3. Brief Bakunins an Francisco Mora in Madrid

[469] (Der Brief ist französisch geschrieben)


Locarno, den 5. April 1872

Lieber Alliierter und Genosse! Da unsere Freunde zu Barcelona mich aufgefordert haben, an Sie zu schreiben, tue ich es mit um so größerem Vergnügen, als auch ich und meine Freunde, unsere Alliierten von der Jura-Föderation, den Verleumdungen des Londoner Generalrats ausgesetzt sind, in Spanien so gut wie anderwärts. Es ist wahrlich etwas sehr Betrübendes, daß in dieser schrecklichen Krisis, in der sich für viele Jahrzehnte das Schicksal des Proletariats von ganz Europa entscheidet, und in der alle Freunde des Proletariats, der Menschheit und der Gerechtigkeit sich brüderlich vereinigen müßten, um dem gemeinsamen Feinde, der im Staat organisierten Gesellschaft[469] der Privilegierten, die Spitze zu bieten – es ist sehr betrübend, sage ich, daß Leute, die übrigens in der Vergangenheit der Internationalen große Dienste geleistet haben, heute, durch eine böse autoritätssüchtige Leidenschaft getrieben, sich sogar zur Lüge erniedrigen und Zwietracht säen, statt überall jene freie Einigung zu schaffen, aus der allein die Macht hervorgehen kann.

Um ihnen eine richtige Idee unserer Bestrebungen zu geben, brauche ich Ihnen nur eins zu sagen. Unser Programm ist das Ihre, dasselbe, welches Sie im vergangenen Jahre auf Ihrem Kongreß proklamiert haben, und wenn Sie demselben treu geblieben sind, gehören Sie zu uns, aus demselben Grunde, wie wir zu Ihnen gehören. Wir verabscheuen das Prinzip der Diktatur, des Regierungssystems (gouvernementalisme) und der Autorität, wie Sie es verabscheuen; wir haben die Überzeugung, daß jede politische Gewalt zu einer unfehlbaren Quelle der Entsittlichung für die Regierenden und der Knechtschaft für die Regierten wird. – Staat bedeutet Herrschaft, und die menschliche Natur ist so geartet, daß jede Herrschaft zur Ausbeutung führt. Als Feinde des Staates unter allen Umständen, des Staates in allen seinen Kundgebungen, wollen wir einen solchen ebensowenig in der Internationalen dulden. Wir betrachten die Londoner Konferenz und die von ihr angenommenen Resolutionen als eine Intrige des Ehrgeizes und als einen Staatsstreich, und deshalb haben wir protestiert und werden bis ans Ende protestieren. Ich berühre nicht die persönlichen Angelegenheiten, leider werden sie nur zu sehr den nächsten Kongreß beschäftigen, wenn dieser Kongreß stattfindet, woran ich meinerseits zweifle, denn wenn die Dinge in derselben Weise fortgehen wie bisher, wird es bald auf dem Festlande Europas keinen Ort geben, wo sich die Delegierten des Proletariats versammeln können, um frei zu beraten. Und jetzt sind alle Augen auf Spanien und auf den Ausgang Eures Kongresses gerichtet. Was wird das Resultat desselben sein? Dieser Brief wird Ihnen, wenn er Ihnen zukommt, erst nach dem Kongresse zukommen. Wird er Sie in voller Revolution oder in voller Reaktion finden? Alle unsere Freunde in Italien, in Frankreich, in der Schweiz erwarten in grausamer Spannung Nachrichten aus Ihrem Lande.

Sie wissen ohne Zweifel, daß in Italien in der letzten Zeit die Internationale und unsere teure Allianz eine sehr bedeutende Entwicklung erreicht haben. Das Volk, sowohl auf dem Lande wie in den Städten, befindet sich in einer vollständig revolutionären, d.h. in einer ökonomisch verzweifelten Lage, und die Massen beginnen, sich in sehr ernster Weise zu organisieren, ihre Interessen beginnen Ideen zu werden. – Was bisher Italien gefehlt hat, das waren nicht die Instinkte, sondern gerade die Organisation und die Idee. Beide bilden sich jetzt derart, daß Italien nächst Spanien, mit Spanien in dieser Stunde vielleicht das revolutionärste Land ist. In Italien existiert, was den anderen Ländern fehlt: eine glühende, energische Jugend ohne jede Stellung, ohne Karriere, ohne Ausweg (tout à fait déplacée, sans carrière, sans issue), die trotz ihrer Bourgeois-Herkunft nicht moralisch und intellektuell erschöpft ist, wie die Bourgeois-Jugend anderer Länder. Heute stürzt sie sich kopfüber (à tête perdue) in den revolutionären Sozialismus mit unserem ganzen Programm, dem Programm der Allianz. Mazzini, unser genialer und mächtiger Gegner, ist tot, die mazzinistische Partei ist vollständig desorganisiert, und Garibaldi läßt sich mehr und mehr fortreißen von jener[470] seinen Namen führenden Jugend, die jedoch viel weiter geht, oder vielmehr läuft, als er. Ich habe den Freunden in Barcelona eine italienische Adresse gesandt; ich werde ihnen bald noch andere schicken. Es ist gut, es ist notwendig, daß die Alliierten Spaniens mit denen Italiens in direkte Verbindung treten. Erhalten Sie die italienischen sozialistischen Blätter? Ich empfehle Ihnen besonders: die »Eguaglianza« in Girgenti, Sizilien, die »Campana« in Neapel – den »Fascio Operaio« in Bologna – »Il Gazzettino Rosa«, aber vor allen »Il Martello« in Mailand, der leider mit Beschlag belegt und dessen Redakteure sich sämtlich im Gefängnis befinden.

In der Schweiz empfehle ich Ihnen zwei Alliierte: James Guillaume (Schweiz, Neuchâtel, 5, Rue de la Place d'Armes) und Adhémar Schwitzguébel, Graveur (Mitglied und korrespondierender Sekretär der Jura-Föderation), Schweiz, Berner Jura, Sonvillier, Herrn Adhémar Schwitzguébel, Graveur. (Folgt die Adresse Bakunins.)

Allianz und Brüderlichkeit

M. Bakunin


Ich bitte, grüßen Sie meinerseits den Bruder Morago, und bitten Sie ihn, mir sein Blatt zu schicken.

Bekommen Sie das »Bulletin« der Jura-Föderation?

Ich bitte Sie, diesen Brief zu verbrennen, da er Namen enthält.


Der Haager Kongreß hat Bakunin nicht bloß als Gründer der Allianz, sondern auch wegen einer persönlichen Tatsache aus der Internationalen ausgestoßen. Das authentische Dokument, das diese Tatsache belegt, ist noch in unseren Händen, doch gebieten uns politische Gründe, vorläufig von seiner Veröffentlichung Abstand zu nehmen.[471]


Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1962, Band 18.
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