Abhandlung über die Uebereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft

[33] 1. Ich beginne mit der Vorfrage in Betreff der Uebereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft, und des Gebrauchs der Philosophie in der Theologie; denn diese Frage ist von grossem Einfluss auf den Gegenstand meiner Abhandlung und Herr Bayle geht überall auf dieselbe zurück. Ich nehme an, dass zwei Wahrheiten sich nicht widersprechen können, dass der Glaube es mit der Wahrheit zu thun, welche Gott auf eine ausserordentliche Weise offenbart hat und dass die Vernunft eine Verknüpfung von Wahrheiten ist und zwar in Vergleich mit dem Glauben, von solchen Wahrheiten, welche der menschliche Geist durch seine Natur ohne Unterstützung vom Licht des Glaubens erreichen konnte. Diese Definition der Vernunft (d.h. von der rechten und wahrhaften Vernunft) hat Manchen überrascht, der gewohnt ist, gegen die in einem unbestimmten Sinne genommene Vernunft zu eifern. Man hat mir entgegnet, dass man niemals eine solche Erklärung von derselben gehört habe; allein diese Gegner haben nie mit Männern verkehrt, welche sich über diese Dinge genau ausdrückten, und doch hat man eingeräumt, dass man die Vernunft in diesem von mir gegebenen Sinne nicht tadeln könne. Uebrigens wird die Vernunft in diesem Sinne auch mitunter der Erfahrung entgegengestellt, da sie in einer Verknüpfung der Wahrheiten besteht und daher berechtigt[33] ist, sie anders als die Erfahrung gethan hat, zu verbinden, um daraus gemischte Schlussfolgerungen zu ziehen. Indess hat die reine und blose Vernunft es im Unterschied von der Erfahrung nur mit Wahrheiten zu thun, welche von den Sinnen unabhängig sind. Man kann auch den Glauben mit der Erfahrung vergleichen, weil der Glaube (rücksichtlich der Gründe, auf die sich seine Wahrheit stützt) von der Erfahrung derer abhängt, welche die Wunder, auf welche die Offenbarung gegründet wird, gesehen haben, so wie von den glaubwürdigen Ueberlieferungen, durch welche die Kenntniss dieser Wunder auf uns gelangt ist; sei es mittelst der Schriften oder mittelst des Berichts derer, die diese Schriften aufbewahrt haben; ohngefähr so wie man sich auf die Erfahrung derer stützt, welche China gesehen haben und auf die Glaubwürdigkeit ihrer Berichte, wenn man an die Wunder glaubt, die von diesem fernen Lande erzählt werden. Ich sehe dabei noch ganz von den Einwirkungen des heiligen Geistes auf unser Inneres ab, welcher die Seelen erfasst, sie überzeugt und zum Guten führt, d.h. zum Glauben und zur Liebe, ohne dass man immer Gründe dafür verlangt.

2. Nun zerfallen die Vernunft-Wahrheiten in zwei Arten. Die eine befasst die ewigen Wahrheiten, welche unbedingt der Art nothwendige sind, dass das Entgegengesetzte einen Widerspruch enthalten würde. Dieser Art sind die Wahrheiten, deren Nothwendigkeit eine logische, metaphysische oder mathematische ist, und die man nicht bestreiten kann, ohne in Widersinnigkeiten zu gerathen. Es giebt aber, als eine zweite Art, auch Wahrheiten, die man positive nennen kann, welcher Art die Gesetze sind, welche der Natur zu geben Gott gefallen hat, oder solche, welche von diesen abhängen. Wir lernen sie entweder durch die Erfahrung kennen, d.h. a posteriori, oder durch die Vernunft und a priori, d.h. durch die Erwägung der Angemessenheit, welche zu deren Wahl veranlasst hat. Diese Angemessenheit hat auch ihre Regeln und Gründe, indess ist es die freie Wahl Gottes und nicht eine geometrische Nothwendigkeit, welche das Angemessene vorziehen lässt und zur Wirklichkeit überführt. Man kann daher sagen, dass die physische Nothwendigkeit auf der moralischen[34] Nothwendigkeit ruht, d.h. auf einer Auswahl des Weisen, welche seiner Weisheit würdig ist, und dass sowohl die eine, wie die andere von der geometrischen Nothwendigkeit unterschieden werden muss. Diese physische Nothwendigkeit bewirkt die Ordnung in der Natur; sie besteht in den Gesetzen der Bewegung und in einigen andern allgemeinen, die es Gott gefallen hat, den Dingen bei deren Erschaffung zu geben. Gott hat sie daher nicht ohne Grund gegeben; denn er thut nichts aus Eigensinn oder gleichsam zufällig, oder aus einer reinen Gleichgültigkeit. Indess können diese allgemeinen Gründe für das Wohl und die Ordnung, welche zu diesen Gesetzen geführt haben, mitunter durch die stärkeren Gründe einer höhern Ordnung durchbrochen werden.

3. Hieraus erhellt, dass Gott seine Geschöpfe von den ihnen vorgeschriebenen Gesetzen befreien und bei ihnen das hervorbringen kann, wozu ihre Natur nicht hinreicht, indem er ein Wunder thut. Wenn die Geschöpfe dadurch zu Vollkommenheiten und Kräften erhoben werden, welche vornehmer sind, als die, zu denen sie durch ihre eigene Natur gelangen können, so nennen die Scholastiker eine solche Kraft eine gehorchende, weil das Geschöpf sie durch den Gehorsam erlangt, welchen es dem Befehle dessen leistet, welcher ihm das verleihen kann, was es nicht hat. Indess geben die Scholastiker gewöhnlich solche Beispiele von dieser Kraft, welche ich für unmöglich halte, z.B. wenn sie behaupten, Gott könne den Geschöpfen eine erschaffende Kraft ertheilen. Es kann auch Wunder geben, welche Gott durch den Dienst von Engeln verrichtet; hier werden die Naturgesetze ebensowenig verletzt, wie wenn die Menschen der Natur durch die Kunst nachhelfen, da die Kunst der Engel nur dem höhern Grade nach von der unserigen verschieden ist. Indessen bleibt es immer wahr, dass der Gesetzgeber von den Naturgesetzen Ausnahmen gewähren kann, während die ewigen Wahrheiten, z.B. die geometrischen, durchaus keine Ausnahme gestatten und daher der Glaube ihnen nicht widersprechen kann. Deshalb ist ein unbesieglicher Einwand gegen die Wahrheit nicht möglich; denn wenn dieser Einwand in einem Schlusse gesteht, der sich auf die Prinzipien oder auf unbestreitbare Thatsachen stützt, und aus einer[35] Verkettung ewiger Wahrheiten besteht, so ist der gefolgerte Schlusssatz gewiss und unabwendbar und das ihm Entgegengesetzte muss falsch sein, sonst könnten zwei sich widersprechende Sätze zugleich wahr sein. Ist aber der Einwand nicht so beweisbar, so führt er nur zu einem wahrscheinlichen Satz, welcher gegen den Glauben nichts vermag, da man anerkennt, dass die Geheimnisse der Religion den Erscheinungen widersprechen können. Nun erklärt Herr Bayle in der nach seinem Tode erschienenen Antwort an Herrn Le Clerc, wie er nicht behaupte, dass es Schlussfolgerungen gegen die Glaubenswahrheiten gebe und somit verschwinden alle jene unüberwindlichen Schwierigkeiten und jener angebliche Widerstreit der Vernunft mit dem Glauben.


Hi motus animorum atque haec discrimina tanta

Pulveris exigui jactu compressa quiescunt.

(All diese Bewegung der Geister und diese grossen Gegensätze

Erlöschen und kommen durch den Wurf von ein wenig Staub zusammengedrückt zur Ruhe.)


4. Sowohl die protestantischen, wie die römisch-katholischen Theologen stimmen, wenn sie die Sache mit Sorgfalt behandeln, mit diesen von mir aufgestellten Sätzen überein; alles was man gegen die Vernunft sagen kann, trifft nur jene angebliche Vernunft, welche durch falschen Schein verdorben ist und gemissbraucht wird. Es ist ebenso, wie mit den Begriffen von der Gerechtigkeit und Güte Gottes. Man spricht manchmal von ihnen, als wenn man keine Vorstellung und keine Definition von ihnen hätte. Wäre dies wahr, so hätte man keinen Halt, weshalb man Gott solche Eigenschaften beilegen und ihn deren rühmen sollte. Seine Güte und seine Gerechtigkeit unterscheiden sich ebenso, wie seine Weisheit, von der unserigen nur durch ihre unbegrenzt höhere Vollkommenheit, deshalb können die einfachen Begriffe, die nothwendigen Wahrheiten und die beweisbaren Folgerungen der Philosophie der Religion nicht widersprechen. Wenn in der Theologie einige philosophische Grundsätze zurückgewiesen werden, so ist es nur der Fall, weil man ihnen nur eine physikalische,[36] oder moralische Nothwendigkeit zuspricht, die nur das betrifft, was gewöhnlich eintritt und deshalb sich nur auf die Wahrscheinlichkeit stützt, die aber, sofern Gott es für gut findet, auch nicht zutreffen kann.

5. Aus dem Gesagten erhellt, dass die Ausdrücke Derer mitunter an Verwirrung leiden, welche die Philosophie mit der Theologie oder den Glauben mit der Vernunft in Streit bringen. Sie vermengen das Erklären, Begreifen, Beweisen, Behaupten mit einander. Selbst Herr Bayle ist, glaube ich trotz seines Scharfsinns, nicht immer frei von dieser Verwechselung. Die Mysterien können so weit erklärt werden, als zum Glauben an sie nöthig ist, aber man kann sie nicht begreifen noch verständlich machen, wie sie geschehen. Selbst in der Naturwissenschaft erklärt man mehrere wahrnehmbare Eigenschaften nur bis zu einem gewissen Punkte, aber doch nur in unvollkommener Weise, weil man sie nicht begreift. Ebensowenig können wir mittelst der Vernunft die Mysterien erklären, denn alles, was sich a priori oder durch die reine Vernunft beweisen lässt, kann begriffen werden. Wenn wir also an die Mysterien auf Grund der Beweise für die Wahrheit der Religion glauben (die man Beweggründe des Glaubens nennt), so bleibt uns nur die Fähigkeit übrig, dass wir sie gegen die Einwürfe aufrecht erhalten können. Ohnedem hätte unser Glaube an sie keinen festen Grund; denn alles, was auf eine ernste und schlussgerechte Weise widerlegt werden kann, muss falsch sein. Die Beweise für die Wahrheit der Religion, die nur eine moralische Gewissheit gewähren können, würden durch Einwürfe von einer unbedingten Gewissheit aufgewogen, ja selbst aufgehoben werden, wenn sie überzeugend und streng beweisend wären. Dies Wenige könnte mir genügen, um die Schwierigkeiten bei dem Gebrauch der Vernunft und der Philosophie in Bezug auf die Religion zu beseitigen, wenn man es nicht oft mit den Vorurtheilen mancher Personen zu thun hätte. Da jedoch der Gegenstand wichtig und mehrfach sehr verdunkelt worden ist, so dürfte es zweckmässig sein, wenn ich mehr in Einzelnes eingehe.

6. Die Frage nach der Uebereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft ist von jeher ein grosses[37] Problem gewesen. In den Anfängen der Kirche fügten die christlichen Schriftsteller sich den platonischen Gedanken, die ihnen am geläufigsten waren und damals die meiste Verbreitung hatten. Nach und nach nahm aber Aristoteles die Stelle von Plato ein, als sich der Geschmack an Systemen verbreitete und als selbst die Theologie in Folge der Beschlüsse der allgemeinen Concilien systematischer wurde, welche bestimmte und inhaltliche Formeln festgestellt hatten. Der heilige Augustin, Boethius und Cassiodorus im Abendlande, so wie Johannes von Damascus im Morgenlande haben am meisten dazu beigetragen, dass die Theologie die Gestalt einer Wissenschaft erhalten hat, abgesehen von Beda, Alcuin, dem heiligen Anselmus und einigen andern in der Philosophie bewanderten Theologen. Zuletzt traten die Scholastiker auf; die Menge der Klöster liess der Speculation freien Lauf und unterstützt von der Aristotelischen, aus dem Arabischen übersetzten Philosophie gelang es endlich eine Zusammenstellung der Theologie und Philosophie zu machen, in welcher die meisten zweifelhaften Fragen aus dem Eifer hervorgingen, mit dem man sich bemühte, den Glauben mit der Vernunft zu versöhnen. Indess geschah dies nicht überall mit dem wünschenswerthesten Erfolge, da die Theologie durch das Unglück der Zeiten, sowie durch Unwissenheit und Hartnäckigkeit sehr herabgekommen war, und weil die Philosophie neben ihren eigenen grossen Mängeln, noch mit den Mängeln der Theologie belastet war, die ihrerseits wieder von den Folgen ihrer Verbindung mit einer höchst dunkeln und unvollkommenen Philosophie zu leiden hatte. Indess muss man mit dem unvergleichlichen Grotius anerkennen, dass unter dem widerwärtigen Mönchslatein mitunter Gold verhüllt ist. Ich habe deshalb mehrmals gewünscht, dass ein Mann von Fähigkeit, der vermöge seines Amtes das Latein der Scholastiker zu lernen hat, daraus das Beste ausziehen möchte und dass ein zweiter Petavius oder Thomasius in Bezug auf die Scholastiker dasselbe gethan hätten, was diese beiden gelehrten Männer in Bezug auf die Kirchenväter geleistet haben. Dies wäre eine sehr interessante und wichtige Arbeit für die Kirchengeschichte; sie würde die Dogmengeschichte bis zur Herstellung der Wissenschaften befassen[38] (durch welche die Dinge ein anderes Ansehen erhalten haben) und selbst noch darüber hinaus gehen, da selbst auch nach den Tridentinischen Concil viele Dogmen, wie z.B. das von der physischen Vorherbestimmung, von dem mittleren Wissen, von der philosophischen Sünde, von den gegenständlichen Vorbestimmtheiten und von anderen in der speculativen Theologie, so wie selbst Gewissensfälle in der praktischen Theologie lebhaft verhandelt worden sind.

7. Kurz vor diesen Veränderungen und vor der grossen Spaltung der abendländischen Kirche, welche noch jetzt fortdauert, gab es in Italien eine Anzahl Philosophen, welche diese Uebereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft, die ich behaupte, bekämpften. Man nannte sie Averroisten, weil sie sich zu einem berühmten arabischen Schriftsteller hielten, welchen man vorzugsweise den Commentator nannte und welcher am meisten unter den Erklärern des Aristoteles von seiner Nation in dessen Sinn eingedrungen zu sein schien. Dieser Commentator behauptete, in Fortführung des von den griechischen Erklärern bereits Gelehrten, dass nach Aristoteles und selbst nach der Vernunft (was beides damals beinah für dasselbe galt) die Unsterblichkeit der Seele nicht bestehen könnte. Seine Gründe sind die folgenden: Nach Aristoteles vergeht das menschliche Geschlecht nicht; wenn also die Seele der Einzelnen nicht untergeht, muss man zur Seelenwanderung gelangen, die dieser Philosoph verworfen hat; oder wenn neue Seelen hinzukommen, so muss man eine unendliche Menge solcher in alle Ewigkeit beharrenden Seelen annehmen. Nun ist aber eine wirkliche Unendlichkeit unmöglich, wie derselbe Aristoteles lehrt; also muss man schliessen, dass die Seelen, d.h. die Formen der organischen Körper mit diesen Körpern untergehen müssen, oder dass dies wenigstens mit der leidenden Vernunft geschehen muss, welche dem Einzelnen eigenthümlich angehört. Es würde also dann nur die thätige Vernunft übrig bleiben, welche allen Menschen gemeinsam ist und welche nach Aristoteles von Aussen in den einzelnen Menschen eintritt und welche überall sich bethätigen muss, wo die Organe dazu geeignet sind, wie der Wind[39] eine Art Musik hervorbringt, wenn er in die dazu eingerichteten Orgelpfeifen eingeblasen wird.

8. Allein es kann wohl nichts schwächeres geben, als diesen Beweis; Aristoteles hat nirgends die Seelenwanderung widerlegt, noch die Ewigkeit des Menschengeschlechts bewiesen und endlich ist es falsch, dass es kein wirkliches Unendliches geben könne. Dessen ungeachtet galt diese Beweisführung bei den Aristotelikern für unwiderleglich und liess sie glauben, dass es unter dem Monde eine gewisse Vernunft gebe und dass die Theilnahme an derselben den thätigen Theil unseres Verstandes bilde. Weniger strenge Anhänger des Aristoteles gingen indess weiter bis zur Annahme einer allgemeinen Seele, welche den Ozean für alle besonderen Seelenbilde; nur diese allgemeine Seele solle als eine selbständige bestehen, während die einzelnen besonderen Seelen entstehen und vergehen. Nach dieser Ansicht entstehen die Seelen der Thiere durch eine gleichsam tropfenweise Absonderung aus diesem Ozean, sobald sie einen Körper treffen, den sie beleben können und bei der Zerstörung des Körpers gehen sie unter, indem sie sich wieder mit dem Ozean der Seelen verbinden, so wie die Flüsse sich im Meere verlieren. Manche glaubten sogar, dass Gott diese allgemeine Seele sei, obgleich Andere annahmen, dass sie untergeordnet und geschaffen sei. Diese schlechte Lehre ist sehr alt und sehr dazu geeignet, die gewöhnliche Lehre zu verdunkeln. Sie ist in den schönen Versen Virgils (Aeneide. VI. Vers 724) ausgesprochen:

»Im Anfange ernährte ein innerer Geist den Himmel und die Erde und die glänzenden Gefilde und den leuchtenden Körper des Mondes und die Titanischen Gestirne; der durch alle Glieder ergossene Geist bewegte die ganze Masse und mischte sich mit dem grossen Körper.«

Und auch anderwärts (Georgica IV. Vers. 221):

»Denn die Gottheit schreitet durch alle Länder und Meere und den tiefen Himmel. Von daher entnimmt ein jedes der Hausthiere, der Heerden, der Männer, aller Arten der wilden Thiere und jedes Geborene sein schwächliches Leben und wenn sie sich auflösen, so[40] muss es dahin zurückgegeben und zurückgebracht werden.«

9. Einige haben die Weltseele Plato's in diesem Sinne aufgefasst; aber die Stoiker haben wahrscheinlich diese gemeinsame Seele angenommen, welche alle andern aufzehrt. Die Anhänger dieser Meinung könnten Monophysiten heissen, weil nach ihnen nur eine Seele wahrhaft beharrt. Nach Herrn Bernier herrscht diese Meinung beinah allgemein unter den Gelehrten in Persien und in den Staaten des Gross-Mogul; selbst bei den Kabbalisten und Mystikern scheint sie Eingang gefunden zu haben. Ein Deutscher aus Schwaben, welcher vor einigen Jahren zum Judenthum übergetreten war und unter dem Namen »Der deutsche Moses« seine Lehre vortrug, hat, im Anhalt an die Lehre Spinoza's, angenommen, dass Spinoza die alte Kabbala der Hebräer erneuert habe; auch scheint ein Gelehrter, welcher diesen jüdischen Proselyten widerlegt hat, derselben Ansicht gewesen zu sein. Man weiss, dass Spinoza nur eine Substanz in der Welt anerkennt, von welcher die einzelnen Seelen nur vorübergehende Zustände bilden. Valentin Weigel, Pastor in Zschopau in Sachsen, ein Mann von Geist, vielleicht von etwas zu viel Geist, obgleich man ihn zu einem Enthusiasten hat machen wollen, war vielleicht auch einigermassen dieser Ansicht; ebenso der sogenannte Johann Angelus, ein Schlesier, welcher eine Anzahl kleiner deutscher, frommer und niedlicher Verse in Gestalt von Epigrammen verfasst hat, die kürzlich wieder aufgelegt worden sind; überhaupt könnte der von den Mystikern gestaltete Gott in diesem schlechten Sinne genommen werden. Schon Gerson hat gegen Ruysbroek, einen Mystiker geschrieben. Seine Absicht war anscheinend gut und seine Ausdrücke kann man entschuldigen, indessen thut man besser, wenn man in einer Weise schreibt, die keiner Entschuldigung bedarf, obgleich ich anerkenne, dass die übertriebene und gleichsam dichterische Ausdrucksweise mehr als die regelmässige zu rühren und zu überreden vermag.

10. Die Vernichtung von allem, was uns zu eigen angehört und die von den Quietisten sehr weit getrieben wird, dürfte bei Manchem auch nur eine verstellte Gottlosigkeit sein, wie das, was man von dem Quietismus des[41] Foe berichtet, dem Gründer einer grossen Sekte in China. Nachdem er 40 Jahre seine Religion gepredigt hatte und sich dem Tode nahe fühlte, erklärte er seinen Schülern, dass er ihnen die Wahrheit unter dem Schleier von Bildern verhüllt habe, und dass alles auf Nichts zurückkomme, welches Nichts das oberste Prinzip der Dinge sei. Dies war, wie es scheint, noch schlimmer, als die Meinung der Averroisten. Beide Lehren können nicht aufrecht erhalten werden und überschreiten die wahren Grenzen. Dennoch haben einige Neuere ohne Bedenken diese allgemeine und eine Seele angenommen, welche die andern verschlingt, und sie hat unter den sogenannten starken Geistern nur zu viel Beifall gefunden. Herr von Preissac, ein Soldat und geistvoller Mann, der sich auch mit Philosophie abgegeben, hat sie in seinen Abhandlungen öffentlich aufgerichtet. Das System der im Voraus eingerichteten Harmonie kann dieses Uebel am besten heilen, da es zeigt, dass es nothwendige, einfache und unausgedehnte Substanzen giebt, welche durch die ganze Natur verbreitet sind. Diese Substanzen bestehen unabhängig von allen anderen, ausgenommen von Gott und sie sind niemals von jedwedem organischen Körper getrennt. Wenn man meint, dass die Seelen, welche nur Wahrnehmung und Empfindung, aber keine Vernunft haben, sterblich seien, oder dass nur vernünftige Seelen eine Empfindung haben können, so bietet dies den Monophysiten viele Angriffspunkte, da man die Menschen kaum dazu überreden wird, dass die Thiere keine Empfindung haben und, wenn man einmal zugiebt, dass der Empfindungsfähige untergehen könne, so kann die Unsterblichkeit der Seele kaum noch auf die Vernunft gestützt werden.

11. Ich habe dies hier beiläufig erwähnt, weil ich dies in einer Zeit für zweckmässig hielt, wo man nur zu sehr dahin neigt, die natürliche Religion bis auf ihre Fundamente umzustürzen. Ich komme nun zu den Averroisten zurück, welche meinten, ihre Lehre durch die Vernunft begründet zu haben. In Folge dessen erklärten sie die menschliche Seele nach der Philosophie für sterblich, aber dabei versicherten sie, dass sie sich der christlichen Theologie unterwürfen, welche die Seele für unsterblich erklärt. Indess galt diese Unterscheidung[42] für verdächtig, und diese Trennung der Vernunft vom Glauben wurde laut durch die damaligen Prälaten und Doktoren verworfen und im letzten Lateranischen Concil unter Leo X. verdammt. Dabei wurden die Gelehrten ermahnt, an der Beseitigung der Schwierigkeiten zu arbeiten, welche sich zwischen der Theologie und Philosophie zu entspinnen schienen. Indess erhielt sich die Lehre von deren Unverträglichkeit gleichsam incognito; Pomponacius wurde derselben verdächtig, obgleich er sich anders erklärte und die Sekte der Averroisten erhielt sich durch mündliche Ueberlieferung und man glaubt, dass der zu seiner Zeit berüchtigte Philosoph Cesar Cremonin eine Hauptstütze derselben gewesen ist. Der Arzt Andreas Caesalpinus, ein verdienstlicher Schriftsteller, der nach Michael Servet der Entdeckung des Blutumlaufs sehr nahe war, wurde von Nicolaus Taurel (in einer Schrift: Die gefällten Alpen) beschuldigt, dass er zu diesen Peripatetikern, den Gegnern der Religion, gehöre. Spuren dieser Lehre finden sich auch in dem »Circulus Pisanus« des Claudius Berigard, eines Schriftstellers, der von Geburt Franzose, nach Italien ging und in Pisa Philosophie lehrte. Insbesondere ergeben aber die Schriften und Briefe von Gabriel Naudé, so wie die Naudaeana, dass zur Zeit, wo dieser gelehrte Arzt in Italien war, der Averroismus noch bestand. Die Corpuscular-Philosophie, die bald nachher eingeführt wurde, scheint diese übertriebene Peripatetische Sekte beseitigt oder mit ihr sich gemischt zu haben und manche Atomisten möchten wohl gerne Lehren, wie die der Averroisten aufstellen, wenn die Verhältnisse es gestatteten. Indess wird dieser Missbrauch dem Guten in der Corpuscular-Philosophie keinen Schaden thun, da sie sich sehr gut mit den gründlichen Sätzen Plato's und Aristoteles' verträgt und beide mit der wahren Theologie sich vereinigen lassen.

12. Die Reformatoren, namentlich Luther, haben, wie ich bereits bemerkt, mitunter sich so geäussert, als wenn sie die Philosophie verwürfen und sie als einen Feind des Glaubens betrachteten. Aber richtig aufgefasst, verstand Luther unter Philosophie nur das, was dem gemeinen Lauf der Natur entspricht oder vielleicht[43] sogar das, was man davon in den Schulen lehrte. So sagt er, es sei in der Philosophie, d.h. in der Natur-Ordnung unmöglich, dass das Wort Fleisch werde und er geht zu der Behauptung fort, dass das, was in der Naturwissenschaft wahr sei, in der Moral falsch sein könne. Aristoteles war der Gegenstand seines Zornes und seit dem Jahre 1516, wo er vielleicht noch nicht an die Reform der Kirche dachte, hatte er den Plan, die Philosophie zu reinigen. Indess besänftigte er sich später und gestattete es, dass man in der Apologie des Augsburgischen Bekenntnisses über Aristoteles und dessen Moral sich günstig aussprach. Der gelehrte und gemässigte Melanchthon stellte kleine Systeme über einzelne Zweige der Philosophie auf, die sich mit den geoffenbarten Wahrheiten vertrugen und für das tägliche Leben von Nutzen sind, so dass sie noch heute des Lesens werth sind. Nach ihm erhob sich Peter von Ramée; seine Philosophie kam sehr in Aufnahme und die Sekte der Ramisten wurde in Deutschland mächtig. Die Protestanten folgten ihr und sie wurde selbst in der Theologie benutzt. Erst als die Corpuscular-Philosophie wieder erweckt wurde, vergass man die des Ramée und das Ansehen der Peripatetiker sank.

13. Trotzdem entfernten sich verschiedene protestantische Theologen so viel sie konnten, von der scholastischen Philosophie, welche bei ihren Gegnern herrschte, ja sie verachteten die Philosophie überhaupt, die ihnen verdächtig war. Zuletzt brach der Streit in Helmstädt durch die Bitterkeit des Daniel Hofmann, eines sonst gewandten Theologen, aus, der bei der Quedlinburger Zusammenkunft sich Ansehn verschafft hatte, wo er mit Tilemann Heschusius sich auf die Seite des Herzogs Julius von Braunschweig gestellt hatte, als dieser die Concordienformel nicht annehmen wollte. Ich weiss nicht, wie der Dr. Hofmann sich gegen die Philosophie ereiferte, anstatt sich auf den Tadel der Missbräuche zu beschränken, welchen die Philosophen mit ihr treiben; er hatte es aber auf den berühmten Johann Caselius abgesehen, welcher von den Fürsten und Gelehrten seiner Zeit geachtet wurde und der Herzog Heinrich Julius von Braunschweig (der Sohn des Herzogs Julius, des Gründers der Universität) unterzog sich selbst[44] der Mühe, die Sache zu untersuchen und verdammte demnächst den Theologen. Seitdem sind noch einige ähnliche kleine Zwiste vorgekommen, es ergab sich aber immer, dass sie auf Missverständnissen beruhten. Der berühmte Professor Paul Slevogt in Jena in Thüringen, dessen Abhandlungen, so weit sie noch vorhanden sind, zeigen, wie sehr er in der scholastischen Philosophie und in der Hebräischen Literatur bewandert war, hatte in seiner Jugend unter dem Titel: Pervigilium (Die Nachtwachen), eine kleine Schrift über den Streit des Theologen und des Philosophen, welcher sich auf deren beiderseitige Prinzipien stützt, bei Gelegenheit der Frage veröffentlicht, ob Gott die accidentelle Ursache des Uebels sei. Man ersah indess bald, wie er nur zeigen wollte, dass die Theologen mitunter philosophische Ausdrücke missbrauchen.

14. Gehe ich auf meine Zeit über, so entsinne ich mich, dass als Luis Meyer, ein Arzt in Amsterdam, 1666 anonym die Schrift: Die Philosophie als Auslegerin der heiligen Schrift veröffentlichte (mit Unrecht haben Mehrere sie seinem Freunde Spinoza zugeschrieben), die holländischen Theologen sich erhoben und durch ihre Gegenschriften zu grossen Streitigkeiten unter sich Anlass gaben. Viele meinten, dass die Cartesianer in ihren Widerlegungen des anonymen Philosophen, der Philosophie zu viel zugestanden hätten. Johann von Labadie griff (noch vor seiner Trennung von der reformirten Kirche, die angeblich wegen einiger Missbräuche, die sich in die politische Praxis eingeschlichen hatten und die ihm unerträglich schienen, geschah), die Schrift des Herrn von Wollzogen an und that ihr viel Schaden; von der andern Seite bekämpften Herr Vogelsang, Herr von der Waeyen und einige andere Anti-Coccejaner das Buch ebenfalls mit vieler Bitterkeit; allein der Angeklagte gewann seine Sache auf einer Synode. Seitdem sprach man in Holland von theologischen Rationalisten und Nicht-Rationalisten, eine Partei-Unterscheidung, deren Herr Bayle oft erwähnt und wo er sich zuletzt gegen die ersteren entscheidet. Indess hat man wohl die Regeln noch nicht genau aufgestellt, in denen beide Parteien übereinstimmen und in denen es nicht der Fall für die Frage ist, wie weit von der Vernunft[45] bei der Erklärung der heiligen Schrift Gebrauch zu machen ist.

15. Ein ähnlicher Streit scheint noch seit kurzem die Kirchen des Augsburgischen Bekenntnisses zu beunruhigen. Einige Magister auf der Universität Leipzig hielten bei sich Privatvorlesungen für die Studenten, welche angeblich die heilige Philologie lernen wollten, wie dies bei dieser und einigen andern Universitäten gebräuchlich ist, wo dieser Zweig des Studiums noch nicht der theologischen Facultät vorbehalten ist. Diese Magister nahmen das Studium der heiligen Schriften und die Uebung der Frömmigkeit strenger, als es ihre Collegen gewöhnt waren. Man sagt, sie hätten manche Dinge übertrieben und sie seien im Verdacht von mehreren Neuerungen in der Lehre gerathen. Man gab ihnen deshalb den Namen der Pietisten, als einer neuen Sekte. Dieser Name hat seitdem in Deutschland viel von sich reden gemacht, und ist wohl oder übel auf alle diejenigen angewandt worden, welche man im Verdacht hatte, oder bei denen man wenigstens so that, als hätte man sie im Verdacht des Fanatismus und selbst einer Heuchelei, die sich unter den Schein der Reform verhülle. Da nun einige Zuhörer dieser Magister sich durch ein sehr auffallendes Benehmen bemerklich gemacht hatten, unter andern durch eine Verachtung der Philosophie, von der sie die Lektionshefte verbrannt haben sollten, so glaubte man, dass ihre Lehrer die Philosophie verwürfen; indess rechtfertigten diese sich sehr gut und man konnte sie weder dieses Irrthums, noch der ihnen nachgesagten Ketzereien überführen.

16. Die Frage über den Gebrauch der Philosophie in der Theologie ist unter den Christen viel verhandelt worden und wenn man in das Einzelne einging, hatte man Mühe, sich über die Grenzen dieses Gebrauchs zu vereinigen. Die Mysterien der Dreieinigkeit, der Fleischwendung und des heiligen Abendmahls gaben am meisten Gelegenheit zum Streit. Die neuen Photinianer bekämpften die beiden ersten Mysterien und bedienten sich gewisser philosophischer Sätze, von denen Andreas Kessler, ein Theolog augsburgischen Bekenntnisses einen kurzen Abriss in den Abhandlungen gegeben hat, welche er über die Socinianische Philosophie veröffentlichte. Ueber[46] ihre Metaphysik kann man sich indess besser durch die Socinianische Philosophie, welche der Socinianer Christoph Stegmann verfasst hat, unterrichten; sie ist noch nicht gedruckt, aber ich habe sie in meiner Jugend gesehen und man hat sie mir vor kurzen mitgetheilt.

17. Calovius und Scherzer, welche Schriftsteller beide mit der scholastischen Philosophie genau bekannt sind und einige andere geschickte Theologen haben den Socinianern weitläufig und oft mit Erfolg geantwortet. Man begnügte sich indess mit allgemeinen, etwas oberflächlichen Entgegnungen, wie sie ihnen meistens entgegengestellt wurden und die darauf hinauslaufen, dass ihre Lehren für die Philosophie, aber nicht für die Theologie passten und dass dies ein Fehler jener Gebietsverwechselung sei, welche metabasis eis allo genos (Uebergang in anderes Gebiet) heisst, wenn nämlich jemand die Philosophie in dem verwendet, was die Vernunft übersteigt; vielmehr müsse die Philosophie als die Magd und nicht als die Herrin der Theologie in Gemässheit des Titels von dem Buche des Schotten Robert Baronius, Philosophia Theologiae ancillans, behandelt werden. Sie sei eine Hagar neben der Sara, die mit ihrem Ismael aus dem Hause gejagt werden müsse, wenn sie die störrische spielen wolle. In diesen Antworten liegt etwas richtiges, allein man könnte einen falschen Gebrauch davon machen, in unpassender Weise die natürlichen Wahrheiten mit den geoffenbarten in Widerstreit bringen und deshalb haben die Gelehrten sich bemüht, das was in den natürlichen oder philosophischen Wahrheiten nothwendig und unbedingt ist von dem zu sondern, was dies nicht ist.

18. Die beiden protestantischen Parteien sind immer einig, wenn es sich um den Krieg gegen die Socinianer handelt und da die Philosophie dieser Sektirer nicht zu der streng begründeten gehört, so sind letztere oft gründlich geschlagen worden. Dagegen haben dieselben Protestanten sich unter einander über das Sakrament des Abendmahls veruneinigt, als die Partei der Reformirten (d.h. derer, welche hier mehr dem Zwingli als dem Calvin folgten) die Theilnahme an dem Körper von Jesus Christus auf eine blos figürliche Stellvertretung zurückzuführen schien, indem sie den Satz der Philosophie benutzten, wonach[47] ein Körper nicht zugleich an zwei Orten sein kann, während die Evangelischen (die sich in einem engeren Sinn so nennen, um sich von den Reformirten zu unterscheiden) sich mehr an den Wortsinn halten und mit Luther annehmen, dass diese Theilnahme eine wirkliche sei und dass hier ein übernatürliches Mysterium bestehe. Sie verwerfen in Wahrheit die Lehre von der Umwandelung der Substanz und halten diese in den Schriftworten nicht für begründet, auch billigen sie eben so wenig die Lehre der Mitumwandelung, oder der Impanation (der Annahme, dass der Körper Jesu in dem Brote enthalten sei), was man ihnen nicht zur Last legen kann, da sie den Sinn dieser Auffassung nicht genug kennen; denn sie lassen den Einschluss des Körpers Jesu Christi in das Brot nicht zu und verlangen nicht einmal eine Verbindung des einen mit dem andern; sondern sie verlangen eine Mitbegleitung in der Art, dass beide Substanzen gleichzeitig genossen werden. Sie meinen, dass die gewöhnliche Bedeutung der Worte Jesu Christi bei einer so wichtigen Gelegenheit beibehalten werden müsse, wo es sich um den Ausspruch seines letzten Willens handle. Um diese Auffassung von aller Widersinnigkeit, die uns davon abwendig machen könnte, zu befreien, behaupten sie, dass der philosophische Satz, welcher das Dasein und die Theilnahme der Körper auf einen einzigen Ort beschränkt, nur eine Folge des gewöhnlichen Laufes in der Natur sei. Sie heben damit die Gegenwart des Körpers unseres Heilands im gewöhnlichen Sinne dieses Wortes nicht als eine solche auf, da eine solche dem gefeiertsten Körper angemessen sein könne. Sie nehmen ihre Zuflucht noch nicht zu einer, ich weiss nicht, welcher Ausbreitung von Ubiquität, welche den Körper zerstreuen und nirgends bestehen lassen würde; auch lassen sie nicht die vielfache Verdoppelung einiger Scholastiker zu, als wenn derselbe Körper hier sitzen und dort aufrecht stehen könnte, sondern sie sprechen sich zuletzt so aus, dass es scheint, dass die Meinung Calvins, welche durch die Bekenntnisse mehrerer der Lehre dieses Mannes folgenden Kirchen bestätigt wird, und wonach er eine Theilnahme an der Substanz behauptet, nicht so weit von dem Augsburgischen Bekenntnisse abweicht, als man vielleicht meint. Die[48] Abweichung von letzterem besteht wohl nur darin, dass Calvin für diese Theilnahme den wahren Glauben neben der Aufnahme der Symbole durch den Mund fordert und deshalb die Unwürdigen davon ausschliesst.

19. Hieraus erhellt, dass die Lehre von der wirklichen und substantiellen Theilnahme durch eine richtig aufgefasste Analogie zwischen der unmittelbaren Wirksamkeit und der Gegenwart sich aufrecht erhalten lässt (ohne dass man die sonderbaren Meinungen einiger Scholastiker zu Hülfe zu nehmen braucht), und da mehrere Philosophen der Ansicht sind, dass selbst innerhalb der natürlichen Ordnung ein Körper aus der Entfernung unmittelbar auf mehrere von ihm abstehende Körper gleichzeitig einwirken könne, so halten sie dafür, dass um so viel mehr die göttliche Allmacht es bewirken könne, dass ein Körper bei verschiedenen Körpern gleichzeitig gegenwärtig sein könne, da der Uebergang von der unmittelbaren Wirksamkeit zur Gegenwart nicht gross sei und vielleicht das eine von dem andern abhänge. Allerdings haben die neueren Philosophen seit einiger Zeit die unmittelbare natürliche Einwirkung eines Körpers auf einen andern von ihm entfernten verworfen und ich gestehe, dass ich auch dieser Ansicht bin; allein diese Wirkung in die Ferne ist kürzlich durch den ausgezeichneten Herrn Newton in England wieder aufgenommen worden, welcher es als eine natürliche Eigenschaft der Körper hinstellt, dass sie im Verhältniss ihrer Massen und der anziehenden Strahlen die sie erhalten, sich gegenseitig anziehen und zu einander streben. Der berühmte Herr Locke hat in seiner Antwort an den Herrn Erzbischof Stillingfleet erklärt, dass er selbst nach Einsicht des Briefes von Herrn Newton das, was er in seinem Versuch über den Verstand in Folge der neueren Ansichten gesagt, zurücknehme, nämlich dass ein Körper unmittelbar auf einander nur durch Berührung seiner Oberfläche und durch Stoss in Folge eigner Bewegung einwirken könne. Herr Locke erkennt an, dass Gott Eigenschaften in den Stoff verlegen könne, die denselben auch in die Ferne wirken lassen. In dieser Weise halten die Theologen des Augsburgischen Bekenntnisses fest, dass ein Körper je nachdem Gott es bestimme, nicht allein unmittelbar auf mehrere von einander entfernte[49] Körper einwirken, sondern dass er auch selbst bei ihnen sein und in einer Weise von ihnen aufgenommen werden könne, ohne dass die örtlichen Abstände und die räumlichen Entfernungen ein Hinderniss abgäben. Wenn diese Wirkung auch über die Kräfte der Natur gehe, so könne man doch nicht zeigen, dass sie die Macht des Schöpfers der Natur übersteige, da dieser leicht die der Natur von ihm gegebenen Gesetze aufheben oder nach seinem Gutfinden in einzelnen Fällen davon befreien könne, wie er ja in derselben Weise das Eisen auf dem Wasser habe schwimmen lassen und die Wirkung des Feuers auf den menschlichen Körper gehemmt habe.

20. Bei Vergleichung des Rationale Theologicum von Nicolas Vedelius mit der Widerlegung von Johann Musäus habe ich gefunden, dass diese beiden Schriftsteller, deren einer als Professor in Franecker gestorben ist, nachdem er in Genf gelehrt hatte und der andere zuletzt der erste Theologe in Jena geworden ist, in den Hauptregeln über den Gebrauch der Vernunft sehr übereinstimmen und dass sie nur in der Anwendung dieser Regeln auseinandergehen. Sie sind einverstanden, dass die Offenbarung nicht denjenigen Wahrheiten widersprechen könne, deren Nothwendigkeit die Philosophen eine logische oder metaphysische nennen, d.h. deren Gegensätze einen Widerspruch enthalten würden, sie geben auch beide zu, dass die Offenbarung die Regeln überschreiten könne, deren Nothwendigkeit eine physische genannt werde, und welche ihren Grund nur in den Gesetzen haben, wel che der Wille Gottes der Natur vorgeschrieben hat. Deshalb bezieht sich die Frage, ob die Gegenwart eines Körpers in mehreren Orten nach der natürlichen Ordnung möglich sei, nur auf die Anwendung jener Regel und man müsste, um diese Frage durch Vernunftschlüsse streng zu entscheiden, genau erklären, worin das Wesen der Körper bestehe. Selbst die Reformirten sind darüber nicht einig; die Cartesianer beschränken sie auf die Ausdehnung, aber ihre Gegner widersprechen und ich glaube, dass selbst Gisbert Voetius, der berühmte Utrechter Theologe, die angebliche Unmöglichkeit des Seins an mehreren Orten bezweifelte.

[50] 21. Wenn nun auch die beiden protestantischen Parteien darin einig sind, dass man die erwähnten beiden Nothwendigkeiten, die metaphysische und die physische unterscheiden müsse und dass selbst bei den Mysterien von ersterer keine Ausnahme zugelassen werden könne, so sind sie doch noch nicht genügend über die Auslegungsregeln einig, welche bestimmen, in welchen Fällen man den Buchstaben verlassen könne, wenn man noch nicht sicher ist, ob die Worte den unerlässlichen Wahrheiten widersprechen. Denn sie sind einig, dass man in gewissen Fällen die wirkliche Auslegung verlassen müsse, wenn sie auch nicht zu unbedingt Unmöglichem führt, sofern sie nur im Uebrigen wenig passt. So sind z.B. alle Ausleger einverstanden, dass unser Herr es bildlich meinte, als er sagte, Herodes sei ein Fuchs; und man muss dies annehmen, anstatt mit einigen Fanatikern sich einzubilden, dass Herodes für die Zeit, während die Worte unseres Herrn andauerten, wahrhaft in einen Fuchs verwandelt worden sei. Dies gilt aber nicht auch für die fundamentalen Stellen über die Mysterien, wo man nach den Theologen des Augsburgischen Bekenntnisses sich an den Wortsinn halten müsse. Da nun diese Frage mehr der Auslegungskunst und nicht eigentlich der Logik angehört, so gehe ich hier um so weniger darauf ein, als sie mit den Streitigkeiten wenig zusammenhängt, welche sich seit kurzem über die Uebereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft erhoben haben.

22. Die Theologen aller Parteien, denke ich (die Fanatiker ausgenommen), sind wenigstens darin einig, dass kein Glaubensartikel einen Widerspruch enthalten, noch so genauen Beweisen, wie es die mathematischen sind, widersprechen darf, bei denen das Gegentheil ihres Schlusssatzes ad absurdum, d.h. zu einem Widerspruch geführt werden kann. Der heilige Athanasius hat mit Recht über das unverständliche Geschwätz einiger Schriftsteller seiner Zeit gespottet, welche behaupteten, Gott habe ohne Leiden gelitten. Passus est impassibiliter. Welche lächerliche Lehre, die zugleich aufbaut und niederreisst. Gewisse Schriftsteller haben daher zu schnell eingewendet, dass die heilige Dreieinigkeit dem wichtigen Grundsatz widerspreche, wonach zwei Dinge, welche dieselben mit einem[51] dritten sind, auch unter einander dieselben sind; d.h. wenn A dasselbe ist wie B und wenn C dasselbe ist wie B, so müssen auch A und C unter sich dieselben sein. Denn dieser Grundsatz folgt unmittelbar aus dem Satz des Widerspruchs und ist die Grundlage der ganzen Logik; ohne ihn giebt es keine sicheren Begründungen. Wenn man also sagt, der Vater sei Gott und der Sohn sei Gott und der heilige Geist sei Gott und es dennoch nur einen Gott giebt, obgleich diese drei Personen verschieden sind, so muss das Wort Gott am Anfang dieses Satzes nicht die gleiche Bedeutung, wie am Schlusse haben. In Wahrheit bezeichnet es bald die göttliche Substanz, bald eine Person der Gottheit. Man muss also allgemein sich hüten, die nothwendigen und ewigen Wahrheiten um der Aufrechthaltung eines Mysteriums willen, Preis zu geben, weil man fürchtet, dass die Feinde der Religion daraus ein Recht hernehmen möchten, die Religion und die Mysterien überhaupt herabzuwürdigen.

23. Die Unterscheidung, die man gewöhnlich zwischen dem, was über die Vernunft geht und dem, was gegen die Vernunft geht zieht, passt gut auch zu der Unterscheidung der beiden Arten von Nothwendigkeit. Denn was gegen die Vernunft geht, geht auch gegen die unbedingt gewissen und ausnahmlosen Wahrheiten und das, was über die Vernunft geht, widerstreitet nur dem, was man zu erfahren oder zu begreifen gewöhnt ist. Ich wundere mich deshalb, dass Männer von Geist diese Unterscheidung nicht gelten lassen und dass auch Herr Bayle dazu gehört. Diese Unterscheidung hat sicherlich ihren guten Grund. Eine Wahrheit ist über unserer Vernunft, wenn unser Geist (und jeder erschaffene Geist) sie nicht zu verstehen vermag und der Art ist, nach meiner Ansicht, die heilige Dreieinigkeit. Der Art sind die Wunder, die Gott sich allein vorbehalten hat, wie z.B. die Schöpfung; der Art ist die gewählte Ordnung der Welt, welche von der allgemeinen Harmonie und von einer bestimmten gleichzeitigen Kenntniss unendlich vieler Dinge abhängt. Dagegen kann eine Wahrheit niemals gegen die Vernunft sein. Ein Glaubenssatz, der von der Vernunft bekämpft und widerlegt worden ist, kann durchaus nicht für unbegreiflich erklärt werden,[52] vielmehr kann man sagen, dass nichts leichter zu verstehen und nichts offenbarer ist, als seine Widersinnigkeit. Denn ich habe gleich Anfangs gesagt, dass unter Vernunft ich hier nicht die Meinungen und das Gerede der Menschen befasse und auch nicht deren Gewohnheit über die Dinge nach dem gewöhnlichen Lauf der Natur zu urtheilen, verstehe, sondern die unverletzliche Verknüpfung der Wahrheiten.

24. Ich muss nun zu der grossen Frage übergehen, welche Herr Bayle seit kurzem zur öffentlichen Diskussion gebracht hat, nämlich ob eine Wahrheit und insbesondere eine Glaubenswahrheit, unwiderleglichen Einwürfen ausgesetzt sein könne. Dieser ausgezeichnete Schriftsteller scheint diese Frage offen zu bejahen. Er citirt bedeutende Theologen seiner Partei und selbst solche von der römisch-katholischen Kirche, welche das von ihm Behauptete zu sagen scheinen und er nennt selbst Philosophen, nach denen sogar philosophische Wahrheiten von ihren Vertheidigern gegen die, wider sie erhobenen Einwürfe nicht würden vertheidigt werden können. Die Lehre von der Vorausbestimmung in der Theologie und die von der Bildung des Stetigen in der Philosophie soll von dieser Art sein. Sie sind allerdings die beiden Labyrinthe, welche zu allen Zeiten die Theologen und Philosophen in Athem erhalten haben. Libertus Fromond, ein Theolog von Löwen (ein grosser Freund der Jansenisten, von dem noch nach seinem Tode ein Buch unter dem Titel: Augustinus veröffentlicht worden ist, was sich viel mit der Gnade beschäftigt) der auch ein Buch geschrieben hat, was ausdrücklich lautet: Labyrinthus de compositione Continui (das Labyrinth in Zusammensetzung des Stetigen) hat die Schwierigkeiten in beiden Sätzen gut dargelegt und der bekannte Ochin hat das, was er »die Labyrinthe der Vorausbestimmung« nennt, sehr gut dargestellt.

25. Diese Schriftsteller haben aber nicht geleugnet, dass man einen Faden in diesem Labyrinthe finden könne; sie haben die Schwierigkeiten hierbei anerkannt, aber sie nicht bis zur Unmöglichkeit gesteigert. Ich für meinen Theil könnte denen nicht beitreten, welche behaupten, dass eine Wahrheit unwiderleglichen Einwürfen unterworfen sein könne; denn ist ein Einwurf etwas[53] anderes, als eine Begründung, deren Schlusssatz unserem aufgestellten Satze widerspricht? und ist eine unwiderlegliche Begründung nicht ein voller Beweis? und wie kann man die Gewissheit der Beweisführungen anders erkennen, als dass man die Begründung im Einzelnen prüft, ihre Form und ihren Inhalt, um zu sehen, ob die Form gut ist und weiter, ob jeder Vordersatz entweder zugestanden ist oder durch einen andern Grund von gleicher Kraft bewiesen ist, bis man nur noch zugestandene Vordersätze hat? Giebt es also einen solchen Einwand gegen unsern aufgestellten Satz, so muss man sagen, dass die Falschheit unseres Satzes bewiesen ist und dass wir unmöglich noch genügende Gründe für seinen Beweis haben können; denn sonst gäbe es zugleich zwei gleich wahre sich widersprechende Sätze. Den Beweisen muss man immer weichen, mögen sie auf die Bejahung eines Satzes gerichtet, oder in Form von Einwürfen aufgestellt sein. Es ist unrecht und falsch, wenn man die Beweise der Gegner unter dem Vorwande nicht gelten lassen will, dass sie blos Einwürfe seien; denn der Gegner hat das gleiche Recht und er kann die Namen umstossen, indem er seine Begründung ehrend Beweise nennt und die unserigen durch den schimpflichen Namen von Einwürfen herabzudrücken sucht.

26. Eine andere Frage ist es, ob wir die Einwürfe, welche man uns machen kann, immer zu prüfen verpflichtet seien und so über unsere Ansicht immer so lange einigermassen zweifelhaft zu bleiben, bis diese Prüfung gemacht worden, ein Zustand, den man formidinem oppositi (die Furcht vor dem Entgegengesetzten) nennt. Ich möchte dies nicht annehmen, da man sonst nie zur Gewissheit gelangen könnte und unsere Schlüsse immer nur vorläufige wären. Ich glaube, dass die tüchtigen Geometer sich wenig Sorge um die Einwürfe Scaligers gegen Archimedes und um die von Hobbes gegen Euklid machen werden und zwar weil sie ihrer wohl begriffenen Beweisführungen ganz sicher sind. Indess ist es doch mitunter gut, dass man die Geneigtheit zeigt, gewisse Einwürfe zu prüfen; einmal hilft es die Leute von ihrem Irrthume befreien, ja wir können sogar selbst davon Nutzen ziehen; denn die versteckten Fehlschlüsse enthalten oft eine nützliche Aufklärung und[54] veranlassen die Auflösung beträchtlicher Schwierigkeiten. Deshalb sind mir geistreiche Einwendungen gegen meine Ansichten immer willkommen gewesen, und ich habe sie nie ohne Nutzen geprüft. Zeugniss dessen sind die Einwürfe, welche Herr Bayle anderwärts gegen mein System der vorherbestimmten Harmonie gemacht hat, sowie die Einwürfe des Herrn Arnauld, des Herrn Abt Foucher und des Benedictiner Pater Lamy in Bezug auf denselben Gegenstand. Um indess auf die Hauptfrage zurückzukommen, so folgere ich aus den erwähnten Gründen, dass man auf jeden gegen eine Wahrheit erhobenen Einwurf immer so, wie es sich gehört, antworten kann.

27. Vielleicht nimmt auch Herr Bayle die unlösbaren Einwürfe nicht in dem von mir dargelegten Sinne; er wechselt wenigstens in seinen Ausdrücken, denn in der nach seinem Tode erschienenen Antwort an Herrn Le Clerc giebt er nicht zu, dass man gegen die Glaubenswahrheiten Beweise aufstellen könne. Er scheint deshalb die Einwürfe nur in Bezug auf unser gegenwärtiges Wissen für unwiderleglich zu halten und er verzweifelt selbst in dieser Antwort Seite 35 nicht, dass Jemand eines Tages eine bis jetzt unbekannte Auflösung finden könne. Ich werde später noch hierüber sprechen. Nach meiner Meinung, die vielleicht überraschen wird, ist indess diese Auflösung bereits vollständig gefunden. Sie gehört auch nicht zu den schwierigsten, und ein massiger Kopf kann unter genauer und aufmerksamer Benutzung der Regeln der gemeinen Logik auf die schwierigsten Einwürfe gegen die Wahrheit antworten, wenn der Einwurf nur der Vernunft entnommen ist und man ihn für einen Beweis ausgiebt. Wie sehr auch die grosse Menge der Neuern heutzutage die Aristotelische Logik verachtet, so bietet sie doch untrügliche Mittel, um dem Irrthume bei solchen Gelegenheiten zu begegnen; denn man braucht nur den Einwurf in seiner Begründung nach den Regeln zu prüfen und man wird dann immer bemerken können, ob er gegen die Form verstösst, oder ob er sich auf Vordersätze stützt, die noch nicht durch gute Gründe bewiesen sind.

28. Eine ganz andere Sache ist es, wenn es sich nur um Wahrscheinliches handelt. Die Kunst nach[55] wahrscheinlichen Regeln zu urtheilen, ist noch nicht gehörig entwickelt und unsere Logik ist hier noch unvollkommen, da wir bis jetzt nur die Lehre über die Beurtheilung der Beweise besitzen. Indess reicht diese Lehre hier aus; denn wenn es sich um einen Einwurf der Vernunft gegen einen Glaubensartikel handelt, so macht man sich wegen Einwürfen, die nur bis zur Wahrscheinlichkeit führen, keine Mühe, da alle Welt zugiebt, dass die Mysterien den Schein gegen sich haben und nicht wahrscheinlich sind, sofern man sie nur mit der Vernunft betrachtet; es genügt, dass sie nichts unvernünftiges enthalten, und sie können deshalb nur durch Beweise widerlegt werden.

29. Offenbar muss man die heilige Schrift so verstehen, wenn sie uns sagt, dass die Weisheit Gottes eine Thorheit vor den Menschen sei und wenn der heilige Paulus bemerkt, dass das Evangelium Jesu Christi für die Griechen eine Thorheit und für die Juden ein Aergerniss sei; denn im Grunde kann keine Wahrheit einer andern widersprechen und das Licht der Vernunft ist nicht minder ein Geschenk Gottes, wie das Licht der Offenbarung. Deshalb gilt für die Theologen, die ihr Fach verstehen, es als ausgemacht, dass glaubwürdige Beweggründe ein für allemal das Ansehen der heiligen Schrift vor dem Richterstuhle der Vernunft rechtfertigen, damit sodann die Vernunft ihr, wie einem neuen Licht weiche und alle ihre Wahrscheinlichkeiten ihr opfere. Es ist ohngefähr so, als wenn ein neuer, von dem Fürsten abgesandter Vorgesetzter zuvor sein Bestallungs-Patent der Versammlung vorzeigen muss, in welcher er nachher den Vorsitz haben soll. Dahin zielen mehrere gute Bücher über die Wahrheit der Religion, wie z.B. die von Augustinus Steuchus, von Du Plessis-Mornay, oder von Grotius. Denn die christliche Religion muss allerdings Kennzeichen haben, welche den falschen Religionen fehlen; andernfalls würden Zoroaster, Brahma, Somonacodom und Mahomet ebenso glaubwürdig sein, wie Moses und Christus. Auch ist der göttliche Glaube selbst, wenn er einmal in der Seele angezündet ist, etwas mehr, als eine blosse Meinung; er hängt nicht von den Gelegenheiten oder Beweggründen ab, die ihn erweckt haben; er geht über den Verstand und bemächtigt sich des Willens und des Herzens,[56] damit wir mit Eifer und Freuden handeln, wie das Gesetz Gottes es verlangt. Man braucht dann nicht mehr an die Gründe zu denken, und sich durch die Schwierigkeiten von Einwürfen aufhalten zu lassen, welche der Geist sich vorhalten kann.

30. In dieser Weise kann das, was ich von der menschlichen Vernunft gesagt, die man bald überhebt, bald erniedrigt, und zwar oft ohne Regel und Maass, zeigen, wie wenig genau wir verfahren und wie wir selbst an diesen Irrthümern mit schuld sind. Nichts könnte man leichter beenden, als jene Streitigkeiten über die Rechte des Glaubens und der Vernunft, sofern man sich nur der gewöhnlichen Regeln der Logik bedienen und nur mit einiger Aufmerksamkeit seine Begründungen machen will. Statt dessen verwickelt man sich durch scharfe und zweideutige Ausdrücke, die eine gute Gelegenheit zu Deklamationen bieten, um seinen Geist und seine Gelehrsamkeit zur Geltung zu bringen, so dass es scheint, man mag die nackte Wahrheit nicht sehen, weil man vielleicht fürchtet sie werde weniger angenehm als der Irrthum sein, und weil man die Schönheit des Schöpfers aller Dinge nicht kennt, welcher die Quelle der Wahrheit ist.

31. Diese Nachlässigkeit ist ein allgemeiner Fehler des menschlichen Geschlechts, den man dem Einzelnen nicht zur Last legen kann. Abundamus dulcibus vitiis (Wir haben Ueberfluss an süssen Lastern) wie Quintilian vom Style des Seneca sagte und wir lieben es, uns zu verirren; die Genauigkeit belästigt uns und die Regeln gelten uns nur für Kindereien. Deshalb weist man die gemeine Logik (obgleich sie ziemlich genügt, um Begründungen, die als gewiss gelten wollen, zu prüfen) den Schülern zu und man bekümmert sich nicht einmal um die Logik, welche den Grad der Wahrscheinlichkeit bestimmen soll und welche bei wichtigen Erwägungen so unentbehrlich ist. So wahr ist es, dass unsere meisten Fehler aus der Verachtung oder dem Mangel der Kunst zu Denken hervorgehen. Denn es giebt nichts unvollkommeneres, als unsere Logik, sobald man über die an sich nothwendigen Gründe hinausgeht; die vorzüglichsten Philosophen unserer Zeit, wie die Verfasser der Kunst zu Denken, der Ermittelung der Wahrheit, oder des Versuchs über den Verstand haben uns noch lange[57] nicht die wahren Mittel gezeigt, welche jene Fähigkeit passend unterstützen, mittelst welcher man die Wahrscheinlichkeit der Gründe für das Wahre und Falsche gegen einan der abwägen kann. Dabei will ich gar nicht der Kunst zu erfinden erwähnen, bei welcher die Erreichung der Wahrheit noch schwerer ist und von der man nur sehr unvollkommene Proben in der Mathematik besitzt.

32. Hauptsächlich mag zu der Meinung des Herrn Bayle, wonach man die Bedenken der Vernunft gegen den Glauben nicht genügend beseitigen könne, beigetragen haben, dass er anscheinend verlangt, Gott müsse in derselben Weise gerechtfertigt werden, wie es geschieht, wenn man einen Angeklagten vor seinem Richter vertheidigt. Er hat nicht bedacht, dass man in den Gerichtshöfen, die oft nicht bis zur Wahrheit vordringen können, genöthigt ist, sich nach den Anzeigen und nach der Wahrscheinlichkeit zu entscheiden und noch mehr nach den Vermutungen und frühern Entscheidungen, obgleich man doch anerkennt, dass die Mysterien, wie schon bemerkt, die Wahrscheinlichkeit nicht für sich haben. So kann nach Herrn Bayle z.B. die Güte Gottes bei seiner Gestattung des Uebels nicht gerechtfertigt werden, weil die Wahrscheinlichkeit gegen denjenigen Menschen spräche, welcher sich in einem dieser Erlaubniss ähnlichen Falle befände. Gott sieht voraus, dass Eva durch die Schlange verführt werden wird, sofern er sie in die Lage bringt, in der sie sich später befunden hat; dennoch hat er sie in diese Lage gebracht. Wenn nun ein Vater oder Vormund so mit seinem Kinde oder seinem Mündel verführe oder ein Freund in Bezug auf eine junge Person, deren Aufführung ihm angeht, so würde der Richter sich nicht mit den Entschuldigungen eines Advokaten beschwichtigen lassen, welcher sagt, dass jener das Uebel nur gestattet, aber weder gethan noch gewollt habe; er würde vielmehr sogar dieses Gestatten für ein Zeichen von böser Absicht nehmen und es als eine Unterlassungssünde ansehen, welche den, welcher dessen überführt ist, zum Mitschuldigen der von einem Andern begangenen Sünde macht.

33. Man muss indess bedenken, dass wenn man das Uebel vorausgesehen, welches man nicht verhindert[58] hat, obgleich man dies leicht hätte bewirken können und obgleich man selbst manches gethan, was es erleichtert hat, deshalb noch nicht nothwendig folgt, dass man ein Mitschuldiger sei. Allerdings besteht hier dafür eine starke Vermuthung, welche im gewöhnlichen Leben als Wahrheit gilt; aber bei einer genaueren Erwägung der Thatsachen würde sie zerfallen, wenn wir das Gleiche in Bezug auf Gott annehmen könnten; denn man nennt bei den Juristen dasjenige Vermuthung, was für die Wahrheit gilt, im Fall das Gegentheil nicht erwiesen wird; es sagt mehr als Vermuthung im gewöhnlichen Leben, obgleich das Wörterbuch der Akademie deren Verschiedenheit nicht entwickelt hat. Nun kann man unzweifelhaft an nehmen, dass man durch diese genaue Erwägung, wenn sie möglich wäre, einsehen würde, wie Gründe, welche gerechter und stärker als die anscheinend dagegen sprechenden, ein weiseres Wesen genöthigt haben können, das Uebel zuzulassen und selbst Dinge zu thun, welche es erleichtert haben. Ich werde später einige Beispiele dafür beibringen.

34. Ich gebe zu, dass nicht leicht ein Vater oder Vormund oder Freund in dem betreffenden Falle dergleichen Gründe haben wird, allein dies ist doch nicht unbedingt unmöglich und ein geschickter Romanschreiber würde vielleicht einen ausserordentlichen Fall auffinden, der selbst in der erwähnten Lage den Mann rechtfertigen würde; aber bei Gott braucht man keine besonderen Gründe sich zu erdenken oder festzustellen, die ihn zur Gestattung des Uebels bestimmt haben; es genügen dazu die allgemeinen Gründe. Man weiss, dass er für die ganze Welt Fürsorge trägt, deren sämmtliche Theile in Verbindung stehen und man muss daher schliessen, dass eine unendliche Menge von Rücksichten bestehen, die zusammen ihn zu dem Urtheil bestimmt haben, dass die Verhinderung gewisser Uebel nicht angemessen sei.

35. Ja man muss anerkennen, dass nothwendig solche wichtige, ja zwingende Gründe bestanden haben, welche die göttliche Weisheit zur Gestattung des Uebels, was uns auffällt, bestimmt haben, und zwar muss man dies gerade deshalb annehmen, weil sie es gestattet hat, da von Gott nur das ausgehen kann, was seiner Güte, Gerechtigkeit und Heiligkeit entspricht. So können wir[59] also aus dem Erfolge (oder a posteriori) abnehmen, dass diese Gestattung unumgänglich war, obgleich wir die einzelnen Gründe, welche Gott dafür gehabt haben mag, nicht (a priori) darlegen können; so wie ja auch diese Darlegung zu deren Rechtfertigung nicht nöthig ist. Herr Bayle selbst spricht sich hierüber ganz richtig aus (man sehe Antwort auf die Fragen, etc. Kap. 165, Thl. 3, S. 1067). Die Sünde ist in die Welt gekommen, daher hat Gott dies ohne Verletzung seiner Vollkommenheiten gestatten können; ab actu ad potentiam valet consequentia (Von der Wirklichkeit gilt der Schluss auf die Möglichkeit). Bei Gott ist diese Schlussfolgerung richtig; er hat es gethan, also hat er wohl gethan, nicht etwa deshalb, weil wir keinen solchen Begriff von der Gerechtigkeit überhaupt haben, der mit dem der göttlichen übereinstimmen könnte; auch nicht deshalb, weil die Gerechtigkeit Gottes andere Regeln hätte, als die, welche die Menschen kennen; sondern weil der hier vorliegende Fall ganz verschieden von denen ist, welche unter den Menschen gewöhnlich vorkommen. Das Recht überhaupt ist dasselbe für Gott und die Menschen, aber die Thatfrage ist in dem Falle hier ganz verschieden.

36. Man kann selbst annehmen oder sich vorstellen (wie ich schon angegeben), dass unter den Menschen manches vorkommt, was dem hier bei Gott stattfindenden Fall ähnelt. Es könnte ja ein Mensch so grosse und starke Beweise von seiner Tugend und Heiligkeit gegeben haben, dass selbst die scheinbarsten Gründe, welche man gegen ihn geltend machen könnte, um ihm ein angebliches Verbrechen, z.B. einen Diebstahl, oder einen Mord zur Last zu legen, verworfen werden und als Verleumdungen falscher Zeugen oder als ein wunderbares Spiel des Zufalls gelten müssten, die mitunter selbst den Unschuldigsten in Verdacht bringen. Es würde also in diesem Falle, wo jeder Andere Gefahr liefe verurtheilt oder zur Tortur gebracht zu werden (je nach dem lokalen Rechte), dieser Mann von seinen Richtern einstimmig freigesprochen werden. Nun könnte man in einem solchen Falle, der zwar selten aber doch nicht unmöglich ist, gewissermassen sano sensu (mit gesunden Sinnen) sagen, dass hier ein Streit zwischen der Vernunft und dem Glauben vorliege und dass die Rechtsregeln für[60] diese Person anders, als für die übrigen Menschenlauten. Allein richtig verstanden, würde dies nur erklären, dass alle scheinbaren Vernunftgründe hier dem Glauben weichen, welchen man den Worten und der Rechtlichkeit eines solchen grossen und heiligen Mannes schuldet und dass er hier ein Vorrecht vor den übrigen habe, nicht weil es für ihn ein anderes Recht giebt oder weil man noch nicht einsähe, was die Gerechtigkeit in Bezug auf ihn sei, sondern weil die allgemeinen Regeln der Gerechtigkeit hier nicht dieselbe Anwendung wie anderwärts finden, oder vielmehr, weil sie ihm zu statten kommen und nicht weil sie ihn belasten, indem dieser Mann so wundervolle Eigenschaften besitzt, dass man in Folge einer richtigen Wahrscheinlichkeitslogik seinen Worten mehr als denen vieler Anderer Glauben beimessen muss.

37. Da man sich hier mancherlei mögliche Fälle erdenken darf, könnte man sich da nicht vorstellen, dieser unvergleichliche Mann sei der Adept oder Inhaber des Steines der Weisen, der alle Könige der Erde reich machen kann und dass er in Folge dessen täglich ungeheuere Ausgaben mache, um eine Unzahl von Armen zu ernähren und vom Elend zu befreien? Wenn hier nun auch noch so viel Zeugen aufträten oder sonst scheinbare Anhalte, welche beweisen möchten, dass dieser grosse Wohlthäter des Menschengeschlechts einen Diebstahl begangen, würde da nicht doch alle Welt eine solche Anschuldigung belachen, wenn sie auch noch so scheinbar wäre? Nun ist aber Gott an Güte und Macht den Menschen unendlich überlegen und deshalb können selbst die scheinbarsten Gründe sich nicht gegen den Glauben geltend machen, d.h. gegen die Sicherheit oder gegen das Vertrauen auf Gott, mit welchem wir sagen können und sollen, dass Gott alles gemacht habe, wie es Recht ist. Somit sind die Einwürfe nicht unlöslich; sie enthalten nur Vorurtheile oder Wahrscheinlichkeiten, die aber durch unvergleichlich viel stärkere Gründe beseitigt werden. Auch muss man wissen, dass das, was wir Gerechtigkeit nennen, nichts ist in Bezug auf Gott; dass er der unbeschränkte Herr aller Dinge ist und selbst Unschuldige ohne Verletzung der Gerechtigkeit verdammen kann; oder dass die Gerechtigkeit in Bezug auf[61] ihn etwas Willkürliches ist. Allerdings sind dies kühne und gefährliche Aussprüche, zu welchen Manche sich zum Schaden der Eigenschaften Gottes haben hinreissen lassen, da man dann seine Güte und Gerechtigkeit nicht loben könnte und es dann ebenso sein würde, als wenn der böseste Geist, der Fürst der schlechten Geister, das schlechte Prinzip der Manichäer der alleinige Herr der Welt wäre, wie ich schon früher bemerkt habe. Welches Mittel hätte man dann um den wahren Gott von dem falschen Gott des Zoroaster zu unterscheiden, wenn alles von den Einfällen einer willkührlichen Macht abhinge und es für Nichts eine Regel und eine Rücksicht gäbe?

38. Ich brauche also nicht für eine so sonderbare Lehre einzutreten; es genügt, dass wir den Thatbestand nicht genügend kennen, wenn wir auf Wahrscheinlichkeiten antworten sollen, welche die Gerechtigkeit und Güte Gottes in Zweifel zu stellen scheinen und die verschwinden würden, wenn der Thatbestand uns vollständig bekannt würde. Wir brauchen auch nicht der Vernunft zu entsagen um dem Glauben zu folgen; auch nicht die Augen uns auszukratzen, um klar zu sehen, wie die Königin Christine sagte; es genügt den gewöhnlichen Schein zu verwerfen, wenn er gegen die Mysterien geht und dies widerspricht nicht der Vernunft, weil man auch bei natürlichen Dingen sehr oft aus Erfahrung oder aus höheren Gründen von dem Schein zurückkommen muss. Alles dies ist indess nur vorgebracht worden, um den eigentlichen Fehler in diesen Einwürfen und den Missbrauch der Vernunft besser einzusehen; für den vorliegenden Fall, wo man behauptet, dass die Vernunft mit stärkerer Gewalt den Glauben bekämpfe, werde ich später genauer erörtern, wie es sich mit dem Ursprunge des Uebels und der Gestattung der Sünden mit ihren Folgen durch Gott verhält.

39. Für jetzt möchte ich in der Prüfung der wichtigen Frage über den Gebrauch der Vernunft in der Theologie fortfahren und dasjenige in Betracht nehmen, was Herr Bayle an verschiedenen Stellen seiner Schriften darüber gesagt hat. Er hatte sich in seinem historischen und kritischen Wörterbuch vorgesetzt, die Einwürfe der Manichäer und Pyrrhonisten klar zu legen und diese Absicht war von einigen religiösen Eiferern getadelt[62] worden; deshalb fügte er der zweiten Ausgabe seines Wörterbuchs am Schluss eine Abhandlung bei, welche durch Beispiele, durch Autoritäten und mittelst Gründen das Unschuldige und Nützliche seines Verfahrens darlegen sollte. Nach meiner Ueberzeugung können (wie ich schon gesagt) scharfsinnige Einwürfe gegen die Wahrheit sehr nützlich sein; sie steigern das Vertrauen und die Klarheit und geben einsichtigen Männern Gelegenheit, neue Aufklärungen zu ertheilen und die alten mehr zur Geltung zu bringen. Herr Bayle sucht aber einen Nutzen, welcher dem Nutzen einer Darlegung der Macht des Glaubens ganz entgegengesetzt ist, indem er zeigt, dass die von ihm gelehrten Glaubens-Wahrheiten den Angriffen der Vernunft nicht Stand halten können und diese Wahrheiten sich doch in dem Herzen der Gläubigen aufrecht erhalten. Herr Nicolas scheint dies den Triumph der Autorität Gottes über die menschliche Vernunft zu nennen, nach den Worten, welche Herr Bayle von ihm in Theil 3 seiner Antwort auf Fragen eines Bewohners der Provinz (Kap. 177, S. 120) anführt. Allein die Vernunft ist so gut ein Geschenk Gottes, wie der Glaube; ihr Kampf wäre deshalb ein Kampf Gottes gegen Gott. Wären die Einwürfe der Vernunft gegen einige Glaubensartikel unwiderleglich, so müssten diese angeblichen Artikel als falsch und nicht offenbart gelten; der Glaube wäre denn eine Chimäre des menschlichen Geistes und sein Triumph gliche den Freudenfeuern, die man nach einer Niederlage anzündet. Von solcher Art ist die Lehre von der Verdammniss der nicht getauften Kinder, welche Herr Nicolas als eine Folge der ersten Sünde angesehen haben will; gleicher Art würde die ewige Verdammniss der Erwachsenen sein, denen das nöthige Licht zur Gewinnung des Heils gefehlt hat.

40. Indess braucht nicht jedermann an den theologischen Erörterungen Theil zu nehmen; Personen, deren Bildung sich wenig mit solchen strengen Untersuchungen verträgt, müssen sich mit der Lehre des Glaubens begnügen; begegnen sie zufällig einer Schwierigkeit, die ihnen erhebliche Bedenken macht, so dürfen sie ihre Gedanken davon abwenden, indem sie Gott ein Opfer ihrer Wissbegierde bringen, da, wenn man einer Wahrheit[63] sicher ist, man auf die Einwürfe nicht zu hören braucht. Da es viele Leute giebt, deren Glauben schwach und nicht fest genug ist, um dergleichen gefährliche Proben zu überstehen, so sollte man ihnen nicht das reichen, was für sie ein Gift sein kann und wenn man ihnen das, was zu bekannt ist, nicht verbergen kann, so muss man gleich das Gegengift damit verbinden, d.h. man muss versuchen, die Widerlegung des Einwurfs damit zu verbinden und dieselbe durchaus nicht als eine unmögliche bei Seite schieben.

41. Die Stellen, wo vortreffliche Theologen von diesem Triumph des Glaubens sprechen, können und sollen einen Sinn erhalten, welcher mit den von mir zu rechtfertigenden Grundsätzen übereinstimmt. Bei einigen Glaubenssätzen treffen zwei Eigenschaften zusammen, welche sie zum Triumph über die Vernunft befähigen; die eine ist die Unbegreiflichkeit, die andere das wenig Wahrscheinliche derselben; allein man muss sich wohl in Acht nehmen, die von Herrn Bayle erwähnte dritte Eigenschaft damit zu verbinden und zu sagen, dass das, was man glaube unbestreitbar sei, denn das hiesse, die Vernunft ihrerseits in einer Weise triumphiren zu lassen, welche den Glauben zerstören würde. Die Unbegreiflichkeit hindert uns nicht, selbst natürliche Wahrheiten zu glauben; so begreifen wir (wie ich schon bemerkt), die Natur der Gerüche und Geschmäcke nicht und trotzdem sind wir in Folge eines gewissen, den Sinnen schuldigen Glaubens überzeugt, dass diese sinnlichen Eigenschaften in der Natur der Dinge begründet, und das es keine blossen Täuschungen sind.

42. Es giebt auch Fälle, welche gegen die Wahrscheinlichkeit gehen und die man doch, wenn sie gut beglaubigt sind, anerkennt. Es giebt einen kleinen, aus dem Spanischen übernommenen Roman, mit dem Titel: Man soll nicht alles glauben, was man sieht. Welche Lüge hatte mehr den Schein für sich, als die des falschen Martin Guerre, welcher von der Frau und den Verwandten des wahren Guerre als der wahre anerkannt wurde und selbst noch nach Ankunft des letzteren die Richter und Verwandten schwanken liess; dennoch kam endlich die Wahrheit an den Tag. Ebenso ist es mit dem Glauben. Ich habe schon gesagt, dass man der Güte und Gerechtigkeit[64] Gottes nur Scheinbares entgegenstellen kann, was stark gegen einen Menschen sprechen würde, aber was in seiner Anwendung auf Gott zunichte wird, wenn man es gegen die Beweise wägt, welche uns von der unendlichen Vollkommenheit seiner Eigenschaften versichern. In dieser Weise triumphirt der Glaube über die falschen Gründe, durch die gründlichen und höheren Gründe, welche uns ihn haben annehmen lassen; er würde aber nicht triumphiren, wenn die entgegengesetzte Ansicht ebenso starke oder noch stärkere Gründe, wie die, welche das Fundament des Glaubens bilden, für sich hätte, d.h. wenn es unwiderlegliche und streng beweisbare Einwürfe gegen den Glauben gäbe.

43. Auch ist hier die Bemerkung an der Stelle, dass das, was Herr Bayle den Triumph des Glaubens nennt, zum Theil ein Triumph der beweisenden Vernunft über die scheinbaren und täuschenden Gründe ist, die man sehr unpassend diesen Beweisen entgegenstellt; denn die Einwürfe der Manichäer widersprechen nicht weniger der natürlichen Religion, als der geoffenbarten Gotteslehre. Selbst wenn man die heilige Schrift diesen Männern preisgäbe und ebenso die Erb-Sünde, die Gnade Gottes in Jesu Christo, die Höllenstrafen und die andern Artikel unsers Glaubens, so hätte man sich ihrer Einwürfe doch noch nicht entledigt; denn man könnte nicht bestreiten, dass es physische Uebel (d.h. Leiden) und moralische Uebel (d.h. Vergehen) giebt und dass das physische Uebel in dieser Welt nicht im Verhältniss zu dem moralischen Uebel vertheilt ist, obgleich doch die Gerechtigkeit dies zu verlangen scheint. So bleibt deshalb auch in der natürlichen Religion die Frage, wie ein einiges, allgütiges, allweises und allmächtiges Prinzip das Uebel habe zulassen und vor allem die Sünde habe gestatten können, und wie es sich habe entschliessen können, die Bösen oft glücklich und die Guten oft unglücklich zu machen.

44. Nun bedürfen wir nicht der geoffenbarten Religion, um zu wissen, dass es ein solches einiges Prinzip aller Dinge giebt, was vollkommen gut und weise ist. Die Vernunft lehrt es uns durch untrügliche Beweise, folglich sind alle von dem Gange der Dinge, bei dem man Unvollkommenheiten bemerkt, entnommenen[65] Einwürfe nur auf einen falschen Schein gestützt. Wären wir im Stande, die allgemeine Harmonie zu erkennen, so würden wir einsehen, dass das, was wir tadeln möchten, mit dem Plane, welcher zur Auswahl der würdigste ist, verknüpft ist; kurz, wir würden sehen und nicht blos glauben, dass das, was Gott gethan, das beste ist. Ich nenne hier sehen das, was man a priori durch die Ursachen erkennt und glauben das, was man nur aus den Wirkungen schliesst, wenn auch das eine so sicher ist, als das andere. Auch kann man hier das anwenden, was der heilige Paulus (II. Corinther, V. 7) sagt: »Wir wandeln vermöge des Glaubens und nicht vermöge des Wissens«. Da wir wissen, dass die Weisheit Gottes unbeschränkt ist, so urtheilen wir, dass die Uebel, welche wir erdulden, zugelassen sein müssen und wir urtheilen so vermöge der Wirkung selbst, oder a posteriori, d.h. weil sie wirklich bestehen. Herr Bayle erkennt dies an und damit hätte er sich begnügen und nicht verlangen sollen, dass man bewirke, dass der falsche Schein aufhöre, welcher dem entgegensteht, denn dies ist ebenso, als wenn man verlangt, dass es keine Träume und keine optischen Täuschungen mehr gebe.

45. Unzweifelhaft ist dieser Glaube und dieses Vertrauen auf Gott, welche uns seine unendliche Güte erkennen lässt und uns für seine Liebe vorbereitet trotz des Scheines von Härte, welche uns entmuthigen können, eine vortreffliche Uebung der christlichen Tugenden, wenn die göttliche Gnade in Jesu Christo diese Gemüthsbewegungen in uns erweckt. Luther hat dies richtig gegen Erasmus geltend gemacht, indem er sagt, es sei der Gipfel der Liebe, den zu lieben, welcher dem Fleisch und Blute so wenig liebenswerth, und gegen die Elenden so hart erscheine und der so schnell verdamme, selbst wegen Uebeln, wo er als deren Ursache oder als Gehülfe denjenigen erscheine, welche sich durch falsche Gründe hätten verblenden lassen. Man kann daher sagen, dass der Triumph der wahren und durch die göttliche Gnade aufgeklärten Vernunft zugleich der Triumph des Glaubens und der Liebe ist.

46. Herr Bayle scheint dies ganz anders aufgefasst zu haben; er erklärt sich gegen die Vernunft, wo es genügt, deren Missbrauch zu tadeln. Er zitirt die Worte[66] Cotta's bei Cicero, der sogar behauptet, dass wenn die Vernunft ein Geschenk der Götter sei, die Vorsehung deshalb getadelt werden müsste, weil die Vernunft uns nur zum Schaden gereiche. Herr Bayle glaubt auch, dass die menschliche Vernunft ein zerstörendes und kein erbauendes Prinzip sei (Wörterbuch, S. 2026, Col. 2); sie sei eine Läuferin, welche nicht Halt machen könne und eine zweite Penelope, die ihr eigenes Werk zerstöre.


»Destruit, aedificat, mutat quadrata rotundis.«

(Sie zerstört, baut auf und verwandelt das eckige in das runde.)


(Antwort auf die Fragen etc. Thl. 3, S. 723.) Allein er bemüht sich hauptsächlich damit, dass er eine Menge von Autoritäten über einander häuft, um zu zeigen, dass die Theologen aller Parteien den Gebrauch der Vernunft ebenso wie er selbst verwerfen und den Glanz derselben, welcher gegen die Religion geht, nur steigern, um sie durch eine einfache Verleugnung dem Glauben zu opfern, indem sie nur auf den Schlusssatz der gegen sie gerichteten Beweisführung antworten. Er beginnt mit dem Neuen Testament. Jesus Christus begnügte sich, wie Herr Bayle geltend macht, mit dem Spruch: Folget mir nach (Lucas V. 27, IX. 59). Die Apostel sagten: Glaube und du wirst gerettet sein (Apostelgeschichte XVI. 3). Der heilige Paulus gesteht, dass seine Lehre dunkel sei (I. Corinth. XIII. 12); dass man davon nichts begreifen könne, wenn Gott nicht eine geistige Einsicht mittheile; ohnedem gelte sie für Thorheit (I. Corinth. II. 14). Er ermahnt die Gläubigen, sich gegen die Philosophie wohl vorzusehen (I. Corinth. II. 8), und die Angriffe dieser Wissenschaft zu vermeiden, welche Manche zu Ungläubigen gemacht habe.

47. In Betreff der Kirchenväter verweist Herr Bayle uns an die von Herrn v. Launcy gemachte Sammlung ihrer Aussprüche gegen den Gebrauch der Philosophie und Vernunft (De varia Aristotelis Fortuna, Kap. 2) und vorzüglich auf die von Herrn Arnauld (gegen Mallet) gesammelten Aussprüche des heiligen Augustin,[67] welche dahin führen, dass die Rathschläge Gottes undurchdringlich seien; dass sie deshalb nicht weniger gerecht seien, weil wir sie nicht verstehen; dass die Philosophie ein tiefer Abgrund sei, dessen Boden man nicht erreichen könne, ohne sich der Gefahr auszusetzen, in einen Abgrund zu stürzen; dass man ohne Verwegenheit das nicht erforschen könne, was Gott habe verborgen halten wollen; dass seine Wahrheit nur gerecht sein könne; dass Viele, welche diese unbegreifliche Tiefe hätten rechtfertigen wollen, in leere Phantasien und in Meinungen voll Irrthum und Verwirrung verfallen seien.

48. Ebenso hätten die Scholastiker gesprochen. Herr Bayle erwähnt eines schönen Ausspruchs des Cardinals Cajetan (I part. Sum. qu. 22. art. 4) in diesem Sinne: »Unser Geist,« sagt dieser, »findet Ruhe, nicht bei der Gewissheit der erkannten Wahrheit, sondern bei der unerforschlichen Tiefe der verborgenen Wahrheit. So sagt der heilige Gregorius, dass wer nur von der Gottheit das glaubt, was er mit seinem Geistermessen kann, nach der Idee Gottes verlange. Man kann vielleicht manches von dem bestreiten, was wir wissen oder von dem wir sehen, dass es der Unveränderlichkeit, der Wirksamkeit, der Gewissheit, der allumfassenden Natur Gottes zukomme, indess giebt es hier wohl ein Geheimniss, entweder bei dem Verhältniss Gottes zu dem Ereigniss, oder bei dem, was das Ereigniss selbst mit Gottes Voraussicht verknüpft. Indem ich also erwäge, dass der Verstand unserer Seele nur das Auge einer Eule ist, finde ich seine Ruhe nur in seinem Nicht-Wissen. Es ist sowohl für den katholischen Glauben wie für den philosophischen Glauben besser, unsere Blindheit einzugestehen, als das für gewiss zu erklären, was unsern Geist doch nicht beruhigt, weil nur die wirkliche Gewissheit ihn beruhigt. Ich will deshalb allen jenen gelehrten Doktoren nicht Ueberschätzung vorwerfen, welche mit ihrem Stottern so viel sie konnten die Unveränderlichkeit und die oberste und ewige Wirksamkeit der Einsicht, des Willens und der Macht Gottes durch die Unfehlbarkeit seiner Wahl und das Verhältniss Gottes zu allen Ereignissen verständlich zu machen gesucht haben. Alles dies schwächt nicht[68] meine Vermuthung, dass es eine Tiefe giebt, die uns verborgen ist.«

Diese Stelle bei Cajetan ist um so bemerkenswerther, als er wohl fähig war, die Sache zu erschöpfen.

49. Die Schrift Luther's gegen Erasmus ist voll lebhafter Aeusserungen gegen die, welche geoffenbarte Wahrheiten dem Richterstuhl der Vernunft unterwerfen wollen. Calvin spricht oft in denselben Tone gegen die neugierige Kühnheit derer, welche in die Rathschläge Gottes eindringen wollen. Er erklärt in seinem Buche über die Vorherbestimmung, dass Gott gerechte Ursachen für Verwerfung eines Theils der Menschen gehabt, dass wir sie aber nicht kennen. Endlich zitirt Herr Bayle auch mehrere Neuere, die sich in demselben Sinne ausgesprochen haben (Antwort auf die Fragen etc. Kap. 160 u. f.).

50. Indess beweisen alle diese Aussprüche und eine Unzahl ähnlicher nicht, dass die Einwürfe gegen den Glauben so unlösbar sind, als Herr Bayle es annimmt. Allerdings sind die Rathschläge Gottes undurchdringlich, aber es giebt keine unwiderleglichen Einwürfe aus denen man schliessen könnte, dass sie ungerecht seien. Was bei Gott als Ungerechtigkeit und in dem Glauben als Thorheit erscheint, ist nur Schein. Die berühmte Stelle Tertullian's (de carne Christi; vom Fleisch Christi), »dass Gottes Sohn gestorben, ist zu glauben, weil es widersinnig ist und dass er begraben, wieder auferstanden, ist gewiss, weil es unmöglich ist, ist nur ein Spott, der von dem Schein der Widersinnigkeit zu verstehen ist.« Aehnliche Stellen enthält die Schrift Luther's über den knechtischen Willen, z.B. in Kapitel 174, wo er sagt: »Wenn es dir gefällt, dass Gott die Unwürdigen krönt, so darf es dir nicht missfallen, wenn er die straft, welche es nicht verdienen.« Dies will, auf einen gemässigteren Ausdruck zurückgeführt, sagen: Wenn man es billige, dass Gott ewigen Ruhm denen gewährt, die nicht besser als die anderen sind, so darf man es auch nicht missbilligen, wenn er die verlässt, welche nicht schlechter als die anderen sind. Um zu erkennen, dass Luther hier nur von der anscheinenden Ungerechtigkeit spricht, denke man nur an die Worte[69] Luthers in derselben Schrift: »In allem Uebrigen erkennen wir in Gott eine erhabene Majestät; nur bei seiner Gerechtigkeit wagen wir Einwendungen und wir wollen nicht recht (tantisper) glauben, dass er gerecht sei, obgleich er uns verspricht, dass die Zeit kommen werde, wo sein Ruhm offenbar und alle Menschen anerkennen werden, dass er gerecht gewesen ist und noch ist«.

51. Auch zeigt sich, dass die Kirchenväter bei ihren Erörterungen die Vernunft nicht einfach verworfen haben. Bei ihrem Kampfe gegen die Heiden, bemühen sie sich in der Regel mit der Darlegung, dass das Heidenthum der Vernunft widerspreche und dass die christliche Religion auch von dieser Seite den Vortheil für sich habe. Origenes hat dem Celsus gezeigt, wie vernünftig das Christenthum ist und weshalb trotzdem die Mehrheit der Christen ohne Prüfung glauben sollen. Celsus hatte über das Verhalten der Christen gespottet, »die,« wie er sagt, »weder Gründe hören, noch selbst von dem was sie glauben, Gründe geben wollen und sich begnügen zu sagen: Prüfet nicht, sondern glaubt; oder auch: Euer Glaube wird euch erretten; und es ist ihr Grundsatz, dass die Weisheit dieser Welt vom Uebel sei.«

52. Origenes antwortet darauf als ein kluger Mann (Buch I. Kap. 2) und den Grundsätzen gemäss, die ich oben aufgestellt habe. Die Vernunft sei nämlich dem Christenthum durchaus nicht entgegen, diene ihm vielmehr zur Grundlage und bewirke, dass diejenigen es annehmen, welche diese Prüfung vornehmen können. Allein nur Wenige seien dazu fähig und deshalb genüge im Allgemeinen das göttliche Geschenk eines einfachen Glaubens, welcher zum Guten führt. »Wenn es möglich wäre,« sagt er, »dass alle Menschen von ihren täglichen Geschäften abliessen und sich dem Studium und Nachdenken hingäben, so bedürfte es keines andern Mittels, damit sie die christliche Religion annähmen. Denn, ohne dass ich Jemand verletzen will« (er deutet damit an, dass die heidnische Religion eine Thorheit sei, will es aber nicht ausdrücklich sagen), »wird man in ihr nicht weniger Gedankenstrenge, wie anderwärts finden; sowohl in der Erörterung ihrer Glaubenssätze, wie bei[70] der Erläuterung der räthselhaften Aussprüche ihrer Propheten und bei der Erläuterung der evangelischen Gleichnisse und unzähliger anderer Dinge, die sich ereignet haben oder symbolisch angeordnet worden sind. Allein da die Nothdurft des Lebens und die Schwäche der Menschen nur einer kleinen Zahl gestattet, sich dem Studium zuzuwenden, so konnte man zum Nutzen aller übrigen Menschen kein besseres Mittel auffinden, als das, was nach Jesus Christus zur Bekehrung der Völker angewendet werden sollte. Ich möchte wohl, dass man in Bezug auf die grosse Zahl derer, welche glauben, und dadurch sich vor den Lockungen des Lasters geschützt haben, in welche sie früher versunken waren, sagte, ob es besser sei, in dieser Art seine Sitten geändert und sein Leben gebessert zu haben, indem man ohne Prüfung glaubt, dass die Sünden bestraft und die guten Handlungen belohnt werden, oder ob man so lange mit seiner Bekehrung zu warten habe, bis man die Lehre nicht blos glaubt, sondern sorgfältig deren Fundamente geprüft haben werde? Sicherlich würden bei Einhaltung des letzteren Verfahrens nur Wenige dahin gelangen, wohin ein einfacher und unbewaffneter Glaube führt, vielmehr würde die Mehrzahl in ihren Lastern verharrt haben.«

53. Herr Bayle versteht diese Worte (in seiner Erläuterung der manichäischen Einwürfe, welche dem Schluss der zweiten Ausgabe seines Wörterbuchs beigefügt sind), wo Origenes andeutet, dass die Religion die Probe der Untersuchung ihrer Dogmen bestehen werde, in dem Sinne, als wenn dieselben sich nicht auf die Philosophie bezögen, sondern nur auf die Genauigkeit, mit welcher man das Ansehen und den wahren Sinn der heiligen Schrift feststelle. Allein nichts bestätigt diese Einschränkung; Origenes schrieb gegen einen Philosophen, welcher sich einer solchen Einschränkung nicht gefügt haben würde; vielmehr scheint dieser Kirchenvater haben zeigen wollen, dass man bei den Christen ebenso genau, wie bei den Stoikern und einigen andern Philosophen sei, welche ihre Lehre bald auf die Vernunft, bald auf die Autoritäten stützten, wie z.B.[71] Chrysipp, welcher seine Philosophie sogar in den Symbolen des heidnischen Alterthums erkannte.

54. Celsus macht an derselben Stelle den Christen noch einen andern Vorhalt; er sagt: »Wenn sie sich für gewöhnlich in ihr: ›Prüfet nicht, sondern glaubt‹ einschliessen, so müssen sie mir wenigstens die Dinge nennen, die ich glauben soll.« Hierin hat er ohne Zweifel recht; es geht gegen die, welche sagen, Gott sei gut und gerecht und die dabei doch behaupten, dass wir keinen Begriff von der Güte und Gerechtigkeit hätten, die wir ihm beilegen. Allein man darf nicht immer das, was ich »adäquate Begriffe« nenne, verlangen, deren Inhalt ganz herausgehoben ist; denn selbst die sinnlichen Eigenschaften, wie die Hitze, das Licht, die Süssigkeit können uns nicht einmal solche adäquate Begriffe bieten. Ich gebe daher zu, dass die Mysterien zwar eine Erläuterung erhalten können, aber dass diese unvollkommen bleibt. Es genügt, wenn wir eine analoge Einsicht in ein Mysterium haben, wie z.B. in die Dreieinigkeit und in die Fleischwerdung, damit wir bei deren Annahme nicht Worte ohne allen Sinn aussprechen; aber die Erklärung braucht nicht so weit zu gehen, als wir wünschen, d.h. dass sie bis zu deren Begreifung oder bis zu dem Wie ginge.

55. Es ist deshalb auffallend, dass Herr Bayle den Richterstuhl der gemeinen Begriffe ablehnt (im 3. Thl. seiner Antwort auf die Fragen etc. S. 1063 und 1140), als wenn man die Idee der Güte nicht zu Rathe ziehen dürfte, wenn man den Manichäern antwortet, während, er selbst sich in seinem Wörterbuch ganz anders ausgedrückt hatte. Nothwendig müssen doch die, welche über die Frage streiten, ob es nur ein, durchaus gutes Prinzip, oder ob es zwei Prinzipien, ein gutes und ein böses gebe, über den Sinn von gut und böse einig sein. Wir verstehen, was unter Verbindung gemeint ist, wenn man zu uns von der Verbindung eines Körpers mit einem Körper spricht, oder von der einer Substanz mit ihrem Accidenz, oder eines Subjekts mit seinem Prädikat, oder eines Ortes mit dem Beweglichen, oder einer Thätigkeit mit ihrer Kraft; wir verstehen es auch einigermassen, wenn wir von der Verbindung der Seele mit dem Körper sprechen, um daraus eine Person zu[72] bilden. Denn wenn ich auch nicht behaupte, dass die Seele die Gesetze des Körpers ändere, noch der Körper die der Seele, ich vielmehr zur Vermeidung dieser Störung die vorausbestimmte Harmonie eingeführt habe, so beharre ich doch bei der Zulassung einer wahren Verbindung der Seele mit dem Körper, welche daraus ein Unterliegendes macht. Diese Verbindung ist metaphysisch, während eine Verbindung durch Einfluss physisch sein würde. Sprechen wir aber von der Verbindung des Wortes Gottes mit der menschlichen Natur, so müssen wir uns mit einer analogen Kenntniss begnügen, wie sie die Vergleichung der Verbindung der Seele mit dem Körper uns zu geben vermag und wir müssen uns zuletzt damit begnügen, dass die Fleischwerdung die engste Verbindung bezeichnet, welche zwischen Schöpfer und Geschöpf bestehen kann, und weiter brauchen wir nicht zu gehen.

56. Dasselbe gilt für andere Mysterien, wo masshaltende Köpfe immer eine Erklärung finden werden, die zum Glauben genügt und nie eine, wie sie zum begreifen nöthig ist. Es genügt uns ein gewisses Was (ti esti); aber das Wie (pôs) überschreitet unsern Verstand und ist uns nicht nöthig. Man kann Erklärungen von den Mysterien geben, die hier und dort Verbreitung finden, wie die Königin von Schweden in einer Schaumünze über die von ihr niedergelegte Krone sagte: Non mi bisogna e non mi basta. (Ich brauche sie nicht und sie genügt mir nicht).

Wir haben auch nicht nöthig (wie ich schon gesagt), die Mysterien a priori zu beweisen oder den Grund von ihnen anzugeben; es genügt uns, dass die Sache sich so verhält (to hoti), wenn wir auch das Warum (to dioti) nicht kennen, was Gott sich vorbehalten hat. Die Verse, welche Scaliger hierüber gedichtet, sind schön und berühmt:


Suche nicht neugierig nach den Ursachen von Allem,

Und welche Kraft den Büchern der Propheten gegeben worden,

Die vom Himmel gekommen und voll ist von dem wahrhaftigen Gotte;[73]

Noch wage einzubrechen in das mit dem Schleier des heiligen Schweigens,

Bedeckte, sondern gehe schamhaft vorüber.

Der Wille, das nicht-zu-wissen, was der beste Herr,

Nicht-lehren will, ist die gelehrte Unwissenheit.


Herr Bayle, der sie berichtet (Antwort etc., Theil 3, S. 1055) vermuthet wohl richtig, das Scaliger sie bei Gelegenheit der Streitigkeiten zwischen Arminius und Gomarus gemacht hat. Ich glaube dass Herr Bayle sie aus dem Kopfe citirt hat, denn er sagt »vom Himmel geweiht«, statt »vom Himmel gekommen«; dagegen ist es ein offenbarer Druckfehler, wenn es heisst prudenter statt pudenter (klug statt schamhaft), d.h. bescheiden, was der Vers fordert.

57. Der in diesen Versen enthaltene Rath ist der beste, den man geben kann und Herr Bayle sagt ganz richtig (S. 729), »dass die, welche meinen, dass das Verhalten Gottes zur Sünde und deren Folgen, der Art sei, wie sie es zu rechtfertigen nicht vermögen, sich ihren Gegnern auf Gnade und Ungnade überliefern«. Man braucht indess hier nicht zwei sehr verschiedene Dinge mit einander zu verbinden, das: eine Sache rechtfertigen und sie gegen die Einwürfe aufrecht erhalten; wie er in dem thut, was er gleich beifügt: »Sie müssen ihrem Gegner überall folgen, wohin er sie führen will, ja sie würden beschämt zurückweichen und um Pardon bitten, wenn sie einräumten, dass unser Geist für die volle Auflösung aller Einwürfe eines Philosophen zu schwach sei«.

58. Es scheint, als wenn hier nach Herrn Bayle das: rechtfertigen weniger sei, als das: auf die Einwürfe antworten, weil er dem, der das erstere unternähme, droht, dass er dann auch zum zweiten verpflichtet sei. Allein ganz im Gegentheil braucht der Vertheidiger (respondens, der Antwortende) seinen Satz nicht zu rechtfertigen, wohl aber hat er den Einwürfen des Gegners Genüge zu leisten. Ein Vertheidiger in Processen braucht (in der Regel) sein Recht nicht zu beweisen oder seine Besitztitel im voraus anzugeben, aber er hat auf die Gründe des Klägers zu antworten und ich habe mich zehnfach gewundert, dass ein so genauer[74] und scharfsinniger Mann, wie Herr Bayle, hier so oft Dinge vermengt, die so verschieden sind wie die drei Thätigkeiten der Vernunft, das Begreifen, das Beweisen und das Antworten auf Einwürfe; als wenn bei dem Gebrauch der Vernunft in der Theologie das eine so viel gälte, wie das andere. So sagt er in den nach seinem Tode erschienenen Unterhaltungen S. 73: »Herr Bayle hat kein Princip mehr betont, als das, wonach die Unbegreiflichkeit eines Glaubenssatzes und die Unwiderleglichkeit der dagegen vorgebrachten Einwürfe keinen zulässigen Grund für dessen Verwerfung abgiebt.« Dies mag für die Unbegreiflichkeit gelten, aber nicht für die Unwiderleglichkeit. Denn das hiesse so viel, als dass ein unwiderleglicher Einwurf gegen einen Satz kein zulässiger Grund für dessen Verwerfung sei; denn welchen andern Grund für eine solche Verwerfung könnte es geben, wenn ein unwiderleglicher Einwurf es nicht sein sollte? Welches Mittel hätte man dann, um falsche verkehrte Meinungen zu widerlegen?

59. Es wird hier die Bemerkung an ihrer Stelle sein, dass ein Beweis a priori den betreffenden Satz aus einem genügenden Grunde rechtfertigt und wer solche Gründe genau und genügend aufzustellen vermag, ist fähig, den Satz zu begreifen. Schon die scholastischen Theologen haben Raymond Lullius deshalb getadelt, als er die Dreieinigkeit durch die Philosophie beweisen wollte. Diese Absicht zeigt sich in sei nen Werken und als Bartholomäus Keckermann, ein angesehener reformirter Schriftsteller, einen ähnlichen Versuch bei demselben Mysterium machte, so traf ihn der gleiche Tadel von einigen neueren Theologen. Man wird deshalb denjenigen tadeln, welcher dieses Mysterium begründen und begreiflich machen will, aber man wird den loben, welcher sich bemüht, es gegen die Einwürfe der Gegner aufrecht zu erhalten.

60. Ich habe schon gesagt, dass die Theologen zwischen dem unterscheiden, was über der Vernunft und dem, was gegen die Vernunft ist; es gilt ihnen das als über der Vernunft, was man nicht begreifen kann und wofür man den Grund nicht angeben kann. Dagegen wird jeder Satz gegen die Vernunft sein, welcher durch unwiderlegliche Gründe bekämpft werden[75] kann, oder dessen Gegentheil auf genaue und zuverlässige Weise bewiesen werden kann. Sie erkennen deshalb an, dass die Mysterien über der Vernunft sind, aber sie geben nicht zu, dass sie gegen dieselbe sind. Der englische Verfasser einer scharfsinnigen, aber gemissbilligten Schrift mit dem Titel: Das Christenthum ist kein Mysterium, hat diese Unterscheidung nicht wollen gelten lassen, allein es scheint, dass er ihr keinen Schaden gethan hat. Auch Herr Bayle ist mit dieser angenommenen Unterscheidung nicht einverstanden; er sagt (Thl. 3 der Antwort auf die Fragen etc. Kap. 158), indem er zunächst (S. 998) mit Herrn Saurin die zwei Sätze unterscheidet: »Alle Glaubenssätze des Christenthums vertragen sich mit der Vernunft,« und »die menschliche Vernunft weiss, dass sie sich mit der Vernunft vertragen,« dass er den ersten annähme, aber nicht den zweiten. Ich bin derselben Ansicht, wenn man unter den Worten: »dass ein Glaubenssatz sich mit der Vernunft vertrage« versteht, dass sich ein Grund dafür angeben lasse, oder das Wie durch die Vernunft erklärt werden könne; denn Gott vermag dies unzweifelhaft, aber nicht wir. Indess müssen nach meiner Ansicht beide Sätze zugegeben werden, wenn man unter dem »Wissen, dass ein Glaubenssatz sich mit der Vernunft vertrage,« meint, dass wir nöthigenfalls zeigen können, dass kein Widerspruch zwischen diesem Glaubenssatz und der Vernunft bestehe und dass die Einwürfe derer, welche behaupten, dass dieser Glaubenssatz etwas Widersinniges sei, sich abweisen lassen.

61. Herr Bayle erklärt sich hier in ungenügender Weise. Er erkennt ganz richtig an, dass unsere Mysterien der höchsten und allgemeinen Vernunft entsprechen, wie sie in dem göttlichen Geiste enthalten sei, oder der Vernunft überhaupt; allein er bestreitet, dass sie dem Theile der Vernunft entsprechen, deren der Mensch zur Beurtheilung der Dinge sich bedient. Indess ist doch dieser Theil ein Geschenk Gottes und er besteht in dem natürlichen Licht, welches uns mitten in der Verderbniss geblieben ist. Dieser Theil stimmt mit dem Ganzen und unterscheidet sich von der Vernunft bei Gott nur wie der Tropfen Wasser vom Ozean, oder vielmehr wie das Endliche vom Unendlichen. Deshalb[76] können die Mysterien die menschliche Vernunft übersteigen, aber sie können ihr nicht widersprechen. Man kann hier nicht einem Theile widersprechen, ohne dem Ganzen zu widersprechen: Was einem Lehrsatz des Euklides widerspricht, widerspricht dem ganzen Werke des Euklides. Das, was in uns den Mysterien entgegen ist, ist nicht die Vernunft, noch das natürliche Licht, d.h. die Verknüpfung der Wahrheiten, sondern dies ist die Verderbniss, der Irrthum, das Vorurtheil, die Finsterniss.

62. Herrn Bayle genügt (S. 1002) die Meinung von Josua Stegmann und von Herrn Turretin, zwei protestantischen Theologen, nicht, nach denen die Mysterien nur der verderbten Vernunft widersprechen. Er fragt spöttisch, ob man unter der rechten Vernunft vielleicht die eines orthodoxen Theologen und unter der verderbten Vernunft vielleicht die eines Ketzers verstehe und er entgegnet, dass die Erkenntniss des Mysteriums der Dreieinigkeit in der Seele Luther's nicht grösser gewesen, als in der Seele Socin's. Indessen ist, wie Herr Descartes richtig bemerkt, der gesunde Sinn Allen zu Theil geworden und es werden daher mit demselben sowohl die Orthodoxen wie die Ketzer begabt sein. Die rechte Vernunft ist eine Verknüpfung der Wahrheiten und die verdorbene Vernunft mischt Vorurtheile und Leidenschaften ein. Um die eine von der andern zu unterscheiden, braucht man nur ordentlich vorzuschreiten, keinen Satz ohne Beweis zuzulassen und keinen Beweis anzunehmen, welcher sich nicht mit den bekanntesten Regeln der Logik in Uebereinstimmung befindet. In Sachen der Vernunft braucht man kein anderes Kennzeichen, noch einen andern Schiedsrichter. Nur weil man dies nicht beachtet, hat man den Skeptikern Raum verschafft, so dass selbst in der Theologie Franz Veron und einige Andere, welche den Kampf gegen die Protestanten bis zur Hinterlist getrieben haben, sich blind dem Skepticismus ergeben haben, um zu zeigen, dass man sich nothwendig einem äussern untrüglichen Richter unterwerfen müsse, wobei sie allerdings die Billigung einsichtiger Männer, selbst von ihrer Partei nicht gefunden haben; denn Calixtus und Daillé haben darüber[77] verdientermassen gespottet und Bellarmin hat ganz anders geurtheilt.

63. Ich komme nun zu dem, was Herr Bayle über die fragliche Unterscheidung sagt (S. 999): »Es scheint mir,« sagt er, »dass sich in der berüchtigten Unterscheidung eine Zweideutigkeit eingeschlichen hat, die man zwischen dem, was über die Vernunft, und dem, was gegen die Vernunft ist, macht. Man sagt gewöhnlich, dass die Mysterien über der Vernunft sind, aber nicht gegen die Vernunft. Ich glaube nämlich, dass man dem Worte: Vernunft in dem ersten Satze nicht denselben Sinn, wie in dem zweiten beilegt; in dem ersten versteht man darunter die Vernunft des Menschen oder die Vernunft in concreto, und in dem zweiten die Vernunft überhaupt, oder die Vernunft in abstracto. Denn nähme man an, dass man in beiden darunter die Vernunft überhaupt oder die höchste Vernunft, die allgemeine Vernunft, wie sie in Gott ist, versteht, so ist es gleich wahr, dass die Mysterien der Evangelien weder über noch gegen die Vernunft sind; versteht man aber in beiden Sätzen darunter die menschliche Vernunft, so kann ich die Richtigkeit dieser Unterscheidung nicht einsehen, denn selbst die strengsten Orthodoxen gestehen, dass wir die Uebereinstimmung unserer Mysterien mit den Sätzen der Philosophie nicht kennen. Deshalb scheinen sie uns mit unserer Vernunft nicht übereinzustimmen und was damit nicht übereinstimmt, scheint uns gegen unsere Vernunft zu sein, ebenso wie das, was mit der Wahrheit nicht übereinstimmt, uns gegen die Wahrheit erscheint. Weshalb soll man also nicht ebenso sagen, dass die Mysterien gegen unsere schwache Vernunft sind, als dass sie über unsere schwache Vernunft sind.« Ich antworte, wie ich schon gethan habe, dass die Vernunft hier die Verknüpfung der Wahrheiten ist, die man durch das natürliche Licht kennt, und in diesem Sinne ist die angenommene Unterscheidung wahr und ohne Zweideutigkeit. Die Mysterien übersteigen unsere Vernunft, weil sie Wahrheiten enthalten, welche in dieser Verknüpfung nicht begreiflich sind, aber sie sind nicht gegen die Vernunft und widersprechen keiner Wahrheit, zu welcher diese Verknüpfung uns führen kann. Es handelt sich[78] deshalb hier nicht um die allgemeine Vernunft, sondern um die unsrige. Auf das, was in Frage steht, ob wir die Uebereinstimmung der Mysterien mit unserer Vernunft kennen, antworte ich, dass wir wenigstens niemals eine Nicht – Uebereinstimmung noch einen Gegensatz zwischen den Mysterien und der Vernunft kennen und da man den angeblichen Gegensatz immer aufheben kann, so wird man, wenn man dies Versöhnung oder Vereinigung des Glaubens mit der Vernunft nennt, sagen müssen, dass wir diese Gleichmässigkeit und diese Uebereinstimmung einsehen können. Soll dagegen die Uebereinstimmung in einer vernünftigen Erklärung des Wie bestehen, so kennen wir sie nicht.

64. Herr Bayle entnimmt noch einen sinnreichen Einwurf von einem Beispiel des Gesichtssinnes. Er sagt: »Wenn ein viereckiger Thurm uns aus der Ferne rund erscheint, so bekunden unsere Augen nicht nur, dass sie an diesem Thurme nichts viereckiges bemerken, sondern auch, dass sie eine runde Gestalt wahrnehmen, die mit der viereckigen Gestalt unverträglich ist. Man kann deshalb sagen, dass die Wahrheit, d.h. die viereckige Gestalt, nicht blos über, sondern gegen das Zeugniss unserer schwachen Augen ist.« Man muss hier zugeben, dass diese Bemerkung richtig ist, und obgleich es wahr ist, dass der Schein des Runden lediglich von der Beraubung des Scheines der Ecken kommt, welche die Entfernung verschwinden macht, so bleibt es doch wahr, dass das Runde und das Viereckige entgegengesetzte Dinge sind. Ich entgegne deshalb auf diesen Einwand, dass die Wahrnehmungen der Sinne, selbst wenn sie alles leisten, was von ihnen abhängt, oft der Wahrheit entgegen sind; allein so verhält sich nicht die Fähigkeit zu begründen, wenn sie ihre Pflicht thut, weil eine genaue Begründung nur in einer Verknüpfung von Wahrheiten besteht. Und in Bezug auf den Gesichtssinn, hat man wohl zu erwägen, dass es noch anderen falschen Schein giebt, der nicht von der Schwäche unserer Augen kommt, noch von dem, was durch die Entfernung verschwindet, sondern von der Natur des Sehens selbst, wenn es auch noch so vollkommen ist. Daher kommt es, dass man den Kreis von der Seite wie eine Art Oval sieht, welches die[79] Geometer Ellipse nennen, ja manchmal wie ein Parabel oder Hyperbel bis zur geraden Linie, wie der Ring des Saturns bestätigt.

65. Die äussern Sinne täuschen, streng genommen, uns nicht, vielmehr ist es unser innerer Sinn, der uns manchmal voreilig macht. Auch bei den Thieren findet man dies, so bellt ein Hund sein Bild im Spiegel an. Bei den Thieren schliessen sich an die Wahrnehmungen weitere Vorstellungen an, die den Begründungen ähneln und die auch bei dem innern Sinn des Menschen vorkommen, wenn er sich nur wahrnehmend verhält. Allein die Thiere thun nichts, was uns glauben lassen könnte, dass sie das besitzen, was man im eigentlichen Sinne eine Ueberlegung nennt, wie ich schon anderwärts gezeigt habe. Wenn nun der Verstand die falsche Annahme des inneren Sinnes benützt und verfolgt (wie z.B. Galilei glaubte, Saturn habe zwei Henkel), so täuscht er sich durch das Urtheil, welches er über die Wirkung der Wahrnehmung fällt und er schliesst daraus mehr, als sie enthält; denn die Wahrnehmungen der Sinne gewähren uns so wenig, wie die Träume die Wahrheit der Dinge. Wir selbst sind es, die wir uns durch den von den Wahrnehmungen gemachten Gebrauch, d.h. durch das daran Angeknüpfte täuschen. Wir lassen uns durch wahrscheinliche Gründe bestimmen und wir neigen zu der Meinung, dass Erscheinungen, die wir oft mit einander verbunden angetroffen haben, es immer seien. So trifft es sich oft, dass was ohne Ecken erscheint, auch keine hat und wir glauben deshalb leicht, dass dies sich immer so verhält. Ein solcher Irrthum ist verzeihlich und manchmal unvermeidlich, wenn es auf schnelles Handeln ankommt und man deshalb das Wahrscheinlichste wählen muss; haben wir aber Musse und Zeit zur Sammlung, so fehlen wir, wenn wir das für sicher halten, was es nicht ist. Die Wahrnehmungen sind deshalb oft gegen die Wahrheit, aber unsere Ueberlegungen und Folgerungen sind es niemals, sofern sie genau und den Regeln des Denkens entsprechend, angestellt werden. Verstände man unter Vernunft überhaupt die Fähigkeit gut oder schlecht zu überlegen und zu folgern, so könnte sie uns täuschen und würde es auch thun und das was uns unserer Vernunft dann scheint, wäre dann ebenso trügerisch,[80] wie der Schein der Sinne; allein hier handelt es sich um die Verknüpfung von Wahrheiten und um regelmässige Einwürfe und in diesem Sinne ist es unmöglich, dass die Vernunft uns täusche.

60. Man ersieht auch aus allem hier Gesagten, dass Herr Bayle das Sein zu hoch über die Vernunft stellt, als wenn es die Unwiderleglichkeit der Einwürfe enthalte; denn nach ihnen (Kap. 130, Antwort etc. Theil 3, S. 651) kann, »sobald ein Glaubenssatz über die Vernunft geht, die Philosophie denselben weder erklären, noch begreifen, noch auf die Schwierigkeiten, die ihn treffen, entgegnen.« Für das Begreifen stimme ich zu, aber ich habe bereits gezeigt, dass die Mysterien einer Erklärung der Worte bedürfen, damit sie nicht leere Laute bleiben (sine mente, soni), die nichts bezeichnen und ich habe auch gezeigt, dass man nothwendig den Einwürfen begegnen könne, denn sonst müsse der Satz verworfen werden.

67. Er zitirt Theologen, welche die Unlöslichkeit der Einwürfe gegen die Mysterien anscheinend anerkennen, hauptsächlich Luther; aber ich habe schon beim Kap. 12., da wo er sagt, die Philosophie widerspreche der Theologie, darauf geantwortet. Es giebt noch eine andere Stelle (Kap. 246 de servo arbitrio), wo Luther sagt, dass die anscheinende Ungerechtigkeit Gottes durch die Gründe bewiesen werde, welche von der Noth der Guten und dem Glücke der Schlechten hergenommen werden; er meint, hier könne weder die Vernunft noch das natürliche Licht etwas darauf entgegnen (argumentis talibus traducta, quibus nulla ratio aut lumen naturae potest resistere). Allein aus dem darauf Folgenden ersieht man, dass er dies nur von Denjenigen meint, welche ein jenseitiges Leben nicht kennen, weil er sagt, dass ein kleines Wort des Evangeliums diese Schwierigkeit beseitige, indem es uns lehrt, dass es noch ein anderes Leben giebt, wo der seine Strafen und seinen Lohn empfangen werde, bei dem hier dies nicht geschehen sei. Der Einwurf ist deshalb nichts weniger als unwiderleglich und selbst ohne das Evangelium könnte man auf diese Antwort kommen. Bayle zitirt auch noch (Antwort etc. Thl. 3, S. 652) einen Ausspruch von Martin Chemnitz, welcher Vedelius getadelt[81] und Johann Musäus vertheidigt hat, wo dieser berühmte Theolog klar zu sagen scheint, dass es in dem Worte Gottes Wahrheiten gäbe, die nicht blos über die Vernunft, sondern auch gegen die Vernunft seien; allein man darf diesen Ausspruch nur von den Regeln der Vernunft verstehen, welche mit der Ordnung der Natur übereinstimmen, wie Musäus es ebenfalls annimmt.

68. Indess findet Herr Bayle allerdings einige ihm günstige angesehene Gewährsmänner, von denen Herr Descartes einer der bedeutendsten ist. Dieser grosse Mann sagt geradezu (Thl. I. seiner Prinzipien Art. II): »dass wir allerdings ohne Mühe uns aus der Schwierigkeit befreien können (die darin liege, wie man unsere Willensfreiheit mit der Ordnung der ewigen Vorsehung Gottes vereinigen solle), wenn wir bedenken, dass unser Denken endlich ist und dass das Wissen und die Allmacht Gottes unendlich ist, vermöge derer er nicht allein von Ewigkeit her alles was ist und sein kann, gewusst, sondern auch gewollt hat. Wir haben daher genug Einsicht, um klar und bestimmt zu wissen, dass dieses Wissen und diese Macht in Gott ist; aber wir haben nicht das genügende Wissen, um den Umfang jener so zu begreifen, dass sie die Handlungen der Menschen doch völlig frei und unbestimmt lassen. Jedenfalls darf die Macht und das Wissen Gottes uns nicht an unserm freien Willen zweifeln lassen, denn wir hätten Unrecht, wenn wir das innerlich von uns Wahrgenommene bezweifeln wollten, dessen Sein in uns wir aus Erfahrung kennen, weil wir das nicht begreifen, was wir als seiner Natur nach als unbegreiflich kennen.«

69. Diese Stelle bei Descartes, welche seine Anhänger festhalten, (denen es nur selten beikommt, seine Behauptungen zu bezweifeln), ist mir immer sonderbar vorgekommen. Er begnügt sich nicht zu sagen, dass er für seine Person kein Mittel wisse, um diese beiden Lehrsätze mit einander auszugleichen, sondern es soll dies für das ganze menschliche Geschlecht, ja für alle vernünftigen Geschöpfe gelten. Musste er sich nicht fragen, ob ein unwiderleglicher Einwurf gegen die Wahrheit möglich sei? Denn ein solcher Einwurf ist nur eine nothwendige Verknüpfung anderer Wahrheiten,[82] deren Wahrheit dem als wahr behaupteten Satze entgegen sein würde, so dass es einen Widerspruch zwischen mehreren Wahrheiten gäbe, was der grösste Widersinn sein würde. Auch ist zwar unser Geist endlich und kann das Unendliche nicht begreifen; aber trotz dem hat er Beweise in Bezug auf das Unendliche, deren Stärke oder Schwäche er kennt; und weshalb sollte er diese nicht auch bei den Einwürfen erkennen können? Weil die Macht und Weisheit Gottes unendlich sind und alles befassen, so kann man an deren Ausdehnung nicht zweifeln. Ueberdem verlangt Herr Descartes eine Freiheit, deren man nicht bedarf, wenn man behauptet, dass die menschlichen Willenshandlungen völlig unbestimmbar seien, da dies niemals statt hat. Auch Herr Bayle meint, dass diese innere Erfahrung oder Empfindung von unserer Unabhängigkeit, auf welche Herr Descartes den Beweis für unsere Freiheit stützt, dies nicht beweist, weil aus unserer Unkenntniss der Ursachen, die uns bestimmen, noch nicht folgt, dass wir unabhängig sind. Indess werde ich darüber später an seinem Orte sprechen.

70. Auch gesteht anscheinend Herr Descartes an einer Stelle in seinen Prinzipien, dass man die Schwierigkeiten bei der unendlichen Theilbarkeit der Materie nicht beseitigen könne und doch nimmt er sie an. Arriaga und andere Scholastiker machen ziemlich dasselbe Geständniss; allein wenn sie sich die Mühe gäben, den Einwürfen die richtige Form zu geben, so würden sie sehen, dass die Folgerungen falsch gezogen sind und dass mitunter falsche Vordersätze aufgestellt sind, aus denen die Verlegenheit entspringt. Hier ein Beispiel: Ein gescheidter Mann machte mir eines Tages folgenden Einwurf: Die gerade Linie B A sei durch den Punkt C in zwei Hälften getheilt und der Theil C A ebenso durch den Punkt D und der Theil D A ebenso durch den Punkt E und so fort ohne Ende, so werden alle Hälften, B C, C D, D E u.s.w. zusammen die ganze Linie B A bilden; also muss es eine letzte Hälfte geben, weil die gerade Linie B A in A endigt. Allein diese letzte Hälfte sei etwas unsinniges, weil sie eine Linie ist, die man wieder in zwei Hälften theilen kann; also kann man eine Theilung ohne Ende nicht annehmen. Ich[83] entgegnete ihm, dass man nicht folgern könne, dass es einen letzten Punkt A gebe, da dieser letzte Punkt zu allen Hälften von seiner Seite aus passe. Mein Freund erkannte dies ebenfalls, als er versuchte, diese Folgerung durch einen formellen Vordersatz zu begründen; im Gegentheil folgt daraus, dass die Theilung ohne Ende weiter geht und dass es keine letzte Hälfte giebt. Wenn auch die Linie A B eine begrenzte ist, so folgt daraus nicht, dass ihre Theilbarkeit eine Grenze habe. Dieselbe Verlegenheit zeigt sich bei der Reihe der Zahlen, die ohne Ende fortgeht. Man denkt sich ein Letztes, eine unbegrenzt grosse Zahl, oder ein unendlich Kleines, allein dies sind alles nur Einbildungen. Jede Zahl ist begrenzt und angebbar, ebenso jede Linie, und das unendliche Grosse oder das unendliche Kleine bezeichnen nur Grössen, die man beliebig gross oder klein annehmen kann, um zu zeigen, dass ein Irrthum kleiner ist, als man angenommen hat, d.h. dass kein Irrthum vorhanden ist; oder man versteht unter dem Unendlich-Klei nen den Zustand des Erlöschens oder Beginnens einer Grösse, in Nachahmung schon gebildeter Grössen aufgefasst.

71. Indess wird es gut sein, den Grund zu betrachten, durch welchen Herr Bayle zeigen will, dass man den, von der Vernunft den Mysterien entgegengestellten Einwurf nicht werde widerlegen können. Er findet sich in seinen Aufklärungen über die Manichäer (S. 3143 der zweiten Ausgabe seines Wörterbuchs), wo er sagt: »Es genügt mir, dass man einstimmig anerkennt, wie die Mysterien des Evangeliums über der Vernunft sind; denn daraus folgt, dass man unmöglich die Bedenken der Philosophie erledigen kann und dass deshalb ein Streit, wo man sich nur des natürlichen Lichts bedient, immer zum Nachtheil der Theologen enden wird und dass sie genöthigt sein werden, zu weichen und sich hinter den Canon des übernatürlichen Lichtes zurückzuziehen.« Ich staune, dass Herr Bayle so allgemein spricht, weil er selbst anerkannt hat, dass das natürliche Licht für die Einheit des höchsten Prinzips und gegen die Manichäer sei und dass die Güte Gottes durch die Vernunft unwiderleglich festgestellt sei. Indessen sehe man, wie er fortfährt:

[84] 72. »Offenbar kann die Vernunft niemals das erreichen, was über sie geht. Wenn sie nun Widerlegungen der Einwürfe gegen den Lehrsatz der Dreieinigkeit und der Personen-Einheit gewähren könnte, so wäre dies ein Angriff auf diese beiden Mysterien; sie würde sich über sie stellen und sie würde sie bis in die letzten Zusammenstellungen mit ihren obersten Grundsätzen, oder in die Aussprüche, welche aus den gemeinen Begriffen sich ergeben, verflechten, bis sie zuletzt geschlossen hätte, dass sie sich mit dem natürlichen Licht vertragen. Sie würde somit das, was ihre Kräfte übersteigt, verrichten; sie würde ihre Grenzen überschreiten, was sich ja formell widerspricht. Man muss deshalb anerkennen, dass sie auf ihre eigenen Einwürfe keine Antwort geben kann und dass diese also siegreich bleiben, so lange man nicht auf die Autorität Gottes zurückgeht und auf die Notwendigkeit, seine Einsicht unter den Gehorsam des Glaubens gefangen zu nehmen.« (Ich finde in dieser Begründung keinen Beweis. Man kann das, was über uns ist, erreichen, nicht indem man es durchdringt, aber indem man es aufrecht erhält, wie man den Himmel mit dem Gesicht, aber nicht durch Berührung erreichen kann. Auch ist es ebensowenig nöthig, um auf die gegen die Mysterien erhobenen Einwürfe zu antworten, dass man diese Mysterien sich unterwerfe und dass man sie einer Confrontation mit den obersten Grundsätzen, welche sich aus den gemeinen Begriffen entwickeln, unterwerfe. Denn sollte der Antwortende so weit gehen, so müsste es der, welcher die Einwürfe erhebt, zuerst thun. Der Einwurf muss in die Materie eintreten; die Antwort braucht nur Ja oder Nein zu sagen; so dass sie, anstatt zu unterscheiden, streng genommen, nur die Allgemeinheit eines Satzes in dem Einwurfe zu bestreiten, oder nur dessen Form zu rügen braucht; das eine wie das andere kann geschehen, ohne auf die Materie einzugehen. Wenn mir jemand einen Grund entgegenhält, den er für unwiderleglich hält, so brauche ich nur zu schweigen und ihn zu nöthigen in richtiger Form alle die Aussprüche, welche er behauptet, zu beweisen, wenn sie mir auch wenig zweifelhaft erscheinen. Um zu zweifeln, brauche ich keineswegs in das Innere der Sache einzudringen;[85] im Gegentheil darf ich um so mehr zweifeln, je unwissender ich bin.) Herr Bayle fährt dann so fort:

73. »Versuchen wir, dies deutlicher zu machen. Wenn manche Lehren über die Vernunft gehen, so liegen sie jenseit ihres Vermögens; sie kann sie dann auch nicht anzweifeln, und wenn sie dies nicht kann, so kann sie dieselben auch nicht bezweifeln.« (Er konnte hier mit dem Begreifen beginnen und sagen, dass die Vernunft das nicht begreifen kann, was über sie geht.) Wenn sie dieselben nicht begreifen kann, so kann sie darin auch keine Idee finden (diese Folge gilt nicht; denn um eine Sache zu begreifen, genügt nicht, dass man einige Vorstellungen von ihr habe; man muss diese vielmehr von dem ganzen Inhalte haben und alle diese Vorstellungen müssen klar, bestimmt und adäquat sein. Es giebt tausenderlei Dinge in der Natur, von denen man etwas versteht, aber deshalb begreift man sie nicht. Wir haben einige Vorstellungen von den Lichtstrahlen und man baut darauf bis zu einem gewissen Grade Beweise; allein es bleibt immer ein Rest, der uns zu dem Geständniss nöthigt, dass wir die ganze Natur des Lichtes noch nicht begreifen), »und ebensowenig einen Grundsatz, welcher eine Lösung bieten kann.« (Weshalb sollte man nicht sichere Grundsätze auffinden können, die mit dunkeln und verworrenen Vorstellungen vermischt sind?) »und deshalb werden die von der Vernunft erhobenen Einwürfe ohne Widerlegung bleiben.« (Durchaus nicht, da die Schwierigkeit nur auf Seiten dessen liegt, der den Einwurf erhebt. Dieser hat einen festen Grundsatz aufzustellen, aus welchem der Einwurf sich ergiebt, und dies wird ihm um so schwerer werden, je dunkler die Sache ist. Selbst wenn er ihn gefunden hat, wird es noch schwerer sein, einen Widerspruch zwischen diesem Grundsatz und dem Mysterium aufzuzeigen; denn wäre das Mysterium einem offenbaren Grundsatz klar entgegengesetzt, so wäre es kein dunkles Mysterium, sondern eine offenbare Widersinnigkeit), »oder was dasselbe ist, man könnte ihm nur mit einer ebenso dunkeln Unterscheidung, wie der angegriffene Satz selbst enthält, entgegentreten.« (Allein man kann sich diese strengen Unterscheidungen ersparen und braucht[86] nur einen der Vordersätze oder der Folgerungen zu bestreiten und ist man über den Sinn eines von dem Gegner gebrauchten Ausdrucks zweifelhaft, so braucht man nur dessen Definition von ihm zu verlangen. Man braucht sich deshalb in keine Unkosten zu stecken, um einem Gegner zu antworten, welcher uns einen angeblich unwiderleglichen Einwurf macht. Aber selbst wenn man aus Artigkeit, oder um die Sache abzukürzen, oder weil man sich stark genug fühlt, selbst es über sich nimmt, die in dem Einwurf versteckt enthaltene Zweideutigkeit darzulegen und ihn durch eine Unterscheidung zu beseitigen, so braucht diese Unterscheidung nicht zu etwas Deutlicherem als der aufgestellte Satz selbst, zu führen, weil man das Mysterium selbst nicht aufzuklären braucht.)

74. Herr Bayle fährt dann fort: »Nun ist es gewiss, dass ein auf klare Begriffe gestützter Einwurf gleich siegreich bleibt, mag der Andere darauf nicht antworten, oder eine Antwort geben, die Niemand versteht. Kann wohl der Kampf ein gleicher sein, zwischen Jemand, welcher etwas einwendet, was er und der Andere genau versteht und dem andern, welcher sich nur durch Antworten vertheidigen kann, die weder dieser noch der andere versteht?« Es genügt aber nicht, dass der Einwurf auf klare Begriffe gestützt wird, es muss auch die Anwendung desselben auf den Streitsatz gemacht werden. Wenn ich Jemand nur so antworte, dass ich einen seiner Vordersätze bestreite, damit er ihn beweise, oder einen Schlusssatz, damit er den Schluss in der gehörigen Form aufstelle, so kann man nicht sagen, dass ich nichts oder nichts Verständliches antworte. Wenn ich den zweifelhaften Vordersatz meines Gegners bestreite, so ist dies ebenso verständlich, wie seine Behauptung und wenn ich artigerweise durch eine Unterscheidung mich erkläre, so genügt, dass die von mir gebrauchten Worte überhaupt einen Sinn haben, wie dies auch bei dem Mysterium der Fall ist. Man wird also in meiner Antwort etwas verstehen und es ist nicht nöthig, dass man alles verstehe, was sie enthält, denn sonst würde man auch das Mysterium verstehen.

75. Herr Bayle fährt fort: »Jeder philosophische Streit verlangt, dass die Streitenden über gewisse Definitionen[87] einverstanden sind«, (dies wäre zu wünschen, aber meist bemerkt man dies erst in dem Streite selbst), »dass sie die Schlussregeln anerkennen und die Zeichen, an denen man die falschen Begründungen erkennt. Dann braucht man nur zu prüfen, ob der Streitsatz mittelbar oder unmittelbar mit den beiderseits anerkannten Grundsätzen stimmt oder nicht.« (Dies geschieht durch die Schlüsse dessen, welcher die Einwürfe erhebt.) »Sind die Vordersätze eines Beweises (den der Einwerfende aufgestellt hat) wahr und ist der Schlusssatz richtig gezogen, hat man ferner keine Schlussfigur mit vier Begriffen benutzt und hat man keinen von den, im Kapitel über die Gegensätze oder von den sophistischen Widerlegungen u.s.w. aufgestellten Sätzen verletzt« (kurz, es genügt einen Vordersatz oder einen Schlusssatz zu bestreiten oder endlich einen zweideutigen Ausdruck zu erläutern, oder erläutern zu lassen), »so trägt man den Sieg davon, oder man zeigt, dass der Gegenstand des Streites mit den zugestandenen Grundsätzen in keiner Verbindung steht« (d.h. indem man zeigt, dass der Einwurf nichts beweist und dann gewinnt der, welcher den Streitsatz vertheidigt), »oder indem man den Vertheidiger in Widersinnigkeiten verwickelt« (wenn alle Vordersätze und alle Folgerungen gut bewiesen sind); »nun kann man ihn dahin bringen, indem man ihm zeigt, entweder dass die Folgen seines Streitsatzes das Ja oder das Nein sind oder dass man ihn nöthigt, nur Verständliches zu antworten.« (Dieser letzten Folge kann der Vertheidiger immer ausweichen, weil er keine neuen Sätze aufzustellen braucht.) »Das Ziel solcher Streite soll die Dunkelheiten aufklären und man will zur vollen Gewissheit gelangen.« (Dies ist das Ziel des die Einwürfe Erhebenden, denn er will beweisen, dass das Mysterium falsch sei; aber es ist nicht das Ziel des Vertheidigers, da er durch Zulassung des Mysteriums anerkennt, dass man es nicht beweisen kann.) »Daher kommt es, dass man während des Streites den Sieg bald für den Vertheidiger, bald für den Einwerfenden erwartet, je nachdem die Aufstellungen des einen deutlicher sind, als die des andern.« Dies ist eine Sprache, als wenn der Vertheidiger und sein Gegner beide sich zu schützen hätten, während doch der Vertheidiger einem[88] belagerten Befehlshaber gleicht, der durch seine Werke gedeckt ist und der Angreifende ihn zu besiegen hat. Der Vertheidiger selbst braucht hier keine klaren Beweise zu führen; er sucht solche gar nicht, vielmehr hat sein Gegner dergleichen zu suchen und durch seine Mittel Licht zu machen, damit der Vertheidiger sich nicht mehr in seiner Deckung halten kann.

76. »Endlich meint man, dass der Sieg sich gegen den erkläre, dessen Antworten unverständlich sind« (dies wäre ein sehr zweideutiges Siegeszeichen; man müsste dann die Zuhörer fragen, ob sie von dem Gesagten etwas verstehen und deren Meinungen würden oft verschieden lauten. Die Regeln eines logisch-richtigen Streitens verlangen, dass man mit wohl geordneten Gründen vorschreite und dass darauf durch Verneinung oder Unterscheidung geantwortet werde), »und welcher einräumt, dass sie unverständlich seien.« Der, welcher die Wahrheit eines Mysteriums vertheidigt, kann einräumen, dass es unbegreiflich ist; genügte dies für seine Niederlage, so hätte es keines Einwurfes bedurft. Eine Wahrheit kann unbegreiflich sein, aber dies braucht nicht so weit zu gehen, dass man gar nichts von ihr versteht. In diesem Falle würde sie das sein, was die alten Schulen Scindapsus oder Blityri (Clemens Alexandr. Strom. 8) nannten, d.h. Worte ohne Sinn. »Man verdammt ihn dann nach den Regeln, nach welchen der Sieg zuerkannt wird und selbst wenn er in dem Nebel, mit dem er sich bedeckt und welcher eine Art Abgrund zwischen ihm und seinen Gegnern bildet, nicht verfolgt werden kann, hält man ihn doch für zu Boden geschlagen und vergleicht ihn mit einem Heere, was nach der verlorenen Schlacht sich der Verfolgung des Siegers nur mit Hülfe der Nacht entzieht.« (Um hier auf das Gleichniss mit einem Gleichniss zu antworten, sage ich, dass der Vertheidiger des Satzes so lange nicht besiegt ist, als er in seinen Laufgräben geschützt ist; wagt er ohne Noth einen Ausfall, so kann er doch immer sich in seine Festung zurückziehen, ohne dass man ihn tadeln kann.)

77. Ich habe die mühsame Zergliederung dieser langen Stelle übernommen, welche alles enthält, was Herr Bayle an stärksten und besten Gründen für seine[89] Ansicht aufstellen konnte; man wird hoffentlich daraus ersehen, wie dieser ausgezeichnete Mann in seinen Ansichten gewechselt hat. Dies trifft sich sehr leicht bei den geistreichsten und scharfsinnigsten Männern, wenn sie ihrem Geist freien Lauf lassen, ohne sich die nöthige Mühe zu geben, ihrer Auffassung auf den Grund zu gehen. Die Einzelheiten, auf welche ich hier eingegangen bin, können als Antwort auf einige andere Begründungen dieser Art dienen, die in den Werken des Herrn Bayle sich zerstreut vorfinden. So sagt er in seiner Antwort auf die Fragen etc. (Thl. 3, S. 685): »Um zu zeigen, dass man die Vernunft und den Glauben in Uebereinstimmung gebracht habe, muss man nicht blos einzelne, dem Glauben günstige philosophische Sätze aufzeigen, sondern auch zeigen, dass die besonderen Sätze, die als mit unserm Katechismus nicht übereinstimmend dargelegt worden sind, in Wahrheit mit demselben in einer Weise übereinstimmen, die man genau begreift.« Ich sehe die Notwendigkeit dessen nicht ein, wenn man nicht verlangt, dass die Begründung bis auf das Wie des Mysteriums ausgedehnt werde. Wenn man sich mit der Behauptung seiner Wahrheit begnügt, ohne dass man sie dabei auch begreiflich machen will, so braucht man für den Beweis weder auf allgemeine, noch auf besondere philosophische Sätze zurückzugehen und wenn ein Anderer uns einige philosophische Sätze entgegenstellt, so haben wir nicht klar und deutlich zu beweisen, dass diese Sätze mit dem Glaubensartikel übereinstimmen, sondern unser Gegner hat zu beweisen, dass sie ihm widersprechen.

78. Herr Bayle fährt in dieser Stelle fort: »Dazu brauchen wir eine Antwort, die ebenso offenbar richtig ist, wie der Einwurf.« Ich habe aber schon gezeigt, dass dies durch die Bestreitung der Vordersätze bereits geschieht; übrigens braucht schliesslich der Vertheidiger des Mysteriums nicht immer offenbar richtige Sätze vorzuführen, da der eigentliche Streitsatz über das Mysterium nicht klar erweislich ist. Herr Bayle fügt noch bei: »Wenn es einer Replik und Duplik bedarf, so dürfen wir niemals in Ruhe verharren und nicht meinen, wir hätten unser Ziel erreicht, so lange der Gegner uns ebenso offenbare Einwürfe entgegnet[90] wie unsere Gründe sind.« Allein nicht der Vertheidiger hat Gründe beizubringen; für ihn genügt es, wenn er auf die seines Gegners antwortet.

79. Zum Schluss sagt Herr Bayle: »Wollte man verlangen, dass, wenn der Gegner einen offenbar treffenden Einwurf macht, man ihm nur mit einer Antwort zu dienen brauche, die als möglich hingestellt wird, und die man nicht begreift, so wäre dies ungerecht.« Herr Bayle wiederholt dies in den, nach seinem Tode erschienenen Gesprächen gegen Herrn Jaquelot (S. 69). Ich bin nicht dieser Ansicht. Wäre der Einwurf vollkommen beweisbar, so wäre er siegreich und der Streitsatz widerlegt. Stützt sich aber der Einwurf nur auf den Schein und das was meistentheils Statt hat und will der, welcher ihn aufstellt, daraus einen allgemeinen und gewissen Schlusssatz ziehen, so kann der Vertheidiger des Mysterismus eine blosse Möglichkeit als Einwand benutzen, weil damit genügend gezeigt wird dass das, was der Gegner aus seinen Vordersätzen folgert, weder allgemein noch gewiss ist und der Vertheidiger braucht nur die Möglichkeit seiner Einwendung zu zeigen und nicht einmal ihre Wahrscheinlichkeit. Denn ich habe schon wiederholt gesagt, dass die Mysterien zugestandener Maassen gegen den Schein gehen und der Vertheidiger braucht nicht einmal einen solchen Einwand aufzustellen und thut er es, so ist dies zum Ueberfluss geschehen, oder um seinen Gegner noch mehr zu widerlegen.

80. In der nach Herrn Bayle's Tode veröffentlichten Antwort an Herrn Jaquelot befinden sich noch einige Stellen, die einer näheren Prüfung werth sind: »Man sagt (heisst es dort S. 36, 37), Herr Bayle behaupte in seinem Wörterbuch ganz bestimmt, dass unsere Vernunft in allen Fällen, wo der Gegenstand es gestatte, mehr geschickt zum widerlegen und zerstören sei, als zum beweisen und aufbauen und dass es beinah keinen philosophischen oder theologischen Gegenstand gebe, wo sie nicht grosse Schwierigkeiten veranlasse. Wolle man mit einer Neigung zum Streit ihr so weit als sie zu gehen vermag, folgen, so werde man oft in unangenehme Verlegenheiten gerathen; endlich, dass es ganz sicherliche wahre Lehren gebe, die sie mit unwiderleglichen Angriffen bekämpfe.« Ich glaube[91] indess, dass das hier gegen die Vernunft Vorgebrachte ihr nur zum Vortheil gereicht; zerstört sie einen Lehrsatz, so errichtet sie damit den entgegengesetzten Lehrsatz, und wenn sie anscheinend die beiden einander widersprechenden Lehren verwirft, so verspricht sie uns etwas Tieferes, sofern wir ihr nur folgen, so weit, als sie gehen kann, nicht in streitsüchtiger Absicht, sondern mit dem heissen Verlangen, die Wahrheit zu suchen und zu enthüllen, was immer mit einigem erheblichen Erfolge belohnt sein wird.

81. Herr Bayle fährt hier fort: »Man müsse dann über diese Einwürfe lächeln, indem man die engen Grenzen des menschlichen Geistes bedenke.« Ich dagegen glaube, dass man darin vielmehr ein Zeichen von der Kraft des menschlichen Geistes erkennen solle, der ihn in das Innere der Dinge dringen lässt. Es sind dies neue Eröffnungen und so zu sagen, Strahlen des kommenden Tages, welche uns grösseres Licht verheissen, nämlich in den Gegenständen der Philosophie und der natürlichen Religion. Richten sich aber diese Einwürfe gegen den geoffenbarten Glauben, so genügt es, dass man sie zurückweisen kann, sofern dies mit einer gehorsamen und ernsten Gesinnung in der Absicht geschieht, den Ruhm Gottes zu erhalten und zu erhöhen. Gelingt dies in Rücksicht auf seine Gerechtigkeit, so wird seine Grösse uns ebenso erschüttern, wie seine Güte entzücken, die dann durch die Wolken einer scheinbaren Vernunft, welche durch das, was sie erkennt, irregeführt ist, in dem Maasse hervortreten werden, als der Geist durch die wahrhafte Vernunft sich zu dem für uns Unsichtbaren erheben und dessen nicht minder gewiss sein wird.

82. »In dieser Weise« (um mit Herrn Bayle fortzufahren) »wird man die Vernunft nöthigen, ihr Wissen niederzulegen und sich unter den Gehorsam des Glaubens zu begeben. Sie kann und soll dies in Folge einiger ihrer unbestreitbarsten Grundsätze, und indem sie so auf einige ihrer übrigen Lehren verzichtet, wird sie doch fortfahren, dem entsprechend, was sie ist, d.h. der Vernunft entsprechend, thätig zu sein.« Man muss aber wissen, dass die Lehren der Vernunft, auf welche man in diesem Falle verzichten soll, nur solche sind,[92] nach denen man über den Schein oder über den gewöhnlichen Lauf der Dinge urtheilt, was die Vernunft uns auch bei philosophischen Gegenständen gebietet, wenn unwiderlegliche Beweise für das Gegentheil vorliegen. Ist man daher durch Beweise der Güte und Gerechtigkeit Gottes versichert, so legen wir kein Gewicht auf die scheinbare Härte und Ungerechtigkeit, welche wir in dem kleinen uns sichtbaren Theile seines Reichs bemerken. Bis dahin sind wir erleuchtet von dem Lichte der Natur und von dem der Gnade, aber noch nicht von dem des Ruhmes. Hienieden sehen wir die scheinbare Ungerechtigkeit und wir glauben und wissen selbst die Wahrheit von der verborgenen Gerechtigkeit Gottes; aber sehen werden wir diese Gerechtigkeit erst, wenn die Sonne der Gerechtigkeit so wie sie ist, sich zeigen wird.

83. Sicherlich darf man das von Herrn Bayle Gesagte nur von jenen scheinbaren Sätzen verstehen, welche den ewigen Wahrheiten weichen müssen, denn er erkennt an, dass die Vernunft nicht wahrhaft dem Glauben entgegen ist. In den, nach seinem Tode erschienenen Gesprächen beklagt er sich (S. 73 gegen Herrn Jaquelot) darüber, dass man ihm vorwerfe, er halte unsere Mysterien für der Vernunft wahrhaft entgegengesetzt und (S. 9 gegen Herrn Le Clerc) über die Behauptung, dass der, welcher anerkenne, eine Lehre sei unwiderleglichen Einwürfen ausgesetzt, auch nothwendig diese Lehre für falsch anerkenne. Indess könnte man dies allerdings behaupten, wenn die Unwiderleglichkeit mehr, als eine blos scheinbare wäre.

84. So wird man vielleicht, nachdem ich so lange mit Herrn Bayle über den Gebrauch der Vernunft mich gestritten, am Schluss der Rechnung finden, dass seine Ansichten im Grunde nicht so weit von den meinigen abweichen, als man nach den Aussprüchen, welche hier in Betracht genommen worden sind, hätte erwarten können. Allerdings scheint er mehrentheils zu bestreiten, dass man auf die Einwürfe der Vernunft gegen den Glauben antworten könne und, um dies zu können, zu verlangen, dass man begreifen müsse, wie das Mysterium geschehe und bestehe; allein an anderen Stellen besänftigt er sich und begnügt sich zu sagen, dass er die[93] Lösungen dieser Einwürfe nicht kenne. Ich gebe hier eine sehr bestimmt gefasste Stelle aus den Aufklärungen über die Manichäer am Ende der zweiten Ausgabe seines Wörterbuches. Es heisst da: »Zur volleren Befriedigung der gewissenhaftesten Leser will ich gern hier erklären (so sagt er S. 3148), dass überall da, wo es in meinem Wörterbuch heisst, die und die Einwürfe seien unwiderleglich, ich nicht wünsche, dass man glaube, sie seien es wirklich, sondern sie scheinen nur mir unlöslich; daraus kann man aber nichts folgern; ein jeder mag, wenn er will, denken, dass ich so nur in Folge meines geringen Scharfsinnes urtheile.« Ich denke dies indess nicht; ich kenne seinen grossen Scharfsinn genug, aber ich meine, dass, nachdem er seinen Geist angestrengt, um die Einwürfe zu verstärken, ihm nicht genug Aufmerksamkeit für das geblieben ist, was zu ihrer Auflösung dient.

85. Auch gesteht Herr Bayle in der nach seinem Tode erschienenen Schrift gegen Herrn Le Clerc, dass die Einwürfe gegen den Glauben nicht die Kraft von Beweisen hätten; er hält also blos ad hominem, oder besser ad homines, d.h. mit Rücksicht auf den Zustand, in dem das Geschlecht der Menschen sich befindet, diese Einwürfe für unlösbar und die Materie für unerklärbar. Es findet sich sogar eine Stelle, wo er zu verstehen giebt, wie er nicht verzweifle, dass man selbst in unsern Tagen diese Lösung oder Erklärung werde finden können; sie ist in der genannten Antwort an Herrn Le Clerc (S. 35) enthalten, wo es heisst: »Herr Bayle hat hoffen können, dass seine Arbeit für jene grossen Geister, welche neue Systeme bilden, es zu einer Ehrensache machen werde, eine bisher unbekannte Lösung zu finden.« Er scheint unter dieser Lösung eine Erklärung der Mysterien zu verstehen, die bis zu deren Wie geht; indess ist dies nicht nöthig, um auf die Einwürfe zu antworten.

86. Man hat mehrfach unternommen, dieses Wie begreiflich zu machen und die Möglichkeit der Mysterien zu beweisen. Ein Schriftsteller, der sich Thomas Bonartes Nordtanus Anglus nennt, hat dies von seiner Concordia Scientiae cum Fide behauptet. Es ist ein sinnreiches und gelehrtes, aber in bitterem und verlegenem Tone[94] geschriebenes Buch, was selbst unhaltbare Ansichten aufstellt. Aus der Apologia Cyriakorum des Dominikanermönchs Vincent Baron habe ich ersehen, dass dieses Buch in Rom getadelt worden ist, dass der Verfasser Jesuit gewesen ist und dass die Veröffentlichung desselben Nachtheile für ihn gehabt hat. Der verehrte Pater des Bosses, welcher gegenwärtig in dem Jesuiten-Collegium zu Hildesheim die Theologie vorträgt und dessen seltene Gelehrsamkeit mit hohem Scharfsinn vereinigt ist, welchen er sowohl in der Philosophie wie in der Theologie zeigt, hat mir mitgetheilt, dass der wahre Name von Bonartes Thomas Barton gewesen und dass er nach seinem Austritt aus der Gesellschaft Jesu sich nach Irland zurückgezogen gehabt, wo die Art seines Todes ein günstiges Zeugniss für seine Gesinnungen abgegeben habe. Ich beklage die gewandten Männer, welche durch ihre Arbeiten und ihren Eifer sich Unannehmlichkeiten zuziehen. Aehnliches hat früher Peter Abälard erlebt, ebenso Gilbert von Porrée, Johann Wiclef und in unsern Tagen der Engländer Thomas Albius und einige andere, die sich zu sehr in die Erklärung der Mysterien vertieft hatten.

87. Indess zweifelt der heilige Augustin (so wenig wie Herr Bayle) nicht daran, dass man hienieden die gewünschte Auflösung noch finden werde, nur glaubt dieser heilige Vater, sie sei durch eine ganz besondere Gnade für einen heiligen Mann aufbehalten. Er sagt (zur Genesis, Buch 11, Kap. 4): »Es ist vielleicht eine verborgene Sache, welche für Bessere und Heiligere aufgehalten bleibt, mehr aus Gnade für jenen, wie für die Verdienste dieser.« Luther behält die Erkenntniss des Mysteriums der Erwählung, der himmlischen Akademie vor (in der Schrift von dem knechtischen Willen; K. 114), er sagt: »Dort spendet Gott Gnade und Erbarmen den Unwürdigen; hier spendet er Zorn und Strenge denen, die sie nicht verdient haben; an beiden Stellen zu heftig und unbillig bei den Menschen, aber gerecht und wahr bei sich selbst. Denn wie das gerecht sein soll, dass er Unwürdige krönt, ist jetzt zwar unbegreiflich, aber wir werden es erkennen, wenn wir dorthin kommen, wo man nicht mehr glauben, sondern das Offenbarte mit Augen sehen wird. Wie es[95] daher gerecht sein kann, dass er Unschuldige verdammt, ist zur Zeit unbegreiflich, aber es wird geglaubt, bis der Sohn des Menschen offenbar werden wird.« Es steht zu hoffen, dass Herr Bayle sich jetzt umgeben von diesem Lichte findet, was uns noch mangelt, weil man annehmen kann, dass es ihm nicht am guten Willen gefehlt hat.


Der reine Daphis schaut die Schwelle des ungewohnten Olymp

Und sieht zu seinen Füssen die Wolken und Gestirne.

Virgil.


– Jener schaut, nachdem er mit

Wahrem Licht sich erfüllt, die schweifenden

Sterne und das an den Pol geheftete Gestirn

Und sieht in wie grosser Nacht liegt unser Tag.

Lucian.[96]

Quelle:
Gottfried Wilhelm Leibniz: Die Theodicee. Leipzig 1879, S. 33-97.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Waldbrunnen / Der Kuß von Sentze

Der Waldbrunnen / Der Kuß von Sentze

Der Waldbrunnen »Ich habe zu zwei verschiedenen Malen ein Menschenbild gesehen, von dem ich jedes Mal glaubte, es sei das schönste, was es auf Erden gibt«, beginnt der Erzähler. Das erste Male war es seine Frau, beim zweiten Mal ein hübsches 17-jähriges Romamädchen auf einer Reise. Dann kommt aber alles ganz anders. Der Kuß von Sentze Rupert empfindet die ihm von seinem Vater als Frau vorgeschlagene Hiltiburg als kalt und hochmütig und verweigert die Eheschließung. Am Vorabend seines darauffolgenden Abschieds in den Krieg küsst ihn in der Dunkelheit eine Unbekannte, die er nicht vergessen kann. Wer ist die Schöne? Wird er sie wiedersehen?

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon