d) Kritische Schlacht gegen den französischen Materialismus

[131] »Der Spinozismus hatte das 18. Jahrhundert beherrscht, sowohl in seiner französischen Weiterbildung, die die Materie zur Substanz machte, wie im Theismus, der die Materie mit einem geistigeren Namen belegte... Spinozas französische Schule und die Anhänger des Theismus waren nur zwei Sekten, die sich über den wahren Sinn seines Systems stritten... Das einfache Schicksal dieser Aufklärung war ihr Untergang in der Romantik, nachdem sie sich der Reaktion, die seit der französischen Bewegung begann, hatte gefangengeben müssen.«[131]

Soweit die Kritik.

Wir werden der kritischen Geschichte des französischen Materialismus seine profane, massenhafte Geschichte in einer kurzen Skizze gegenüberstellen. Wir werden die Kluft zwischen der Geschichte, wie sie sich wirklich zugetragen hat, und zwischen der Geschichte, wie sie sich zuträgt nach dem Dekret der »absoluten Kritik«, der gleichmäßigen Schöpferin des Alten wie des Neuen, ehrfurchtsvoll anerkennen. Wir werden endlich, den Vorschriften der Kritik gehorchend, das »Warum?«, »Woher?« und »Wohin?« der kritischen Geschichte zum »Gegenstand eines anhaltenden Studiums machen.«

»Genau und im prosaischen Sinne zu reden«, war die französische Aufklärung des 18. Jahrhunderts und namentlich der französische Materialismus nicht nur ein Kampf gegen die bestehenden politischen Institutionen, wie gegen die bestehende Religion und Theologie, sondern ebensosehr ein offener, ein ausgesprochener Kampf gegen die Metaphysik des siebzehnten Jahrhunderts und gegen alle Metaphysik, namentlich gegen die des Descartes, Malebranche, Spinoza und Leibniz. Man stellte die Philosophie der Metaphysik gegenüber, wie Feuerbach bei seinem ersten entschiedenen Auftreten wider Hegel der trunkenen Spekulation die nüchterne Philosophie gegenüberstellte. Die Metaphysik des 17. Jahrhunderts, welche von der französischen Aufklärung und namentlich von dem französischen Materialismus des 18. Jahrhunderts aus dem Felde geschlagen war, erlebte ihre siegreiche und gehaltvolle Restauration in der deutschen Philosophie und namentlich in der spekulativen deutschen Philosophie des 19. Jahrhunderts. Nachdem Hegel sie auf eine geniale Weise mit aller seitherigen Metaphysik und dem deutschen Idealismus vereint und ein metaphysisches Universalreich gegründet hatte, entsprach wieder, wie im 18. Jahrhundert, dem Angriff auf die Theologie der Angriff auf die spekulative Metaphysik und auf alle Metaphysik- Sie wird für immer dem nun durch die Arbeit der Spekulation selbst vollendeten und mit dem Humanismus zusammenfallenden Materialismus erliegen. Wie aber Feuerbach auf theoretischem Gebiete, stellte der französische und englische Sozialismus und Kommunismus auf praktischem Gebiete den mit dem Humanismus zusammenfallenden Materialismus dar.

»Genau und im prosaischen Sinne zu reden«, gibt es zwei Richtungen des französischen Materialismus, wovon die eine ihren Ursprung von Descartes, die andre ihren Ursprung von Locke herleitet. Der letztere ist vorzugsweise ein französisches Bildungselement und mündet direkt in den Sozialismus. Der erstere, der mechanische Materialismus, verläuft sich in die eigentliche französische Naturwissenschaft. Beide Richtungen durchkreuzen sich im Lauf der[132] Entwicklung. Auf den direkt von Descartes herdatierenden französischen Materialismus haben wir nicht näher einzugehen, so wenig als auf die französische Schule des Newton und auf die Entwicklung der französischen Naturwissenschaft überhaupt.

Daher nur soviel:

In seiner Physik hatte Descartes der Materie selbstschöpferische Kraft verliehen und die mechanische Bewegung als ihren Lebensakt gefaßt. Er hatte seine Physik vollständig von seiner Metaphysik getrennt. Innerhalb seiner Physik ist die Materie die einzige Substanz, der einzige Grund des Seins und des Erkennens.

Der mechanische französische Materialismus schloß sich der Physik des Descartes im Gegensatz zu seiner Metaphysik an. Seine Schüler waren Antimetaphysiker von Profession, nämlich Physiker.

Mit dem Arzte Le Roy beginnt diese Schule, mit dem Arzte Cabanis erreicht sie ihren Höhepunkt, der Arzt La Mettrie ist ihr Zentrum. Descartes lebte noch, als Le Roy die kartesische Konstruktion des Tieres – wie ähnlich im 18. Jahrhundert La Mettrie – auf die menschliche Seele übertrug, die Seele für einen Modus des Körpers und die Ideen für mechanische Bewegungen erklärte. Le Roy glaubte sogar, Descartes habe seine wahre Meinung verheimlicht. Descartes protestierte. Am Ende des 18. Jahrhunderts vollendete Cabanis den kartesischen Materialismus in seiner Schrift »Rapports du physique et du moral de l'homme.«

Der kartesische Materialismus existiert bis auf den heutigen Tag in Frankreich. Er hat seine großen Erfolge in der mechanischen Naturwissenschaft, der man die Romantik, genau und im prosaischen Sinn zu reden, am allerwenigsten vorwerfen wird.

Die Metaphysik des 17. Jahrhunderts, für Frankreich namentlich durch Descartes repräsentiert, hatte von ihrer Geburtsstunde an den Materialismus zum Antagonisten. Persönlich trat er dem Descartes in der Gestalt des Gassendi, dem Wiederhersteller des epikureischen Materialismus, gegenüber. Der französische und englische Materialismus blieb immer in einem innigen Verhältnis zu Demokrit und Epikur. Einen andern Gegensatz hatte die kartesische Metaphysik an dem englischen Materialisten Hobbes. Gassendi und Hobbes besiegten lange nach ihrem Tode ihren Gegner in demselben Augenblicke, wo dieser als die offizielle Macht schon in allen französischen Schulen herrschte.

Voltaire hat bemerkt, daß die Indifferenz der Franzosen des 18. Jahrhunderts gegen die jesuitischen und jansenistischen Streitigkeiten weniger durch die Philosophie als durch die Lawschen Finanzspekulationen[133] herbeigeführt wurde. So kann man den Sturz der Metaphysik des 17. Jahrhunderts nur insofern aus der materialistischen Theorie des 18. Jahrhunderts erklären, als man diese theoretische Bewegung selbst aus der praktischen Gestaltung des damaligen französischen Lebens erklärt. Dieses Leben war auf die unmittelbare Gegenwart, auf den weltlichen Genuß und die weltlichen Interessen, auf die irdische Welt gerichtet. Seiner antitheologischen, antimetaphysischen, seiner materialistischen Praxis mußten antitheologische, antimetaphysische, materialistische Theorien entsprechen. Die Metaphysik hatte praktisch allen Kredit verloren. Wir haben hier nur den theoretischen Verlauf kurz anzudeuten.

Die Metaphysik war im 17. Jahrhundert (man denke an Descartes, Leibniz etc.) noch versetzt mit positivem, profanem Gehalte. Sie machte Entdeckungen in der Mathematik, Physik und andern bestimmten Wissenschaften, die ihr anzugehören schienen. Schon im Anfang des 18. Jahrhunderts war dieser Schein vernichtet. Die positiven Wissenschaften hatten sich von ihr getrennt und selbständige Kreise gezogen. Der ganze metaphysische Reichtum bestand nur noch in Gedankenwesen und himmlischen Dingen, grade als die realen Wesen und die irdischen Dinge alles Interesse in sich zu konzentrieren begannen. Die Metaphysik war fad geworden. In demselben Jahre, wo die letzten großen französischen Metaphysiker des 17. Jahrhunderts, Malebranche und Arnauld, starben, wurden Helvétius und Condillac geboren.

Der Mann, der die Metaphysik des 17. Jahrhunderts und alle Metaphysik theoretisch um ihren Kredit brachte, war Pierre Bayle. Seine Waffe war der Skeptizismus, geschmiedet aus den metaphysischen Zauberformeln selber. Er selbst ging zunächst aus von der kartesischen Metaphysik. Wie Feuerbach durch die Bekämpfung der spekulativen Theologie zur Bekämpfung der spekulativen Philosophie fortgetrieben wurde, eben weil er die Spekulation als die letzte Stütze der Theologie erkannte, weil er die Theologen zwingen mußte, von der Scheinwissenschaft zu dem rohen, widerlichen Glauben zurückzuflüchten, so trieb der religiöse Zweifel den Bayle zum Zweifel an der Metaphysik, welche diesen Glauben stützte. Er unterwarf daher die Metaphysik in ihrem ganzen geschichtlichen Verlauf der Kritik. Er wurde ihr Geschichtschreiber, um die Geschichte ihres Todes zu schreiben. Er widerlegte vorzugsweise den Spinoza und Leibniz.

Pierre Bayle bereitete nicht nur dem Materialismus und der Philosophie des gesunden Menschenverstandes ihre Aufnahme in Frankreich durch die skeptische Auflösung der Metaphysik vor. Er kündete die atheistische Gesellschaft, welche bald zu existieren beginnen sollte, durch den Beweis an, daß[134] eine Gesellschaft von lauter Atheisten existieren, daß ein Atheist ein ehrbarer Mensch sein könne, daß sich der Mensch nicht durch den Atheismus, sondern durch den Aberglauben und den Götzendienst herabwürdige.

Pierre Bayle war nach dem Ausdruck eines französischen Schriftstellers »der letzte der Metaphysiker im Sinne des 17. und der erste der Philosophen im Sinne des 18. Jahrhunderts.«

Außer der negativen Widerlegung der Theologie und der Metaphysik des 17. Jahrhunderts bedurfte man eines positiven, antimetaphysischen Systems. Man bedurfte eines Buches, welches die damalige Lebenspraxis in ein System brachte und theoretisch begründete. Lockes Schrift über den »Ursprung des menschlichen Verstandes« kam wie gerufen von jenseits des Kanals. Es wurde enthusiastisch als ein sehnlichst erwarteter Gast empfangen.

Es fragt sich: ist Locke etwa ein Schüler des Spinoza? Die »profane« Geschichte mag antworten:

Der Materialismus ist der eingeborne Sohn Großbritanniens. Schon sein Scholastiker Duns Scotus fragte sich, »ob die Materie nicht denken könne.«

Um dies Wunder zu bewerkstelligen, nahm er zu Gottes Allmacht seine Zuflucht, d.h. er zwang die Theologie selbst, den Materialismus zu predigen. Er war überdem Nominalist. Der Nominalismus findet sich als ein Hauptelement bei den englischen Materialisten, wie er überhaupt der erste Ausdruck des Materialismus ist.

Der wahre Stammvater des englischen Materialismus und aller modernen experimentierenden Wissenschaft ist Baco. Die Naturwissenschaft gilt ihm als die wahre Wissenschaft und die sinnliche Physik als der vornehmste Teil der Naturwissenschaft. Anaxagoras mit seinen Homoiomerien und Demokrit mit seinen Atomen sind häufig seine Autoritäten. Nach seiner Lehre sind die Sinne untrüglich und die Quelle aller Kenntnisse. Die Wissenschaft ist Erfahrungswissenschaft und besteht darin, eine rationelle Methode auf das sinnlich Gegebene anzuwenden. Induktion, Analyse, Vergleichung, Beobachtung, Experimentieren sind die Hauptbedingungen einer rationellen Methode. Unter den der Materie eingebornen Eigenschaften ist die Bewegung die erste und vorzüglichste, nicht nur als mechanische und mathematische Bewegung, sondern mehr noch als Trieb, Lebensgeist, Spannkraft, als Qual – um den Ausdruck Jakob Böhmes zu gebrauchen – der Materie. Die primitiven Formen der letztem sind lebendige, individualisierende, ihr inhärente, die spezifischen Unterschiede produzierende Wesenskräfte.

In Baco, als seinem ersten Schöpfer, birgt der Materialismus noch auf eine naive Weise die Keime einer allseitigen Entwicklung in sich. Die Materie lacht in poetisch-sinnlichem Glanze den ganzen Menschen an. Die[135] aphoristische Doktrin selbst wimmelt dagegen noch von theologischen Inkonsequenzen.

In seiner Fortentwicklung wird der Materialismus einseitig. Hobbes ist der Systematiker des baconischen Materialismus. Die Sinnlichkeit verliert ihre Blume und wird zur abstrakten Sinnlichkeit des Geometers. Die physische Bewegung wird der mechanischen oder mathematischen geopfert; die Geometrie wird als die Hauptwissenschaft proklamiert. Der Materialismus wird menschenfeindlich. Um den menschenfeindlichen, fleischlosen Geist auf seinem eignen Gebiet überwinden zu können, muß der Materialismus selbst sein Fleisch abtöten und zum Asketen werden. Er tritt auf als ein Verstandeswesen, aber er entwickelt auch die rücksichtslose Konsequenz des Verstandes.

Wenn die Sinnlichkeit alle Kenntnisse den Menschen liefert, demonstriert Hobbes, von Baco ausgehend, so sind Anschauung, Gedanke, Vorstellung etc. nichts als Phantome der mehr oder minder von ihrer sinnlichen Form entkleideten Körperwelt. Die Wissenschaft kann diese Phantome nur benennen. Ein Name kann auf mehrere Phantome angewandt werden. Es kann sogar Namen von Namen geben. Es wäre aber ein Widerspruch, einerseits alle Ideen ihren Ursprung in der Sinnenwelt finden zu lassen und andrerseits zu behaupten, daß ein Wort mehr als ein Wort sei, daß es außer den vorgestellten, immer einzelnen Wesen noch allgemeine Wesen gebe. Eine unkörperliche Substanz ist vielmehr derselbe Widerspruch wie ein unkörperlicher Körper. Körper, Sein, Substanz ist eine und dieselbe reelle Idee. Man kann den Gedanken nicht von einer Materie trennen, die denkt. Sie ist das Subjekt aller Veränderungen. Das Wort unendlich ist sinnlos, wenn es nicht die Fähigkeit unseres Geistes bedeutet, ohne Ende hinzuzufügen. Weil nur das Materielle wahrnehmbar, wißbar ist, so weiß man nichts von Gottes Existenz. Nur meine eigne Existenz ist sicher. Jede menschliche Leidenschaft ist eine mechanische Bewegung, die endet oder anfängt. Die Objekte der Triebe sind das Gute. Der Mensch ist denselben Gesetzen unterworfen wie die Natur. Macht und Freiheit sind identisch.

Hobbes hatte den Baco systematisiert, aber sein Grundprinzip, den Ursprung der Kenntnisse und Ideen aus der Sinnenwelt, nicht näher begründet.

Locke begründet das Prinzip des Baco und Hobbes in seinem Versuch über den Ursprung des menschlichen Verstandes.

Wie Hobbes die theistischen Vorurteile des baconischen Materialismus vernichtete, so Collins, Dodwell, Coward, Hartley, Priestley etc. die letzte theologische Schranke des Lockeschen Sensualismus. Mehr als eine bequeme und nachlässige Weise, die Religion loszuwerden, ist der Deismus wenigstens für den Materialisten nicht.[136]

Wir haben schon erwähnt, wie gelegen Lockes Werk den Franzosen kam. Locke hatte die Philosophie des bon sens, des gesunden Menschenverstandes, begründet, d.h. auf einem Umweg gesagt, daß es keine von den gesunden menschlichen Sinnen und dem auf ihnen basierenden Verstand unterschiedne Philosophie gebe.

Der unmittelbare Schüler und französische Dolmetscher Lockes, Condillac, richtete den Lockeschen Sensualismus sogleich gegen die Metaphysik des 17. Jahrhunderts. Er bewies, daß die Franzosen dieselbe mit Recht als ein bloßes Machwerk der Einbildungskraft und theologischer Vorurteile verworfen-hätten. Er publizierte eine Widerlegung der Systeme von Descartes, Spinoza, Leibniz und Malebranche.

In seiner Schrift »L'essai sur l'origine des connaissances humaines« führte er Lockes Gedanken aus und bewies, daß nicht nur die Seele, sondern auch die Sinne, nicht nur die Kunst, Ideen zu machen, sondern auch die Kunst der sinnlichen Empfindung Sache der Erfahrung und Gewohnheit sei. Von der Erziehung und den äußeren Umständen hängt daher die ganze Entwicklung des Menschen ab. Condillac ist erst durch die eklektische Philosophie aus den französischen Schulen verdrängt worden.

Der Unterschied des französischen und englischen Materialismus ist der Unterschied beider Nationalitäten. Die Franzosen begaben den englischen Materialismus mit Esprit, mit Fleisch und Blut, mit Beredsamkeit. Sie verleihen ihm das noch fehlende Temperament und die Grazie. Sie zivilisieren ihn.

In Helvétius, der ebenfalls von Locke ausgeht, empfängt der Materialismus den eigentlich französischen Charakter. Er faßt ihn sogleich in bezug auf das gesellschaftliche Leben. (Helvétius, »De l'homme.«) Die sinnlichen Eigenschaften und die Selbstliebe, der Genuß und das wohlverstandne persönliche Interesse sind die Grundlage aller Moral. Die natürliche Gleichheit der menschlichen Intelligenzen, die Einheit zwischen dem Fortschritt der Vernunft und dem Fortschritt der Industrie, die natürliche Güte des Menschen, die Allmacht der Erziehung sind Hauptmomente seines Systems.

Eine Vereinigung zwischen dem kartesischen und dem englischen Materialismus findet sich in den Schriften La Mettries. Er benutzt die Physik des Descartes bis ins einzelne. Sein »L'homme machine« ist eine Ausführung nach dem Muster der Tier-Maschine des Descartes. In dem »Système de la nature« von Holbach besteht der physische Teil ebenfalls aus der Verbindung des französischen und englischen Materialismus, wie der moralische Teil wesentlich auf der Moral des Helvétius beruht. Der französische Materialist, der noch am meisten mit der Metaphysik in Verbindung steht und[137] dafür auch von Hegel belobt wird. Robinet (»De la nature«), bezieht sich ausdrücklich auf Leibniz.

Von Volney, Dupuis, Diderot etc. brauchen wir nicht zu reden, so wenig wie von den Physiokraten, nachdem wir die doppelte Abstammung des französischen Materialismus von der Physik des Descartes und von dem englischen Materialismus, wie den Gegensatz des französischen Materialismus gegen die Metaphysik des 17. Jahrhunderts, gegen die Metaphysik des Descartes, Spinoza, Malebranche und Leibniz bewiesen haben. Dieser Gegensatz konnte den Deutschen erst sichtbar werden, seitdem sie selber im Gegensatz zur spekulativen Metaphysik stehn.

Wie der kartesische Materialismus in die eigentliche Naturwissenschaft verläuft, so mündet die andre Richtung des französischen Materialismus direkt in den Sozialismus und Kommunismus.

Es bedarf keines großen Scharfsinnes, um aus den Lehren des Materialismus von der ursprünglichen Güte und gleichen intelligenten Begabung der Menschen, der Allmacht der Erfahrung, Gewohnheit, Erziehung, dem Einflusse der äußern Umstände auf den Menschen, der hohen Bedeutung der Industrie, der Berechtigung des Genusses etc. seinen notwendigen Zusammenhang mit dem Kommunismus und Sozialismus einzusehen. Wenn der Mensch aus der Sinnenwelt und der Erfahrung in der Sinnenwelt alle Kenntnis, Empfindung etc. sich bildet, so kommt es also darauf an, die empirische Welt so einzurichten, daß er das wahrhaft Menschliche in ihr erfährt, sich angewöhnt, daß er sich als Mensch erfährt. Wenn das wohlverstandne Interesse das Prinzip aller Moral ist, so kommt es darauf an, daß das Privatinteresse des Menschen mit dem menschlichen Interesse zusammenfällt. Wenn der Mensch unfrei im materialistischen Sinne, d.h. frei ist, nicht durch die negative Kraft, dies und jenes zu melden, sondern durch die positive Macht, seine wahre Individualität geltend zu machen, so muß man nicht das Verbrechen am Einzelnen strafen, sondern die antisozialen Geburtsstätten des Verbrechens zerstören und jedem den sozialen Raum für seine wesentliche Lebensäußerung geben. Wenn der Mensch von den Umständen gebildet wird, so muß man die Umstände menschlich bilden. Wenn der Mensch von Natur gesellschaftlich ist, so entwickelt er seine wahre Natur erst in der Gesellschaft, und man muß die Macht seiner Natur nicht an der Macht des einzelnen Individuums, sondern an der Macht der Gesellschaft messen.

Diese und ähnliche Sätze findet man fast wörtlich selbst in den ältesten französischen Materialisten. Es ist hier nicht der Ort, sie zu beurteilen. Bezeichnend für die sozialistische Tendenz des Materialismus ist Mandevilles, eines älteren englischen Schülers von Locke, Apologie der Laster. Er beweist,[138] daß die Laster in der heutigen Gesellschaft unentbehrlich und nützlich sind. Es war dies keine Apologie der heutigen Gesellschaft.

Fourier geht unmittelbar von der Lehre der französischen Materialisten aus. Die Babouvisten waren rohe, unzivilisierte Materialisten, aber auch der entwickelte Kommunismus datiert direkt von dem französischen Materialismus. Dieser wandert nämlich in der Gestalt, die ihm Helvétius gegeben hat, nach seinem Mutterlande, nach England, zurück. Bentham gründet auf die Moral des Helvétius sein System des wohlverstandnen Interesses, wie Owen, von dem System Benthams ausgehend, den englischen Kommunismus begründet. Nach England verbannt, wird der Franzose Cabet von den dortigen kommunistischen Ideen angeregt und kehrt nach Frankreich zurück, um hier der populärste, wenn auch flachste Repräsentant des Kommunismus zu werden. Die wissenschaftlicheren französischen Kommunisten, Dézamy, Gay etc., entwickeln, wie Owen, die Lehre des Materialismus als die Lehre des realen Humanismus und als die logische Basis des Kommunismus.

Wo hat nun Herr Bauer oder die Kritik die Aktenstücke zur kritischen Geschichte des französischen Materialismus sich zu verschaffen gewußt?

1. Hegels »Geschichte der Philosophie« stellt den französischen Materialismus als Realisierung der spinozistischen Substanz dar, was jedenfalls ungleich verständiger ist als die »französische Schule des Spinoza.«

2. Herr Bauer hatte aus der Hegelschen »Geschichte der Philosophie« sich den französischen Materialismus als Schule des Spinoza herausgelesen. Fand er nun in einem andern Werke Hegels, daß Deismus und Materialismus zwei Parteien eines und desselben Grundprinzips seien, so hatte Spinoza zwei Schulen, die sich über den Sinn seines Systems stritten. Herr Bauer konnte den gedachten Aufschluß finden in Hegels »Phänomenologie.« Hier heißt es wörtlich:

»Über jenes absolute Wesen gerät die Aufklärung selbst mit sich in Streit... und teilt sich in zwei Parteien...die eine... nennt jenes prädikatlose Absolute... das höchste absolute Wesen... die andre nennt es Materie... beides ist derselbe Begriff, der Unterschied liegt nicht in der Sache, sondern rein nur in dem verschiednen Ausgangspunkt der beiden Bildungen.« (Hegels »Phänomenologle«, p. 420, 421, 422.)

3. Endlich konnte Herr Bauer wieder in Hegel finden, daß die Substanz, wenn sie nicht zum Begriff und Selbstbewußtsein fortgehet, sich in die »Romantik« verläuft. Ähnliches haben zu ihrer Zeit die »Hallischen Jahrbücher« entwickelt.

Um jeden Preis aber mußte der »Geist« über seinen »Widersacher«, den Materialismus, ein »einfältiges Schicksal« verhängen.

[139] Anmerkung. Der Zusammenhang des französischen Materialismus mit Descartes und Locke und der Gegensatz der Philosophie des 18. Jahrhunderts gegen die Metaphysik des 17. Jahrhunderts sind in den meisten neueren französischen Geschichten der Philosophie ausführlich dargestellt. Wir hatten hier, der kritischen Kritik gegenüber, nur Bekanntes zu wiederholen. Dagegen bedarf der Zusammenhang des Materialismus des 18. Jahrhunderts mit dem englischen und französischen Kommunismus des 19. Jahrhunderts noch einer ausführlichen Darstellung. Wir beschränken uns hier darauf, aus Helvétius, Holbach und Bentham einige wenige prägnante Stellen zu zitieren.

1. Helvétius: »Die Menschen sind nicht bös, aber ihren Interessen unterworfen. Man muß also nicht über die Bösartigkeit der Menschen klagen, sondern über die Unwissenheit der Gesetzgeber, welche das besondere Interesse immer in Gegensatz gegen das allgemeine Interesse gestellt haben.« - »Die Moralisten haben bisher keinen Erfolg gehabt, weil man in der Gesetzgebung wühlen muß, um die schöpferische Wurzel der Laster auszureißen. In New-Orleans dürfen die Frauen ihre Männer verstoßen, sobald sie ihrer müde sind. In solchen Ländern findet man keine falschen Frauen, weil sie kein Interesse haben, es zu sein.« – »Die Moral ist eine nur frivole Wissenschaft, wenn man sie nicht mit der Politik und Gesetzgebung vereint.« – »Die heuchlerischen Moralisten erkennt man einerseits an der Gleichgültigkeit, womit sie die Laster betrachten, welche die Reiche auflösen, und andrerseits an dem Jähzorn, womit sie gegen Privatlaster toben.« – »Die Menschen sind weder gut noch böse geboren, aber bereit, das eine oder das andre zu sein, je nachdem ein gemeinschaftliches Interesse sie vereinigt oder scheidet.« – »Wenn die Staatsbürger ihr besonderes Wohl nicht bewirken könnten, ohne das allgemeine Wohl zu bewirken, so gäbe es keine Lasterhaften als die Narren.« (»De l'esprit«, Paris 1822, I, p. 117, 240, 241, 249, 251, 339 u. 369.) – Wie nach Helvétius die Erziehung, worunter er (cf. l. c., p. 390) nicht nur die Erziehung im gewöhnlichen Sinn, sondern die Gesamtheit der Lebensverhältnisse eines Individuums versteht, den Menschen bildet, wenn eine Reform nötig ist, welche den Widerspruch zwischen dem besonderen Interesse und dem gemeinschaftlichen Interesse aufhebt, so bedarf er andrerseits zur Durchführung solcher Reform eine Umwandlung des Bewußtseins: »Man kann die großen Reformen nur dadurch bewerkstelligen, daß man die stupide Verehrung der Völker für die alten Gesetze und Gewohnheiten schwächt« (p. 2601. c.) oder, wie er anderwärts sagt, die Unwissenheit aufhebt.

2. Holbach. »Ce n'est que lui-même que l'homme peut aimer dans les objets qu'il aime: ce n'est que lui-même qu'il peut affectionner dans les êtres de son espèce.« »L'homme ne peut jamais se séparer de lui-même dans aucun instant de sa vie: il ne peut se perdre de vue.« »C'est toujours notre utilité, notre intérêt... qui nous fait hair ou aimer les objets« (»Système social«, t.I, Paris 1822, p. 80, 112), aber: »L'homme[140] pour son propre intérêt doit aimer les autres hommes puisqu'ils sont nécessaires a son bien-être... La morale lui prouve, que de tous les êtres le plus nécessaire à l'homme c'est l'homme.« (p. 76.) »La vraie morale, ainsi que la vraie politique, est celle qui cherche à approcher les hommes, afin de les faire travailler par des efforts réunis à leur bonheur mutuel. Toute morale qui sépare nos intérêts de ceux de nos associés est fausse, insensée, contraire à la nature.« (p. 116.) »Aimer les autres... c'est confondre nos intérêts avec ceux de ms associé, afin de travailler à l'utilité commune... La vertu n'est que l'utilité des hommes réunis en société« (p. 77). »Un homme sans passions ou sans désirs cesserait d'être un homme... Parfaitement détaché de lui-même, comment pourrait-on le déterminer à s'attacher à d'autres? Un homme, indiffèrent pour tout, privé de passions, qui se suffirait à lui-même, ne serait plus un être sociable... La vertu n'est que la communication du bien.« (l. c., p. 118.) »La morale religieuse ne servit jamais à rendre les mortels plus sociables.«« (p. 36. I. c.)

3. Bentham. Wir zitieren aus Bentham nur eine Stelle, worin er das »intérêt général im politischen Sinn« bekämpft. »L'intérêt des individus... doit céder à l'intérêt public. Mais... qu'est-ce que cela signifie? Chaque individu n'est-il pas partie du public autant que chaque autre? Cet intérêt public, que vous personnifiez, n'est qu'un terme abstrait: il ne représente que la masse des intérêts individuels... S'il était bon de sacrifier la fortune d'un individu pour augmenter celle des autres, il serait encore mieux d'en sacrifier un second, un troisième, sans qu'on puisse assigner aucune limite... Les intérêts individuels sont les seuls intérêts réels.« (Bentham, »Théorie des peines et des récompenses« etc., Paris 1826, 3me éd., II, p. [229,] 230.)[141]

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1957, Band 2, S. 131-142.
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