[115] 17. Die drei kostbaren Schwerter

[115] Schwarz-Ei (He Luan) aus We tötete aus altem Groll den Kiu Bing Dschang (Strahlende Schönheit). Kiu Bing Dschang's Sohn Ehrlich (Lai Dan) beschloß seinen Vater zu rächen. Seine Erregung war heftig und zeigte sich deutlich in seinem Äußeren. Man konnte die Körner zählen, die er aß, und er lief beständig wie vom Winde getrieben umher. Aber obwohl voll Grimm, konnte er doch keine Waffen führen, um jenem zu vergelten. Auch schämte er sich, andrer Leute Kraft zu borgen. Er schwur, mit dem Schwert in der Hand den Schwarz-Ei abzuschlachten.

Schwarz-Ei aber war von roher Gesinnung und überaus großer Kraft. Er konnte hundert Mann widerstehen. Seine Sehnen und Knochen, Haut und Fleisch waren nicht nach andrer Menschen Art. Er konnte seinen Hals dem Schwerte hinhalten und seine Brust den Pfeilen darbieten. Ihre Spitze brach ab und bog sich, ohne daß sein Leib eine Verletzung zeigte. Er pochte auf sein Vermögen und seine Kraft und sah auf Ehrlich wie auf ein eben aus dem Ei gekrochenes Kücken.

Der Freund Ehrlichs namens Rathilf (Schen To) sprach zu ihm: »Du grollst dem Schwarz-Ei aufs äußerste, und doch nimmt dich Schwarz-Ei nur allzu leicht. Was denkst du zu tun?« Ehrlich vergoß Tränen und sprach: »Ich wollte, du gäbest mir einen Rat!« Rathilf sprach: »Ich habe gehört, daß der Ahn des Großen Vollkommenen (Kung Dschou) im Staate We das kostbare Schwert der Kaiser aus dem Hause Yin überkommen hat, mit dem ein einziger Knabe drei Heere in die Flucht schlagen kann. Ob du nicht darum bittest?«

Darauf ging Ehrlich nach We und trat vor den Großen Vollkommenen. Er befolgte den Brauch der Wagensklaven und brachte ihm erst sein Weib und seine Kinder dar und sagte hinterher sein Begehren.

Der Große Vollkommene sprach: »Ich habe drei Schwerter, unter denen du wählen kannst. Aber mit allen dreien kann[116] man keinen Menschen töten. Doch will ich dir erst ihre Eigenschaften sagen. Das erste heißt ›Verhaltenes Licht‹. Schaut man danach, so kann man es nicht sehen, bewegt man es, so erkennt man nicht, was es trifft. Es ist verborgen und spurlos. Es durchdringt die Dinge, und die Dinge merken es nicht.

Das zweite heißt ›Erlangtes Schattenbild‹. Wenn man vor Tagesanbruch, wenn Dunkel und Licht sich mischen, oder am Abend des Tages, an der Grenze der Dämmerung und Helle nach Norden gewandt es untersucht, so sieht man ganz schwach etwas wie ein vorhandenes Ding, ohne daß man seine Form erkennen kann. Was es trifft, das gibt ganz verstohlen einen Klang. Es durchdringt die Dinge, und die Dinge empfinden keinen Schmerz.

Das dritte heißt ›Nächtliche Übung‹. Wenn es eben Tag geworden ist, so sieht man seinen Umriß, aber nicht sein Licht. Bei Nacht sieht man sein Licht, aber nicht seine Form. Wenn es auf ein Ding trifft, so dringt es schrecklich durch, aber sowie es durchgedrungen ist, schließt sich die Wunde wieder. Man fühlt Schmerz, aber die Klinge färbt sich nicht mit Blut. Diese drei Schätze sind seit dreizehn Geschlechtern überliefert und haben noch nichts zu tun gehabt mit Weltgeschäften, sie waren geborgen in ihrer Hülle und haben die Scheide noch nie verlassen.«

Ehrlich sprach: »Immerhin, ich bitte gewißlich um das dritte.« Der Große Vollkommene gab ihm zunächst Weib und Kind zurück, dann fastete er mit ihm sieben Tage lang, darauf überreichte er ihm in der Tiefe der Nacht knieend das dritte Schwert. Ehrlich warf sich ebenfalls nieder, nahm es und kehrte heim.

Als Ehrlich nun mit dem Schwert in der Hand dem Schwarz-Ei nachging, da war Schwarz-Ei betrunken und lag unter dem Fenster. Er durchhieb ihn vom Hals bis zu den Lenden dreimal. Schwarz-Ei wachte nicht auf. Da dachte Ehrlich, Schwarz-Ei sei tod, und zog sich vergnügt zurück. Er begegnete Schwarz-Ei's Sohn unter der Türe und schlug ihn[117] dreimal, gleich als streiche er durch die Luft. Da begann Schwarz-Ei's Sohn zu lachen und sprach: »Was bist du für ein Narr und winkst mir dreimal!«

Da merkte Ehrlich, daß er mit dem Schwert niemand töten könne, und kehrte seufzend heim. Als Schwarz-Ei erwachte, fuhr er sein Weib an und sprach: »Du hast mich in meinem Rausch unbedeckt liegen lassen, davon habe ich Halsweh und Lendenschmerzen bekommen.« Sein Sohn sprach: »Vorhin ist Ehrlich dagewesen. Er begegnete mir unter der Tür und winkte dreimal nach mir, davon habe ich auch Schmerzen im Leib und Gliederreißen bekommen. Der Kerl hat uns untergekriegt.«

Quelle:
Liä Dsi: Das wahre Buch vom quellenden Urgrund. Stuttgart 1980, S. 115-118.
Lizenz: