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[363] »Die Gefangnenkolonne machte halt in der Avenue Uhrich und wurde in vier oder fünf Gliedern auf dem Fußsteig aufgestellt, Front nach der Straße. Der General Marquis de Galliffet und sein Stab stiegen vom Pferd und inspizierten die Linie, vom linken Flügel anfangend. Der General ging langsam entlang, die Reihen besichtigend; hier und da hielt er, einen Mann an der Schulter berührend, oder ihn aus den hintern Gliedern hervorwinkend. Die so Ausgesuchten wurden, meist ohne weitere Verhandlung, mitten in der Straße aufgestellt, wo sie bald eine kleine Sonderkolonne bildeten... Es war augenscheinlich, daß hierbei für Mißgriffe beträchtlicher Raum gelassen war. Ein berittener Offizier machte den General auf einen Mann und eine Frau wegen irgendeiner besondern Missetat aufmerksam. Die Frau, aus den Reihen hervorstürzend, fiel auf die Knie und beteuerte mit ausgestreckten Armen heftig ihre Unschuld. Der General wartete eine Pause ab und sagte dann, mit vollständig ruhigem Gesicht und unbewegter Haltung: Madame, ich habe alle Theater in Paris besucht, es ist nicht der Mühe wert, Komödie zu spielen (il ne vaut pas la peine de jouer la comédie)... Es war an jenem Tage nicht gut für einen, wenn er merklich größer, schmutziger, reinlicher, älter oder häßlicher als seine Nebenleute war. Von einem Manne fiel es mir besonders auf, daß er seine schleunige Erlösung aus diesem irdischen Jammertal wohl nur seiner eingeschlagnen Nase verdankte... Über Hundert wurden so ausgesucht, ein Zug Soldaten zum Erschießen kommandiert, und die übrige Kolonne marschierte weiter, während jene zurückblieben. Einige Minuten nachher fing hinter uns das Feuer an, das – mit kurzen Unterbrechungen – über eine Viertelstunde anhielt. Es war die Hinrichtung dieser summarisch verurteilten Unglücklichen.« (Pariser Korrespondent, »Daily News« vom 8. Juni.)

Dieser Galliffet, »der Louis seiner Frau, so notorisch durch die schamlose Bloßstellung ihres Leibes bei den Gelagen des zweiten Kaisertums«, war während des Kriegs bekannt unter dem Namen des französischen Fähndrich Pistol.

»Der ›Temps‹, ein bedächtiges und keineswegs der Sensation ergebnes Blatt, erzählt eine schauerliche Geschichte von halbtotgeschossenen und vor ihrem Tod begrabnen Leuten. Eine große Anzahl wurde auf dem Platz bei St. Jacques-la-Boucherie begraben, manche von ihnen nur leicht mit Erde bedeckt. Während des Tags überhallte der Straßenlärm alles, aber in der Stille der Nacht wurden die Bewohner der umliegenden Häuser geweckt durch fernes Stöhnen, und am Morgen sah man eine geballte Faust aus dem Boden ragen. Infolgedessen wurde die Wiederausgrabung der Leichen befohlen... Daß viele Verwundete lebendig begraben wurden, daran kann ich nicht im mindesten zweifeln. Für einen Fall kann ich einstehn. Als Brunel mit seiner Geliebten[363] am 24. Mai im Hofe eines Hauses des Vendômeplatzes erschossen wurden, ließ man sie bis zum Nachmittag des 27. liegen. Als man dann endlich kam, die Leichen zu entfernen, fand man das Weib noch am Leben und nahm sie zu einem Verbandplatz. Obwohl von vier Kugeln getroffen, ist sie jetzt außer Gefahr.« (Pariser Korrespondent, »Evening Standard« vom 8. Juni.)

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1962, Band 17, S. 363-364.
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