Schattenbewegung

[140] Ebenso scheint in der Sonne der Schatten uns treu zu begleiten,

Da er dem Schritt nachfolgt und unsre Bewegungen nachahmt,

Wenn man nur wirklich glaubt, die lichtlose Luft sei imstande

Schritte zu tun und Bewegung, Gebärde des Menschen zu folgen.

Denn in der Tat, was wir Schatten nach unsrer Gewohnheit benennen,

Kann doch nichts anderes sein als Luft, die des Lichtes beraubt ist.

Weil natürlich der Boden der Reihe nach lichtlos gemacht wird

Überall da, wo wir wandeln und hierdurch die Sonnenbestrahlung

Hemmen, während er dort, wo wir weggehn, gleich sich mit Licht füllt:

So kommt's, daß wir vermeinen, es folge noch immer derselbe[140]

Schatten uns gradwegs nach, den vorher der Körper geworfen,

Unaufhörlich ergießen sich neu die Strahlen des Lichtes,

Während die alten verschwinden, als ziehe man Wolle durchs Feuer.

Drum verliert auch der Boden so leicht die Sonnenbestrahlung,

Wie er sie wieder erhält und die schwärzlichen Schatten sich abwäscht.

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 140-141.
Lizenz:
Kategorien: