle bei Tacitus zeigt, dass dieselbe nicht dem berühmten Arminius, dem Feind der Römer gegolten hat, sondern der Cultus hat einem grösseren und älteren Heroen gegolten. Arminius hatte zwar den gleichen Namen, wie ja auch heutzutage noch viele Hermann heissen, aber Arminius war nicht gross, nicht glücklich und durch ganz Germanien nicht bekannt genug, um die Ehre eines öffentlichen Cultus zu erlangen, der selbst bei entfernteren Völkern, wie bei den[211] Sachsen bestand, die erst lange nach ihm in das Land der Cherusker gekommen sind. Unser Arminius, welchen die Asiaten für den bösen Gott halten, bestätigt diese meine Meinung; denn in diesen Fragen bestätigt eines das andere auch ohne logischen Cirkel, gegenseitig, sofern ihre Grundlagen sich auf dasselbe Ziel richten.

142. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Hermes (d.h. Mercur) der Griechen derselbe Hermin oder Ariman ist. Er kann der Erfinder oder Beförderer der Künste und eines etwas mehr civilisirten Lebens bei denen seiner Nation und in den Ländern gewesen sein, wo er der Herr war, und dabei konnte er sehr wohl bei seinen Feinden für den Urheber der Unordnung gelten. Wer weiss, ob er nicht bis nach Egypten gekommen ist; auch die Scythen kamen bei der Verfolgung des Sesostris in die Nähe dieses Landes. Theut, Menes und Hermes waren in Egypten bekannt und geehrt. Sie könnten Tuisco, sein Sohn Mannus und Herman, des Mannus Sohn nach des Tacitus Genealogie sein. Menes gilt für den ältesten König von Egypten; Theut war bei ihnen ein Name für Mercur. Wenigstens ist der Name Theut oder Tuisco, von dem nach Tacitus die Germanen abstammen, und von dem die Teutonen, Tuitsche (d.h. Germanen) noch heute den Namen haben, derselbe mit dem Teutotes, welchen nach Lucian die Gallier verehrten und welchen Cäsar für den Dito Patre oder Pluto genommen hat, weil dessen lateinischer Name dem Namen Theut oder Thiet, Titan, Theodore ähnelt, welcher in alten Zeiten Männer, Völker und auch einen ausgezeichneten Mann (wie das Wort Baron) und endlich einen Prinzen bezeichnete. Es giebt für alle diese Bedeutungen Gewährsmänner, ich darf mich indess nicht dabei aufhalten. Herr Otto Sperling, welcher sich durch mehrere gelehrte Schriften bekannt gemacht und von dem noch mehrere bald erscheinen werden, hat in einer Abhandlung ausdrücklich über den Teutotes, einen celtischen Gott gehandelt. Einige Bemerkungen, die ich ihm darüber mitgetheilt, sind mit seiner Antwort in die literarischen Neuigkeiten vom Baltischen Meer aufgenommen worden. Er verstellt etwas anders als ich jene Stelle bei Lucian:


[212] Teutates, pollensque feris altaribus Hesus

El Taramis, Scythicae non mitior ara Dianae.

(Teutates und Hesus mit der Menge seiner wilden Altäre

Und Taramis, der nicht mildere Altar der Scythischen Diana.)


Hesus scheint der Gott des Krieges gewesen zu sein, welchen die Griechen Ares und die alten Deutschen Erich nannten; der Dienstag, Mardi hat noch von ihm den Namen Erich-Tag. Die Laute R und S, welche demselben Organ zugehören, werden leicht vertauscht; z.B. Moor und Moos, Geren und Gesen; Er war und Er was; Fer, Hierro, Eiron, Eisen. Ebenso Papisius, Valesius, Fusius statt Papirius, Valerius, Furius bei den alten Römern. Was Taramis oder vielleicht Taranis anbetrifft, so ist bekannt, dass Taranden Donner bedeutete, oder den Donnergott (den die alten Gelten Tor nannten) bei den westlichen Germanen. Bei den Engländern hat sich daran der Name Thursdag, jeudi, dies Jovis erhalten. Die Stelle bei Lucian will also sagen, dass der Altar des Taran, des Gottes der Gelten nicht weniger grausam war, als der der Taurischen Diana; Taranis aram non mitiorem ara Dianae Scythicae fuisse.

143. Es ist auch möglich, dass zu einer Zeit abendländische oder celtische Fürsten sich zu Herren von Griechenland, Egypten und einem Theil von Asien gemacht haben und dass deren Cultus sich in diesen Ländern erhalten hat. Wenn man bedenkt, mit welcher Schnelligkeit die Hunnen, die Saracenen und die Tartaren eines grossen Theils von unserm Continent sich bemächtigt haben, so wird man dies weniger wunderbar finden; auch bestätigt es die grosse Zahl von übereinstimmenden Worten in der deutschen und celtischen Sprache. Callimachus scheint in einem Lobgesang auf Apoll anzudeuten, dass die Gelten, welche unter ihrem Brennus oder Anführer den Tempel zu Delphi angriffen, zur Nachkommenschaft der alten Titanen und Riesen gehörten, welche gegen Jupiter und die anderen Götter, d.h. asiatische und griechische Fürsten Krieg führten;[213] ja Jupiter selbst kann vielleicht von Titan oder Theodon abstammen, d.h. von früheren celto-scythischen Fürsten und damit stimmt das, was der verstorbene Abt von Charmoye über die Abkunft der Gelten gesammelt hat, wenngleich manches andere in dem Werke dieses gelehrten Verfassers nicht wahrscheinlich erscheint, namentlich dass er die Germanen nicht zu den Gelten rechnet. Er erinnert sich dabei nicht genügend der Berichte der Alten und er hat die Beziehungen zwischen der alten celtischen und germanischen Sprache nicht genügend gekannt. Also waren die angeblichen Riesen, welche den Himmel stürmen wollten, spätere Gelten, welche der Fährte ihrer Vorfahren nachgingen, und Jupiter, obgleich so zu sagen ihr Verwandter, war genöthigt, sich ihnen zu widersetzen, wie die Westgothen, welche sich unter den Gelten niedergelassen hatten in Gemeinschaft mit den Römern sich den übrigen germanischen und scythischen Völkerschaften entgegenstellten, die ihnen unter der Führung Attila's nachfolgten, welcher damals die scythischen, sarmatischen und germanischen Stämme von den Grenzen Persiens bis zum Rhein beherrschte. Indess hat das Vergnügen, wenn man in den Götter-Mythologien Spuren einer Geschichte fabelhafter Zeiten findet, mich vielleicht zu weit fortgeführt und ich weiss nicht, ob ich mich dabei besser vorgesehen, wie Goropius Becanus, wie Schrick, wie Herr Rudbek und der Abt von Charmoye.

144. Ich kehre zu Zoroaster zurück, welcher uns zu Oromasdes und Arimanus gebracht hat, den Urhebern des Guten und Bösen. Wir wollen annehmen, dass er sie als zwei ewige Prinzipien aufgefasst habe, die einander entgegenstehen, obgleich diese Annahme nicht unzweifelhaft ist. Man glaubt, dass Marcion, der Schüler des Cerdon, dieser Ansicht mit Manes gewesen sei. Herr Bayle erkennt an, dass diese Männer ihre Meinungen nur schwach begründet haben; er meint, dass sie ihren Vortheil nicht genügend erkannt und ihren stärksten Grund, nicht geltend gemacht hätten, nämlich die Schwierigkeit, die Entstehung des Uebels zu erklären. Er meint, ein geschickter Mann von ihrer Seite hätte die Orthodoxen sehr in Verlegenheit bringen können, und anscheinend hat er selbst in Ermangelung eines[214] Andern dieses Geschäft übernommen, was nach dem Urtheil Vieler gar nicht nöthig war. Er sagt in seinem Wörterbuch im Artikel Marcion S. 2039: »Alle von den Christen aufgestellte Hypothesen wenden die gegen sie geführten Hiebe nicht ab; wenn sie thätig vorgingen, würden sie alle triumphiren, aber sie verlieren all ihre Vortheile, wenn sie sich auf Vertheidigung gegen die Angriffe beschränken.« Er gesteht, dass die Dualisten (wie er sie mit Herrn Hyde nennt), d.h. die Vertheidiger zweier Prinzipien sehr bald durch Gründe a priori in die Flucht geschlagen sein würden, welche von der Natur Gottes entnommen wären, aber er meint, dass sie ihrerseits triumphiren, wenn man zu den Gründen a posteriori greift, die von dem Dasein des Uebels zu entnehmen sind.

145. Er geht hierbei in seinem Wörterbuch beim Artikel: Manichäer S. 2025 in viele Einzelheiten ein, die man zur bessern Aufklärung der Sache näher betrachten muss. Er sagt: »Die sichersten und klarsten Begriffe von Ordnung lehren uns, dass ein Wesen, welches durch sich selbst besteht, welches nothwendig und ewig ist, auch einzig, unendlich, allmächtig und mit jeder Art von Vollkommenheit ausgestattet sein muss.« Diese Begründung hätte wohl etwas ausführlicher sein sollen. Er fährt dann fort: »Man muss jetzt prüfen, ob die Vorgänge in der Natur sich durch die Annahme eines einzigen Prinzips bequem erklären lassen.« Ich habe dies genügend dadurch gethan, dass ich gezeigt, wie in einzelnen Fällen einige Unordnung in einem Theile nothwendig ist zur Erzeugung einer grössern Ordnung im Ganzen. Herr Bayle scheint aber etwas zu viel zu fordern; er will, dass man ihm im Einzelnen zeige, wie das Uebel mit dem besten Plane für das Universum verknüpft sei. Dies wäre eine vollständige Erklärung der Vorgänge; allein ich unternehme dies nicht und bin auch dazu nicht genöthigt, da man zu dem in unserem Zustande Unmöglichen nicht verpflichtet sein kann; es genügt die Erkenntniss, dass ein einzelnes Uebel mit dem für das Ganze Besten sehr wohl verknüpft sein kann. Diese unvollkommene Erklärung, welche eine weitere Aufklärung in jenem[215] Leben gestattet, genügt zur Widerlegung der Einwürfe, wenn auch nicht zum begreifen der Dinge.

146. Herr Bayle fügt hinzu: »Die Himmel und alles Uebrige im Universum predigen den Ruhm, die Macht, die Einheit Gottes.« Hier hätte daraus gefolgert werden sollen, dass dies geschehe (wie ich schon oben bemerkt habe), weil man in diesen Dingen so zu sagen einen ganzen und vereinzelten Gegenstand sieht. Allemal, wenn man ein solches Werk Gottes erblickt, findet man es so vollendet, dass man dessen Kunst und Schönheit bewundern muss. Sieht man aber kein ganzes Werk, sondern nur Stücke und Lappen, so ist es nicht zu verwundern, wenn diese gute Ordnung sich nicht zeigt. Unser Planetensystem stellt ein solches vereinzeltes Werk vor, was, für sich betrachtet vollkommen erscheint; jede Pflanze, jedes Thier, jeder Mensch ist ein solches bis zu einem gewissen Punkte vollkommenes Werk; man sieht in ihm das wunderbare Kunstwerk seines Urhebers; aber das menschliche Geschlecht ist, so weit wir es kennen, doch nur ein Bruchstück, ein kleiner Theil des Staates Gottes oder des Freistaats der Geister. Dieser ist für uns zu ausgedehnt, wir wissen zu wenig von ihm, um seine wunderbare Ordnung erkennen zu können. Herr Bayle sagt: »Der Mensch allein, dieses Meisterwerk seines Schöpfers unter den sichtbaren Dingen, der Mensch allein bietet Anlass zu grossen Einwürfen gegen die Einheit Gottes.« Auch Claudian hat dieselbe Bemerkung gemacht und sein Herz durch die bekannten Verse erleichtert:


Saepe mihi dubiam traxit sententia mentem etc.

(Oft hat der Ausspruch Zweifel in meinem Geiste erregt u.s.w.)


Allein die Harmonie in allem Uebrigen spricht sehr dafür, dass sie auch in der Leitung der Menschen bestehen werde und überhaupt in der Leitung der Geister, wenn wir das Ganze kennten. Man muss über die Werke Gottes so verständig urtheilen, wie Socrates über die des Heraclit es mit den Worten that: »Das was ich davon verstehe, gefällt mir und ich glaube, dass auch[216] das Uebrige mir gefallen würde, wenn ich es verstände.«

147. Es giebt auch noch einen besondern Grund für die scheinbare Unordnung in Betreff des Menschen; er liegt in dem Geschenke der Ebenbildlichkeit Gottes, welches ihm gewährt worden, indem ihm die Vernunft gegeben worden. Gott lässt den Menschen in seinem kleinen Bezirk wirthschaften, ut Spartam, quam nactus est, ornet. (Damit er das Sparta, was er erlangt, schmücke.) Gott wirkt dabei nur in verborgener Weise, indem er dem Menschen das Sein, das Leben, die Vernunft gewährt, ohne sich sehen zu lassen. Hier treibt der freie Wille sein Spiel und Gott erfreut sich, so zu sagen, an diesen kleinen Göttern, deren Erschaffung er für gut befunden, so wie wir uns an den Thätigkeiten der Kinder erfreuen, die wir unter der Hand bald befördern, bald hemmen, wie es uns gefällt. Der Mensch ist daher ein kleiner Gott in seiner eignen Welt, oder in dem Mikrokosmos, den er nach seiner Weise regiert; er bringt mitunter Wunderbares zu Staude und seine Kunst ahmt oft die Natur nach.


Jupiter in parvo cum cerneret aethera vitro

Risit, et ad Superos talia dicta dedit:

Huccine mortalis progressa potentia, Divi?

Jam meus in fragili luditur orbe labor.

Jura poli, rerumque fidem, legesque Deorum

Cuncta Syracusius transtulit arte Senex

Quid falso insontem tonitru Salmonea miror?

Aemulo naturae est parva reperta manus.


(Als Jupiter im kleinen Glase die Oberwelt schaute

Lachte er und sprach folgendes zu den Göttern:

So weit ist schon die Macht der Sterblichen gelangt?

Schon wird meine Arbeit in dem gebrechlichen Erdkreis verlacht

Die Mächte des Pols, die Zuverlässigkeit der Dinge, die göttlichen Gesetze

Das alles hat der Greis von Syracus durch seine Kunst überliefert,

Was wundere ich mich über den unschuldigen Salmoneus mit seinem nachgemachten Donner?

Die kleine Hand wetteifert mit der Natur.)
[217]

Aber es bleiben auch die grossen Fehler nicht aus, weil der Mensch sich seinen Leidenschaften hingiebt, und Gott ihn seinen Sinnen überlässt; er straft ihn auch deshalb, bald wie ein Vater oder Lehrer, der die Kinder übt und züchtigt, bald wie ein gerechter Richter, welcher diejenigen bestraft, die ihn verlassen und das Uebel kommt meist davon, dass diese verschiedenen verständigen Wesen oder deren kleine Welten sich unter einander stossen. Der Mensch befindet sich dabei übel, so weit er Unrecht hat; allein Gott verwendet in wunderbarer Kunst alle Mängel dieser kleinen Welten zum grössten Schmuck seiner grossen Welt, gleich den perspektivischen Erfindungen, wo gewisse schöne Zeichnungen nur wie Verwirrungen sich zeigen, bis man sie von der richtigen Stelle aus betrachtet, oder bis man sie durch ein besonderes Glas oder einen Spiegel sieht. Indem man sie richtigstellt und benutzt, werden sie zur Zierde eines Zimmers. So vereinigt sich auch das scheinbar Unschöne unsrer kleinen Welten, zu Schönheiten in der grossen und nichts von ihnen steht der Einheit eines allgemeinen, unendlich vollkommenen Prinzips entgegen; vielmehr steigern sie die Bewunderung seiner Weisheit, welche das Uebel zum Mittel des grösseren Guten macht.

148. Herr Bayle fährt fort: »Dass der Mensch böse und unglücklich sei; dass es überall Gefängnisse und Krankenhäuser gebe; dass die Geschichte nur eine Sammlung von Verbrechen und Unglück des menschlichen Geschlechts sei.« – Hier dürfte die Sache etwas übertrieben sein; es giebt im menschlichen Leben unvergleichlich mehr Gutes als Schlimmes, wie es ja auch unvergleichlich mehr Wohnhäuser wie Gefängnisse giebt. In Bezug auf Tugend und Laster besteht ein gewisses Mittelmaass. Schon Machiavell hat gesagt, dass es nur wenig sehr gute und sehr schlechte Menschen gebe und dies mache deshalb grosse Unternehmungen misslingen. Jene Ansicht ist eine falsche Auffassung der Geschichtsschreiber, die sich mehr an das Schlechte, wie an das Gute halten. Das Hauptziel der Geschichte ist, wie das der Dichtkunst, durch Beispiele die Klugheit und Tugend zu lehren, das Laster in seiner Abscheulichkeit zu zeigen und was dazu treibt oder dient, es zu vermeiden.

[218] 149. Herr Bayle gesteht, »dass man überall physisches und moralisches Gute antreffe, sowie einzelne Beispiele von Tugend und von Glück und dass dies die Schwierigkeit ausmache. Denn gäbe es (sagt er) nur Böse und Unglückliche, so brauchte man nicht die Annähme von zwei Prinzipien zu Hülfe zu nehmen.« Ich bewundere die grosse Hinneigung dieses ausgezeichneten Mannes zu diesen zwei Prinzipien und staune, dass er nicht erwogen hat, wie der Roman des menschlichen Lebens, welcher die allgemeine Geschichte des menschlichen Geschlechts bildet, in der göttlichen Vernunft neben unendlich vielen andern vorgebildet bestanden hat und dass Gott nur deshalb dessen Dasein beschlossen hat, weil diese Reihe von Vorgängen am meisten mit den übrigen Dingen zur Hervorbringung des Besten übereinstimmte. Diese scheinbaren Mängel der ganzen Welt, diese Flecken an einer Sonne, von welcher die unsrige nur ein Strahl ist, erhöhen nur ihre Schönheit, statt sie zu mindern und tragen dazu bei, weil sie ein grösseres Gut hervorbringen. Es giebt in Wahrheit zwei Prinzipien, aber sie sind beide in Gott, nämlich sein Wissen und sein Wollen. Das Wissen bietet das Prinzip des Schlechten, ohne deshalb befleckt oder schlecht zu sein; es stellt die Naturen vor, wie sie in den ewigen Wahrheiten bestehen; es enthält in sich den Grund, weshalb das Uebel zugelassen worden, ist, während das Wollen nur auf das Gute gellt. Man muss auch noch ein drittes Prinzip hinzufügen, die Macht; sie geht selbst dem Wissen und dem Wollen vor, allein sie handelt so, wie das eine es zeigt und das andre es verlangt.

150. Einige (wie Campanella) haben diese drei Vollkommenheiten Gottes die ersten Primordialitäten genannt. Mehrere haben sogar darin eine geheime Beziehung auf die Dreieinigkeit gefunden; die Macht soll sich auf den Vater beziehen, d.h. auf die Göttlichkeit; die Weisheit auf das ewige Wort, welches logos bei den erhabendsten der Evangelisten heisst; der Wille oder die Liebe auf den heiligen Geist. Beinah alle Bezeichnungen und Vergleiche, welche von der Natur der verständigen Substanz entlehnt werden, haben diese Richtung.

[219] 151. Hätte Herr Bayle das hier über die Prinzipien der Dinge Gesagte beachtet, so hätte er seine eigenen Fragen auch beantworten können oder er würde wenigstens in seinen Fragen nicht fortgefahren sein, wie er es mit der folgenden thut: »Wenn der Mensch das Werk eines einzigen, allheiligen und allmächtigen Prinzips ist, wie kann er da der Krankheiten, der Kälte, der Hitze, dem Hunger, dem Durst, den Schmerzen, dem Kummer ausgesetzt sein? wie kann er dann so viele üble Neigungen haben? so viele Verbrechen begehen? Wie kann die höchste Heiligkeit ein unglückliches Geschöpf herstellen? Wird die Allmacht in Verbindung mit der unendlichen Güte ihr Werk nicht vielmehr mit Gütern überhäufen und nicht alles beseitigen, was es verletzen und betrüben könnte?« – Prudentius hat dieselbe Schwierigkeit in seiner Hamartigenie behandelt:


Si non vult Deus esse malum, cur non vetat? inquit;

Non refert auctor fuerit, factorve malorum

Anne opera in vitium sceleris pulcherrima verti

Cum possit prohibere, sinat? Quod si velit omnes

Innocuos agere Omnipotens, ne sancta voluntas

Degeneret; facto nec se manus inquinet ullo?

Condidit ergo malum Dominus, quod spectat ab alto,

Et patitur, fierique probat, tanquarn ipse crearit.

Ipse creavit enim, quod si discludere possit

Non abolet, longoque sinit grassarier usu.


(Wenn Gott will, dass das Uebel nicht sei, weshalb verbietet er es nicht? Es ist gleich, ob er der Urheber und Bewirker der Uebel ist, oder ob er es zulässt, dass seine schönsten Werke sich verbrecherischen Lastern zuwenden, da er es doch verhindern kann? Denn, wenn der Allmächtige will, so kann er Alle unschädlich werden lassen, damit der heilige Wille nicht entarte und die Hand sich mit keiner That besudle? Der Herr also, der von der Höhe herabschaut, hat das Böse bereitet; er lässt es zu und billigt dessen Vollbringen, als hätte[220] er es selbst vollbracht. Auch hat er es selbst vollbracht, wenn er das, was er abwenden konnte, nicht beseitigte, sondern durch lange Hebung zur Erstarkung gelangen lässt.)

Indess habe ich schon genügend hierauf geantwortet. Der Mensch ist selbst die Quelle seiner Uebel; so wie er ist, war er in der göttlichen Vorstellung. Aus unnachlassbaren Gründen der Weisheit hat Gott beschlossen, dass der Mensch als solcher zum Dasein gelangen sollte. Herr Bayle hätte vielleicht diesen Ursprung des Uebels, wie ich ihn aufstelle, bemerkt, wenn er hierbei die Weisheit Gottes mit seiner Macht, seiner Güte und seiner Heiligkeit in Verbindung gebracht hätte. Ich füge noch im Vorbeigehen hinzu, dass seine Weisheit nur der höchste Grad seiner Güte ist, wie das ihr entgegengesetzte Verbrechen das schlimmste unter den Uebeln ist.

152. Herr Bayle lässt den griechischen Philosophen Melissos, als den Vertheidiger eines einzigen Prinzips (und vielleicht selbst der Einzigkeit der Substanz) mit Zoroaster, als den ersten Begründer des Dualismus kämpfen. Zoroaster gesteht, dass die Annahme des Melissos mit der Ordnung und den Gründen a priori mehr übereinstimmt, aber er bestreitet, dass sie der Erfahrung oder den Gründen a posteriori entspricht. Er sagt; »Ich übertreffe Dich in der Erklärung der Erscheinungen, was das Hauptkennzeichen eines guten Systems ist.« Allein meines Erachtens ist es keine so gute Erklärung einer Erscheinung, wenn man derselben ein ausdrückliches Prinzip zuweist, wie z.B. dem Bösen ein böses Prinzip, der Kälte ein kaltes Prinzip; es giebt nichts leichteres, nichts glätteres, als ein solches Verfahren. Es ist ziemlich ebenso, als wenn man sagt, die Peripatetiker überträfen die modernen Mathematiker in der Erklärung der Erscheinungen bei den Gestirnen, indem sie denselben einen ausdrücklichen Verstand beilegen, welcher sie leitet. Allerdings ist damit leicht zu verstehen, weshalb die Planeten ihre Bahnen so genau einhalten, während es vieler geometrischer Kenntnisse und Ueberlegungen bedarf, um zu erkennen, dass die nach der Sonne zu treibende Schwere der Planeten in Verbindung mit einem sie fortführenden Wirbel oder[221] mit deren eigner Triebkraft, zu der elliptischen Bewegung des Keppler führen kann, welche mit den Erscheinungen so gut übereinstimmt. Ein der tiefem Erwägungen unfähiger Mensch wird hier gleich den Peripatetikern zustimmen und unsere Mathematiker als Träumer behandeln. Ein alter Anhänger von Galen wird es ebenso mit den scholastischen geheimen Kräften machen; er wird eine solche Kraft für die Bereitung des Speichels, eine andere für die Bereitung des Speisesaftes und eine andere für das Blut annehmen und jeder die entsprechende Thätigkeit zuweisen. Er wird glauben, damit Wunder was geleistet zu haben und über die angeblichen Chimären der Neuern spotten, welche die Vorgänge in den thierischen Körper mechanisch erklären wollen.

153. Die Erklärung des Uebels aus einem Prinzip, per principium maleficum, ist von derselben Art. Das Uebel bedarf dessen so wenig, wie die Kälte und der Frost. Es giebt kein primum frigidum (erstes Kalte) und kein Prinzip der Finsterniss. Auch das Uebel kommt nur von einer Beraubung; das Positive kommt darin nur als mitbegleitend vor, wie das Thätige bei der Kälte. Man sieht, dass das Wasser bei seinem Gefrieren eine eiserne Hohlkugel, in welche es eingeschlossen ist, zersprengen kann; trotzdem besteht die Kälte in einer gewissen Beraubung der Kraft; die Kälte entsteht nur aus einer Abnahme der Bewegung, welche die Theile des Flüssigen von einander entfernt hält. Wenn diese entfernende Bewegung im Wasser durch die Kälte abnimmt, so verbinden sich die Theilchen der in dem Wasser verborgenen zusammengepressten Lüfte, und wenn sie grösser geworden, sind sie mehr im Stande durch ihre Federkraft nach Aussen zu wirken; denn der Widerstand, welchem die Oberfläche der Lufttheilchen im Wasser begegnet und welcher sich deren Ausdehnung entgegenstellt, ist viel geringer und deshalb ist die Wirkung der Luft in grossen Ballen viel grösser als in kleinen, wenn auch diese kleinen Theilchen zusammen eben so viel Masse ergeben sollten, wie die grossen. Die Widerstände, d.h. die Oberflächen wachsen im quadratischen Verhältniss und die Kraft, d.h. der Inhalt oder die Erfüllung der zusammengedrückten Luftkugeln[222] wachsen im cubischen Verhältniss ihrer Durchmesser. Somit enthält die Beraubung nur nebenbei eine Thätigkeit und Kraft. Ich habe schon früher gezeigt, wie die Beraubung den Irrthum und die Bosheit zu verursachen vermag, und wie Gott bestimmt worden ist, sie zuzulassen, ohne dass selbst etwas von Bosheit in ihm enthalten ist. Das Uebel kommt von der Beraubung; das Positive und die Thätigkeit entstehen daraus nebenbei, wie die Kraft sich aus der Kälte erzeugt.

154. Was Herr Bayle die Paulinianer S. 2323 sagen lässt, ist nicht schlussgerecht, nämlich dass der freie Wille von zwei Prinzipien kommen solle, damit er sich eben so zum Guten, wie zum Bösen wenden könne. Vielmehr ist der Wille in sich einfach und er müsste deshalb eher von einem Prinzip kommen, was keines von jenen beiden ist, wenn diese Auffassung richtig wäre. Der freie Wille geht vielmehr auf das Gute und wenn er auf das Böse trifft, so ist dies nur nebenbei, indem das Böse unter dem Guten verborgen und gleichsam verhüllt ist. Die Worte, welche Ovid die Medea sagen lässt:


Video meliora proboque;

Deteriora sequor.


(Ich sehe und billige das Bessere,

aber folge dem Schlechteren.)


bedeuten, dass das Sittlich-Gute von dem Angenehm-Guten überwunden wird, indem letzteres die Seele tiefer bewegt, wenn sie von den Leidenschaften aufgeregt ist.

155. Schliesslich giebt Herr Bayle dem Melissos eine treffende Antwort, die er aber ein wenig später bekämpft. Seine Worte S. 2025 lauten: »Wenn Melissos auf die Begriffe der Ordnung achtet, so wird er zugeben, dass der Mensch, als Gott ihn schuf, nicht schlecht war; er wird sagen, dass er eine glückliche Lage von Gott empfangen, dass er aber nicht der Leuchte des Gewissens gefolgt sei, die ihn nach der Absicht seines Schöpfers auf den Weg der Tugend geleiten sollte; er sei schlecht geworden und habe es verdient, dass der allgütige Gott ihn die Wirkung[223] seines Zornes empfinden liess. Daher ist nicht Gott die Ursache des moralischen Uebels, aber wohl des physischen Uebels, nämlich von der Strafe des moralischen Uebels, welche Strafe sich mit dem allguten Prinzip sehr wohl verträgt und nur aus einer seiner Eigenschaften folgt, nämlich aus seiner Gerechtigkeit, die ihm eben so wesentlich zukommt, wie seine Güte. Diese Antwort, die vernünftigste die Melissos geben könnte, ist im Gründe schön und gründlich, aber sie kann doch durch etwas noch schöneres und blendenderes bekämpft werden. Zoroaster entgegnet nämlich, dass das allgütige Prinzip den Menschen nicht blos frei von dem wirklichen Uebel, sondern auch frei von der Neigung zum Uebel hätte schaffen sollen. Gott habe die Sünde mit all ihren Folgen vorausgesehen und hätte sie deshalb hindern sollen; er hätte den Menschen zu dem moralischen Guten bestimmen sollen und ihm die Kraft, dem Verbrechen sich zuzuwenden, nicht lassen sollen.« So weit Herr Bayle. Dergleichen ist zwar leicht zu sagen, aber es ist unter Befolgung der Regeln der Ordnung nicht ausführbar und hätte ohne fortwährende Wunder nicht verwirklicht werden können. Die Unwissenheit, der Irrthum, die Bosheit folgen ganz natürlich auf einander in den Wesen, die, wie wir geschaffen sind; sollte deshalb diese Gattung in dem Universum ganz fehlen? Ich meine, sie ist zu wichtig, trotz all ihrer Schwächen, als dass Gott sie hätte beseitigen können.

156. Herr Bayle setzt in dem Artikel Paulinianer in seinem Wörterbuch das in dem Artikel: Manichäer begonnene fort. Nach ihm (S. 2330, Buchstabe: H.) scheinen die Orthodoxen zwei erste Prinzipien anzunehmen, da sie den Teufel zum Urheber der Sünde machen. Herr Becker, ein früherer Prediger in Amsterdam und Verfasser eines, die bezauberte Welt, betitelten Buches, hat diesen Gedanken benutzt, um zu zeigen, dass man dem Teufel nicht eine Macht und ein Ansehen zutheilen dürfe, die ihn Gott gleich stellten. Darin hat er Recht; aber er geht in seinen Folgerungen zu weit. Der Verfasser des Buches: apokatastasis pantôn (Aller Abfall) meint, dass, wenn der Teufel niemals besiegt und seiner Macht beraubt worden wäre, wenn er seine[224] Beute immer festhielte, wenn der Titel eines Unbesieglichen ihm gebühre, dies dem Ruhme Gottes schaden würde. Indess wäre es ein trauriger Vortheil, die, welche man verführt hat, immer festzuhalten, damit man immer mit ihnen gemeinsam die Strafe erleide. Was aber die Ursache des Uebels anlangt, so ist allerdings der Teufel der Urheber der Sünde; allein der Ursprung der Sünde liegt weiter zurück und in der ursprünglichen Unvollkommenheit der Geschöpfe, wodurch sie fähig sind, zu sündigen und in Folge des Laufes der Dinge treten Umstände ein, welche machen, dass diese Fähigkeit sich in wirkliches Handeln umsetzt.

l57. Die Teufel waren vor ihrem Fall Engel, wie die übrigen und ihr Führer war wohl einer der vornehmsten, obgleich die Schrift sich darüber nicht bestimmt auslässt. Die Stelle in der Offenbarung Johannis, welche von dem Kampfe mit dem Drachen wie von einer Vision spricht, lässt viele Zweifel bestehen und macht einen Gegenstand, von dem die übrigen heiligen Verfasser beinah nicht sprechen, nicht klar. Es ist hier nicht der Ort, dies näher zu erörtern, indess dürfte die gewöhnliche Meinung mit dem heiligen Text auch am meisten übereinstimmen. Herr Bayle prüft einige Aeusserungen des heiligen Basilius, des Lactanz und Anderer über den Ursprung des Uebels; allein sie beschäftigen sich mehr mit dem physischen Uebel, ich werde deshalb später darauf zurück kommen und hier nur in der Prüfung der Schwierigkeiten in Betreff der moralischen Ursache des Uebels fortfahren, welche sich an mehreren Stellen in den Werken unseres gewandten Schriftstellers vorfinden.

158. Er kämpft gegen die Zulassung dieses Uebels; er möchte, dass man einräume, Gott wolle es. Er führt die Worte Calvin's an (Ueber die Genesis Kap. 3): »Manche finden daran einen Anstoss, wenn man sagt Gott habe es gewollt. Allein ist wohl das Gestatten etwas Anderes, als ein Wollen bei dem, der es verbieten kann, oder vielmehr der die Sache in seiner Gewalt hat?« Herr Bayle erläutert diese Worte Calvin's und die vorgehenden so, als wenn er einräumte, dass Gott den Sündenfall Adam's gewollt habe, zwar nicht insofern, als es ein Verbrechen gewesen, aber[225] doch in einer andern, uns unbekannten Auffassung. Er führt die etwas nachgiebigen Casuistiker an, wonach ein Sohn den Tod seines Vaters insoweit wünschen darf, als dieser Tod ein Gut für dessen Erben sei (Antwort auf die Fragen etc. Kap. 147, S. 850). Indess sagt Calvin nach meiner Ansicht nur, Gott habe aus einem uns unbekannten Grunde den Fall des Menschen gewollt. Im Grunde sind diese Unterscheidungen ohne Werth, wenn es sich um den entscheidenden Willen, d.h. um einen Beschluss handelt; denn man will die Handlung in ihrer ganzen Beschaffenheit, wenn es richtig ist, dass man sie wolle. Ist sie aber ein Verbrechen, so kann Gott nur ihre Gestattung wollen; das Verbrechen ist weder Ziel noch Mittel, sondern nur eine Bedingung sine qua non (ohne welche der Erfolg unmöglich ist); deshalb ist es nicht der Gegenstand eines direkten Willens, wie ich schon früher dargelegt habe. Gott kann es nicht hindern, ohne gegen das zu handeln, was geschehen soll, ohne etwas zu thun, was schlimmer, als die menschlichen Verbrechen ist und ohne die Regel des Besten zu verletzen, was, wie ich schon gesagt, die Göttlichkeit selbst zerstören würde. Gott ist deshalb durch eine moralische, in ihm selbst enthaltene Nothwendigkeit verpflichtet, das moralische Uebel bei den Geschöpfen zuzulassen. Es ist dies genau der Fall, wo der Wille eines Weisen nur erlaubender Natur ist. Wie ich gesagt, Gott ist genöthigt die Verbrechen Anderer zu gestatten, da er sie ohne Verstoss gegen das, was er sich selbst schuldig ist, nicht hindern kann.

159. »Aber« (sagt Herr Bayle S. 853) »unter allen unzähligen Plänen hat es Gott gefallen, den zu wählen, wo Adam sündigen soll, und er hat diesen Plan vor allen andern vorgezogen und durch seinen Beschluss zu dem gemacht, welcher sich verwirklichen soll.« Ganz gut; dies ist ganz das, was ich behaupte; nur muss man es von den, das ganze Universum umfassenden Erwägungen verstehen. Herr Bayle fügt hinzu: »Man kann also niemals begreiflich machen, dass Gott das Sündigen von Adam und Eva nie gewollt habe; denn er hat ja alle die andern Pläne, wo sie nicht gesündigt hätten, verworfen.« Allein die Sache ist im Allgemeinen sehr wohl nach dem von mir Gesagten zu begreifen. Dieser[226] das ganze Universum betreffende Plan ist der beste; Gott konnte also von dessen Wahl sich nicht befreien, ohne einen Fehler zu begehen, vielmehr gestattete er, anstatt dass er einen Fehler beginge, was für ihn durchaus nicht angeht, den Fehler oder die Sünde des Menschen, welche in diesem Plan mit enthalten ist.

160. Herr Jacquelot und andere bedeutende Männer trennen sich nicht von meiner Ansicht; jener sagt S. 186 seiner Abhandlung über die Zusammenstimmung des Glaubens mit der Vernunft: »Die, welche durch diese Schwierigkeit in Verlegenheit geriethen, scheinen einen zu beschränkten Gesichtspunkt zu nehmen und wollen alle Absichten Gottes auf ihre eigenen Interessen zurückführen. Als Gott die Welt schuf, hatte er nur sich selbst und seinen Ruhm im Auge; hätten wir also die Kenntniss von allen Geschöpfen, von deren mannichfachen Verbindungen und deren verschiedenen Beziehungen, so würden wir ohne Schwierigkeiten begreifen, dass die Welt vollkommen der Allweisheit des Allmächtigen entspricht.« Er sagt dann weiter (S. 232): »Nimmt man als unmöglich an, dass Gott den schlechten Gebrauch der Willensfreiheit nicht hemmen konnte, ohne diese selbst zu vernichten so wird man einsehen, dass, wenn seine Weisheit und sein Ruhm ihn bestimmt haben, freie Geschöpfe zu bilden, dieser mächtige Grund ihn über die schlimmen Folgen hinwegheben musste, die diese Freiheit nach sich ziehen werde.« – Ich habe dies noch deutlicher durch den Grund des Besten und durch die moralische Nothwendigkeit darzulegen gesucht, mit welcher Gott diese Wahl trotz der damit verbundenen Sünde einiger Geschöpfe treffen musste. Ich glaube diese Schwierigkeit bis auf die Wurzel beseitigt zu haben; doch wende ich sehr gern, um die Materie mehr aufzuklären, mein Prinzip der Lösung auf die besondern Schwierigkeiten des Herrn Bayle an.

161. Eine davon fasst er in folgende Worte (Kap. 148, S. 856): »Entspräche es wohl der Güte eines Fürsten, wenn er 1) hundert Boten so viel Geld, wie zu einer Reise von zweihundert Stunden nöthig ist, giebt? und wenn er 2) allen eine Belohnung versagt, welche die Reise ohne etwas zu borgen vollenden würden,[227] aber alle mit Gefängniss bedroht, die mit ihrem Gelde nicht ausgekommen sind? und wenn er 3) hundert Personen auswählt, von denen er sicher weiss, dass nur zwei von ihnen die Belohnung sich verdienen werden, während die anderen 98 auf dem Wege einen Spieler oder sonst etwas treffen werden, was ihnen Kosten verursacht und was der Fürst selbst an bestimmten Stellen ihres Weges hergerichtet hat? und wenn er dann 4) diese 98 Boten sofort nach deren Rückkunft einsperren lässt? Ist es nicht ganz klar, dass hier der Fürst nicht die mindeste Güte diesen erwiesen, sondern dass er ihnen nicht die ausgesetzte Belohnung, sondern das Gefängniss bestimmt hat? Sie haben es verdient. Gut, aber der, welcher gewollt, dass sie es verdient, oder der sie auf den Weg geführt, wo sie es sicherlich verdienen mussten, kann man den wohl gütig nennen, weil er die beiden anderen belohnen werde?«

Aus diesem Grunde würde er unzweifelhaft nicht den Titel eines Gütigen verdienen; allein es können andere Umstände mit hinzukommen, welche ihn des Lobes würdig machen dürften, dass er sich dieses Mittels bedient, um diese Leute kennen zu lernen und eine Auswahl unter ihnen zu treffen. Auch Gideon bedient sich einiger ausserordentlicher Mittel, um die tapfersten und festesten unter seinen Soldaten auszuwählen. Selbst wenn der Fürst schon die Gemüthsart Aller kennen sollte, könnte er sie nicht doch auf diese Probe stellen, damit auch die übrigen sie kennen lernten? Wenn auch diese Gründe nicht auf Gott passen, so zeigen sie doch, wie eine solche Handlung bei einem Fürsten deshalb verkehrt erscheinen kann, weil man sie von den Umständen loslöst, die ihren Grund erkennen lassen. Deshalb muss man um so mehr bei Gott annehmen, dass er gut gehandelt habe und dass wir das einsehen würden, wenn wir das Ganze seines Handelns kennten.

162. Herr Descartes hat in einem Briefe an die Prinzess Elisabeth (Bd. 1. Brief 10) einen andern Vergleich benutzt, um die Freiheit der Menschen mit der Allmacht Gottes zu vereinigen. »Er nimmt an, dass ein Monarch die Duelle verboten habe. Er weiss dabei gewiss, dass zwei Edelleute sich schlagen werden, wenn[228] sie sich treffen und er trifft solche Massregeln, dass sie sich begegnen müssen. Dies geschieht auch und sie schlagen sich; ihr Ungehorsam gegen das Gesetz ist eine Folge ihres freien Willens und sie sind deshalb strafbar. Was nun,« fährt er fort, »ein König in Bezug auf einzelne Handlungen seiner Unterthanen thun kann, thut Gott mit seinem unendlichen Vorauswissen und seiner Allmacht untrüglich, in Bezug auf alle Handlungen der Menschen. Ehe er uns in diese Welt gesetzt hat, hat er genau alle Neigungen unseres Willens gekannt; er selbst hat sie uns gegeben; auch ist er es, welcher alle Dinge ausserhalb unserer so eingerichtet hat, dass die und die Gegenstände sich unseren Sinnen zu dieser und dieser Zeit vorstellen werden und er hat gewusst, dass in Folge dessen unser freier Wille uns zu dieser und dieser Handlung bestimmen werde, folglich hat er dies gewollt; aber er hat uns dazu nicht zwingen wollen. So wie man nun bei jenem Könige zwei verschiedene Grade von Willen unterscheiden kann, einen, wonach er gewollt, dass diese Edelleute sich schlagen, weil er es so eingerichtet, dass sie sich treffen mussten und einen zweiten, wonach er es nicht gewollt hat, weil er die Duelle verboten hat, so unterscheiden die Theologen auch in Gott einen unbedingten und unabhängigen Willen, vermöge dessen er will, dass alle Dinge sich so zutragen, wie sie sich zutragen und einen andern bezüglichen, welcher das Verdienst oder die Schuld der Menschen betrifft und vermöge dessen er will, dass man seinen Gesetzen gehorche.« (Descartes, Brief 10, Bd. I, S. 51. 52. Damit vergleiche man, was Herr Arnaud, Bd. II, S. 288 und nach seinen Betrachtungen über das System von Malebranche in Bezug auf den vorgehenden und nachfolgenden Willen Gottes von Thomas von Aquino berichtet.)

163. Herr Bayle entgegnet nun hierauf das Folgende. (Antwort auf die Fragen etc. Kap. 154, S. 943). »Dieser grosse Philosoph ist, wie mir scheint, in grossem Irrthume. In diesem Monarchen hat kein Grad des Willens, weder ein kleiner, noch grosser, dahin bestanden, dass diese beiden Edelleute dem Gesetze gehorchen und sich nicht schlagen sollten. Er wollte[229] vollständig und ausschliesslich, dass sie sich schlügen. Dies würde sie zwar nicht schuldlos machen, denn sie folgten nur ihrer Leidenschaft, sie wussten nicht, dass sie dem Willen ihres Fürsten gemäss handelten; aber der Fürst würde doch in Wahrheit die Ursache ihres Kampfes sein und er konnte ihn sogar nicht vollständiger wünschen, selbst wenn er ihnen den Willen dazu eingeflösst oder den Befehl dazu gegeben hätte. Man nehme zwei Fürsten, welche beide wünschen, dass ihr erstgeborner Sohn sich vergifte. Der eine zwingt den Sohn, der andere begnügt sich, heimlich seinem Sohne einen solchen Kummer zu bereiten, von dem er sicher weiss, dass der Sohn sich deshalb vergiften werde. Kann man da zweifeln, dass der Wille des letztem weniger vollständig sei, als der Wille des ersten? Also nimmt Herr Descartes einen falschen Thatbestand an und löst die Schwierigkeit nicht.«

164. Ich muss gestehen, dass Herr Descartes etwas roh über den Willen Gottes in Bezug auf das Uebel spricht, da nach seinen Worten Gott nicht blos gewusst hat, dass unser freier Wille zu dieser und jener Handlung uns bestimmen werde, sondern auch, dass er dies gewollt habe, obgleich er uns deshalb nicht habe dazu zwingen wollen. Aehnlich hart spricht er im 8. Briefe von demselben Willen, indem er sagt, dass kein Gedanke in den Geist eines Menschen eintrete, von dem Gott nicht wolle und seit aller Ewigkeit gewollt habe, dass er darin eintrete. Selbst Calvin hat sich nie härter ausgedrückt und alle diese Worte sind nur entschuldbar, wenn man sie von einem gestattenden Willen versteht. Die Lösung des Herrn Descartes kommt auf die Unterscheidung, zwischen den Willen des Zeichens und den Willen des ihm Wohlgefälligen (inter voluntatem signi et beneplaciti) zurück, welche die Neuem den Worten nach von den Scholastikern entlehnt, aber der sie einen, bei den Alten nicht geläufigen Sinn untergelegt haben. Es ist richtig, dass Gott etwas befehlen kann, ohne zu wollen, dass es geschehe, wie er z.B. dem Abraham befiehlt, seinen Sohn zu opfern, er wollte den Gehorsam, aber nicht die That. Wenn aber Gott die tugendhafte Handlung befiehlt und die Sünde verbietet, so will er wahrhaft, was er befiehlt, aber nur mit einem[230] vorgehenden Willen, wie ich es wiederholt auseinandergesetzt habe.

165. Der Vergleich des Herrn Descartes ist also nicht genügend, indess kann er es werden. Man muss den Thatbestand ein wenig ändern und einen Grund aufstellen, welcher den Fürsten nöthigte, die Begegnung der beiden Feinde herbeizuführen oder zu gestatten; z.B. müssten sie beide sich bei der Armee oder in einer andern unbedingt nöthigen Verrichtung befinden, was der Fürst selbst ohne Gefahr für seinen Staat nicht hindern konnte, z.B. wenn die Abwesenheit des einen oder andern es ermöglichte, dass eine Anzahl Leute seiner Armee hätten davonlaufen können, oder wenn sie die Unzufriedenheit der Soldaten oder sonst eine grosse Unordnung veranlasst haben würde. In solchem Falle kann man sagen, dass der Fürst das Duell nicht wolle; er weiss es, aber dennoch lässt er es nur zu, denn er will lieber die Sünde eines Andern zulassen, als selbst eine begehen. Mit dieser Berichtigung ist das Beispiel brauchbar, nur muss man dabei den Unterschied zwischen Gott und einem Fürsten festhalten. Der Fürst ist in Folge seiner zu geringen Macht zu diesem Gestatten genöthigt; ein mächtigerer Monarch hätte vielleicht alle diese Rücksichten nicht zu nehmen brauchen; aber Gott, welcher alles, was möglich ist, thun kann, gestattet die Sünde nur, weil es jedem, wer es auch sei, unmöglich ist, es besser zu machen. Die Handlung des Fürsten geschieht vielleicht mit Schmerz und Bedauern. Dieser Schmerz kommt von seiner Ohnmacht, die er empfindet; darin besteht sein Missfallen. Gott kann aber dergleichen Gefühle nicht haben und hat auch keinen Grund dazu; er ist sich seiner unbeschränkten Vollkommenheit bewusst, ja man kann sagen, dass selbst die Unvollkommenheit der Geschöpfe, als solche, sich in Beziehung auf das Ganze für ihn in eine Vollkommenheit umwandelt und dem Schöpfer zu einer Vermehrung seines Ruhmes wird. Was will man mehr verlangen, wenn man eine unbeschränkte Weisheit besitzt und ebenso mächtig, wie weise ist? Wenn man alles kann und wenn man das beste hat?

166. Hat man dies begriffen, so dürfte man vollständig gegen die stärksten und erbittertsten Einwürfe[231] gerüstet sein. Ich habe diese Einwürfe nicht verschwiegen; indess giebt es einige, die ich nur berühre, weil sie zu hässlich sind. Die Remonstranten und Herr Bayle (Antwort auf die Fragen etc. Kap. 152, S. 919, Thl. III.) führen den heiligen Augustin an, welcher sagt: crudelem esse misericordiam, velle aliquem miserum esse, ut ejus miserearis (es sei eine grausame Barmherzigkeit, wenn man wollte, dass jemand elend werde, um sich seiner zu erbarmen). Man zitirt in demselben Sinne die Stelle bei Seneca in seiner Schrift über die Wohlthätigkeit. Buch VI, Kap. 36. 37. Man dürfte dies wohl mit Recht denen entgegenstellen, welche meinen, dass Gott die Sünde nur deshalb zugelassen habe, um eine Gelegenheit für die Ausübung seiner strafenden Gerechtigkeit gegen die Mehrzahl der Menschen und seiner Barmherzigkeit gegen die kleine Zahl der Auserwählten zu haben. Allein man muss annehmen, dass Gott seiner viel würdigere und in Bezug auf die Menschen tiefere Gründe für die Zulassung der Sünde gehabt habe. Man hat auch eine Vergleichung des Verfahrens Gottes mit dem des Caligula gewagt, welcher seine Verordnungen mit so kleiner Schrift schreiben und so hoch anschlagen liess, dass man sie nicht lesen konnte; oder man hat es mit dem Verfahren einer Mutter verglichen, welche die Ehre ihrer Tochter für die Erlangung besonderer Ziele Preis giebt; oder mit dem der Königin Katharina von Medicis, welche die Mitschuldige der Liebesabenteuer ihrer Kammerfrauen gewesen sein soll, um die Intriguen der Grossen zu erfahren; ja selbst mit dem des Tiberius, welcher, durch einen ausnahmsweisen Dienst des Henkers, es dahin brachte, dass das Gesetz, welches verbot, die gewöhnliche Todesstrafe gegen eine reine Jungfrau zu vollstrecken, bei der Tochter des Sejan nicht zur Anwendung kam. Diese letzte Vergleichung rührt von Peter Bertius, damals ein Arminianer, her, der aber später zur römisch-katholischen Religion übergetreten ist. Man hat daraus einen empörenden Vergleich zwischen Gott und Tiberius gezogen, welcher von Magister Andreas Caroli in seinen Memorabilia ecclesiastica des letzten Jahrhunderts in ganzer Ausführlichkeit mitgetheilt ist, wie Herr Bayle sagt. Bertius hat ihn gegen die Gomaristen benutzt. Meines[232] Erachtens passen dergleichen Beweisführungen gegen die, welche die Gerechtigkeit in Bezug auf Gott nur als eine Sache der Willkühr darstellen, oder nach denen Gott eine despotische Macht hat, vermöge deren er selbst Unschuldige verdammen kann oder endlich gegen die, welche behaupten, dass das Gute nicht der Beweggrund für seine Handlungen sei.

167. Um dieselbe Zeit erschien eine sinnreiche Satyre auf die Gomaristen unter dem Titel: Fur prädestinatus, der vorherbestimmte Dieb, wo ein zum Galgen verurtheilter Dieb vorgeführt wird, welcher die Schuld von allem Schlechten, was er gethan, Gott zuschreibt, und welcher sich zum Heil für vorbestimmt hält, trotz seiner schlechten Handlungen und welcher diesen seinen Glauben für ausreichend hält und welcher durch Gründe ad hominem (gemeinverständliche) einen gegenremonstrantischen Geistlichen, der ihn zum Tode vorbereiten soll, widerlegt. Zuletzt wird dieser Dieb durch einen alten Pastor bekehrt, der wegen seinem Arminianismus abgesetzt worden war, und welchen der Gefangenwärter aus Mitleiden für den Dieb und für die Schwäche des Geistlichen in seine Zelle geführt hatte. Es erging eine Antwort auf diese Satyre, allein solche Antworten machen nie so viel Glück, wie die Satyren selbst. Herr Bayle sagt (Antwort auf die Fragen etc. Kap. 154, Thl. III, S. 938), dass die Schrift in England zur Zeit Cromwells gedruckt worden und Herr Bayle scheint nicht gewusst zu haben, dass sie nur eine Uebersetzung des älteren flamländischen Originals gewesen ist. Er bemerkt, dass der Dr. Georg Kendal eine Widerlegung derselben in Oxford 1657 unter dem Titel: Fur pro tribunali (Der Dieb vor Gericht) veröffentlicht habe und dass das Zwiegespräch darin mit aufgenommen sei. Dieses Gespräch nimmt unrichtiger Weise an, dass die Gegenremonstranten Gott zur Ursache des Uebels machen und eine Art von Vorherbestimmung nach Art des Mohammedanismus lehren, wonach es gleichgültig sei, ob man gut oder böse handelt und wo die Meinung, vorherbestimmt zu sein, genüge, dass man es wirklich sei. Sie hüten sich zwar, so weit zu gehen; indess giebt es allerdings unter ihnen einige Supralapsarier und Andere, die sich über die Gerechtigkeit Gottes, so wie über die[233] Grundlagen der Frömmigkeit und der menschlichen Moral schwer richtig ausdrücken können, weil sie einen Despotismus in Gott annehmen und von dem Menschen verlangen, er solle ohne Grund von seiner Erwählung überzeugt sein, was allerdings zu gefährlichen Folgen führt. Aber alle, welche anerkennen, dass Gott den Plan verwirklicht hat, welcher der beste von allen möglichen über das Universum gewesen, und dass Gott den Menschen in diesem Plane von einer solchen Art antrifft, dass er durch die ursprüngliche Unvollkommenheit der Geschöpfe zum Missbrauch seines freien Willens und zum Verfall in das Elend neigt und dass Gott die Sünde und das Elend so weit hemmt, als die Vollkommenheit des Universums, die nur ein Ausfluss seiner Vollkommenheit ist, es gestattet; alle diese, sage ich, erkennen deutlich, dass Gottes Absicht die richtigste und heilsamste von der Welt ist, dass die Geschöpfe allein die Schuld tragen, dass ihre ursprüngliche Beschränkung oder Unvollkommenheit die Quelle ihrer Bösartigkeit ist, dass ihr böser Wille die alleinige Ursache ihres Elendes ist, dass man zum Heil nicht vorbestimmt sein kann, ohne es auch zur Heiligkeit der Kinder Gottes zu sein, und dass die ganze Hoffnung, die man auf seine Erwählung setzen kann, nur auf den guten Willen sich stützen kann, den man der Gnade Gottes entgegenbringt.

168. Man stellt meiner Darlegung der moralischen Ursachen des moralischen Uebels auch metaphysische Erwägungen entgegen; dieselben beunruhigen mich jedoch weniger, nachdem ich die auf moralische Gründe gestützten Einwürfe beseitigt habe, welche am stärksten wirken. Diese metaphysischen Erwägungen betreffen die Natur des Möglichen und des Nothwendigen; sie richten sieh gegen die von mir gelegte Grundlage, wodurch Gott von allen möglichen Welten die beste ausgewählt hat. Es hat Philosophen gegeben, nach denen nur das als möglich gilt, was sich wirklich ereignet. Es sind dieselben, welche geglaubt oder vermocht haben zu glauben, dass alles unbedingt nothwendig ist. Manche haben dies angenommen, weil sie eine rohe und blinde Nothwendigkeit in der Ursache annehmen, welche die Dinge verwirklicht hat; dies sind gerade die, welche ich[234] noch am meisten zu bekämpfen habe. Andere täuschen sich nur dadurch, dass sie die Worte falsch gebrauchen. Sie verwechseln die moralische Nothwendigkeit mit der metaphysischen; sie meinen, weil Gott nur das Beste thun könne, so fehle ihm die Freiheit und sie geben daher den Dingen jene Nothwendigkeit, welche die Philosophen und Theologen zu vermeiden suchen. Mit diesen Schriftstellern besteht nur ein Wortstreit, sofern sie mir zugestehen, dass Gott das Beste wählt und thut. Andere gehen aber weiter und meinen, Gott hätte es besser machen können. Dieser Gedanke ist unzulässig; er hebt zwar die Weisheit und die Güte bei Gott nicht ganz so auf, wie die Vertreter der blinden Nothwendigkeit es thun; aber er setzt diesen Eigenschaften Grenzen und greift deshalb die höchste Vollkommenheit an.

169. Die Frage über die Möglichkeit der Dinge, die nicht eintreten, ist schon von den Alten geprüft worden. Schon Epikur scheint um die Freiheit zu bewahren und eine unbedingte Nothwendigkeit zu vermeiden, wie Aristoteles berichtet, behauptet zu haben, dass die kommenden zufälligen Ereignisse keiner bestimmten Wahrheit fällig seien. Denn wenn es gestern wahr war, dass ich heute schreiben würde, so konnte dies nicht ermangeln einzutreffen, es war daher schon nothwendig und aus demselben Grunde war es dies von aller Ewigkeit her. Also wäre alles, was eintritt, nothwendig und könnte unmöglich anderes sich ereignen; allein da dies nicht der Fall ist, so folgt nach ihm, dass die zukünftigen Ereignisse von keiner bestimmten Wahrheit sind. Um diesen Ausspruch aufrecht zu erhalten, ging Epikur bis zur Leugnung des ersten und wichtigsten Grundsatzes der Vernunft-Wahrheiten, wonach jede Aussage entweder wahr oder falsch ist. Denn man trieb diese Behauptung in folgender Weise auf die Spitze: »Sie leugnen, dass es gestern wahr gewesen, dass ich heute schreiben würde; also war es falsch.« Da nun der einfache Verstand dies nicht zugeben kann, so muss er sagen, dass es weder wahr, noch falsch gewesen. Danach bedarf es keiner Widerlegung mehr und Chrysipp konnte sich die Mühe ersparen, den grossen Satz des Widerspruchs zu bestätigen, wie Cicero[235] in seinem Buche über das Fatum berichtet, wo es heisst: »Contendit omnes nervos Chrysippus, ut persuadent omne Axiôma aut verum esse aut falsum. Ut enim Epicurus veretur ne, si hoc concesserit, concedendum sit, fato fieri quaecumque fiant; si enim alterum ex aeternitate verum sit, esse id etiam certum; si certum etiam necessarium; ita et necessitatem et fatum confirmari putet, sic Chrysippus metuit, ne non, si non obtinuerit, omne quod enuncietur, aut verum esse, aut falsum, omnia fato fieri possint ex causis aeternis rerum futurarum« (»Chrysipp bietet all seine Kräfte auf, um zu zeigen, dass jeder Ausspruch entweder wahr oder falsch sei. Schon Epikur fürchtete, dass wenn er dies einräume, er auch einräumen müsse, dass alles, was geschehe, nach Schicksalsbestimmung geschehe. Wenn nämlich eines von beiden seit Ewigkeit wahr sei, so sei es auch gewiss, und wenn gewiss, auch nothwendig und so werde die Nothwendigkeit und das Schicksal bestätigt. So fürchtet auch Chrysipp, dass, wenn er nicht erlangt, dass jeder Ausspruch wahr oder falsch sei, dann auch nicht alles Zukünftige nach ewigen Ursachen mit Schicksalsnothwendigkeit geschehen könne.) Herr Bayle bemerkt hierzu (Wörterbuch, Artikel Epikur. Thl. III, S. 1141), dass weder der eine noch der andere dieser beiden Philosophen (Epikur und Chrysipp) eingesehen, dass die Wahrheit des Satzes: Jeder Ausspruch ist entweder wahr oder falsch nicht von dem, was man Fatum nennt, bedingt sei. Dieser Satz könne deshalb auch nicht zum Beweis für das Dasein des Fatums benutzt werden, wie Chrysipp wolle und Epikur fürchte. Chrysipp konnte, ohne sich zu schaden, nicht zugeben, dass es Sätze gebe, die weder wahr noch falsch sind; aber durch Aufstellung des Gegentheils gewann er nichts; denn es bleibt, mag es freie Ursachen geben oder nicht, gleich wahr, dass der Satz: Der Grossmogul wird morgen auf die Jagd gehen entweder wahr oder falsch ist. Man hat mit Recht den Ausspruch des Tiresias für lächerlich gehalten, dass alles, was er sagen werde, eintreffen oder nicht eintreffen werde, weil der grosse Apoll ihm die Macht zu prophezeien verliehen habe. Wenn es, obgleich unmöglich, keinen[236] Gott gäbe, so würde es doch gewiss bleiben, dass alles, was der grösste Narr in der Welt voraussagen würde, entweder eintreffen oder nicht eintreffen werde. Darauf haben weder Chrysipp noch Epikur geachtet.« Cicero hat in seiner Schrift über die Natur der Götter, Buch I, sehr richtig über die Ausweichungen der Epikureer gesagt (wie Herr Bayle am Ende der obigen Seite bemerkt), dass es weniger beschämend sei, wenn man eingestehe, dass man seinem Gegner nicht antworten könne, als wenn man mit solchen Antworten sich heraushelfen wolle. Trotzdem werden wir finden, dass Herr Bayle selbst das Gewisse mit dem Nothwendigen verwechselt hat, wenn er behauptet, dass die Wahl des Besten die Dinge zu nothwendigen mache.

170. Ich komme nun zur Möglichkeit der Dinge, die nicht wirklich werden und ich gebe die eignen Worte des Herrn Bayle, obgleich sie ein wenig in's Breite gehen. Er sagt darüber in seinem Wörterbuch (Artikel Chrysipp, Buchstabe P. S. 929): »Der berüchtigte Streit über die möglichen und nothwendigen Dinge ist aus der Lehre der Stoiker über das Schicksal entsprungen. Es handelte sich darum, ob unter den Dingen, die niemals gewesen sind und niemals sein werden, es auch mögliche Dinge gebe, oder ob alles, was nicht ist, was nicht gewesen ist und was nicht sein wird, zu dem Unmöglichen gehöre. Ein berühmter Dialektiker aus der Schule der Megariker, Namens Diodoros, verneinte die erste und bejahte die zweite dieser Fragen, allein Chrysipp bekämpfte ihn mit aller Macht. Cicero sagt an zwei Stellen (in Brief 4, Buch 3 ad familiares): Du musst wissen, dass ich in Bezug auf die möglichen Dinge dem Diodor beistimme. Deshalb wisse, dass wenn du kommen willst, es nothwendig ist, dass du kommst. Siehe daher, welche Entscheidung dir besser gefällt, ob die des Chrysipp, oder die, welche unser Diodoros aufstellt (ein Stoiker, der lange bei Cicero gelebt hatte), welcher die Entscheidung des Chrysipp nicht verdauen konnte. – Diese Stelle ist einem Briefe entnommen, welchen Cicero an Varro schrieb. Ausführlicher behandelt er die ganze Frage in dem kleinen Buche über das Fatum, aus dem ich einige Stellen anführen will. Er sagt dort: Gieb acht,[237] Chrysippus, dass du deine Behauptung, über welche du mit dem gewandten Dialektiker Diodoros in Streit befangen bist, nicht aufgiebst. Alles falsche, was man von der Zukunft sagt, kann nicht eintreten; aber, du Chrysipp giebst dies nicht zu und gerade darüber streitest du am heftigsten mit Diodorus. Denn dieser behauptet, dass nur das geschehen könne, was entweder wahr ist, oder wahr werden wird und alles Zukünftige müsse nothwendig geschehen und was nicht geschehen werde, dies sei auch nicht möglich. Du dagegen sagst, dass auch das, was nicht geschehen wird, möglich sei, z.B. dass diese Gemme zerbrochen werden könne, wenn dies auch niemals geschehen werde und dass es nicht nothwendig gewesen sei, das Cypselus zu Corinth regiere, wenn dies auch tausend Jahr vorher von dem Orakel Apollo's verkündet worden.... Diodor behauptet dagegen, dass nur das geschehen könne, was entweder wahr sei oder wahr werden werde, welche Stelle die Frage betrifft, dass nichts geschehe, was nicht nothwendig geschehen müsse, und alles was geschehen kann, sei entweder schon oder werde geschehen und das Kommende könne so wenig, wie das bereits Geschehene aus Wahrem in Falsches verwandelt werden, vielmehr sei bei dem Geschehenen die Unveränderlichkeit augenfällig, während bei manchem Kommenden dies nur nicht so scheine, weil es noch nicht wahrnehmbar sei. So sei z.B. bei jemand, der an einer tödtlichen Krankheit leide, es wahr, dass er an dieser Krankheit sterben werde; wenn aber dasselbe in wahrhafter Weise von jemandem gesagt werde, bei dem die Krankheit nicht so gefährlich erscheine, so werde dennoch auch dessen Tod eintreten. Deshalb kann auch in dem Kommenden keine Veränderung aus dem Wahren in das Falsche geschehen. – Cicero giebt hier genügend zu verstehen, dass Chrysipp bei dieser Erörterung sich oft in Verlegenheit befand und man darf sich darüber nicht wundern, denn die von ihm angenommene Meinung stand in keiner Verknüpfung mit seiner Lehre vom Schicksal und wenn er es gewagt hätte, folgerecht zu verfahren, so hätte er gern die ganze Hypothese von Diodor angenommen. Wir haben trüber gesehen, dass die Freiheit, welche er der Seele[238] zusprach und sein Vergleich mit dem Cylinder ihn nicht hinderten, anzunehmen, dass im Grunde alle Aeusserungen des menschlichen Willens unvermeidliche Folgen des Schicksals seien. Daraus folgt, dass alles, was nicht geschieht, unmöglich ist und dass nur dasjenige möglich ist, was wirklich geschieht. Plutarch schlägt ihn in seiner Schrift über die Stoiker S. 1053, 1054 darnieder, sowohl in diesem Punkte, als in Bezug auf seinen Streit mit Diodor und hält ihm vor, dass seine Meinung über die Möglichkeit, der Lehre vom Fatum geradezu widerspreche. Indess haben die berühmtesten Stoiker über diese Frage geschrieben, ohne denselben Weg einzuhalten. Arrian (bei Epiktet Buch 2, Kap. 29 p. n. 166) nennt deren vier, den Chrysipp, den Kleanthes, den Archidamus und den Antipater. Er behandelt diesen Streit sehr verächtlich und Herr Menege brauchte ihn nicht als einen der Schriftsteller anzuführen, welcher von der Schrift des Chrysippus peri dynatôn anerkennend sich geäussert habe (Herr Menege sagt im Laertes Buch I, Kap. 7, S. 341: Er wird ehrenvoll bei Arrian erwähnt); denn offenbar sollen die Worte: gegrapse de kai Chrysippos thaumastôs u.s.w. (über diese Dinge schrieb Chrysipp Wunderbares) an dieser Stelle kein Lob sein, wie aus dem, was vorhergeht und nachfolgt erhellt. Dionys von Halicarnass erwähnt in seiner Schrift über die Stellung der Worte Kap. 17 p. n. 11 zweier Abhandlungen von Chrysipp, wo er unter einem Titel, der anderes verspricht, vieles aus dem Gebiete der Logiker verhandelt hat. Das Werk hatte den Titel: Peri tês syntaxeôs tôn tou logou merôn (über die Stellung der Redetheile); es handelte aber nur von den wahren und falschen, von den möglichen und unmöglichen, von den zufälligen, von den zweifelhaften Sätzen u.s.w., ein Gegenstand, den unsere Scholastiker wieder viel durchgearbeitet und verfeinert haben. Man halte fest, dass Chrysipp anerkannte, dass die vergangenen Dinge wahrhaft nothwendig seien, was Kleanthes nicht hatte zugeben wollen. (Arrian am angeführten Ort p. m. 165.) Ou pan parelêlythos alêthes anankaion esti, kathaper hoi peri Kleandron pheresthai dokousi. (Nicht alles vergangene Wahre ist nothwendig, wie die[239] Anhänger des Kleanth annehmen.) Wir haben früher (S. 562, Col. 2) gesehen, dass Abälard einen Satz, welcher dem des Diodorus ähnelte, gelehrt hat. Ich glaube, dass die Stoiker den möglichen Dingen eine grössere Ausdehnung zu geben unternahmen, als den kommenden Dingen, um die hässlichen und abstossenden Folgerungen zu mildern, welche man aus ihrem Satz über das Schicksal ableitete.«

Es scheint, dass Cicero in seinem Briefe an Varro in der hier angeführten Stelle die Folgen der Ansicht des Diodor nicht genügend übersehen hat, da er sie vorzüglicher findet. Er stellt die Meinungen der Schriftsteller in seinem Buche über das Fatum recht gut dar; allein leider hat er nicht immer die von denselben benützten Gründe angegeben. Plutarch wundert sich in seiner Abhandlung über die Widersprüche bei den Stoikern und ebenso Herr Bayle, dass Chrysipp der Ansicht des Diodor nicht zugestimmt habe, weil er die Schicksalsnothwendigkeit begünstige. Allein Chrysipp und selbst sein Lehrer Kleanth waren hierbei vernünftiger, als man denkt, wie wir später sehen werden. Es ist die Frage, ob das Vergangene nothwendiger ist, als das Kommende. Kleanth behauptete es. Man behauptete, dass es ex hypothesi (bedingt) nothwendig sei, dass das Kommende eintrete, gleich wie es ex hypothesi nothwendig sei, dass das Vergangene sich ereignet habe. Allein hier besteht der Unterschied, dass man auf die Vergangenheit nicht einwirken kann; es wäre dies ein Widerspruch; aber auf das Kommende kann man einen Einfluss äussern. Indess ist die bedingte Nothwendigkeit bei beiden die gleiche; das eine kann nicht verändert werden, das andere wird nicht verändert werden, und nimmt man dies an, so kann es auch nicht verändert werden.

171. Der berühmte Peter Abälard hatte eine Ansicht, die sich dem Diodor näherte, als er sagte, dass Gott nicht anders handeln kann, als wie er handelt. Es war der dritte von den 14, aus seinen Werken ausgezogenen Sätzen, welche das Concil von Sens verurtheilte. Man hatte diesen Satz aus dem dritten Buche seiner Einleitung in die Theologie entlehnt, wo er insbesondere über die Macht Gottes handelt. Als[240] Grund giebt er an, dass Gott nicht anders handeln kann, als er will; daher kann er nichts anderes thun, als was er thut, weil er nothwendig alles Angemessene wollen muss. Hieraus folgt, dass alles, was Gott nicht thut, nicht angemessen ist, dass er es zu thun, nicht wollen kann und dass er folglich es auch nicht thun kann. Abälard erkennt selbst an, dass diese Meinung ihm eigenthümlich sei, dass beinah Niemand sie theile, dass sie mit der Lehre der Heiligen und der Vernunft unverträglich sei und die Grösse Gottes zu mindern scheine. Es scheint, dass dieser Mann ein wenig zu sehr dahin neigt, anders, wie die Uebrigen zu denken; denn im Gründe war es nur ein Wortstreit, da er den Sinn der Worte änderte. Die Macht und der Wille sind verschiedene Eigenschaften; ebenso sind ihre Gegenstände verschieden; man vermischt beide, wenn man sagt, dass Gott nur das thun könne, was er wolle; vielmehr will er ganz im Gegentheil unter dem mehreren Möglichem nur das, was er als das Beste findet; denn man behandelt das Mögliche als einen Gegenstand seiner Macht und die wirklichen und seienden Dinge als Gegenstände seines beschliessenden Willens. Auch Abälard hat sie so aufgefasst. Er macht sich den Einwurf: Ein Verworfener kann gerettet werden, aber er kann es nicht werden, wenn Gott ihn nicht rettet. Gott kann ihn also erretten und folglich kann er auch etwas thun, was er nicht thut. Herr Abälard antwortet darauf, dass man wohl sagen könne, dieser Mensch kann in Bezug auf die Möglichkeit der menschlichen Natur gerettet werden, weil diese des Heiles fähig sei, aber dass man nicht sagen könne, Gott könne ihn, in Bezug auf Gott selbst, retten, weil es unmöglich sei, dass Gott etwas thue, was er nicht thun solle. Allein Abälard gesteht, dass man in einem gewissen Sinne, wenn man ohne Einschränkung spricht und die Annahme der Verwerfung bei Seite lässt, sehr wohl sagen könne, dass ein Verworfener gerettet werden könne, und also oft das was Gott nicht thue, doch gethan werden könne. Also hätte er auch so sprechen können, wie alle Andern, welche dies nicht anders meinen, wenn sie sagen, Gott könne diesen Menschen retten und könne etwas thun, was er nicht thut.

[241] 172. Auch die vermeintliche Nothwendigkeit des Wiclef, welche das Concil von Costnitz verurtheilte, scheint nur aus diesem Missverständniss entsprungen zu sein. Ich meine, kluge Leute thun der Wahrheit und sich selbst Schaden, wenn sie ohne Grund neue und verletzende Ausdrücke in Anwendung bringen. In unsern Tagen hat der berühmte Herr Hobbes dieselbe Ansicht vertheidigt, nämlich dass das, was nicht eintritt, unmöglich sei. Er beweist es damit, dass es niemals sein kann, dass alle nöthigen Bedingungen zum Entstehen einer Sache, die nicht in's Dasein tritt (omnia rei non futurae requisita), beisammen sein können, während doch die Sache ohne dieselben nicht wirklich werden könne. Allein wer bemerkt nicht, dass dies nur eine hypothetische Unmöglichkeit beweist? Allerdings kann eine Sache nicht wirklich werden, wenn eine dazu nöthige Bedingung fehlt, allein so gut man sagen kann, dass eine Sache da sein könne, obgleich sie nicht besteht, so kann man auch sagen, dass die nöthigen Bedingungen da sein können, obgleich sie nicht da sind. Der Grund von Herrn Hobbes lässt deshalb die Sache da, wo sie ist. Die Meinung, welche über Hobbes geherrscht, dass er eine unbedingte Nothwendigkeit aller Dinge lehre, hat ihn sehr in Verruf gebracht und sie würde ihm selbst dann geschadet haben, wenn sie sein einziger Irrthum gewesen wäre.

173. Spinoza ist weiter gegangen; er scheint aus drücklich eine blinde Nothwendigkeit gelehrt zu haben, da er dem Urheber der Dinge Verstand und Willen abgesprochen hat; das Gute und die Vollkommenheit sollen nur auf uns, nicht auf ihn sich beziehen. Die Lehre Spinoza's ist in diesem Punkte allerdings etwas dunkel, da er Gott das Denken zutheilt, nachdem er ihm den Verstand genommen hat; cogitationem non intellectum concedit Deo. (Er gesteht Gott nur das Denken, aber nicht den Verstand zu.) An einzelnen Stellen mildert er sogar seine Aussprüche über die Nothwendigkeit. So weit man ihn jedoch verstehen kann, erkennt er in Gott keine Güte im eigentlichen Sinne; nach ihm bestehen alle Dinge durch die Nothwendigkeit der göttlichen Natur, ohne dass Gott eine Auswahl trifft. Wir wollen uns hier nicht mit der Widerlegung einer so[242] tadelhaften und so dunkeln Lehre unterhalten. Auch die meinige stützt sich auf die Natur des Möglichen, d.h. auf das, was keinen Widerspruch enthält. Schwerlich wird ein Spinozist behaupten, dass alle Romane die man sich ausdenken kann, wirklich bestehen oder bestanden haben oder in irgend einem Theile des Universums noch zur Verwirklichung kommen werden; trotzdem kann man aber nicht leugnen, dass Romane wie die von dem Fräulein v. Scudery oder wie der von der Octavia nicht möglich seien. Ich stelle dem die Worte von Herrn Bayle gegenüber, die mir sehr gefallen, in S. 390; er sagt: »Es setzt heutzutage die Anhänger Spinoza's in grosse Verlegenheit, wenn sie ersehen, dass nach ihrer Hypothese es von aller Ewigkeit ab ebenso unmöglich gewesen ist, dass z.B. Spinoza nicht im Haag sterben sollte, wie es unmöglich ist, dass 2 und 2 gleich 6 seien. Sie erkennen, dass dies eine nothwendige Folge ihrer Lehre ist und eine Folge, die abschreckt, die empört und welche durch die in ihr enthaltene Unsinnigkeit, die dem natürlichen Sinne geradezu widerspricht, die Geister sich auflehnen macht. Sie sehen es nicht gern, dass man erkennt, wie sie einen so allgemeinen und so klaren Satz, wie den umstossen, dass alles sich Widersprechende unmöglich und alles, was sich nicht widerspricht, möglich ist.«

174. Man kann von Herrn Bayle sagen: Ubi bene, nemo melius (Wo er etwas gut gesagt hat, da kann es Niemand besser sagen), obgleich man von ihm nicht auch sagen kann, was man von Origenes sagte, ubi male, nemo pejus (Wo er etwas schlecht gesagt hat, kann es Niemand schlechter sagen). Ich will nur hinzufügen, dass das, was man als einen Grundsatz bezeichnet, vielmehr die Definition des Möglichen und Unmöglichen ist. Indess macht Herr Bayle am Schluss eine Bemerkung, welche das von ihm mit so viel Grunde Gesagte ein wenig verdirbt; es heisst da: »Wo sollte nun hier der Widerspruch sein, wenn Spinoza in Leyden gestorben wäre? Wäre da die Natur weniger vollkommen, weniger weise, weniger mächtig gewesen?« Er verwechselt hier das Unmögliche, was einen Widerspruch enthält, mit dem Unmöglichen, was nicht[243] geschehen kann, weil es sich nicht dazu eignet, gewählt zu werden. Allerdings wäre in solcher Annahme, dass Spinoza in Leyden und nicht im Haag gestorben sei, kein Widerspruch enthalten; es wäre dies durchaus möglich gewesen und die Sache war daher rücksichtlich der Macht Gottes gleichgültig; allein man darf sich nicht einbilden, dass irgend ein Ereigniss, sei es auch noch so gering, von der Weisheit und Güte Gottes als gleichgültig behandelt werden könne. Jesus Christus hat in göttlicher Weise wahr gesprochen, dass alles gezählt sei, bis auf die Haare unseres Kopfes. Also gestattete die Weisheit Gottes nicht, dass das von Herrn Bayle erwähnte Ereigniss anders eintrat, als es geschehen ist, nicht weil es an sich eher gewählt zu werden verdiente, sondern wegen seiner Verbindung mit der ganzen Folge in dem Universum, welches den Vorzug verdiente. Sagt man, dass das Geschehene kein Interesse für die Weisheit Gottes gehabt und folgert man daraus, dass es nicht nothwendig gewesen, so ist dies eine falsche Annahme, aus der man einen zwar logisch-richtigen, aber unwahren Schluss zieht. Es wird dabei das in Folge einer moralischen Nothwendigkeit Nothwendige verwechselt, d.h. das in Folge der Güte und Weisheit Gottes Nothwendige mit dem metaphysisch Nothwendigen und Sinnlosen, was aus dem in dessen Gegentheile enthaltenen Widerspruch folgt. In dieser Weise suchte also Spinoza in den Ereignissen eine metaphysische Nothwendigkeit; er glaubte nicht, dass Gott durch seine Güte und seine Vollkommenheit bestimmt werde (welche Eigenschaften dieser Schriftsteller als Chimären in Bezug auf das Universum behandelte), sondern durch die Nothwendigkeit seiner Natur; so wie der Halbkreis nur rechte Winkel in sich enthalten kann, ohne dass er es weiss oder will. Denn Euklid hat gezeigt, dass alle durch zwei gerade Linien eingeschlossenen Winkel, welche von den Endpunkten des Durchmessers nach einem Punkte des Kreis-Umrings gezogen werden nothwendig rechte Winkel sind und dass das Gegentheil einen Widerspruch enthalte.

175. Es giebt Leute, die in das andere Gegentheil gerathen sind; unter dem Vorwand, die göttliche Natur von dem Joch der Nothwendigkeit zu befreien, haben[244] sie dieselbe durchaus unbestimmt, wie ein Gleichgewicht, angenommen. Sie bedachten nicht, dass, so verkehrt die metaphysische Nothwendigkeit für das Handeln Gottes ad extra (nach Aussen) ist, um so würdiger die moralische Nothwendigkeit für ihn ist. Es ist das eine glückliche Nothwendigkeit, welche den Weisen zum Guthandeln nöthigt, während die Gleichgültigkeit für das Gute und Schlechte, viel mehr ein Mangel an Güte und Weisheit andeuten würde. Abgesehen davon, dass die Unbestimmtheit an sich, welche den Willen in einem völligen Gleichgewicht hielte, eine Chimäre ist, wie ich früher dargelegt habe, würde sie auch das grosse Prinzip des zureichenden Grundes erschüttern.

176. Die, welche glauben, Gott habe das Gute und das Uebel durch einen willkürlichen Beschluss eingerichtet, gerathen auf den sonderbaren Gedanken einer reinen Gleichgültigkeit und in noch sonderbarere Verkehrtheiten. Sie nehmen Gott den Titel eines guten Gottes; denn weshalb sollte man ihn wegen des von ihm Gethanen loben, wenn er bei einem ganz andern Handeln auch eben so gut gehandelt hätte? Ich habe mich oft gewundert, wie mehrere Theologen der Supralapsarier, z.B. Retorfort, Professor der Theologie in Schottland, welcher schrieb, als die Streitigkeiten mit den Remonstranten am lebhaftesten verhandelt wurden, sich einem so wunderbaren Gedanken haben zuwenden können. Retorfort sagt (in seiner Vertheidigung der Gnade) geradezu, dass für Gott und vor seinem Verbote nichts ungerecht oder moralisch schlecht sei. Folglich wäre es ohne solches Verbot gleichgültig, ob man einem Menschen ermordet, oder aus der Gefahr errettet, ob man Gott liebt oder hasst, ob man ihn lobt oder lästert.

Es giebt nichts unvernünftigeres, als dies; und mag man nun sagen, dass Gott durch ein positives Gesetz das Gute und Schlechte begründet habe, oder dass es zwar Gutes und Schlechtes auch vor seinem Beschlüsse gegeben habe, dem er aber nicht unterworfen sei und dass nichts ihn hindere, ungerecht zu handeln und die Unschuldigen vielleicht zu verdammen, so sagt man ziemlich das Gleiche und entehrt Gott in ziemlich gleichem Maasse. Denn wenn die Gerechtigkeit willkürlich und ohne einen Grund aufgestellt worden ist, wenn Gott[245] durch eine Art Zufall, wie beim Loose, dazu gekommen ist, so kommt seine Güte und seine Weisheit nicht zum Vorschein und es ist hier dann auch nichts, was ihn damit verknüpfte. Und wenn Gott durch einen rein willkürlichen Beschluss ohne allen Grund das, was wir Gerechtigkeit und Güte nennen, aufgerichtet und geschaffen hat, so kann er sie auch wieder abschaffen oder ihre Natur so verändern, dass man sich nicht mehr darauf verlassen kann, Gott werde sie immer erhalten, wie man doch annehmen kann, dass er dies thun werde, wenn man sie als in der Vernunft begründet ansieht. Ziemlich ebenso würde es sein, wenn Gottes Gerechtigkeit von der unseren verschieden wäre, z.B. wenn in seinem Gesetzbuch geschrieben stände, dass es gerecht sei, unschuldige ewig unglücklich zu machen. Auch würde nach dieser Meinung nichts Gott nöthigen, sein Wort zu halten, und es würde nichts uns Sicherheit gewähren, dass es geschehen werde. Denn weshalb sollte das Gesetz der Gerechtigkeit, wonach vernünftige Versprechen gehalten werden müssen, für ihn mehr unverletzlich sein, als alle übrigen?

177. Alle diese Sätze zerstören, obgleich sie unter einander sich ein wenig unterscheiden, nämlich 1) der Satz, dass die Natur der Gerechtigkeit eine willkürliche sei, 2) dass sie zwar bestimmt laute, aber es nicht sicher sei, dass Gott sie einhalten werde und 3) dass die Gerechtigkeit, welche wir kennen, nicht die auch von ihm befolgte sei, ich sage, alle diese Sätze zerstören sowohl das Vertrauen auf Gott, was uns beruhigt, wie die Liebe zu Gott, die uns beglückt. Denn wenn nichts hindert, dass ein solcher Gott die guten Menschen wie ein Tyrann und Feind behandelt und dass er sich an dem, was uns als schlecht gilt; erfreut; weshalb könnte er dann nicht ebenso gut das schlechte Prinzip der Manichäer, wie das alleinige und gute Prinzip der Rechtgläubigen sein? Mindestens wäre er keines von beiden und gleichsam zwischen beiden schwebend, oder er wäre sogar bald das eine, bald das andere. Dies bedeutete eben so viel, als wenn jemand sagte, dass Oromasdes und Arimanius wechselsweise regierten, je nachdem der eine stärker oder gewandter als der andere wäre. Ohngefähr so hat eine Frau Mugalla gesprochen,[246] welche wahrscheinlich gehört hatte, dass früher ihr Volk unter Tschingis Chan und dessen Nachfolgern die Herrschaft über den grössten Theil des Nordens und des Morgenlandes gehabt; sie sagte zuletzt den Moskowiten, als Herr Isbrand vom Chan durch die Länder dieser Tartaren nach China gesendet wurde, dass der Gott der Mugaller aus dem Himmel zwar gejagt sei, aber dass er eines Tages seinen Platz wieder einnehmen werde. Der wahre Gott ist immer sich gleich gleich; selbst die natürliche Religion verlangt, dass er wesentlich so gut und weise, wie stark sei. Es widerspricht kaum mehr der Vernunft und Frömmigkeit, wenn man sagt, Gott handle ohne Wissen, als wenn man ihm ein Wissen zuschreibt, welches die ewigen Kegeln der Güte und der Gerechtigkeit nicht zu seinem Gegenstände hat, oder gar dass er einen Willen habe, welcher auf diese Regeln keine Rücksicht nimmt.

178. Einige Theologen, welche die Rechte Gottes über seine Geschöpfe erörtert haben, haben ihm anscheinend ein Recht ohne Schranken, eine willkürliche und despotische Gewalt zugetheilt. Sie glaubten damit die Gottheit auf den höchsten Punkt der Grösse und Erhabenheit zu stellen, den man sich erdenken könne und die Geschöpfe dadurch so vor ihrem Schöpfer herabzudrücken, dass der Schöpfer durch keine Art von Gesetz seinem Geschöpf gegenüber gebunden sei. Einzelne Stellen bei Twisse, bei Retorfort und anderen Supralapsariern deuten an, dass Gott nicht sündigen könne, was er auch thue, weil er keinem Gesetze unterworfen sei. Selbst Herr Bayle hält diese Lehre für ungeheuerlich und der Heiligkeit Gottes widersprechend (Wörterbuch; Artikel Paulinianer S. 2332 im Anfang); indess glaube ich, dass die Absicht dieser Schriftsteller weniger schlecht gewesen ist, als es scheint. Sie haben wohl unter dem Namen: Recht die anypeuthynian gemeint, den Zustand, wo man Niemand für sein Thun verantwortlich ist; aber sie werden nicht geleugnet haben, dass Gott sich dasjenige selbst schuldet, was die Güte und Gerechtigkeit von ihm verlangen. Hierüber mag man die Vertheidigung Calvin's durch Herrn Amyrand einsehen, denn es ist wahr, dass Calvin in dieser[247] Materie streng rechtgläubig ist und nicht zu der Zahl der äussersten Supralapsarier gerechnet werden darf.

179. Wenn also Herr Bayle gewissermassen sagt, dass der heilige Paulus sich aus der Vorherbestimmung nur durch das unbeschränkte Recht Gottes und die Unbegreiflichkeit seiner Wege herausziehe, so muss man noch hinzudenken, dass, wenn man sie begreifen könnte, man finden würde, dass sie der Gerechtigkeit entsprechen, da Gott von seiner Macht keinen andern Gebrauch machen kann. Der heilige Paulus selbst sagt, dass es eine Tiefe sei, aber eine Tiefe der Weisheit (altitudo sapientiae) und die Gerechtigkeit ist in der Güte des Weisen mit enthalten. Ich finde, dass Herr Bayle im übrigen sich über die Anwendung meines Begriffes der Güte auf die Handlungen Gottes sehr richtig äussert. Er sagt (Antwort auf die Fragen etc. Kap. 81, S. 139): »Man darf hier nicht behaupten, dass die Güte des unendlichen Wesens nicht denselben Regeln, wie die Güte der Geschöpfe unterworfen sei; denn wenn es an Gott eine Eigenschaft giebt, die man Güte nennen kann, so müssen bei ihr die Merkmale der Güte überhaupt zutreffen, und wenn man die Güte auf ihren allgemeinsten Begriff zurückführt, so findet sich als solcher der Wille Gutes zu thun. Man mag sie in noch so viele Arten und Unterarten eintheilen, wie in die unendliche Güte, in die endliche Güte, in die königliche und in die väterliche Güte, in die des Ehemannes, in die des Herrn, so wird man in jeder als das untrennbare Merkmal den Willen Gutes zu thun finden.«

180. Ich finde auch, dass Herr Bayle sehr gut die Meinung Jener bekämpft, welche behaupten, dass die Güte und Gerechtigkeit nur von der willkürlichen Auswahl Gottes abhängen, und welche meinen, dass wenn Gott durch die Güte der Gegenstände selbst zum Handeln bestimmt worden wäre, er bei seinen Handlungen sich vollständig in der Nothwendigkeit befinden würde, was mit seiner Freiheit sich nicht vertragen würde. Dies ist eine Verwechselung der metaphysischen Nothwendigkeit mit der moralischen. Herr Bayle sagt dagegen (Antwort auf die Fragen etc. Kap. 89, S. 203): »Die Folge dieser Lehre wäre, dass Gott, bevor er sich[248] entschloss, die Welt zu schaffen, in der Tugend nichts besseres als in dem Laster fand und dass seine Gedanken ihm nicht zeigten, dass die Tugend seiner Liebe würdiger sei, als das Laster. Es bliebe dann kein Unterschied zwischen dem natürlichen und dem positiven Recht und es gäbe dann in der Moral nichts Unveränderliches und keine Ausnahme Gestattendes mehr; Gott hätte dann eben so gut verordnen können, dass man lasterhaft werde, wie dass man tugendhaft werde. Man wäre dann nicht sicher, dass eines Tages die Kegeln der Moral aufgehoben würden, wie es mit den Ceremonialgesetzen der Juden geschehen ist. Kurz, dies führt geradesweges zu der Annahme, dass Gott der völlig freie Urheber nicht blos von der Güte, der Tugend, sondern auch von der Wahrheit und dem Wesen der Dinge gewesen ist. Dies ist es, was ein Theil der Cartesianer behauptet und ich gestehe, dass ihre Meinung (man sehe die Fortsetzung der Gedanken über die Kometen S. 554) für gewisse Fälle von einigem Nutzen sein kann; allein viele Gründe sprechen dagegen und es verbinden sich damit so ärgerliche Folgen man sehe jene Fortsetzung Kap. 152, dass beinah jede andere äusserste Ansicht eher ertragen werden kann, als diese. Sie öffnet dem äussersten Pyrrhonismus Thor und Thür, denn man kann dann behaupten, dass der Satz: 3 und 3 machen 6, nur an den Orten und für die Zeit wahr ist, wo es Gott beliebt; dass dieser Satz vielleicht in einigen Theilen der Welt falsch ist und vielleicht auch unter den Menschen im nächsten Jahre; denn alles, was von dem freien Willen Gottes abhängt, kann auf bestimmte Orte und gewisse Zeiten, gleich den jüdischen Ceremonialgesetzen beschränkt werden. Man kann dann diese Folge auf alle Vorschriften der zehn Gebote ausdehnen, wenn die darin gebotenen Handlungen ihrer Natur nach ebenso aller Güte entbehren, wie die darin verbotenen.«

181. Sagt man, dass Gott bei Erschaffung des Menschen so, wie er ist, nicht gekonnt habe, die Frömmigkeit, die Mässigkeit, die Gerechtigkeit und die Keuschheit nicht zu verlangen, weil ihm unmöglich die Unordnungen gefallen konnten, welche seine Werke dann zu stören oder umzustürzen drohten, so geht man[249] damit in Wahrheit zur gewöhnlichen Ansicht zurück. Die Tugenden sind es nur, weil sie die Vollkommenheit befördern oder weil sie die Unvollkommenheit der Tugendhaften und selbst derer, die mit ihnen zu thun haben, hindern. Sie haben dies vermöge ihrer Natur an sich und vermöge der Natur der vernünftigen Geschöpfe, noch ehe Gott beschloss, letztere zu schaffen. Wollte man anders urtheilen, so wäre dies ebenso, als wenn jemand sagte, dass die Regeln der Angemessenheit und Harmonie für die Musiker rein willkürliche seien, weil sie in der Musik erst dann stattfinden, wenn man sich zum Singen oder zum Spiel eines Instruments entschliesst. Es ist dies aber gerade das Wesentliche einer guten Musik, denn diese Regeln entsprechen ihr schon in einem idealen Zustande, wo noch Niemand an das Singen denkt, weil man weiss, dass sie sofort, so wie man singt, ihr entsprechen werden. Ebenso entsprechen die Tugenden dem idealen Zustande der vernünftigen Geschöpfe noch bevor Gott beschloss, sie zu erschaffen und gerade deshalb behaupte ich, dass die Tugenden durch ihre Natur gut sind.

182. Herr Bayle hat in seiner »Fortsetzung verschiedener Gedanken und zwar in Kap. 152 ein besonderes Kapitel eingefügt, wo er zeigt, dass die christlichen Doktoren lehren, es gebe Dinge, die noch vor der Zeit, wo Gottes Beschlüsse ergangen, gerecht seien.« Theologen des Augsburgischen Bekenntnisses haben einige Reformirte getadelt, welche anscheinend anderer Meinung gewesen sind und man hat diesen Irrthum als eine Folge des unbedingten Beschlusses angesehen, wo nach dieser Lehre der Wille Gottes von jeder Art von Gründen befreit angenommen wird; ubi stat pro ratione voluntas. (Wo der Wille den Grund vertritt.) Allein ich habe schon früher wiederholt gesagt, dass selbst Calvin anerkannt habe, Gottes Beschlüsse stimmten mit der Gerechtigkeit und Weisheit, wenn uns auch die Gründe unbekannt seien, welche diese Uebereinstimmung im Einzelnen darlegten. Deshalb gehen die Regeln der Güte und der Gerechtigkeit den Beschlüssen Gottes zuvor und Herr Bayle citirt an demselben Orte eine Stelle des berühmten Herrn Turetin, welcher zwischen den natürlichen und den positiven göttlichen Gesetzen[250] unterscheidet. Die Gesetze der Moral gehören zu den erstern, die Ceremonial-Regeln zu den letztem. Herr Samuel des Marest, ein berühmter ehemaliger Theologe in Gröningen, und Herr Strimesius, welcher dies noch jetzt in Frankfurt an der Oder ist, haben dasselbe gelehrt und ich glaube unter den Reformirten ist dies die verbreitetste Annahme. Thomas von Aquino und alle Thomisten sind derselben Ansicht mit der grossen Masse der Scholastiker und der römisch-katholischen Theologen. Auch die Casuisten nehmen dies an; ich rechne Grotius zu einen der bedeutendsten derselben und seine Erklärer sind ihm hierin gefolgt. Herr Pufendorf scheint hier anderer Meinung gewesen zu sein und er hat dieselbe gegen den Tadel einiger Theologen aufrecht erhalten wollen, allein er braucht nicht in Anschlag gebracht zu werden, da er in diesen Materien nicht genug vorgeschritten war. Er eifert erschrecklich in seinem Fecialis divinus (dem göttlichen Fezialen, eine Art römischer Priester) gegen den unbedingten Beschluss und doch billigt er gerade das Schlimmere in den Ansichten der Vertheidiger dieses Beschlusses, ohne welches (wie andere Reformirte darlegen) dasselbe noch erträglich wird. Aristoteles ist bei diesem Kapitel der Gerechtigkeit sehr rechtgläubig gewesen und die Scholastiker sind ihm gefolgt. Sie unterscheiden so gut, wie Cicero und die Rechtsgelehrten, zwischen dem ewigen Rechte, welches Alle an allen Orten verpflichtet und dem positiven Recht, was nur für eine gewisse Zeit und gewisse Völker gilt. Ich habe früher mit Vergnügen den Eutyphron von Plato gelesen, worin Socrates diese Wahrheit vertheidigt; auch Herr Bayle erwähnt dieser Stelle.

183. Herr Bayle selbst vertheidigt diese Wahrheit an einer Stelle seiner Schriften mit vielem Eifer und es wird gut sein, wenn ich diese Stelle trotz ihrer Länge hier ganz aufnehme. Sie lautet (Theil II der Fortsetzung der verschiedenen Gedanken, Kap. 152, S. 771 u. f.): »Nach der Lehre unzähliger bedeutender Schriftsteller giebt es in der Natur und dem Wesen gewisser Dinge ein moralisch Gutes und Schlechtes, was dem Beschluss Gottes vorhergeht. Sie beweisen diese Lehre vorzüglich durch die abscheulichen Folgen der entgegengesetzten Lehre. So würde der Satz, dass man[251] Niemand Schaden zufügen solle, zwar eine gute Handlung sein, aber nicht an sich, sondern nur durch eine willkürliche Bestimmung Gottes und es folgte daraus, dass Gott dem Menschen auch ein Gesetz hätte geben können, was in allen seinen Punkten das gerade Gegentheil von den zehn Geboten gewesen wäre. Dies wäre schrecklich; indess giebt es auch einen direkten, der Metaphysik entlehnten Beweis. Unzweifelhaft ist das Dasein Gottes keine Wirkung seines Willens. Er besteht nicht, weil er bestehen will, sondern durch die Nothwendigkeit seiner unendlichen Natur. Seine Macht und sein Wissen bestehen durch dieselbe Nothwendigkeit. Er ist nicht deshalb allmächtig, nicht deshalb allwissend, weil er es so will, sondern weil dies nothwendig mit ihm selbst identische Eigenschaften sind. Das Reich seines Willens bezieht sich nur auf die Ausübung seiner Macht. Er verwirklicht ausserhalb seiner nur das, was er will und lässt alles Uebrige in der reinen Möglichkeit. Deshalb erstreckt sich dieses Reich nur auf das Dasein der Geschöpfe, aber nicht auf deren Wesen. Gott konnte den Stoff, den Menschen, den Kreis erschaffen, oder in dem Nichts belassen, aber er konnte sie nicht erschaffen, ohne deren wesentliche Eigenschaften. Er musste nothwendig den Menschen zu einem vernünftigen Wesen machen und dem Kreise die runde Gestalt geben, weil nach seinen ewigen Ideen, die unabhängig von den Beschlüssen seines freien Willens sind, das Wesen des Menschen in den Eigenschaften des Lebendigen und des Vernünftigen besteht, und die des Kreises in einem Umring, der in allen seinen Theilen gleichweit von seinem Mittelpunkt entfernt ist. Deshalb haben die christlichen Philosophen anerkannt, dass das Wesen der Dinge ewig ist und dass es Sätze von einer ewigen Wahrheit giebt und dass deshalb dieses Wesen der Dinge und die Wahrheit der obersten Grundsätze unveränderlich sind; und dies gilt nicht blos für die obersten theoretischen Grundsätze, sondern auch für die obersten praktischen Grundsätze und für alle Sätze, welche die wahren Definitionen der Geschöpfe enthalten. Diese Wesen, diese Wahrheiten fliessen aus derselben Nothwendigkeit der Natur, wie das Wissen Gottes. So wie also Gott[252] vermöge der Natur der Dinge besteht, allmächtig und allwissend ist, so haben auch durch dieselbe Natur das Dreieck, der Mensch und gewisse Handlungen des Menschen u.s.w. ihre eigenen wesentlichen Bestimmungen. Gott hat von Ewigkeit und mit aller Nothwendigkeit die wesentlichen Beziehungen der Zahlen, die Identität des Subjekts und Prädikats in den Sätzen gekannt, welche das Wesen jedes Dinges ausmachen. Er hat in gleicher Weise gewusst, dass das Wort: Gerecht, eingeschlossen ist in die Sätze, dass man achte, was achtbar ist, dass man seinem dankbar sei, dass man die Verabredungen eines Vertrags zu erfüllen habe und dass dies auch für die andern moralischen Sätze gelte. Man kann daher mit Grund behaupten, dass die Vorschriften des natürlichen Gesetzes die Sittlichkeit und Gerechtigkeit dessen voraussetzen, was sie gebieten, und dass der Mensch sie auch zu befolgen verpflichtet wäre, selbst wenn Gott so nachsichtig gewesen und nichts darüber bestimmt hätte. Man habe Acht, das bitte ich, dass, wenn man im Denken sich auf jenen idealen Zeitpunkt zurückversetzt, wo Gott noch nichts beschlossen hat, man in den Ideen Gottes die moralischen Grundsätze in Ausdrücken findet, welche eine Verpflichtung mit sich führen. Wir begreifen hier diese Grundsätze als feste, welche aus der ewigen und unveränderlichen Ordnung abgeleitet sind; es ist des vernünftigen Geschöpfes würdig, sich mit der Vernunft in Uebereinstimmung zu halten; ein Geschöpf, welches dies thut, ist lobenswerth und es verdient Tadel, wenn es dieses nicht thut. Man wird nicht zu bestreiten wagen, dass diese Wahrheiten dem Menschen eine Pflicht in Bezug auf alle mit der rechten Vernunft übereinstimmenden Handlungen auferlegen, wie z.B. dass man das Achtenswerthe achten solle, dass man Gutes mit Gutem vergelte, dass man Niemand beschädige, dass man seinen Vater ehre, dass man jedem das gebe, was man ihm schuldet u.s.w. Indem also durch die Natur der Dinge selbst und vor den göttlichen Gesetzen, die Wahrheiten der Moral dem Menschen gewisse Pflichten auferlegen, so konnten Thomas von Aquino und Grotius sagen, dass wenn es auch keinen Gott gäbe, wir doch[253] verpflichtet bleiben würden, uns mit dem natürlichen Gesetz in Uebereinstimmung zu halten. Andere haben gesagt, dass selbst wenn alles, was vernünftig ist, unterginge, die wahren Sätze doch wahr bleiben würden. Cajetan hat behauptet, dass wenn er selbst allein in der Welt übrig bliebe und alle andern Dinge ohne Ausnahme vernichtet wären, doch das Wissen was er von der Natur einer Rose habe, nicht aufhören würde, zu bestehen.«

184. Der verstorbene Jacob Thomasius, ein berühmter Professor in Leipzig, bemerkt in seinen Erläuterungen der philosophischen Regeln von Daniel Stahl, eines Professors in Jena, ganz, richtig, dass es nicht rathsam sei, über Gott ganz hinaus zu gehen und dass man nicht mit einigen Scotisten sagen solle, die ewigen Wahrheiten würden auch dann bestehen, wenn es keine Vernunft, nicht einmal die Gottes gäbe. Denn meines Erachtens ist es der göttliche Verstand, welcher die ewigen Wahrheiten wirklich macht, obgleich Gottes Wille dabei nicht mit Theil nimmt. Alle Wirklichkeit muss in einer bestehenden Sache begründet sein. Ein Atheist kann zwar ein Geometer sein, aber wenn Gott nicht wäre, gäbe es keinen Gegenstand der Geometrie. Ohne Gott gäbe es nicht blos kein Daseiendes, sondern nicht einmal ein Mögliches. Dies hindert aber nicht, dass die, welche die Verbindung aller Dinge unter einander und mit Gott nicht sehen, nicht doch gewisse Wissenschaften verstehen könnten, ohne dass sie deren erste Quelle, die in Gott ist, kennen. Aristoteles hat diese erste Quelle zwar auch nicht gekannt, aber er sagt doch etwas dem sich Annäherndes und Gutes, indem er anerkennt, dass die obersten Grundsätze der besonderen Wissenschaften von einer höheren abhängen, welche die Gründe enthält und diese höhere Wissenschaft müsse das Sein und folglich Gott, die Quelle des Seins zum Gegenstande haben. Herr Dreier in Königsberg hat gut bemerkt, dass die wahre Metaphysik, welche Aristoteles suchte, und welche er tên zêtoumenên (die gesuchte) nannte, d.h. sein desideratum, die Theologie gewesen sei.

185. Obgleich nun Herr Bayle so vieles Schöne gesagt hat, um zu zeigen, dass die Regeln der Güte und[254] der Gerechtigkeit, so wie die ewigen Wahrheiten überhaupt durch ihre Natur bestehen und nicht durch eine willkürliche Auswahl Gottes, so hat er doch an einer andern Stelle (Fortsetzung der Gedanken etc. Thl. II, Kap. 114 gegen das Ende) sich sehr schwankend hierüber geäussert. Er theilt hier die Ansicht des Descartes und eines Theils seiner Anhänger mit, welche behaupten dass Gott die freie Ursache der Wahrheiten und des Wesens jedes Dinges sei und sagt dann (S. 554): »Ich habe alles mir mögliche für das richtige Verständniss dieses Lehrsatzes und für die Lösung dieser Schwierigkeiten gethan, welche ihn umgeben. Ich gestehe offen, dass ich damit noch nicht ganz zum Ziele gelangt bin; allein ich verliere deshalb nicht den Muth und meine, dass, wie andere Philosophen es in andern Fällen gethan haben, die Zeit mir dieses schöne Paradoxon enthüllen wird. Ich wollte wohl, dass Herr Malebranche dessen Vertheidigung übernommen hätte; allein er hat andere Massregeln getroffen.« Wie ist es möglich, dass die Lust am Zweifel so viel über einen gescheidten Mann vermag, dass er wünscht und hofft zu dem Glauben zu gelangen, dass zwei sich widersprechende Sätze nur deshalb niemals zusammen bestehen können weil Gott es ihnen verboten habe und dass er ihnen hätte befehlen können, sie sollten immer in Gesellschaft mit einander wandern. »Wahrhaftig, ein schönes Paradoxon!« Herr Malebranche hat sehr weislich andre Massregeln genommen.

186. Ich kann selbst nicht glauben, dass es ganz ernstlich die Meinung des Herrn Descartes gewesen, obgleich ein Theil seiner Anhänger es leicht angenommen hat und ihm ganz treulich da gefolgt ist, wo er nur so gethan hat, als wolle er vorwärts gehen. Es scheint dies nur eine seiner Wendungen, seiner philosophischen Listen gewesen zu sein; er behielt sich einen Ausweg vor, wo er entwischen konnte, wie er ja ebenso eine Wendung auffand, um die Bewegung der Erde zu leugnen, während er doch ein Copernikaner im strengsten Sinne war. Ich möchte annehmen, dass er hier eine andere ausserordentliche Weise zu sprechen und zwar die er selbst erfunden, dabei im Sinne gehabt,[255] wonach das Bejahen und Verneinen und überhaupt das innerliche Urtheilen nur Akte des Wollens sein sollen. Durch dieses Kunststück sind die ewigen Wahrheiten, welche bis zu ihm als ein Gegenstand der göttlichen Vernunft gegolten hatten, plötzlich zu einem Gegenstand von Gottes Willen geworden. Nun sind Gottes Willensakte frei, also ist Gott die freie Ursache der Wahrheiten. So erklärt sich die Sache. Spectatum admissi. (Sie sind zum Schauen zugelassen.) Eine kleine Aenderung im Sinne der Ausdrücke hat all diesen Lärm veranlasst. Aber selbst wenn die Bejahung der nothwendigen Wahrheiten Willensakte des vollkommensten Geistes sind, so wären sie doch nichts weniger als frei, denn es giebt hier nichts zu wählen. Herr Descartes scheint sich nicht genügend über die Freiheit zu erklären; er scheint einen ungewöhnlichen Begriff von ihr gehabt zu haben, da er sie so weit ausdehnte, dass selbst die Bejahung der nothwendigen Wahrheiten eine freie That Gottes sein solle. Damit wird nur noch das Wort: Freiheit beibehalten.

187. Herr Bayle und Andere fassen sie als eine unbestimmte Freiheit auf; Gott hätte danach z.B. die Wahrheiten bei den Zahlen festzustellen gehabt und anzuordnen, dass 3 mal 3 Neun sind, während er auch hätte bestimmen können, dass sie Zehn ausmachten und Herr Bayle fasst daher die Freiheit in einem sonderbaren Sinne auf, als wollte er dadurch, ich weiss nicht welchen Vortheil zu ihrer Vertheidigung gegen die Anhänger des Strato erlangen. Strato war einer der Vorstände der Schule des Aristoteles und der Nachfolger von Theophrast; er behauptete (nach dem Bericht von Cicero), dass die Welt, so wie sie ist, durch die Natur oder durch eine nothwendige, aber des Wissens entbehrende Ursache gemacht worden sei. Ich gebe zu, dass dies geschehen konnte, wenn Gott den Stoff im Voraus so gebildet hätte, dass eine solche Wirkung durch die blosen Gesetze der Bewegung erfolgen konnte. Aber ohne Gott hätte es an jedem Grunde für irgend ein Dasein gefehlt und noch mehr für ein solches bestimmtes Dasein der Dinge; deshalb braucht man das System des Strato nicht zu fürchten.

[256] 188. Trotzdem nimmt Herr Bayle die Sache für schwierig; er will keine bildenden und des Wissens ermangelnden Naturen, wie Herr Cudworth und Andere sie aufgestellt hatten, zulassen, damit die modernen Stratoniker, d.h. die Spinozisten, dies sich nicht zu Nutze machten. Deshalb ist er in die Streitigkeiten mit Herrn Le Clerc gerathen. In Folge dieses Irrthums, dass nämlich eine verstandlose Ursache nichts, was von Kunst zeugt, hervorbringen könne, gesteht er mir die Praeformation (Vorausbildung) nicht zu, welche die Organe der Geschöpfe auf natürliche Weise hervorbringt und eben so wenig das System einer von Gott vorausgebildeten Harmonie in den Körpern, wodurch sie nach ihren eigenen Gesetzen den Gedanken und dem Wollen der Seelen entsprechen. Indess hätte er bedenken sollen, dass diese nicht-verständige Ursache, welche so schöne Dinge in den Körpern und in dem Samen der Pflanzen und Thiere hervorbringt, und welche die Bewegungen der Körper so veranlasst, wie der Wille verlangt, durch Gottes Hände gebildet worden, der unendlich geschickter ist als ein Uhrmacher, welcher doch auch schon Maschinen und Antomaten fertigt, welche eben so schöne Wirkungen hervorbringen, als wenn sie Verstand hätten.

189. Um nun auf das zu kommen, was Herr Bayle von den Stratonikern fürchtet, im Fall man Wahrheiten zulässt, die von dem Willen Gottes nicht abhängen, so scheint er zu fürchten, dass jene sich der vollkommenen Regelmässigkeit der ewigen Wahrheiten gegen uns bedienen möchten, da, wenn diese Regelmässigkeit nur eine Folge der Natur und Nothwendigkeit der Dinge sei, die von keinem Wissen geleitet werde, Herr Bayle fürchtet, dass man dann mit Strato folgern könne, auch die Welt sei so regelmässig nur durch eine blinde Nothwendigkeit geworden. Allein darauf lässt sich leicht antworten. In dem Gebiete der ewigen Wahrheiten sind alle möglichen enthalten, also sowohl das regelmässige, wie das unregelmässige; deshalb bedarf es eines Grundes, welcher die Ordnung und die Vernunft vorgezogen hat und dieser Grund kann nur in dem Verstände gefunden werden. Ueberdem bestehen diese Wahrheiten nicht ohne einen Verstand, welcher davon Kenntniss nimmt;[257] denn sie würden nicht bestehen, wenn es keinen göttlichen Verstand gäbe, wo sie sich gleichsam verwirklicht finden. Deshalb erreicht Strato nicht sein Ziel, wonach er das Wissen von dem, was in dem Ursprünge der Dinge enthalten ist, ausschliessen will.

190. Die Schwierigkeit, welche Herr Bayle sich von Seiten Strato's vorgestellt hat, erscheint ein wenig zu spitzfindig und gesucht. Man nennt dies timere ubi non est timor. (Fürchten, wo nichts zu fürchten ist.) Er macht sich eine andere Furcht, die eben so wenig Grund hat, nämlich dass Gott einer Art Fatum unterworfen sein würde. Er sagt (S. 555): »Wenn es Sätze von einer ewigen Wahrheit giebt und zwar durch ihre Natur und nicht durch die Einrichtung Gottes, so bestehen sie nicht durch einen freien Beschluss seines Willens, vielmehr, wenn Gott sie als nothwendig wahre gekannt hat, weil sie es durch ihre Natur sind, so haben wir dann eine Art Fatum, dem er unterworfen ist und eine natürliche und unübersteigliche Nothwendigkeit. Auch folgt daraus, dass der göttliche Verstand in der Unendlichkeit seiner Vorstellungen immer und sofort deren vollkommener Uebereinstimmung mit ihren Gegenständen begegnet ist, ohne dass irgend ein Wissen ihn geleitet hat; denn es wäre ein Widerspruch, zu sagen, dass kein vorbildliches Muster Gott als Plan für seine Verstandeshandlungen gedient haben sollte. Man würde dann niemals ewige Ideen und einen ersten Verstand erreichen. Man muss dann sagen, dass eine nothwendig bestehende Natur immer ihren Weg findet, ohne dass man ihn ihr zeigt und wie will man dann die Hartnäckigkeit eines Stratonikers überwinden?«

191. Allein hierauf lässt sich leicht antworten: Dieses angebliche Fatum, welches selbst die Gottheit nöthigt, ist nur die eigne Natur Gottes, sein eigner Verstand, welcher für seine Weisheit und Güte die Regeln bietet. Es ist eine glückliche Nothwendigkeit, ohne die er weder gut noch weise sein würde. Wollte man wohl, dass Gott nicht genöthigt wäre, vollkommen und glücklich zu sein? Ist unser Zustand, wonach wir dem Irrthume ausgesetzt sind, wohl beneidenswerth? Würden wir ihn nicht gern mit der Sündlosigkeit vertauschen,[258] wenn es von uns abhinge? Man muss des Lebens sehr überdrüssig sein, wenn man sich die Freiheit sich zu verderben, wünschen soll und die Gottheit beklagen, dass ihr diese Freiheit mangelt. Herr Bayle selbst benutzt anderwärts diese Gründe gegen die, welche eine übertriebene Freiheit bis zu den Wolken erheben, die sie in dem Willen annehmen, um ihn unabhängig von der Vernunft zu machen.

192. Endlich wundert sich Herr Bayle, »dass der göttliche Verstand in der Unendlichkeit seiner Vorstellungen immer und sofort deren vollkommene Uebereinstimmung mit ihren Gegenständen antrifft, ohne dass ihn doch eine Kenntniss dabei leitete.« Dieser Einwurf will nichts, durchaus nichts sagen; jede bestimmte Vorstellung stimmt durch sich selbst mit ihrem Gegenstande und bei Gott giebt es nur bestimmte Vorstellungen; nur dass der Gegenstand nicht gleich bestellt, aber wenn er in's Dasein treten wird, wird er nach dieser Vorstellung gebildet sein. Auch weiss Herr Bayle sehr wohl, dass der göttliche Verstand keiner Zeit bedarf, nm die Verbindung der Dinge zu kennen. Alle Begründungen sind in Gott im höchsten Grade vorhanden und sie halten in seinem Verstände eine Ordnung unter sich ein, ebenso wie in dem unserigen; aber bei ihm ist es nur eine natürliche Ordnung und Priorität, während es bei uns eine zeitliche Priorität ist. Es ist deshalb nicht wunderbar, dass der, welcher in alle Dinge mit einem Male eindringt, es immer mit dem ersten Male thut und man darf nicht sagen, dass es ihm gelingt, ohne dass ein Wissen ihn leite; im Gegentheil, weil sein Wissen ein vollkommenes ist, sind es auch seine freien Handlungen.

193. Bis hier habe ich gezeigt, dass der Wille Gottes von seiner Weisheit nicht unabhängig ist und man muss sich wundern, dass diese Ausführungen nöthig waren und dass ich für eine so grosse und anerkannte Wahrheit kämpfen musste. Allein es ist beinah eben so wunderbar, dass Manche glauben, Gott beobachte diese Regeln nur halb und er wähle nicht das Beste, obgleich seine Weisheit es ihn erkennen lasse, kurz, dass Gott nach der Meinung mancher Schriftsteller es hätte besser machen können. Dies gleicht dem Irrthum des bekannten[259] Königs Alphons von Castilien, welcher durch einige Kurfürsten zum römischen König erwählt worden war und die Aufstellung der astronomischen Tafeln betrieb, welche seinen Namen führen. Dieser Fürst soll gesagt haben, dass wenn Gott ihn bei Erschaffung der Welt zu Rathe gezogen hätte, er ihm gute Vorschläge gemacht haben würde. Offenbar missfiel ihm das Ptolemäische System, welches damals für das wahre galt und er meinte deshalb, dass man etwas Passenderes hätte machen können, worin er Recht hatte. Hätte er aber das System des Copernikus und die Entdeckungen Keppler's gekannt, mit ihrer jetzigen Vermehrung durch das Gesetz der Schwere der Planeten, so würde er eingesehen haben, dass die Erfindung des wahren Systems bewunderungswürdig ist. Man sieht, es handelte sich auch hier um nichts mehr, noch weniger, als dass Alphons behauptete, man habe es besser machen können und dass sein Ausspruch von aller Welt getadelt worden ist.

194. Indess wagen dennoch Philosophen und Theologen dogmatisch ein ähnliches Urtheil aufrecht zu erhalten und ich habe mich vielmals gewundert, dass kluge und fromme Menschen im Stande waren, die Güte und die Vollkommenheit Gottes als begrenzt anzunehmen. Denn mit der Annahme, dass Gott das Beste kenne, und dass er es herstellen könne, aber dies nicht thue, gesteht man, dass es nur von seinem Willen abhänge, die Welt besser herzustellen, als sie ist; und dies nennt man einen Mangel an Güte. Dies wäre nämlich ein Handeln gegen den schon früher angedeuteten Grundsatz: Minus bonum habet rationem mali. (Ein geringeres Gut hat die Natur eines Uebels.) Manche berufen sich auf die Erfahrung, um zu zeigen, dass Gott es hätte besser machen können; allein damit erheben sie sich zu lächerlichen Kritikern seiner Werke. Man muss ihnen das sagen, was man Allen antwortet, welche das Verfahren Gottes kritisiren und welche von derselben Annahme aus, nämlich aus den angeblichen Mängeln der Welt folgern wollen, dass es einen schlechten Gott gebe, oder wenigstens einen, der weder gut noch schlecht sei. Wenn wir, wie der König Alphons urtheilen, so wird man uns, meine ich, antworten: Ihr kennt die Welt erst[260] seit drei Tagen, Ihr seht wenig weiter, als eure Nase reicht und Ihr findet daran zu tadeln; wartet bis ihr sie besser kennt und beobachtet vornehmlich die Theile, welche ein vollständiges Ganze darstellen (wie z.B. die organischen Körper) und ihr werdet da ein Kunstwerk und eine Schönheit antreffen, welche über alle Vorstellung geht. Wir wollen also daraus die Weisheit und Güte des Schöpfers aller Dinge, auch für die Dinge, die wir nicht kennen, annehmen. Wir finden in dieser Welt Manches, was uns nicht gefällt, allein wir müssen wissen, dass sie nicht für uns allein geschaffen ist. Dennoch ist sie für uns eingerichtet, sofern wir weise sind; sie wird sich uns anpassen, wenn wir uns ihr anpassen; wir werden in ihr glücklich sein, wenn wir es sein wollen.

195. Mancher wird sagen, es sei unmöglich, das Beste hervorzubringen, weil es hier kein vollkommenes Geschöpf gebe und es immer möglich bleibe, eines hervorzubringen, welches vollkommener sei. Ich antworte, dass das, was man von einem einzelnen Geschöpf oder von einer einzelnen Substanz sagen kann, welche immer durch eine andere übertroffen werden kann, nicht auf das Universum angewendet werden darf, welches, da es sich auf alle kommende Ewigkeit erstrecken soll, ein Unendliches ist. Ueberdem giebt es eine unendliche Menge von Geschöpfen in dem kleinsten Stück des Stoffes, weil das Continuum (das Stetige) wirklich ohne Ende getheilt werden kann. Und das Unendliche, d.h. die Anhäufung einer unendlichen Menge von Substanzen bildet eigentlich kein Ganzes, so wenig, wie die unendliche Zahl selbst, von der man nicht sagen kann, ob sie gerade oder ungerade ist. Gerade damit kann man diejenigen widerlegen, welche aus der Welt einen Gott machen, oder ihn als die Seele der Welt auffassen; denn die Welt oder das Universum kann nicht wie ein lebendes Wesen oder wie eine Substanz angesehen werden.

196. Es handelt sich also nicht um ein Geschöpf, sondern um das Universum und unser Gegner muss also darlegen, dass ein mögliches Universum besser sein könne, als das andere und zwar für alle möglichen Universa ohne Ende; hierin ist es, wo er sich täuscht[261] und was er nicht beweisen kann. Wäre diese Ansicht die wahre, so würde folgen, dass Gott gar kein Universum hervorgebracht haben würde; denn er kann nicht ohne Vernunft handeln und dies wäre selbst ein Handeln gegen die Vernunft. Es wäre ebenso, als wenn man sich vorstellte, Gott hätte beschlossen, eine stoffliche Kugel zu schaffen, aber ohne dass ein Grund dafür vorhanden wäre, sie von dieser oder einer andern Grösse hervorzubringen. Ein solcher Beschluss wäre nutzlos, er enthält in sich etwas, was seine Verwirklichung hinderte. Etwas anderes wäre, wenn Gott beschlösse, von einem gegebenen Punkt eine gerade Linie bis zu einer andern gegebenen geraden Linie zu ziehen, ohne dass der Winkel zwischen beiden Linien in dem Beschlüsse oder in den Umständen bestimmt wäre, denn in diesem Falle würde diese Bestimmung von der Natur des Falles kommen, die Linie wäre senkrecht und der Winkel ein rechter, weil nur dies ein Bestimmtes und Besonderes wäre. In dieser Weise muss man die Erschaffung der besten aller möglichen Welten auffassen, und zwar um so mehr, als Gott nicht blos beschliesst, eine Welt zu erschaffen, sondern auch die Beste von allen, da er nichts ohne Kenntniss beschliesst und er nicht vereinzelte Beschlüsse fasst, welche nur ein vorgehendes Wollen sein würden, deren Unterschied von wirklichen Beschlüssen ich schon genügend dargelegt habe.

197. Herr Diroys, den ich in Rom kennen gelernt habe, der Theologe des Cardinal von Estrea, hat ein Buch unter dem Titel: Beweise und günstige Urtheile für die christliche Religion, geschrieben, was in Paris 1683 erschienen ist. Herr Bayle (Antworten auf die Fragen etc. Kap. 165, S. 1058, Thl. III.) erwähnt daraus eines Einwurfs, welchen Herr Diroys sich macht und welcher lautet: »Es giebt noch eine Schwierigkeit, deren Erledigung ebenso wichtig ist, wie die bisherigen, weil sie denen viel Sorge macht, welche über das Gute und Schlimme nach Erwägungen urtheilen, welche sich auf die reinsten und erhebendsten Grundsätze stützen. Da Gott nämlich die höchste Weisheit und Güte ist, so meinen sie, er müsse alles so thun, wie weise und tugendhafte Menschen es wünschten und nach[262] den Regeln der Weisheit und Güte, welche Gott ihnen eingeprägt und wie sie selbst zu handeln verpflichtet wären, wenn die Dinge von ihnen abhingen. Indem sie nun sehen, dass die Dinge in der Welt nicht so gut gehen, als es nach ihrer Meinung sein könnte und wie es geschehen würde, wenn sie sich einmischten, so folgern sie, dass Gott, der doch unendlich besser und weiser sei, als sie, oder der vielmehr die Weisheit und Güte selbst sei, sich nicht um die Dinge bekümmere.«

198. Herr Diroys sagt manches Gute hierüber, was ich hier nicht wiederhole, weil ich an mehr als einer Stelle schon genügend auf diesen Einwurf geantwortet habe und darauf meine ganze Abhandlung wesentlich abzielt. Allein er bringt etwas vor, wo ich mit ihm nicht stimmen kann. Er meint, der Einwurf beweise zu viel. Ich muss hier auch dessen eigne Worte mit Herrn Bayle anführen, S. 1059: »Wenn es der Weisheit und Güte nicht entspricht, etwas nicht auf das Beste und Vollkommenste zu thun, so müssen alle Wesen für immer unveränderlich und wesentlich so vollkommen und so gut sein, als es möglich ist, weil es keine Veränderung giebt, als aus einem weniger guten Zustand in einen bessern oder aus einem bessern in einen weniger guten. Nun kann letzteres nicht geschehen, es müsste denn Gott gefallen, nicht das Beste und Vollkommenste zu thun, wenn er es kann; also müssen alle Wesen immer und wesentlich mit einem Wissen und einer Tugend erfüllt sein, die so vollkommen sind, als Gott sie ihnen geben kann. Nun geht alles, was immer und wesentlich so vollkommen ist, als Gott es machen kann, von ihm aus, kurz, ist immer und wesentlich gut, wie er selbst und ist also Gott, wie er selbst. Dahin führt also der Satz, dass es Gottes höchster Gerechtigkeit und Weisheit widerspreche, die Dinge nicht so gut und vollkommen zu machen, als möglich. Denn der wesentlichen Güte ist es wesentlich, alles zu beseitigen, was ihr unbedingt widerspricht. Deshalb muss man es als eine erste Wahrheit in Bezug auf das Verhalten Gottes gegen die Geschöpfe anerkennen, dass es seiner Weisheit und Güte nicht widerspreche, die Dinge weniger vollkommen zu machen, als[263] es geschehen könnte und zu gestatten, dass die von ihm geschaffenen Güter entweder ganz verschwinden oder wechseln und sich ändern, da es Gott nicht widersteht, dass es noch andere Wesen ausser ihm giebt, d.h. Wesen, die das nicht sein könnten, was sie sind, oder das nicht thun könnten, was sie thun, oder das thun könnten, was sie nicht thun.«

199. Herr Bayle hält diese Entgegnung für schwach, aber ich finde, dass das, was er ihr entgegenstellt, gesucht ist. Nach Herrn Bayle sollen die, welche für beide Prinzipien sind, hauptsächlich auf die behauptete unbeschränkte Freiheit Gottes sich stützen; denn wenn er alles, was er vermag, auch hervorbringen müsste, so würde er auch die Sünden und die Schmerzen hervorbringen und dann könnten die Dualisten aus dem Dasein des Uebels nichts gegen die Einheit des Prinzips herleiten, wenn dieses Prinzip ebenso zu dem Uebel, wie zu dem Guten genöthigt wäre. Herr Bayle dehnt hier den Begriff der Freiheit zu weit aus, denn wenn auch Gott unbeschränkt frei ist, so folgt daraus noch nicht, dass er sich in einer völligen Gleichgültigkeit befindet, und wenn er auch zum Handeln neigt, so ist er durch diese Neigung doch noch nicht gezwungen, alles hervorzubringen, was er vermag, vielmehr wird er nur hervorbringen, was er will, da seine Neigung auf das Gute gerichtet ist. Ich trete ihm in der unbeschränkten Freiheit Gottes bei, aber ich verwechsele sie nicht mit der völligen Gleichgültigkeit, so dass er ohne Grund handeln könnte. Herr Diroys erkennt also, dass die Dualisten zu viel verlangen, wenn sie wollen, dass das alleinige gute Prinzip nach ihnen nur Gutes hervorbringe; denn dann müssten sie aus demselben Grunde, wie Herr Diroys sagt, auch verlangen, dass es das grösste Gute hervorbringe, da ein geringeres schon eine Art Uebel ist. Ich meine, die Dualisten haben beim ersten Punkte Unrecht, aber dass sie beim zweiten wohl Recht haben, wo Herr Diroys sie ohne Grund tadelt; oder dass man vielmehr das in einigen Theilen vorhandene Uebel oder weniger Gute mit dem besten Ganzen in Uebereinstimmung bringen kann. Wenn die Dualisten forderten, dass Gott das beste thue, so würden sie nicht zu viel verlangen, aber sie täuschen sich darin, dass sie meinen, dass das[264] Beste für das Ganze frei vom Uebel in seinen Theilen sei und dass deshalb das, was Gott gemacht habe, nicht das Beste sei.

200. Herr Diroys behauptet aber, dass wenn Gott immer das Beste erzeugte, er dann andere Götter erzeugen würde, da sonst jede von ihm erschaffene Substanz nicht die beste und vollkommenste sein würdet hierin aber täuscht er sich, weil er die Ordnung und Verbindung der Dinge übersieht. Wäre jede Substanz für sich vollkommen, so wären sie alle einander ähnlich, was weder angemessen, noch möglich ist. Wären es Götter, so hätten sie nicht hervorgebracht werden können; deshalb enthält das beste System der Dinge keine Götter; es wird immer ein System von Körpern (d.h. Dinge die nach Zeit und Ort geordnet sind) und von Seelen sein, welche sich die Körper vorstellen und sie wahrnehmen und nach denen die Körper zu einem guten Theil geleitet werden. So wie der Plan zu einen Gebäude rücksichtlich des Zweckes, der Kosten, der Umstände der beste sein kann und so wie die Anordnung einiger gestalteten Körper, die man euch bietet, die beste sein kann, die sich auffinden lässt, so kann begreiflicher Weise auch der Aufbau des Universums der beste von allen sein, ohne dass ein Gott daraus zu werden braucht. Die Verbindung und Ordnung der Dinge macht, dass die Körper aller lebenden Wesen und aller Pflanzen aus andern Thieren und andern Pflanzen oder aus andern lebenden organischen Wesen bestehen; deshalb bestellt hier eine Unterordnung und ein Körper, eine Substanz dient der andern, so dass ihre Vollkommenheit nicht die gleiche sein kann.

201. Herr Bayle meint (S. 1063), dass Herr Diroys zwei verschiedene Sätze vermengt habe; einen, wonach Gott alles so thun soll, wie weise und tugendhafte Menschen es wünschten, entsprechend den Kegeln der Weisheit und Güte, welche Gott ihnen eingeflösst hat, und wie sie selbst es zu thun verpflichtet wären, wenn die Dinge von ihnen abhingen und den zweiten, dass es der unbegrenzten Weisheit, und Güte Gottes nicht entspreche, wenn er nicht alles auf das Beste und Vollkommenste thue. Herr Diroys macht, wie Herr Bayle meint, den ersten Satz sich zum Einwurf, aber antwortet nur auf[265] den zweiten. Allein Herr Di roys hat hier wohl recht, da beide Sätze zusammenhängen und der zweite nur eine Folge des ersten ist, indem weniger Gutes thun, als man vermag, ein Mangel an Weisheit oder Gute ist. Das beste sein oder das sein, was von den Tugendhaftesten und Weisesten gewünscht wird, ist dasselbe. Wenn wir den Bau und die Einrichtung des Universum's einsehen könnten, so würden wir finden, dass es so gemacht und geleitet wird, wie es die Weisesten und Tugendhaftesten nur wünschen können, da Gott daran nichts fehlen lassen kann. Indess ist diese Notwendigkeit doch nur eine moralische und ich gebe zu, dass wenn Gott durch eine metaphysische Nothwendigkeit gezwungen wäre, das, was er thut, hervorzubringen, er alles Mögliche oder gar Nichts hervorbringen würde und in diesem Sinne wäre dann die Folgerung des Herrn Bayle ganz richtig. Allein alles Mögliche verträgt sich nicht mit einander in derselben Folge des einen Universum's und deshalb wird nicht alles Mögliche hervorgebracht und deshalb ist Gott, metaphysisch gesprochen, nicht zur Erschaffung einer solchen Welt gezwungen. Man kann sagen, dass, sobald Gott beschlossen hat, etwas zu erschaffen, ein Streit unter allen den vielen Möglichen entstellt, welche alle nach dem Dasein verlangen und dass dann die möglichen Dinge, welche in ihrer Verbindung die meiste Realität, die meiste Vollkommenheit, die meiste Vernünftigkeit ergeben, den Sieg davon tragen. Allerdings kann dies nur ein idealer Kampf sein, d.h. nur ein Kampf der Gründe in dem vollkommensten Verstande, welcher nur in der vollkommensten Weise handeln kann und deshalb das Beste wählt. Indess ist Gott durch eine moralische Nothwendigkeit gezwungen, die Sachen so zu schaffen, dass es nicht besser geschehen kann; denn sonst würden nicht blos Andere Anlass zum Tadel des Gemachten haben, sondern, was schlimmer wäre, Gott selbst würde mit seinem Werke nicht zufrieden sein; er würde sich dessen Unvollkommenheiten vorhalten, was der höchsten Glückseligkeit der göttlichen Natur widerspricht. Dieses stete Gefühl seines eignen Fehlers oder seiner eignen Unvollkommenheit würde für ihn eine Quelle unvermeidlichen Kummers werden, wie Herr Bayle bei einer andern Gelegenheit sich ausdrückt (S. 953).

[266] 202. In der Begründung des Herrn Diroys wird fälschlich angenommen, dass kein Ding sich ändern könne, als aus einem weniger guten Zustand in einen bessern, oder aus einem bessern in einen weniger guten; macht also Gott das Beste, so könne das Gemachte nicht geändert werden, es würde eine ewige Substanz, ein Gott sein. Allein weshalb sollte ein Gegenstand nicht in der Art seiner Güte oder Schlechtigkeit sich ändern können, während der Grad der Güte derselbe bleibt? Bei dem Uebergange von dem Vergnügen an der Musik zu dem Vergnügen an einem Gemälde, oder umgekehrt von der Lust der Augen zu der Lust der Ohren kann ja der Grad der Lust derselbe bleiben, ohne dass der spätere einen andern Vortheil als den der Neuheit hat. Wenn die Quadratur des Kreises zu Stande käme, oder (was dasselbe ist) die Umwandlung des Vierecks in einen Kreis, d.h. wenn der Kreis in einem Viereck von derselben Grösse oder das Viereck in einen Kreis umgewandelt würde, so wäre, unbedingt gesprochen und ohne Beziehung auf einen besonderen Gebrauch davon, schwer zu sagen, ob man dabei verloren oder gewonnen hätte. So kann also das Beste in ein anderes Beste, was nicht besser und nicht schlechter ist, verändert werden und es wird dabei immer eine Ordnung zwischen ihnen bestehen und zwar die möglichst beste Ordnung. Nimmt man die ganze Folge der Dinge, so hat die beste nicht ihres Gleichen; wohl aber kann ein Theil dieser Folge von einem andern Theile derselben Folge in Gleichheit erreicht werden. Man kann also sagen, dass die ganze Folge der Dinge bis in's Unendliche, die möglichst beste sein kann, obgleich das, was von dem ganzen Universum zu den verschiedenen Zeitpunkten besteht, nicht das beste ist. Folglich könnte das Universum allmählig immer besser werden, wenn die Natur der Dinge der Art ist, dass man das beste nicht mit einem Schlage erreichen könnte. Indess sind dies schwer zu beurtheilende Fragen.

203. Auch Herr Bayle sagt (S. 1064), dass die Frage, ob Gott die Dinge vollkommener, als er gethan, habe machen können, sehr schwierig sei und dass starke Gründe sich für und gegen geltend machen lassen. Indess ist meines Erachtens dies dieselbe Frage, als die,[267] ob Gottes Handlungen der grössten Güte gemäss seien. Es ist sehr auffallend, dass man durch eine geringe Veränderung der Worte das zweifelhaft macht, was, richtig verstanden, das klarste von der Welt ist. Die Gegengründe beweisen nichts, da sie nur auf den Schein von Mängeln sich stützen und Herrn Bayle's Einwurf, wonach das Gesetz des Besten Gott eine wahre metaphysische Notwendigkeit auferlege, ist nur ein Blendwerk, was aus dem Missbrauch der Worte hervorgeht. Herr Bayle ist früher anderer Ansicht gewesen, als er der Ansicht des Herrn Malebranche zustimmte, welcher hier sich der meinigen sehr nähert. Als jedoch Herr Arnaud gegen Herrn Malebranche geschrieben hatte, änderte Herr Bayle seine Meinung und es mag wohl seine Zweifelssucht, welche bei ihm mit den Jahren gestiegen ist, dazu beigetragen haben. Herr Arnaud war unzweifelhaft ein grosser Mann und sein Ausspruch ist von grossem Gewicht; er hat manches Gute gegen Herrn Malebranche gesagt, aber er hatte keinen Grund für seinen Angriff gegen das, was dieser Pater über die Regel des Besten gesagt hat, wo er sich dem von mir Behaupteten nähert.

204. Nachdem der ausgezeichnete Verfasser der »Erforschung der Wahrheit« von der Philosophie zur Theologie übergegangen war, so veröffentlichte er zuletzt eine sehr schöne Abhandlung über die Natur und die Gnade und zeigte darin in seiner Weise (wie Herr Bayle es in seinen Gedanken über die Kometen Kap. 234 erläutert hat), dass die Ereignisse, welche aus der Befolgung allgemeiner Gesetze hervorgehen, nicht der Gegenstand eines besondern Wollens Gottes seien. Es ist richtig, dass wenn man eine Sache will, man auch gewissermassen alles damit nothwendig Verbundene will und deshalb kann Gott die allgemeinen Gesetze nicht wollen, ohne gewissermassen auch alle die besondern Wirkungen zu wollen, die aus ihnen nothwendig hervorgehen müssen, allein es bleibt doch immer wahr, dass man diese besondern Ereignisse nicht um ihrer selbst willen verlangt und dies meint man, wenn man sagt, dass man sie nicht mit einem besonderen und direkten Willen wolle. Unzweifelhaft hat Gott, als er sich entschloss nach Aussen zu handeln, eine Handlungsweise[268] gewählt, welche des höchsten Wesens vollkommen würdig war, d.h. die unendlich einfach und gleichförmig und doch von einer unendlichen Fruchtbarkeit war. Man kann sich sogar vorstellen, dass diese Art zu handeln, nämlich durch allgemeine Entschlüsse, ihm als die vorzüglichere erschienen ist, obgleich daraus einige überflüssige Ereignisse hervorgehen mussten (und selbst schlechte, wenn man sie für sich betrachtet, wie ich hinzufüge), gegenüber einer mehr zusammengesetzten und regelmässigeren Art, wie dieser Pater meint. Nichts ist passender, als diese Annahme (nach der Meinung des Herrn Bayle, als er seine Gedanken über die Kometen niederschrieb), um Tausende von Schwierigkeiten zu lösen, welche man gegen die göttliche Vorsehung erhebt. Herr Bayle sagt: »Wenn man Gott fragt, weshalb er Dinge gemacht habe, welche den Menschen nur schlechter machen können, so heisst dies so viel, als fragen, weshalb Gott seinen Plan (der nur unendlich schön sein kann) auf den einfachsten und gleichförmigsten Wegen ausgeführt habe und weshalb er nicht durch eine Verbindung von Beschlüssen, die einander fortwährend durchkreuzen, den schlechten Gebrauch der menschlichen Freiheit gehindert habe. Er fügt hinzu, dass die Wunder, welche besondere Willensäusserungen seien, einen Gottes würdigen Zweck haben müssen.«

205. Auf dieser Grundlage macht er gute Bemerkungen (Kap. 231) über die Ungerechtigkeit derer, welche das Glück der Schlechten seltsam finden. Er sagt: »Ich trage kein Bedenken, zu sagen, dass alle, welche das Glück der Schlechten seltsam finden, sehr wenig über die Natur Gottes nachgedacht haben. Sie haben die Verbindlichkeiten einer, alle Dinge regierenden Ursache auf das Maass einer ganz untergeordneten Voraussicht herabgesetzt, was von einem kleinen Geiste zeugt. Hätte etwa Gott, nachdem er freie und nothwendige Ursachen in einer Mischung geschaffen, die unendlich geeignet ist, um die Wunder seiner unendlichen Weisheit heraustreten zu lassen, etwa Gesetze aufstellen sollen, die der Natur der freien Ursachen entsprächen aber so wenig fest wären, dass der kleinste Unfall, welcher einem Menschen begegnete, sie ganz umstiesse und die menschliche Freiheit vernichtete?[269] Der einfache Befehlshaber einer Stadt würde ausgelacht werden, wenn er seine Befehle und Anordnungen änderte, so oft etwa jemand dagegen zu murren beliebte, und Gott, dessen Gesetze ein so allgemeines Gut befassen, dass alles uns Sichtbare nur ein kleines Stuck davon ist, sollte seine Gesetze abändern, weil sie heute diesem und morgen jenem nicht gefallen? weil bald ein Abergläubischer in der falschen Meinung, dass ein Ungeheuer etwas Erschreckliches verkünde, zu einem verbrecherischen Opfer in seinem Irrthum übergeht, bald eine gute Seele, die trotzdem nicht viel sich aus der Tugend macht und nicht glaubt, dass man schon genug gestraft sei, wenn man keine Tugend hat, daran Anstoss nimmt, dass ein schlechter Mensch reich wird und sich einer kräftigen Gesundheit erfreut? Kann man sich wohl eine falschere Vorstellung von einer allgemeinen Vorsehung machen? Alle Welt erkennt, dass das Naturgesetz: Der Starke besiegt den Schwachen, sehr weise gegeben worden und dass es lächerlich sei, wenn man fordern wollte, dass Gott bei dem Fall eines Steines auf eine zerbrechliche Vase, welche die Freude ihres Eigenthümers bildet, dieses Gesetz hier aufheben solle, um jenem Herrn seinen Kummer zu ersparen. Wäre es nicht auch lächerlich, wenn man von Gott verlangen wollte, er sollte dasselbe Gesetz aufheben, damit ein schlechter Mensch sich nicht durch die Plünderung eines guten Menschen bereichere? Je mehr der Schlechte sich über die Mahnungen seines Gewissens und seiner Ehre hinwegsetzt, um so mehr übertrifft er an Kraft den Guten; mischt sich also letzterer hinein, so muss er nach dem Lauf der Natur sich in's Verderben stürzen und wenn beide in Geldgeschäfte sich einlassen, so muss nach demselben Lauf der Natur der Schlechte sich mehr als der Gute bereichern, gerade so, wie ein heftiges Feuer mehr Holz verzehrt, als ein Strohfeuer. Wenn man verlangt, dass ein schlechter Mensch krank werde, so ist dies mitunter ebenso ungerecht, als wenn man verlangt, dass ein fallender Stein ein Glas nicht zerbreche, denn nach der Art, wie seine Organe sich verhalten, können weder die Nahrungsmittel, welche er verzehrt, noch die Luft, die er einathmet nach natürlichen Gesetzen seiner[270] Gesundheit schaden. Deshalb beklagen sich die, welche über seine Gesundheit sich beklagen, darüber, dass Gott seine festgestellten Gesetze nicht verletze. Sie haben dabei um so mehr Unrecht, als durch die Verbindungen und Verkettungen, die allein Gott herrichten kann, es sich oft trifft, dass der Lauf der Natur die Strafe der Sünde herbeiführt.«

206. Es ist sehr schade, dass Herr Bayle so schnell den so glücklich von ihm betretenen Weg verlassen hat, wonach er die Gründe zu Gunsten der Vorsehung geltend macht; es würde ihm viel Frucht gebracht haben; indem er Schönes gesagt, würde er zugleich Gutes gesagt haben. Ich bin mit dem ehrwürdigen Pater Malebranche einverstanden, dass Gott die Dinge in der ihm würdigsten Weise macht; allein ich gehe ein wenig weiter als er, in Bezug auf die allgemeinen und besondern Willenshandlungen. Da Gott nichts ohne Grund thun kann, selbst wenn er Wunder verrichtet, so folgt, dass er für die einzelnen Ereignisse nur das will, was die Folge einer Wahrheit oder eines allgemeinen Willens ist. Deshalb hat er wohl niemals solches besondere Wollen, wie dieser Pater es meint, d.h. ein besonderes ursprüngliches Wollen.

207. Ich glaube, dass selbst die Wunder hierin sich von andern Ereignissen nicht unterscheiden, denn die Gründe einer über der Natur stehenden Ordnung veranlassen deren Bewirkung. Ich möchte deshalb mit diesem Pater nicht sagen, dass Gott von seinen allgemeinen Gesetzen abgehe, so oft die Ordnung es verlange; er thut dies nur um eines andern mehr anwendbaren Gesetzes willen, und dass die Ordnung dies will, dürfte wohl mit der Regel der Ordnung überhaupt übereinstimmen, welche zu den allgemeinen Gesetzen gehört. Das Kennzeichen der Wunder (im strengsten Sinne aufgefasst) ist, dass man sie aus der Natur geschaffener Dinge nicht erklären kann. Wenn daher Gott ein allgemeines Gesetz aufstellte, wonach die Körper einander anzögen, so könnte er dessen Ausführung nur durch fortwährende Wunder erreichen; und wenn Gott wollte, dass die Glieder des menschlichen Körpers sich nach dem Willen der Seele in Gemässheit des Systems[271] der Gelegenheits-Ursachen bewegten, so würde auch dieses Gesetz sich nur durch fortwährende Wunder ausführen lassen.

208. Deshalb muss man annehmen, dass Gott unter den nicht unbedingt nothwendigen allgemeinen Regeln die wählt, welche die natürlichsten sind, welche am leichtesten sich rechtfertigen lassen und mittelst derer noch andere Dinge gerechtfertigt werden können. Dies ist offenbar das Schönste und das Gefälligste und wenn das System der vorherbestimmten Harmonie nicht schon ausserdem nothwendig wäre, weil es die überflüssigen Wunder beseitigt, so würde Gott es doch gewählt haben, weil es das harmonischste ist. Die Wege Gottes sind die einfachsten und gleichmässigsten, deshalb wählt er Regeln, die sich einander am wenigsten beschränken; sie sind auch die fruchtbarsten in Betracht der Einfachheit der Wege; wie man sagt, dass das Hans das beste sei, was man mit einer bestimmten Summe habe bauen können. Man kann selbst diese beiden Bedingungen, die Einfachheit und die Fruchtbarkeit, auf einen Vortheil zurückführen, nämlich die möglichste Vollkommenheit hervorzubringen, und deshalb geht das System des Pater Malebranche in diesem Punkte auf das meinige zurück. Denn selbst wenn die Wirkung des seinigen grösser, aber die Wege weniger einfach wären, würde man wohl, alles in allem erwogen und berechnet, sagen können, dass die Wirkung bei diesem Systeme weniger gross sei, indem man nicht blos die Endwirkung, sondern auch die Mittel-Wirkungen dabei in Betracht zu nehmen hat. Denn der Weise handelt möglichst so, dass die Mittel in gewisser Weise auch Zwecke sind, d.h. wünschenswerth nicht blos um dessen, was sie leisten, sondern auch um dessen willen, was sie selbst sind. Die verwickelteren Wege brauchen zu viel Platz, zu viel Raum, zu viel Orte, zu viel Zeit, die man besser anwenden könnte.

209. Wenn sonach alles auf die höchste Vollkommenheit hinausläuft, so gelangt man zu meinem Gesetze, des Besten, denn die Vollkommenheit befasst nicht blos das moralische und physische Gute der verständigen Geschöpfe, sondern auch das Gute, was nur[272] metaphysisch ist und was auch die vernunftlosen Dinge der Schöpfung befasst. Daraus folgt, dass das bei den vernünftigen Geschöpfen vorkommende Uebel nur als mitbegleitend vorkommt, nicht vermöge eines nachfolgenden Willens, indem es in dem möglichst besten Plane mit eingeschlossen ist. Das metaphysische Gute, welches alles befasst, ist die Ursache, dass manchmal dem physischen und moralischen Uebel ein Platz gewährt werden muss, wie ich schon wiederholt erklärt habe. Die alten Stoiker scheinen von diesem Systeme nicht weit entfernt gewesen zu sein; selbst Herr Bayle hat es in seinem Wörterbuche bei dem Artikel Chrysipp Buchstabe T. bemerkt und es ist nöthig hier seine Worte anzuführen, um ihm selbst mitunter entgegenzutreten und zu den schönen Gedanken, die er sonst dargeboten hat, zurückzuführen. Er sagt S. 930: »Chrysipp prüfte in seinen Werke über die Vorsehung unter andern Fragen auch die, ob die Natur der Dinge oder die Vorsehung, welche die Welt und das menschliche Geschlecht gemacht hat, auch die Krankheiten, denen die Menschen unterworfen sind, gemacht habe. Er antwortet, dass die Hauptabsicht der Natur die Menschen der Krankheit nicht habe unterwerfen wollen, da dies der Ursache alles Guten nicht anstehen würde; allein indem sie mehrere grosse, gut geordnete und sehr feine Dinge vorbereitete und hervorbrachte, so fand sie, dass daraus auch einiges Unpassende hervorgehe und deshalb sind letztere zwar ihrer ursprünglichen Absicht und ihrem Endziele nicht gemäss gewesen, aber sie haben zu den Folgen des Werkes gehört und sind nur als Folgen hervorgegangen. Um den menschlichen Körper zu bilden, verlangte die feinere Idee und selbst der Nutzen des Werkes, dass der Kopf sich aus einem Gewebe von feinen und lockern Knochen zusammensetze, aber in Folge dessen konnte er den Schlägen nicht widerstehen. Die Natur sorgte für die Gesundheit, allein gleichzeitig musste durch eine Art von Mitfolge die Quelle der Krankheiten geöffnet werden. Ebenso ist es mit der Tugend; die unmittelbare Thätigkeit der Natur, welche sie hat entstehen lassen, bringt durch einen Gegenschlag die Entstellung der Laster hervor.« Ich habe nicht wörtlich übersetzt und will[273] deshalb zu Gunsten derer, welche Latein verstehen, den Text von Aul. Gellius Buch 6, Kap. 1 hersetzen: »Idem Chrysippus in eodem libro (quarto, peri pronoias [über die Vorsehung]) tractat consideratque, dignumque esse id quaeri putat, ei hai tôn anthrôpôn nosoi kata physin gigontai? (Ob die Krankheiten der Menschen naturgemäss entstehen); id est naturane ipsa rerum vel providentia, quae compagem hanc mundi et genus hominum fecit, morbos quoque et debilitatem et aegritudines corporum, quas patiuntur homines, fecerit. Existimat autem, non fuisse hoc principale naturae concilium, ut faceret homines morbis obnoxios. Nunquam enim hoc convenisse naturae auctori parentique rerum omnium bonarum. Sed quum multa, inquit, atque magna gigneret, pareretque optissima et utilissima, alia quoque simul agnata sunt incommoda iis ipsis, quae faciebat cohaerantia: eoque non per naturam, sed per sequelas quasdam necessaria facta dicit, quod ipse appellet kata parakolouthêsin. Sicut, inquit, quum corpora hominum natura fingeret, ratio subtilior et utilitas ipsa operis postulavit ut tenuissimis minutisque ossiculis caput compingeret. Sed hanc utilitatem rei majoris alia quaedam incommoditas extrinsecus consecuta est, ut fieret caput tenuiter munitum et ictibus offensionibusque parvis fragile. Proinda morbi quoque et aegritudines partae sunt, dum salus paritur. Sic, Hercle, inquit, dum virtus hominibus per consilium naturae gignitur, vitia ibidem per affinitatem contrariam nota sunt.« – Ich meine, ein Heide konnte bei seiner Unwissenheit über den Sünden-Fall des ersten Menschen nichts vernünftigeres sagen; denn wir können diesen Sünden-Fall, welcher die wahre Ursache von unserm Elend ist, nur durch die Offenbarung wissen. Wenn wir noch mehrere ähnliche Auszüge aus den Werken des Chrysipp, oder vielmehr seine Werke selbst hätten, so würden wir eine bessere Vorstellung, als jetzt, von der Schönheit seiner geistigen Anlagen haben.

210. Jetzt wollen wir die Kehrseite der Medaille in dem veränderten Herrn Bayle betrachten. Nachdem er in seiner Antwort auf die Fragen eines Bewohners der Provinz (Kap. 155, S. 992, Thl. III) folgende Worte[274] des Herrn Jaquelot, die ganz nach meinem Geschmack sind, angeführt hat: »Die Ordnung des Universum zu ändern, ist eine unendlich wichtigere Sache als das Glück eines guten Menschen,« so fügt Herr Bayle hinzu: »Diese Worte haben etwas Blendendes; der Pater Malebranche hat sie in das schönste Licht gestellt und einige seiner Leser überredet, dass ein einfaches und sehr fruchtbares System mehr der Weisheit Gottes entspreche, als ein verwickelteres und verhältnissmässig weniger fruchtbares, aber mehr zur Verhinderung von Unregelmässigkeiten geeignetes. Herr Bayle gehört zu denen, welche glaubten, dass Herr Malebranche damit eine wunderbare Lösung gebe (es ist Herr Bayle selbst, der so spricht); aber man kann sich kaum damit abfinden lassen, nachdem man die Bücher des Herrn Arnaud gegen dieses System gelesen hat und die weite und ungeheure Vorstellung des höchst vollkommenen Wesens erwogen hat. Diese Vorstellung lehrt uns, dass es für Gott nichts leichteres giebt, als einen einfachen, fruchtbaren, regelmässigen und zugleich für alle Geschöpfe zusagenden Plan zu befolgen.«

211. Als ich in Frankreich war, theilte ich Herrn Arnaud ein Gespräch mit, was ich über die Ursache des Uebels und die Gerechtigkeit Gottes in lateinischer Sprache verfasst hatte. Dies geschah nicht blos vor dessen Streitigkeiten mit Herrn Malebranche, sondern selbst vor dem Erscheinen von des letztem Werke über die Erforschung der Wahrheit. Der Grundsatz, den ich hier aufrecht erhalte, nämlich dass die Sünde gestattet worden sei, weil sie in dem besten Plane für das Universum schon mit enthalten gewesen, war in jenem schon benutzt worden und Herr Arnaud schien sich damals darüber nicht zu ereifern. Allein der kleine Hader, den er seitdem mit diesem Pater gehabt hat, hat ihn zu einer aufmerksameren Prüfung dieses Gegenstandes und zu einer strengeren Beurtheilung desselben veranlasst. Ich bin jedoch mit der Weise, wie Herr Bayle hier die Sache ausgedrückt hat, nicht ganz zufrieden und ich bin nicht der Meinung, dass ein verwickelterer, aber weniger fruchtbarer Plan die Unregelmässigkeiten mehr beseitigen könne. Die Regeln sind das, was der allgemeine Wille verlangt;[275] je mehr man Regeln findet, desto mehr giebt es Regelmässigkeit; die Einfachheit und die Fruchtbarkeit sind das Ziel der Regeln. Man wird mir entgegnen, dass ein sehr einheitliches System ohne Unregelmässigkeiten sein werde. Ich antworte, dass es eine Unregelmässigkeit sein würde, wenn es zu einheitlich wäre; dies würde den Regeln der Harmonie schaden. Et citharaedus ridetur, corda, qui semper oberrat eadem. (Auch der Zitherspieler wird ausgelacht, wenn er immer auf derselben Saite herumspielt.) Ich glaube, dass Gott einen einfachen, fruchtbaren und regelmässigen Plan befolgen kann, aber ich glaube nicht, dass der beste und regelmässigste Plan zugleich allen Geschöpfen der behaglichste sein wird und ich schliesse dies a posteriori, weil der von Gott erwählte Plan nicht ein solcher ist. Ich habe es aber auch a priori durch die aus der Mathematik entlehnten Beispiele dargelegt und ich will noch ein weiteres hier geben. Ein Anhänger des Origenes, welcher verlangt, dass alle vernünftigen Wesen zuletzt glücklich werden, würde dann noch leichter zufriedengestellt werden. Er würde, nach dem Ausspruch des heiligen Paulus über die Leiden dieser Welt, sagen, dass die endlichen Leiden mit einem ewigen Glück nicht verglichen werden können.

212. Das Täuschende in dieser Frage liegt, wie ich schon gesagt habe, darin, dass man meint, dass das, was für das Ganze das Beste ist, auch das möglichst Beste für jeden Theil sein müsse. Man beweist so in der Geometrie, wenn es sich um das Grösste und Kleinste handelt. Wenn der beabsichtigte Weg von A nach B der möglichst kürzeste ist und dieser Weg über C führt, so muss auch der Weg von A nach G, als ein Theil jenes, der möglichst kürzeste sein. Allein die Folgerung von der Quantität auf die Qualität ist nicht immer richtig, so wenig wie die von der Gleichheit auf die Aehnlichkeit. Denn gleich sind die Dinge von derselben Quantität und ähnlich sind die, welche sich in der Qualität nicht unterscheiden. Der verstorbene Herr Sturm, ein berühmter Mathematiker in Altdorf, befand sich in seiner Jugend in Holland und veröffentlichte dort ein kleines Buch unter dem Titel: Euklides Catholicus. Er versuchte darin genaue und allgemeine Regeln[276] über nichtmathematische Materien aufzustellen und wurde dazu durch den verstorbenen Erhard Weigel ermuthigt, welcher sein Lehrer gewesen war. In diesem Buche überträgt er das, was Euklid von dem Gleichen gesagt hatte, auf das Aehnliche und stellt folgenden Satz auf: Si similibus addas similia, tota sunt similia. (Aehnliches zu Aehnlichem hinzugefügt, ergiebt Aehnliches.) Es wurden aber so viele Einschränkungen bei Geltendmachung dieser neuen Regel nothwendig, dass meines Erachtens es besser gewesen wäre, diese Regel gleich mit diesen Beschränkungen aufzustellen, indem man sagt; Si similibus similia addas similiter tota sunt similia. (Wenn man Aehnliches zu Aehnlichem in ähnlicher Weise hinzufügt, so sind die Ganzen sich ähnlich.) Auch die Geometer pflegen oft zu fordern non tantum similia, sed etiam similiter posita. (Nicht blos Aehnliches, sondern auch ähnlich Hinzugefügtes.)

213. Dieser Unterschied zwischen Quantität und Qualität zeigt sich auch in unserm Falle. Der Theil des kürzesten Weges zwischen zwei Punkten, ist auch der kürzeste Weg zwischen den beiden Enden dieses Theiles; allein der Theil des besten Ganzen ist nicht nothwendig der beste, zu dem man diesen Theil machen könnte; denn der Theil einer schönen Sache ist nicht immer schön, da er auf unregelmässige Weise aus dem Ganzen herausgenommen, oder herausgezogen sein kann. Bestände die Güte und die Schönheit immer in etwas Einförmigen, für sich Bestehenden, wie es bei der Ausdehnung, dem Stoffe, dem Golde, dem Wasser und andern gleichartigen oder ähnlichen Körpern der Fall ist, so müsste man anerkennen, dass der Theil des Guten und Schönen, so schön und gut wie das Ganze sei, weil er dem Ganzen immer gleichen würde; allein dies gilt nicht für Dinge, deren Theile in Beziehung auf einander stehen. Ein aus der Geometrie entlehntes Beispiel wird meine Gedanken deutlicher machen.

214. Es giebt eine Art Geometrie, welche Herr Jung in Hamburg, einer der ausgezeichnetsten Männer seiner Zeit, die empirische nennt. Sie bedient sich beweisender Erfahrungen und beweist mehrere Lehrsätze von Euklid, insbesondere solche, welche die Gleichheit[277] zweier Figuren betreffen. Die eine Figur wird in Stücke geschnitten und aus der Zusammenstellung dieser Stücke ergiebt sich die andere Figur. Schneidet man in dieser Weise die Vierecke der beiden Seiten eines rechtwinkeligen Dreiecks in die richtigen Stücke und setzt sie gehörig zusammen, so ergiebt sich das Viereck der Hypothenuse. Es ist dies ein empirischer Beweis vom 47. Lehrsatze im ersten Buche des Euklid. Wenn nun einige von diesen Stücken der beiden kleinem Vierecke verloren gingen, so würde an dem grossen Viereck etwas fehlen und dann würde diese mangelhafte Zusammenstellung anstatt zu gefallen, von auffallender Hässlichkeit sein. Würden die übrig geblichenen Stücke, welche das mangelhafte Viereck bilden, für sich und ohne Rücksicht auf das grosse Viereck, welches sie bilden sollen, genommen, so könnte man sie ganz anders zusammenstellen und eine leidliche Figur aus denselben bilden. Sobald aber die fehlenden Stücke sich wieder finden würden und die Lücke in der zusammengesetzten Figur ausgefüllt würde, so würde eine schöne und regelmässige Figur daraus hervorgehen, nämlich das ganze grosse Viereck, und dies würde viel schöner sein, als jene leidliche Figur, die man aus den nicht verlorenen Stücken gebildet hätte. Die vollständig zusammengesetzte Figur entspricht nun dem Universum, und die mangelhaft zusammengesetzte Figur entspricht einem Theile desselben, wo man Mängel antrifft, welche der Schöpfer aller Dinge zugelassen hat, weil, wenn er diesen mangelhaften Theil hätte verbessern und daraus eine leidliche Figur bilden wollen, das Ganze nicht mehr so schön gewesen sein würde; denn die Theile des mangelhaften Ganzen hätten, wenn man sie besser zu einer leidlichen Figur zusammengestellt hätte, nicht so benutzt werden können, wie es geschehen musste, wenn man die volle und vollkommene Figur daraus hätte bilden wollen. Thomas von Aquino hat dies eingesehen, als er sagte: »ad prudentem gubernatorum pertinet, negligere aliquem defectum bonitatis in parte, ut faciat augmentum bonitatis in toto.« (Es gehört zu einem guten Ordner, dass er einen Mangel an Güte bei einen Theile zulässt, damit die Güte des Ganzen dadurch desto grösser werde.) (Thomas contra gentiles. Buch 2, Kap. 71.) Auch[278] Thomas Gataker citirt in seinen Noten zu dem Buche von Marc Aurel (Buch 5, Kap. 8 bei Herrn Bayle) Aussprüche von Schriftstellern, welche besagen, dass die Fehler der Theile oft das Gute des Ganzen sind.

215. Ich kehre zu den Einwendungen des Herrn Bayle zurück. Er nimmt einen Fürsten an (S. 963), welcher eine Stadt bauen lässt. Aus falschem Geschmack hat er es lieber, dass sie das Ansehen von Pracht und einem kühnen und eigenthümlichen Baustyle zeige, als dass ihre Bewohner alle Arten von Bequemlichkeit darin finden. Wenn dieser Fürst aber wahre Seelengrösse hätte, so würde er eine bequeme Bauart einer prächtigen vorziehen. So urtheilt Herr Bayle. Dennoch wird man meines Erachtens unter Umständen die schöne Bauart eines Palastes mit Recht höher stellen, als die Bequemlichkeit einiger Dienstboten. Dagegen würde allerdings die Bauart trotz ihrer Schönheit schlecht sein, wenn sie Krankheiten der Bewohner veranlasste, sofern es nämlich möglich war, eine bessere Bauart zu wählen, welche die Schönheit, die Bequemlichkeit und die Gesundheit zusammen berücksichtigte. Denn allerdings kann es kommen, dass man nicht alle diese Vortheile zusammen haben kann und dass man vorgezogen hat, das Schloss an der Mittagsseite des Gebirges zu bauen, weil, wenn man es auf die gesundere Nordseite gebaut hätte, es einen unerträglichen Baustyl bekommen haben würde.

216. Herr Bayle macht auch noch den Einwand, dass allerdings unsere Gesetzgeber nicht immer solche Bestimmungen auffinden können, die jedem Einzelnen behagen. »Nulla lex satis commoda omnibus est; id modo quaeritur si majori parti et in summam prodest. (Cato bei Livius, Buch 34 im Anfange.) (Kein Gesetz genügt allen; es kommt nur darauf an, dass es der Mehrheit und im Ganzen Vortheil bringt.) Indess ist es die beschränkte Einsicht unserer Gesetzgeber, welche sie zu solchen Gesetzen nöthigt, die wenigstens alles in allem genommen mehr nützlich, wie schädlich sind. Allein alles dies passt nicht auf Gott, der in Macht und Wissen ebenso unendlich ist, wie in Güte und wahrhafter Grösse.« – Darauf erwidere ich, dass wenn Gott das möglichst Beste erwählt, man ihm deshalb keine Schranke in seiner Vollkommenheit vorwerfen kann;[279] auch übertrifft im Universum nicht blos das Gute die Uebel, sondern das Uebel dient auch zur Vermehrung des Guten.

217. Herr Bayle sagt auch, dass die Stoiker aus diesem Grundsatze eine Gottlosigkeit abgeleitet haben, indem sie sagten, dass man die Uebel geduldig ertragen müsse, weil sie nothwendig wären, nicht blos zur Gesundheit und Vollständigkeit des Universums, sondern auch zum Glück, zur Vollkommenheit und dem Gedeihen Gottes, welcher es regiere. Dasselbe hat der Kaiser Marc Aurel im 8. Kap., Buch 5 seiner Selbstgespräche gesagt, wo es heisst: »Duplici ratione diliges oportet, quicquid evenerit tibi; altera quod tibi natum et tibi coordinatum et ad te quodammodo affectum est; altera, quod Universi Gubernatori prosperitatis et consummationis atque adeo permansionis ipsius procurandae (tês euêdias kai tês synteleias kai tês symmonês autês) ex parte causa est.« (Aus zwiefachem Gründe hat man das, was einem begegnet, zu lieben; einmal weil es dir angeboren, und dir angemessen und dir gleichsam angeheftet ist und zweitens weil es zum Theil die Ursache des Wohlergehens, und der Vollendung und also der Erhaltung des Regierers des Universums ist.) – Diese Anweisung ist nicht gerade die vernünftigste der von diesem grossen Kaiser gegebenen. Das eine, diligas oportet (stergein chrê) (Man hat zu lieben) ist nichts werth; ein Gegenstand wird nicht liebenswerth, weil er nothwendig ist und weil er für jemand bestimmt und ihm angeheftet ist; auch hört dies, was ein Uebel für mich ist, nicht auf, es zu sein, weil es ein Gut für meinen Herrn ist, sofern dieses Gut nicht auch mir zu Statten kommt. Zu den in der Welt vorhandenen Gütern gehört auch unter anderem, dass das allgemeine Gut auch wirklich zum besondern Gut derer werde, welche ihren Schöpfer über alles lieben. Aber der Hauptirrthum dieses Kaisers und der Stoiker war, dass sie glaubten, das Gute im Universum müsste Gott selbst Vergnügen gewähren, weil sie Gott als die Weltseele auffassten. Dieser Irrthum ist in meinem Lehrsatz nicht enthalten, Gott ist nach mir, die intelligentia extramundana (die ausserweltliche Vernunft), wie Martian Capella sagt, oder vielmehr supramundana (die überweltliche). Ausserdem[280] handelt es sich darum, Gutes zu thun, nicht Gutes zu empfangen. Melius est dare, quam accipere. (Das Geben ist besser, als das Empfangen.) Gottes Seligkeit ist immer vollkommen und kann weder innerlich noch äusserlich einen Zuwachs erhalten.

218. Ich komme zu dem Haupteinwande, welchen Herr Bayle, nach Herrn Arnaud, mir macht. Er ist verwickelt; sie behaupten, Gott wäre gezwungen und würde aus Zwang handeln, wenn er verpflichtet wäre, das Beste zu schaffen; oder er wäre wenigstens ohnmächtig gewesen, wenn er kein besseres Mittel für den Ausschluss der Sünde und der übrigen Uebel hätte auffinden können. Damit wird in Wahrheit geleugnet, dass das Universum das Beste sei und dass Gott genöthigt sei, sich dem Besten zuzuwenden. Dem habe ich bereits mehrmals begegnet; ich habe gezeigt, dass Gott nicht ermangeln kann, das Beste zu schaffen und dies vorausgesetzt, folgt, dass die Uebel, die wir erleiden, vernünftiger Weise von dem Universum nicht, ausgeschlossen werden konnten, weil sie eben darin vorhanden sind. Indess wollen wir das, was diese beiden ausgezeichneten Männer einwenden, oder vielmehr was Herr Bayle einwendet, in Betracht nehmen; denn Herr Bayle gesteht, dass er die Gründe des Herrn Arnaud benutzt habe.

219. Er sagt in Kap. 151 seiner Antwort auf die Fragen etc. Thl. III, S. 890: »Wäre es wohl möglich, dass eine Natur, deren Güte, Heiligkeit, Weisheit, Wissen und Macht unendlich ist, welche die Tugend über alles liebt, wie die klare und bestimmte Vorstellung von dessen Natur in uns sie kennen lehrt und wie beinah jede Seite der heiligen Schrift es bestätigt, in der Tugend gar kein Mittel habe finden können, was für ihre Zwecke passend und angemessen gewesen wäre? Sollte wohl das Laster allein ihr dieses Mittel geboten haben? Man möchte im Gegentheil glauben, dass nichts dieser Natur genehmer wäre, als die Tugend mit Ausschluss jedes Lasters in ihr Werk aufzunehmen.« – Herr Bayle übertreibt hier die Dinge. Ich gestehe zu, dass einige Laster mit dem besten Plane für das Universum verknüpft sind, allein ich gebe nicht zu, dass Gott in der Tugend kein für seine Zwecke passendes Mittel habe finden können. Dieser Einwurf[281] wäre begründet, wenn es gar keine Tugend gäbe, wenn das Laster überall deren Stelle einnähme. Herr Bayle wird sagen, es genüge, dass das Laster herrsche und dass die Tugend im Vergleich zu ihm nur ein Kleines sei. Allein ich hüte mich, ihm dies einzuräumen und ich glaube wirklich, dass, richtig aufgefasst, es unvergleichlich mehr moralisch Gutes, wie moralisch Schlechtes bei den vernünftigen Geschöpfen giebt, von denen wir überdem nur eine geringe Zahl kennen.

220. Auch ist dieses Uebel in den Menschen nicht so gross, als man vorgiebt; es giebt nur Leute von bösem Gemüth oder Leute, die durch das Unglück etwas Menschenhasser geworden sind, wie der Timon bei Lucian, welcher überall nur Schlechtigkeit antraf, und welche die besten Handlungen durch die Art, wie sie dieselben erklären, vergiften. Ich spreche hier von solchen, welche dies ganz ernstlich meinen, um daraus schlechte Folgerungen zu ziehen, von welchen deren Handlungsweise angesteckt ist; denn Manche thun es auch nur um ihren Scharfsinn zu zeigen. Man hat dies bei Tacitus getadelt, und dies ist es auch, was Herr Descartes (in einem seiner Briefe) gegen das Buch von Hobbes de Cive (über den Bürger) einzuwenden hat man hatte damals nur wenige Exemplare davon gedruckt, welche an seine Freunde vertheilt werden sollten; die zweite Ausgabe, die wir besitzen, ist durch Bemerkungen des Verfassers vermehrt worden. Herr Descartes erkennt zwar an, dass dieses Buch von einem gescheidten Manne herrühre, aber er findet doch darin gefährliche Grundsätze und Lehren, weil alle Menschen darin als schlecht angenommen werden oder man ihnen einen Grund giebt, es zu werden. Der verstorbene Herr Jacob Thomasius sagt in seinen schönen Tafeln der praktischen Philosophie, dass das prôton pseudos, der Ursprung der Irrthümer dieses Buches des Herrn Hobbes darin liege, dass er den Statum legalem pro naturali (den gesetzlichen Zustand für den natürlichen) genommen habe, d.h. dass der verdorbene Zustand für ihn als Maass und Regel gelte, während der der menschlichen Natur am meisten entsprechende Zustand es sei, welchen Aristoteles im Auge gehabt habe. Denn nach Aristoteles ist das natürlich, was der vollkommenen Natur einer Sache[282] am meisten entspricht, während Herr Hobbes denjenigen Zustand den natürlichen nennt, welcher am wenigsten Kunst enthält, indem er vielleicht nicht bedenkt, dass die menschliche Natur in ihrer Vollkommenheit die Kunst mit in sich enthält. Indessen wäre dieser Wortstreit über das was natürlich ist, von wenig Erheblichkeit, wenn Aristoteles und Hobbes nicht den Begriff des Naturrechts darauf gestützt hätten und jeder dabei seine Definition festgehalten hätte. Ich habe früher gesagt, dass ich in dem Buche über die Falschheit der menschlichen Tugenden denselben Fehler finde, welchen Herr Descartes in dem Werke von Hobbes über den Bürger gefunden hat.

221. Selbst wenn in dem Menschlichen Geschlecht des Lasters mehr als der Tugend wäre, wie ja auch die Zahl der Verworfenen die der Auserwählten übertreffen soll, so folgt daraus keineswegs, dass das Laster und das Elend die Tugend und das Glück in dem Universum übersteigen; man muss vielmehr das Gegentheil annehmen, weil der Staat Gottes der vollkommenste von allen möglichen Staaten ist, da er von dem grössten und besten aller Monarchen gebildet worden ist und fortwährend geleitet wird. Diese Antwort bestätigt das von mir oben bei der Uebereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft Gesagte. Es ist eine der grössten Quellen für die Fehlschlüsse in diesen Einwürfen, dass man das Scheinbare mit dem Wirklichen verwechselt. Ich meine damit nicht unbedingt das Scheinbare, welches aus einer genauen Erwägung der Thatsachen sich ergiebt, sondern das, was aus dem kleinen Umfang unserer Erfahrungen abgeleitet wird. Es ist sehr unvernünftig, wenn man so unvollkommene und so wenig scheinbare Schlüsse den Beweisen der Vernunft und den Offenbarungen des Glaubens entgegenstellt.

222. Schliesslich habe ich schon gesagt, dass die Liebe der Tugend und der Hass des Lasters mit ihrer unbestimmten Richtung auf Verwirklichung der Tagend und Verhinderung des Lasters nichts sind, als der Wille, das Glück aller Menschen zu fördern und ihr Elend zu verhindern. Diese vorgehenden Willen bilden nur einen Theil alles vorgehenden Willens Gottes zusammen, dessen Ergebniss den nachfolgenden Willen oder den Beschluss, das Beste zu schaffen, ergiebt. Durch diesen Beschluss[283] erhält die Liebe zur Tagend und das Glück der vernünftigen Geschöpfe, was an sich unbestimmt ist und so weit geht, als sie vermögen, einige kleine Beschränkungen in Folge der Rücksicht auf das allgemeine Wohl. In diesem Sinne muss man die höchste Liebe Gottes zur Tugend und seinen höchsten Hass des Lasters verstehen, wobei dessenungeachtet einiges Laster gestattet sein darf.

223. Herr Arnaud und Herr Bayle meinen, dass diese Weise, die Dinge zu erklären und einen besten Plan für das Universum unter allen anzunehmen, der von keinem andern übertroffen werden könne, die Macht Gottes beschränke. Herr Arnaud sagt gegen den Pater Malebranche (in seinen Betrachtungen über das neue System der Natur und der Gnade, Thl. II, 385): »Haben Sie wohl bedacht, dass Sie mit Annahme solcher Sätze den ersten Artikel der Symbole umstürzen, wonach wir bekennen zu glauben an Gott den allmächtigen Vater?« – Schon vorher hatte Herr Arnaud gesagt (S. 362): »Kann man, ohne sich selbst blind zu machen, behaupten, dass ein solches Verfahren, was nicht ohne diese hässliche Folge sein konnte, wonach die Mehrzahl der Menschen ins Verderben geräth, mehr ein Zeichen der Güte Gottes an sich trüge, als ein anderes Verfahren, was, wenn Gott es befolgt, bewirkt hätte, dass alle Menschen gerettet worden wären?« Und da Herr Jacquelot von den Grundsätzen nicht ablässt, die ich hier geltend gemacht habe, so macht ihm Herr Bayle ähnliche Vorwürfe (Antwort auf die Fragen, Cap. 151, S. 900, Thl. III) und sagt: »Wenn man solchen Erläuterungen beitritt, so muss man den klarsten Begriffen über die Natur des vollkommensten Wesens entsagen. Nach denselben ist diesem alles möglich, was keinen Widerspruch enthält und also auch möglich, Menschen zu retten, die es trotzdem nicht errettet; denn welcher Widerspruch sollte daraus hervorgehen, dass die Zahl der Erwählten grösser wird, als jetzt? Jene Begriffe lehren uns, dass, weil jenes Wesen höchst glücklich ist, es nichts wolle, was es nicht ausführen könne. Wie ist es da zu begreifen, dass es dies nicht könne? Also gebe man nur das Mittel an, wodurch man verstehen kann, dass das Wesen es nicht könne. Wir suchten[284] nach dem Lichte, welches uns aus der Verlegenheit zöge in der wir uns befinden, wenn wir die Vorstellung Gottes mit dem Zustande des Menschengeschlechts vergleichen und man giebt uns Aufklärungen, die uns noch in dichtere Finsterniss hüllen.«

224. Alle diese Einwürfe erlöschen durch die von mir eben gegebene Auseinandersetzung. Ich stimme dem Grundsatz des Herrn Bayle bei; er ist auch der meine, dass alles, was sich nicht widerspricht, möglich ist. Aber für mich, der ich behaupte, dass Gott das möglichst Beste gethan oder dass er es nicht besser machen konnte, als es geschehen ist und wo, mir zu Folge, eine andere Auffassung von seinem Werke seine Güte und Weisheit verletzen würde, wäre es ein Widerspruch, wenn etwas gemacht werden könnte, was in Güte selbst das Beste überträfe. Dann könnte man eben so gut behaupten, dass Gott von einem Punkte zu dem andern eine Linie ziehen könne, die kürzer sei als die gerade Linie zwischen beiden und die, welche dies leugnen, des Umstosses jenes Glaubensartikels beschuldigen, nach welchem wir an Gott den allmächtigen glauben.

225. Die unendliche Menge des Möglichen ist, wenn sie auch noch so gross ist, nicht grösser als die Weisheit Gottes, welche alle Möglichkeiten kennt. Man kann selbst sagen, dass wenn auch die Weisheit Gottes diese Möglichkeit extensiv nicht übertrifft, weil die Gegenstände des Verstandes nicht über das Mögliche hinaus können, welches in einem Sinne nur etwas Vorstellbares ist, sie diese Möglichkeit doch intensiv übertrifft in Folge der in unendlicher Weise unendlichen Verbindungen, welche sie damit bildet und der gleichen Menge von Ueberlegungen, welche sie darüber anstellt. Die Weisheit Gottes begnügt sich nicht blos damit, alle Möglichkeiten zu erfassen, sondern sie durchdringt sie auch, vergleicht sie, wägt die eine gegen die andere ab, um den Grad ihrer Vollkommenheit oder Unvollkommenheit zu prüfen, so wie deren Stärke und Schwäche und deren Gutes und Uebles; sie geht selbst über die endlichen Verbindungen hinaus und macht daraus eine Unendlichkeit von Unendlichkeiten, d.h. eine Unendlichkeit der möglichen Folgen der Universa, deren jede eine Unendlichkeit von Geschöpfen enthält.[285] Dadurch vertheilt die göttliche Weisheit alle Möglichkeiten, von denen sie schon jede einzelne für sich betrachtet hat, in so viele allgemeine Systeme und vergleicht dieselben unter einander. Das Ergebniss aller dieser Vergleiche und Beziehungen ist die Wahl des Besten unter allen diesen möglichen Systemen, welche die Weisheit trifft, um der Güte vollkommen genug zu thun und dies ist gerade der Plan des wirklich vorhandenen Universum's. Alle diese Verrichtungen des göttlichen Verstandes erfolgen, obgleich sie unter sich eine Ordnung und eine Priorität von Natur einhalten, immer zusammen, die aber keine Priorität der Zeit nach ist.

226. Bei einer genauen Betrachtung dieser Dinge wird man hoffentlich eine andere Vorstellung von der Grösse der göttlichen Vollkommenheiten bekommen, vornehmlich von der Güte und Weisheit Gottes, welche diejenigen nicht erfassen können, welche Gott aus Zufall, ohne Anlass oder Ursache handeln lassen. Ich weiss auch nicht, wie meine Gegner einer so seltsamen Annahme ausweichen können, wenigstens wenn sie Gründe der Wahl bei Gott anerkennen und dass diese Gründe aus seiner Güte hervorgehen, wo dann nothwendig folgt, dass das Gewählte den Vorzug der Güte über das hat, was nicht gewählt worden ist, und deshalb das Beste von allem Möglichen ist. Das Beste kann in Güte nicht übertroffen werden und man begrenzt nicht die Macht Gottes, wenn man sagt, dass er das Unmögliche nicht thun kann. Ist es möglich, sagt Herr Bayle, dass es keinen bessern Plan giebt, als den Gott verwirklicht hat? Ich antworte, dass dies sehr möglich und selbst nothwendig wäre, ausgenommen, wenn es keinen bessern giebt, denn sonst würde Gott ihn vorgezogen haben.

227. Ich habe nun wohl genügend dargethan, dass es unter allen möglichen Plänen von dem Universum einen giebt, der besser ist als die übrigen, und dass Gott nicht unterlassen hat, diesen zu wählen. Herr Bayle will aber daraus folgern, dass Gott deshalb nicht frei sei. Seine Worte lauten (Kap. 151, S. 899 der angeführten Schrift): »Ich glaubte mit einem Manne zu streiten, welcher mit mir annimmt, dass die Güte und die[286] Macht Gottes so unendlich ist, wie seine Weisheit und nun sehe ich, dass dieser Mann eigentlich annimmt, die Güte und Macht Gottes sei in sehr enge Grenzen eingeschlossen.« Dieser Punkt ist indess bereits erledigt; ich setze der Macht Gottes keine Grenzen, denn ich erkenne an, dass sie sich ad maximum, ad omnia (auf das Grösste und auf Alles) erstreckt, auf alles, was keinen Widerspruch enthält und ich setze auch seiner Güte keine Grenzen, weil sie bis zu dem Besten reicht: ad optimum. Herr Bayle fährt jedoch fort: »Es giebt also keine Freiheit in Gott; er ist durch seine Weisheit gezwungen, zu schaffen und zwar gerade ein solches Werk und gezwungen, es gerade auf diesen Wegen zu schaffen. Dies sind drei Zwangszustände, welche ein schlimmeres Fatum als das Stoische ausmachen und die alles unmöglich machen, was nicht in das Gebiet dieses Fatum's fällt. Gott hätte wohl nach diesem Systeme selbst, ehe er seine Beschlüsse gefasst hat, sagen können: Ich kann diesen Menschen nicht erretten und jenen nicht verdammen, quippe vetor fatis (das Schicksal verbietet es mir), aber meine Weisheit erlaubt es mir nicht.«

228. Ich antworte, dass es die Güte Gottes ist, welche ihn zur Schöpfung bestimmt, um sich mitzutheilen; dieselbe Güte in Verbindung mit seiner Weisheit bestimmt ihn, das Beste zu erschaffen. Dies befasst alle Folgen, die Wirkung und die Wege. Diese Weisheit bestimmt ihn, ohne ihn zu zwingen, denn sie macht das, was sie nicht wählen lässt, nicht unmöglich. Nennt man dies Fatum, so wird es in einen guten Sinne genommen, welcher der Freiheit nicht widerspricht. Fatum kommt von fari, sprechen, aussprechen; es bezeichnet ein Urtheil, einen Beschluss Gottes, das, was seine Weisheit bestimmt. Wenn man sagt, dass man etwas nicht thun könne, blos weil man es nicht wolle, so ist dies ein Missbrauch der Worte. Der Weise will nur das Gute; ist es da eine Knechtschaft, wenn der Wille der Weisheit gemäss handelt? Kann man weniger Sclave sein, wenn man nach seiner eignen Wahl handelt und dem vollkommensten Grunde folgt? Aristoteles sagt, dass derjenige sich in einer natürlichen Knechtschaft (natura servus) befinde, welcher sich nicht selbst benehmen kann[287] und geleitet werden muss. Die Knechtschaft kommt von Aussen, sie treibt zu dem, was missfällt und besonders zu dem, was mit Recht missfällt; fremde Gewalt und unsere eigenen Leidenschaften machen uns zu Sclaven. Gott wird dagegen nie durch einen Gegenstand ausserhalb seiner erregt, er ist auch keinen Leidenschaften in seinem Innern ausgesetzt, und er wird niemals zu etwas ihm missfälligen bestimmt. Herr Bayle scheint also den besten Dingen von der Welt hässliche Namen zu geben und die Begriffe zu verkehren, indem er den bedeutendsten Zustand und die vollkommenste Freiheit Knechtschaft nennt.

229. Kurz vorher (Kap. 151, S. 891) hatte er gesagt: »Wenn die Tugend oder sonst ein Gut den Zwecken des Schöpfers eben so entsprächen, wie das Laster, so würde das Laster nicht vorgezogen worden sein; es muss deshalb das einzige Mittel gewesen sein, dessen der Schöpfer sich bedienen konnte und es ist also ans reiner Nothwendigkeit benutzt worden. Wenn also Gott seinen Ruhm nicht in Folge einer unbestimmten Freiheit, sondern aus Nothwendigkeit liebt, so muss er auch nothwendig alle die Mittel lieben, ohne welche er seinen Ruhm nicht offenbaren kann. Ist nun das Laster, als Laster, das einzige Mittel zur Erlangung dieses Zieles gewesen, so folgt, dass Gott nothwendig das Laster als solches liebt, was man nicht ohne Schaudern sich vorstellen kann, zumal er uns ganz das Gegentheil geoffenbart hat.« – Herr Bayle bemerkt zugleich, dass einige Doktoren bei den Supralapsariern (wie z.B. Retorfort) bestritten haben, dass Gott die Sünde als solche wolle, während sie zugestehen, dass er erlaubnissweise die Sünde wolle, so weit sie strafbar und verzeihlich sei. Allein Herr Bayle hält ihnen entgegen, dass eine Handlung, nur so weit sie lasterhaft ist, strafbar und verzeihlich sein könne.

230. Herr Bayle legt jedoch den von mir eben mitgetheilten Worten Falsches unter und zieht daraus falsche Folgerungen. Es ist nicht wahr, dass Gott seinen Ruhm nothwendig liebe, wenn man darunter versteht, dass er nothwendig bestimmt wird, sich seinen Ruhm durch die Geschöpfe zu verschaffen. Wäre dies der Fall, so würde er sich diesen Ruhm immer und überall[288] verschaffen. Der Beschluss zur Schöpfung ist ein freier. Gott hat die Richtung auf alles Gute; das Gute und selbst das Beste machen ihn zum Handeln geneigt, aber sie zwingen ihn nicht, denn seine Wahl macht das nicht unmöglich, was von dem Bessern verschieden ist; sie bewirkt nicht, dass das, was Gott unterlässt, einen Widerspruch enthält. Es bestellt daher eine Freiheit in Gott, die nicht allein dem Zwange nicht unterliegt, sondern auch nicht der Nothwendigkeit. Ich meine die metaphysische Nothwendigkeit; denn es ist allerdings eine moralische Nothwendigkeit, dass der Weiseste das Beste zu wählen genöthigt ist. Ebenso verhält es sich mit den Mitteln, welche Gott für die Erlangung seines Ruhmes erwählt. Was die dabei vorkommenden Laster anlangt, so habe ich früher gezeigt, dass sie als Mittel kein Gegenstand seines Beschlusses sind, aber wohl als Bedingung sine qua non (ohne die das Ziel nicht zu erreichen ist). Nur deshalb ist das Laster erlaubt. Noch weniger ist man berechtigt zu sagen, dass das Laster das alleinige Mittel sei; höchstens wäre es eines von den Mitteln, aber eines der geringsten unter einer unendlichen Zahl anderer Mittel.

231. Herr Bayle fährt fort: »Damit kommt auch wieder eine andere hässliche Folge, nämlich die Schicksalsnothwendigkeit aller Dinge. Es stand Gott nicht frei, die Ereignisse in einer andern Weise zu ordnen, weil das von ihm erwählte Mittel, um seinen Ruhm zu offenbaren, allein seiner Weisheit entsprach.« Dieses vermeintliche Schicksal oder diese Nothwendigkeit ist nur moralischer Art, wie ich gezeigt habe; sie berührt die Freiheit nicht, vielmehr setzt sie deren besten Gebrauch voraus und macht die Gegenstände, welche Gott nicht erwählt, zu keinen unmöglichen. Herr Bayle fügt hinzu: »Was wird da aus dem freien Willen des Menschen werden? War es nicht Nothwendigkeit oder Schicksalsbestimmung, dass Adam sündigte? Denn hätte er es nicht gethan, so hätte er den einzigen Plan umgestossen, den Gott nothwendig sich gemacht hatte.« Auch dies ist eine Verdrehung der Worte. Dass Adam frei sündigen werde, hatte Gott unter den möglichen Plänen erkannt und Gott beschloss es, so wie es war, wirklich werden zu lassen; dieser Beschluss ändert nicht[289] die Natur der Dinge; er macht das nicht nothwendig, was an sich zufällig war, noch unmöglich, was möglich war.

232. Herr Bayle fährt fort (S. 892): »Der scharfsinnige Scotus behauptet ganz richtig, dass wenn Gott keine unbestimmte Freiheit habe, auch kein Geschöpf diese Art von Freiheit haben könne.« Ich trete bei, nur darf man unter unbestimmter Freiheit nicht die verstehen, wo kein Grund sie nach der einen oder andern Seite hin neigen macht. Herr Bayle erkennt an (später in Kap. 168, S. 1111), dass die sogenannte Unbestimmtheit, die Reize und das vorhergehende Angenehme nicht ausschliesse. Deshalb braucht in der Handlung, welche man frei nennt, nur keine metaphysische Nothwendigkeit enthalten zu sein, d.h. es genügt, wenn man unter mehreren möglichen Richtungen wählt.

233. Herr Bayle fährt weiter fort (in dem genannten Kapitel 157, S. 893): »Wenn Gott nicht durch einen freien Antrieb seiner Güte bestimmt wird, die Welt zu schaffen, sondern zu Gunsten seines Ruhmes, welchen er nothwendig liebt, und den allein er liebt, da er von seiner Substanz nicht verschieden ist, und wenn seine Liebe zu sich selbst sich in der Nothwendigkeit beendet, seinen Ruhm durch das passendste Mittel zu offenbaren und wenn der Sündenfall der Menschen dazu ein Mittel gewesen ist, so ist offenbar dieser Sündenfall mit voller Nothwendigkeit geschehen und es war unmöglich, dass Adam und Eva den Befehlen Gottes gehorchen konnten.« – Immer dieselben Verdrehungen! Die Liebe Gottes, die er zu sich selbst hat, ist ihm wesentlich; dagegen ist dies nicht mit der Liebe zu seinem Ruhme der Fall oder mit dem Wollen sich diesen Ruhm zu verschaffen. Die Liebe zu sich selbst hat ihn nicht zu äussern Handlungen gezwungen; sie sind freie gewesen und da Gott mehrere Pläne kannte, in denen die ersten Eltern nicht sündigen würden, so war deren Sünde nicht nothwendig. Endlich sage ich wirklich das, was Herr Bayle hier anerkennt, nämlich, dass Gott durch eine freie Regung seiner Güte sich zur Erschaffung der Welt bestimmt habe, und ich füge hinzu, dass dieselbe Regung ihn zur Erschaffung der besten Weit bestimmt hat.[290]

234. Dasselbe ist auf das zu antworten, was Herr Bayle in Kap. 165 (S. 1071) sagt: »Das geeignetste Mittel, ein Ziel zu erreichen, ist offenbar nur ein einziges« (ganz richtig, wenigstens für den Fall, wo Gott gewählt hat). »Wenn daher Gott unwiderstehlich bestimmt worden ist, dieses Mittel anzuwenden, so hat er auch nothwendig dieses Mittels sich bedienen müssen.« (Sicherlich ist er dazu veranlasst worden, er ist dazu bestimmt worden, oder vielmehr, er hat sich dazu bestimmt, allein das Sichere ist nicht immer nothwendig, oder durchaus unwiderstehlich; die Sache hätte anders verlaufen können, allein es ist nicht geschehen und dies aus einem Grunde. Gott hat unter den verschiedenen zu treffenden Vornahmen, die alle möglich waren, gewählt, deshalb konnte er, im metaphysischen Sinne, das wählen oder thun, was nicht das Beste war; aber er konnte es im moralischen Sinne nicht. Ein Beispiel aus der Geometrie wird dies erläutern. Der beste Weg von einem Punkte zu dem andern ist [wenn man von den Hindernissen und andern Zufälligkeiten in der Mitte absieht] nur einer; es ist der in der kürzesten Linie, welches die gerade ist. Trotzdem giebt es unzählige Wege von dem einen Punkt zu dem andern. Deshalb bin ich nicht gezwungen, die gerade Linie zu gehen, allein sofort, wenn ich das Beste wähle, bin ich zum Gehen auf dieser Linie bestimmt, obgleich es nur eine moralische Nothwendigkeit bei dem Weisen ist und damit fallen die weiteren Schlussfolgerungen.) »Daher hat Gott nur das, was er gethan, thun können und deshalb ist das, was nicht geschehen ist und niemals geschehen wird, unbedingt unmöglich.« – (Diese Folgerungen fallen, sage ich; denn weil es viele Dinge giebt, die niemals geschehen sind und niemals geschehen werden, und die man doch deutlich sich vorstellen kann und die keinen Widerspruch enthalten, so kann man sie nicht für unbedingt unmöglich erklären. Herr Bayle hat dies selbst in einer Stelle gegen die Spinozisten ebenso dargelegt, die ich früher citirt habe und er hat wiederholt anerkannt, dass nur das sich Widersprechende unmöglich ist; hier ändert er aber seine Schreibweise und seine Worte.) »Deshalb ist das Beharren Adam's in der Unschuld immer unmöglich gewesen; also war sein Fall[291] unbedingt nothwendig, und selbst dem Beschlüsse Gottes vorhergehend, denn es wäre ein Widerspruch, wenn Gott etwas gegen seine Weisheit beschliessen wollte. Es ist im Gründe gleich, ob man sagt: Dies ist für Gott unmöglich, oder ob man sagt: Gott könnte es thun, wenn er wollte, aber er kann es nicht wollen.« – (Dies ist in einem gewissen Sinne eine Verdrehung der Worte wenn man sagt, man kann wollen, man will wollen; die Macht bezieht sich hier auf die Handlungen, welche man will. Indess enthält es keinen Widerspruch, dass Gott eine Sache, die keinen Widerspruch enthält [direkt, oder nur erlaubend], wolle und in diesem Sinne kam man sagen, dass Gott sie wollen kann.)

235. Kurz, es handelt sich, wenn man von der Möglichkeit einer Sache spricht, nicht um die Ursachen, welche deren wirkliches Dasein herbeiführen oder hindern sollen; denn sonst verändert man die Bedeutung der Worte und hebt den Unterschied zwischen möglich und wirklich auf. Dies thut Abälard und wohl auch Wiclef nach ihm und sie sind deshalb ohne Noth auf Aussprüche gerathen, die unbequem und anstössig sind. Deshalb verändert man die Frage, wenn man bei der Prüfung, ob eine Sache möglich oder nothwendig sei, die Erwägung über das, was Gott will und wählt, einmischt. Denn Gott wählt unter dem Möglichen, und deshalb ist seine Wahl eine freie und keine erzwungene; gäbe es nur eine Möglichkeit, so gäbe es weder eine Wahl noch eine Freiheit.

236. Ich muss auch noch auf die Schlüsse des Herrn Bayle antworten, um keine Einwendung dieses gescheidten Mannes zu übergehen. Sie finden sich im Kap. 151 seiner Antwort auf die Fragen etc. S. 900. 901. Thl. III.


Erster Schluss

»Gott kann nichts wollen, was seiner nothwendigen Liebe zu seiner Weisheit entgegengesetzt ist.«

»Nun ist das Heil aller Menschen der nothwendigen Liebe Gottes zu seiner Weisheit entgegengesetzt.«

»Also kann Gott das Heil aller Menschen nicht wollen.«[292]

Der Obersatz ist selbstverständlich, denn man kann etwas nicht, dessen Gegentheil nothwendig ist. Aber den Untersatz kann man nicht zulassen, denn wenn auch Gott seine Weisheit liebt, so bleiben doch die Handlungen, zu denen seine Weisheit ihn veranlasst, freie und ebenso bleiben die Dinge, wozu ihn seine Weisheit nicht veranlasst, immer möglich. Ueberdem hat seine Weisheit ihn veranlasst, das Heil aller Menschen zu wollen, nur nicht mit einem nachfolgenden oder beschliessenden Willen. Da aber dieser nachfolgende Wille nur das Ergebniss des freien vorgehenden Willen ist, so kann auch dieser nicht ermangeln, ein freier zu sein.


Zweiter Schluss

237. »Das der Weisheit Gottes würdigste Werk befasst unter anderem die Sünde aller Menschen und die ewige Verdammniss des grössten Theiles derselben.«

»Nun will Gott nothwendig das seiner Weisheit würdigste Werk.«

»Also will er nothwendig das Werk, was unter anderem auch die Sünde aller Menschen und die Verdammniss des grössten Theiles derselben befasst.«

Ich gebe den Obersatz zu, aber bestreite den Untersatz. Die Beschlüsse Gottes sind immer freie, obgleich Gott dazu immer durch Gründe, welche auf das Gute abzielen, bestimmt wird. Denn ein durch die Weisheit erfolgender moralischer Zwang ist ein Bestimmt-werden durch die Erwägung des Guten, d.h. es ist ein Freisein und also kein metaphysisches Gezwungensein, da nur die metaphysische Nothwendigkeit, wie ich schon oft gesagt, der Freiheit entgegengesetzt ist.

238. Ich will die Schlüsse nicht prüfen, welche Herr Bayle in dem folgenden Kapitel (Kap. 152) dem System der Supralapsarier entgegenstellt, insbesondere dem Vortrag, welchen Theodor von Béze bei dem Zwiegespräch in Montbéliard im Jahre 1586 gehalten hat. Diese Schlüsse des Herrn Bayle leiden beinah an denselben Fehlern, wie die eben geprüften; aber auch das System von Béze genügt mir nicht; überdem hat jenes Gespräch nur die Verbitterung der Parteien gesteigert. Nach Herrn Béze »hat Gott die Welt zu seinem Ruhme[293] geschaffen; sein Ruhm wird nicht erkannt, wenn seine Barmherzigkeit und seine Gerechtigkeit nicht verwirklicht wird. Deshalb hat Gott keine bestimmten Menschen aus bloser Gnade zum ewigen Leben und keine durch gerechtes Urtheil zur ewigen Verdammniss bestimmt. Die Barmherzigkeit setzt Elend, die Gerechtigkeit Schuld voraus (er konnte hinzufügen, dass auch das Elend Schuld voraussetzt). Indess ist Gott gut, oder die Güte selbst und hat deshalb den Menschen gut und gerecht geschaffen, aber veränderlich, so dass er mit freiem Willen sündigen kann. Der Mensch ist nicht im Fluge oder im Uebermuth gefallen; auch nicht aus Ursachen, die, nach den Manichäern, irgend ein anderer Gott angeordnet hat, sondern in Folge der Vorsehung Gottes, aber immer so, dass Gott in den Fehler nicht mit verwickelt war und nur so, dass der Mensch nicht gezwungen war, zu sündigen.«

239. Dieses System gehört nicht eben zu den besten, welche erdacht worden sind; es ist wenig geeignet, um die Weisheit, die Güte und die Gerechtigkeit Gottes erkennen zu lassen, und glücklicherweise ist es heutzutage aufgegeben. Gäbe es keine tiefem Gründe, welche Gott zu dem Gestatten der Schuld bestimmen konnten, die die Quelle des Elendes ist, so gäbe es weder Schuld noch Elend in der Welt, da die hier angeführten Gründe nicht zureichen. Gott würde seine Barmherzigkeit mehr erkennen lassen, wenn er das Elend verhinderte und mehr seine Gerechtigkeit, wenn er die Schuld verhinderte und mehr die Tugend, wenn er sie belohnte. Man versteht auch nicht, wie der, welcher nicht blos bewirkt, dass ein Mensch fallen kann, sondern auch die Umstände so einrichtet, dass sie helfen ihn fallen zu machen, nicht die Schuld daran trage, wenn keine andern Gründe vorhanden sind, welche ihn dazu nöthigen. Wenn man aber erwägt, dass der vollkommen gute und weise Gott, alle Tugend, Güte und alles Glück hervorzubringen hat, dessen der beste Plan des Universum's fällig ist, und dass ein Uebel in einigen Theilen oft ein grösseres Gut für das Ganze veranlassen kann, so ergiebt sich leicht, wie Gott dem Unglück so hat Raum geben und selbst die Verschuldung so gestatten können, wie es der Fall ist, ohne dass er deshalb getadelt werden kann. Dies ist[294] das einzige Mittel, welches das ergänzt, was allen Systemen fehlt, mögen sie die Beschlüsse ordnen, wie sie wollen. Schon der heilige Augustin hat diese Gedanken begünstigt und man kann von der Eva das sagen, was der Dichter von Mucius Scaevola sagt:


Si non errasset, fecerat illa minus.

(Hätte er nicht geirrt, so hätte er jenes weniger vollbracht.)


240. Ich finde, dass der berühmte englische Prälat, der ein scharfsinniges Buch über den Ursprung des Uebels geschrieben hat, von dem einige Stellen Herr Bayle in dem Thl. II. seiner Antwort auf die Fragen etc. bekämpft hat, zwar einige der Ansichten, die ich hier vertheidigt habe, anscheinend nicht theilt, sondern mitunter auf eine despotische Gewalt zurückgreift, als wenn der Wille Gottes nicht den Regeln der Weisheit über das Gute und Böse folgte, sondern willkürlich bestimmte, dass die und die Dinge für gut oder schlecht gelten sollen und als wenn selbst der Wille der Geschöpfe, so weit er frei ist, nicht deshalb wählte, weil der Gegenstand ihm gut erscheint, sondern weil er sich rein willkürlich ohne Rücksicht auf den Gegenstand bestimmt, so äussert sich doch, sage ich, dieser Bischof an anderen Stellen in einer Weise, die meine Lehre mehr unterstützen, als das in der seinigen, was der meinigen entgegensteht. Er sagt, dass es besser sei, eine unendlich weise und freie Ursache habe gewählt, als dass sie gar nicht gewählt habe. Wird damit nicht anerkannt, dass die Güte der Gegenstand und der Grund seiner Wahl ist? In diesem Sinne kann man hier sehr wohl sagen:


Si placuit superos, quaerere plura nefas.

(Wenn es den Göttern gefallen, so ist es Unrecht, noch weiter zu forschen.)[295]

Quelle:
Gottfried Wilhelm Leibniz: Die Theodicee. Leipzig 1879, S. 173-297.
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