Schweben der Erde

[184] Wenn nun die Erde soll ruhn im Mittelpunkte des Weltalls,

Muß sie an ihrem Gewicht allmählich verlieren und schwinden,

Ferner bedarf sie noch anderen Stoffs als Stütze von unten,

Der ihr gesellt ist von Jugend auf und zur Einheit verbunden

Mit den Luftelementen der Welt, in die sie gepflanzt ward.

Drum ist sie ihm nicht zur Last und drückt nicht zu Boden den Luftstoff.

Sind doch auch keinem der Menschen zur Last die eigenen Glieder

Wie auch das Haupt nicht dem Nacken zur Last, und wir fühlen auch niemals,

Daß doch des Körpers ganzes Gewicht nur ruht auf den Füßen;

Aber ein jedes Gewicht, das man später von außen uns auflegt,

Wird, obwohl es oft kleiner denn jenes, als lästig empfunden.[184]

So sehr kommt's drauf an, was möglich im einzelnen Fall ist.

So kam also die Erde nicht plötzlich daher aus der Fremde

Und begegnete hier nicht der Luft, die aus fremdem Gebiet kam,

Sondern sie ward zugleich mit der Weltentstehung geschaffen

Und ist ein Teil von der Welt, wie von uns die Glieder ein Teil sind.

Ferner sobald sie erschüttert ein plötzliches starkes Gewitter,

Trifft die Erschütterung alles, was über der Erde ist, gleichfalls;

Doch dies könnte die Erde in keinerlei Weise bewirken,

Wäre sie nicht mit der Luft und dem Himmel aufs engste verbunden:

Denn von Jugend auf sind sie durch ihre gemeinsamen Wurzeln

Eng miteinander verflochten und fest zur Einheit verwachsen.

Siehst du nicht auch, wie die Seele, obwohl sie den zartesten Stoff hat,

Kraft hat den Körper zu tragen mit seinem so schweren Gewichte

Deshalb, weil sie mit ihm so eng ist zur Einheit verbunden?

Endlich was gibt denn dem Körper den Schwung zum hurtigen Sprunge,

Wenn nicht die seelische Kraft, die unsere Glieder regieret?

Siehst du nun ein, was die schwache Natur zu bewirken imstand ist,

Wenn sie vereint mit der Schwere des Körpers ist, wie sich verbindet Luft

mit der Erde Gewicht und die seelische Kraft mit dem Körper?

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 184-185.
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