Theorie des Gehens

Theorie des Gehens

[155] Nun erklär' ich auch dies, weshalb wir, sobald wir nur wollen,

Schritte zu machen vermögen und unsere Glieder zu regen,

Was uns sodann die Fähigkeit gab, die so große Gewichtslast

Unseres Körpers voran zu bewegen: vernimm nun die Lehre![155]

Also ich sage: Zuerst erscheinen uns Bildet des Gehens

Vor dem Geist und sie geben, wie früher gelehrt, ihm den Anstoß.

Dann wird der Wille zum Gehen erweckt; denn niemand beginnt doch

Etwas zu tun, wenn der Geist, was er will, nicht voraussieht;

Was er voraus nun sieht, deß Bild steht ihm vor der Seele.

Regt sich nun also im Geiste der Wille zum Gehen und Schreiten,

Trifft er sofort auf die seelische Kraft, die im Körper verteilet

Überallhin ist zerstreut durch alle Gelenke und Glieder.

Leicht vollzieht sich auch dies; denn der Geist ist der Seele verbunden.

So gibt diese den Stoß an den Körper dann weiter; so schiebt sich

Und so bewegt sich allmählich die Last im Ganzen nach vorwärts.

Dann wird locker des Körpers Gewebe; die Lücken durchflutet

Selbstverständlich die Luft, wie sie muß; denn immer beweglich

Dringt sie reichlich herein und gelangt durch die Poren ins Innre.

Und so verteilt sie sich weiter von da zu den feinsten Atomen

Unseres Leibes. So kommt's durch beiderseitige Hilfe,

Daß sich der Körper bewegt wie ein Schiff mit Riemen und Segeln.

Hierbei darf es jedoch nicht weiter uns wunderbar scheinen,

Daß so kleine Atome den mächtigen Körper zu drehen

Und die menschliche Last vollständig zu lenken imstand sind.

Treibt doch der Wind, deß Leib so zarte und feine Atome

Bilden, ein mächtiges Schiff mit gewaltigem Wehen nach vorwärts,

Das auch bei raschester Fahrt nur lenkt ein einziger Handgriff;

Und ein Steuer genügt es nach allen Seiten zu drehen.

Ähnlich bewegt und lüftet der Kran mit leichtester Mühe

Viele gewichtige Lasten vermittelst der Winden und Trommeln.

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 155-156.
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