Von den Religionen der Utopier.

[141] Die Religionen sind nicht nur in allen Theilen der Insel, sondern auch in den einzelnen Städten verschieden, indem in der einen die Sonne, in einer andern der Mond und in wieder einer andern überall ein anderer Planet göttlich verehrt wird.

Es gibt Leute, die irgend einen Menschen, der einst durch Tugend oder Ruhm glänzend hervorgeragt hat, nicht nur für einen Gott, sondern für den höchsten Gott überhaupt halten.

Aber der weitaus größte und vernünftigste Theil nimmt nichts von all dem, sondern ein göttliches, unbekanntes, ewiges, unendliches, unbegreifliches Wesen an, das über die Fassungskraft des menschlichen Geistes geht und durch das ganze Weltall ergossen ist, nicht durch materielle Größe und Masse, sondern durch seine innewohnende Kraft. Dieses nennen sie Vater, ihm allein schreiben sie den Beginn, das Wachsthum, den Fortschritt, die Verwandlungen und das Ende aller Dinge zu und keinem sonst erweisen sie göttliche Ehren.

Aber darin kommen doch alle überein, so Verschiedenerlei sie auch glauben mögen, daß sie nämlich ein höchstes Wesen annehmen, das zugleich als Schöpfer und Vorsehung des Ganzen anzusprechen sei; dieses nennen sie alle gemeinschaftlich in ihrer vaterländischen Sprache Mythras, nur darin gehen sie in ihren Ansichten auseinander, daß Jeder etwas Anderes für »Mythras« hält.[142]

Aber doch meint Jeder, Dasjenige, es sei, was es wolle, was er für das höchste Sein hält, sei dieselbe Natur, deren göttliche Urkraft und Majestät nach der Uebereinstimmung aller Völker die oberste Leitung alles Geschehens zugeschrieben wird.

Uebrigens schwindet die Verschiedenartigkeit abergläubischer Religionsformen unter ihnen mehr und mehr, und jene eine Religion schlingt ein sie zusammenschweißendes Band um sie, die alle übrigen an Vernunft zu übertreffen scheint. Kein Zweifel, daß die übrigen Religionen schon früher verschwunden wären, wenn nicht jedes unheilvolle Ereigniß, das Einem widerfahren, während er sich mit dem Gedanken getragen, seine Religion zu ändern, anstatt dem Zufalle zugeschrieben zu werden, von der Furcht als eine vom Himmel gesandte Strafe einer Gottheit aufgefaßt worden wäre, womit sie das frevle Beginnen, daß ihr Kultus aufgegeben worden, rächen wolle.

Als sie aber nachmals von uns den Namen Christi, seine Lehre, seine Sitten, Wunder vernahmen, sowie die nicht minder bewundernswerthe Standhaftigkeit so vieler Märtyrer, wie deren freiwillig vergossenes Blut so zahlreiche Volker weit und breit zu seinem Bekenntniß übergeführt habe – da war es schier nicht zu glauben, mit wie willigem Gemüthe auch sie zum Christenthum übertraten, es sei Solches nun geschehen durch Götter heimliche Eingebung, oder aber darum, weil dieser Glaube ihnen am meisten Aehnlichkeit mit jenem heidnischen Glauben zu haben dünkte, der bei ihnen die tiefsten Wurzeln geschlagen hat.

Obwohl ich glaube, daß auch der Umstand von nicht geringem Gewichte war, daß sie erfahren hatten, Christus habe das gemeinsame Leben seiner jünger gern gesehen, und daß dieses in den Zusammenkünften der echtesten Christen noch heutzutage gebräuchlich sei.

Aus welchem Grunde dies nun erfolgte, auf alle Fälle sind ihrer nicht wenige zu unserem Glauben übergetreten, und mit heiligem Taufwasser benetzt worden.

Weil aber unter uns Vieren (so Viele waren unser nur noch übrig, da zwei dem Schicksale erlegen waren) leider kein Priester[143] war, so mußten sie, obwohl in allen Punkten unseres Glaubens wohl unterrichtet, gleichwohl auf die Sakramente verzichten, die bei uns nur die Priester auszuspenden pflegen. Aber sie begreifen die Natur derselben, und wünschen so sehr in deren Besitz zu kommen, daß sie über nichts eifriger unter sich Besprechungen halten, als darüber, ob nicht auch ohne das Geheiß des christlichen Papstes Einer von ihnen zum Priester gewählt werden und so diese Würde erlangen könne. Sie scheinen auch diesen Schritt vornehmen zu wollen, doch hatten sie, als ich von ihnen schied, zu diesem Amte noch Niemand erwählt gehabt.

Auch Diejenigen, die nicht der christlichen Religion anhängen, schrecken wenigstens Keinen davon zurück und bereiten Keinem eine Anfechtung, der sie angenommen hat. Nur ein Einziger aus unserer Gesellschaft wurde während meiner Anwesenheit auf Utopia verhaftet. Dieser nämlich, ein Neugetaufter, disputirte, obwohl wir es ihm widerriethen, öffentlich mit mehr Eifer als Klugheit über das christliche Glaubensbekenntniß, bis er so in Hitze gerathen war, daß er es nicht nur über alle andern erhob, sondern die übrigen auch alle als profan verdammte und ihre Bekenner als Gottlose und Verruchte verlästerte, denen das höllische Feuer ins Gebein fahren solle.

Da er zum Volke dergestalt redete, ergriffen sie ihn und klagten ihn, nicht der Verächtlichmachung anderer Glaubensbekenntnisse, sondern der Erregung von Aufruhr im Volke schuldig, an, verurtheilten und bestraften ihn sodann mit Verbannung. Denn es ist eine ihrer ältesten gesetzlichen Einrichtungen, daß seine Religion Keinem zum Nachtheile gereichen dürfe.

Denn Utopus hatte von Anfang an vernommen, daß die Ureinwohner schon vor seiner Ankunft beständig Religionsstreitigkeiten unter einander geführt hatten, und da er bemerkt hatte, daß dies zu einer allgemeinen Spaltung Veranlassung gab, indem sie sich nur als einzelne Sekten an der Vertheidigung ihres Vaterlandes betheiligen, und daß ihm dadurch die Gelegenheit[144] sehr erleichtert worden war, sie alle der Reihe nach zu besiegen, so setzte er, nachdem dies erreicht war, vor allen Dingen fest, daß Jeder einer beliebigen Religion solle anhängen dürfen, daß es ihm aber auch freigestellt sei, Andere für seinen Glauben zu werden, doch nur mit dem Beding, daß er andere Religionen nicht rauh und bitter angreife, wenn es ihm nicht gelingt, durch Zureden etwas auszurichten, und daß er keine Gewaltmittel anwende und alle Schmähungen unterdrücke. Einer, der in diesem Punkte allzu unleidlich vorgeht wird mit Verbannung oder Sklaverei bestraft.

Dieses Gesetz hat Utopus nicht nur der Erhaltung des Friedens wegen gegeben, den er unter persönlichem Streit und unversöhnlichem Haß von Grund aus zerstört werden sah, sondern, weil er auch der Meinung war, daß eine solche Entscheidung im Interesse der Religion selbst gelegen sei, über welche er sich keine vermessenen Aufstellungen erlauben wollte, als ob er nicht wisse, ob nicht Gott selbst verschiedenartige und vielfache Cultusformen wünsche, und dem Einen diese, dem Andern jene Religion eingebe.

Aber mit Gewalt und Drohungen erzwingen, daß das, was du für wahr hältst, auch alle Andern wahr bedünken solle, das hielt er für unverschämt und abgeschmackt. Wenn nun höchstens eine Religion die wahre ist, und die andern nichtig und eitel sind, so hat er doch unschwer vorausgesehen (wenn die Sache nur mit Vernunft und Mäßigung behandelt wird), daß die innere Kraft der Wahrheit sich glänzend Bahn brechen werde.

Wenn aber mit den Waffen in der Hand und im Aufruhr gestritten wird, so würde, da die schlechtesten Menschen die hartnäckigsten sind, die beste und heiligste Religion, wie die Saat unter Dörnern und Sträuchern, unter einem Wust abergläubischer Wahnvorstellungen erstickt werden.

So hat er diese ganze Frage offen gelassen und einem Jeden es völlig freigestellt, was er glauben wolle und was nicht. Nur das Eine hat er hoch und theuer verboten, daß jemand so tief unter die Würde der menschlichen Natur sinke, daß er des Glaubens sei, die Seele sterbe zugleich mit dem Leibe, oder die Welt werde[145] nur so von ungefähr, ohne höhere Vorsehung, im Getriebe erhalten.

Und so glauben sie denn, daß die Laster nach diesem Leben bestraft werden, für die Tugend aber Belohnungen ausgesetzt sind; den, der das Gegentheil glaubt, erachten sie gar nicht für ein menschliches Wesen, als Einen, der die erhabene Natur seiner Seele bis zur Stufe eines bloß thierischen Körpers erniedrigt hat, und sie versagen ihm noch mehr Rang und Stellung eines Bürgers unter ihnen, deren Einrichtungen und Gebräuche er (wenn ihm die Furcht darin nicht Schranken setzte) nur »wie Luft« behandeln würde. Denn wem kann ein Zweifel darüber bleiben, daß ein Solcher die öffentlichen vaterländischen Gesetze entweder hinterlistig heimlich umgehen, oder sie gewaltsam übertreten wird, da er nur seinen persönlichen Lüsten dient, wenn er über die Gesetze hinaus nichts fürchtet und keine Hoffnung weiter hegt, als für seinen Körper.

Einem so Gesinnten wird daher keinerlei Ehre erwiesen, kein obrigkeitlicher Posten übertragen, er kann keinem öffentlichen Amte vorstehen. Er wird überall, wegen seiner trägen, unnützen Natur verachtet. Gleichwohl belegen sie ihn nicht mit Strafe, weil sie der Ueberzeugung sind, daß Keiner es in seiner Macht und Willkür habe, einen beliebigen glauben zu bekennen; aber ebensowenig zwingen sie ihn, seine Gesinnung zu verstellen und zu heucheln, denn von Lüge und Verstellung wollen sie nichts wissen, diese sind vielmehr, als dem Betruge schon sehr nahe kommend, bei ihnen streng verpönt. Doch ist ihm verboten, sich in Erörterungen über seine abweichenden Ansichten einzulassen, wenigstens vor dem gemeinen Volke. Aber vor den Priestern und ernsten gesetzten Männern das zu thun, dazu werden sie im Gegentheil sogar ermahnt, indem man sich dem Vertrauen hingibt, ihr Wahnwitz werde doch endlich der Vernunft weichen.

Es gibt auch Solche, und deren gar nicht wenige, die man ungehindert gewähren läßt, die nicht gänzlich der Vernunft entbehren und die nicht schlecht sind, die vielmehr in den entgegengesetzten Fehler verfallen und auch die Seele der Thiere für ewig halten.[146] Aber sie seien doch mit den unsrigen an Würde nicht zu vergleichen und nicht zu dem gleichen Grade von Glück geboren, denn sie glauben fast insgesammt mit vollendeter Sicherheit, das Glück der Menschen in jenem Leben werde ein so überschwängliches sein, daß sie zwar Jedermanns Krankheit, aber Niemands Tod beweinen, außer den Derjenigen, die sie ungern und angsterfüllt aus dem Leben scheiden sehen. Denn das halten sie für ein höchst übles Anzeichen, als ob dessen Seele aller Hoffnung bar sei und ein schlechtes Gewissen habe und als ob sie in dunkler Ahnung vor der bevorstehenden Strafe sich fürchte, das Leben zu verlassen. Ueberdies werde der, meinen sie, Gott keineswegs willkommen sein, der, wenn er gerufen wird, sich nicht freudig zu ihm drängt, sondern nur unwillig und widerstrebend in seine Nähe gezogen wird.

Ein derartiger Tod hat für die Zuschauer etwas Grauenhaftes; trauernd und schweigend tragen sie einen so Gestorbenen hinaus und, nachdem sie gebetet, daß Gott seiner abgeschiedenen Seele gnädig sein und ihr ihre Sünden verzeihen möge, verscharren sie den Leichnam unter die Erde. Diejenigen dagegen, die frohgemuth und hoffnungsvoll dahingegangen sind, betrauert Niemand; mit Gesang begleiten sie sie auf ihrem letzten Wege, empfehlen deren Seele liebevoll in Gottes Hut, verbrennen die Leiber ehrfurchtsvoll, doch nicht schmerzlich bewegt, und errichten dem Todten eine Gedenksäule an Ort und Stelle, auf die seine Titel eingemeißelt worden sind. Und wenn sie nach der Bestattung heimgekehrt sind, so bilden Leben und Charakter des Verewigten den Gegenstand ihres Gesprächs, wobei sie keinen Abschnitt seines Lebens lieber und öfter behandeln, als seinen schönen, seligen Tod.

Diese Feier zum Gedächtniß ihrer Rechtschaffenheit halten sie für einen höchst wirksamen Anreiz zur Tugend bei den Lebenden, sowie für eine den Todten höchst angenehme Huldigung, von[147] denen man annimmt, daß sie den Besprächen über sie beiwohnen, wenn auch (für das blöde Gesicht der Sterblichen) unsichtbar.

Denn es wäre ja etwas dem Loose der Seligen Unangemessenes, wenn es ihnen nicht frei stände, überallhin zu wandern, wohin sie wollen, und es wäre undankbar von ihnen, wenn sie mit dem Leben zugleich der Sehnsucht ledig geworden wären, ihre Freunde wieder zu sehen, mit denen sie bei Lebzeiten durch gegenseitige Liebe und Sympathie verbunden waren, welche doch nach ihrer Auffassung, wie alle übrigen guten Eigenschaften guter Menschen, nach dem Tode nur zunehmen können, anstatt abzunehmen. Darum glauben sie, daß die Todten noch unter den Lebenden umwandeln, und als Zuhörer und Zuschauer von den Reden und Handlungen der Lebenden zugegen sind. Sie gehen mit um so viel mehr Zuversicht an ihre Unternehmungen und Geschäfte, im Vertrauen auf solche Schirmherren, und auch von jeder heimlichen Schandthat hält sie die geglaubte Gegenwart der Vorfahren zurück.

Vogelflug-Wahrsagungen und alle die anderen abergläubischen Wahrsagereien, wie sie bei anderen Völkern hoch im Schwange sind, betreiben sie ganz und gar nicht und verlachen sie nur.

Wunder dagegen, die gegen den Lauf der Natur erfolgen und ihn durchkreuzen, halten sie als Beweise und Zeugen der wirkenden Macht der Gottheit in Ehren. Solche sollen dort zu Lande häufig vorkommen und in wichtigen und zweifelhaften Angelegenheiten flehen sie mit großer Zuversicht durch öffentliche Fürbitte um solche und erlangen sie auch.

Sie halten die Betrachtung der Natur und Lob und Preis derselben, die sich daraus ergeben, für einen Gott wohlgefälligen Kult; doch gibt es auch Solche, und ihrer gar nicht Wenige, die sich so ganz in der Religion leiten lassen, daß sie die Wissenschaften vernachlässigen und die Erkenntniß der Dinge hintansetzen; doch dem Müssiggange sind sie nicht ergeben, sondern sie glauben die Seligkeit im Jenseits nur durch rege Tätigkeit und gute Werke zu verdienen.

Daher pflegen die Einen die Kranken, die Andern bessern[148] Wege und Straßen aus, Jene säubern Gräben, repariren Brücken, stechen Rasen, graben und schaufeln Sand und Steine aus, fällen, spalten und zersägen Bäume, transportiren auf Karren Holtz Getreide und Anderes nach den Städten, und nicht blos für Zwecke des Gemeinwesens, sondern sie geben sich auch für Privatleute zu Dienern her, ja sind unterwürfiger als die Sklaven, denn alle harte, schwierige und schmutzige Arbeit, wovon die Andern durch Arbeitsscheu, Ekel, Verzagtheit zurückgeschreckt werden, übernehmen sie freiwillig und heitern Sinnes, wodurch sie Andern behagliche Muße ermöglichen, während sie selbst nichts als Arbeit und Plage haben, die sie nicht in Rechnung Stellen; sie haben auch kein schmähendes Wort für die Andern wegen ihrer anders gearteten Lebensführung und überheben sich selber nicht.

Aber je mehr sie sich wie Sklaven gehaben, desto höher stehen sie nur bei Allen in Ansehen und Ehren.

Es sind ihrer aber zwei Secten. Die eine ist die der Unverheiratheten, die sich nicht nur des fleischlichen Umgangs mit dem andern Geschlechte völlig enthält, sondern auch des Genusses von Fleischspeisen und Einige sogar des Fleisches aller Thiergattungen. Sie verwesen alle Vergnügungen des irdischen Lebens als schädliche Dinge, und trachten nur nach den Freuden des künftigen die sie durch Nachtwachen und vergossenen Schweiß zu verdienen hoffen; sie sind alle die Zeit über wohlgemuth und rüstig.

Die zweite Secte greift nicht weniger bei der Arbeit zu, zieht es aber vor, in den Ehestand zu treten, dessen trostgewährende Natur sie nicht verschmähen; zudem meinen sie, sie schuldeten der Natur den Zoll und dem Vaterlande Kinder. Sie wenden sich von keinem Vergnügen ab, welches sie nicht von der Arbeit abzieht. Das Fleisch der Vierfüßer ist ihnen aus dem Grunde willkommen, weil sie sich durch dessen Genuß zu Arbeiten mannigfachster Art tauglicher erachten.

Diese halten die Utopier für die klügeren, Jene für die Frömmeren. Wenn Diejenigen, welche die Ehelosigkeit vorziehen und ein rauheres, hartes Leben einem gemächlichen, sich auf[149] Vernunftgründe stützen wollten, so würden die Utopier sie auslachen; so aber, da Jene selbst bekennen, von religiösen Motiven geleitet zu werden, achten sie sie hoch und verehren sie, denn in keinem Punkte nehmen sie sich so in Acht, wie darin, daß sie über Religion nicht etwas Unbedachtes verlauten lassen.

So also sind Diejenigen beschaffen, die sie mit einem eigenes Worte in ihrer Landessprache Buthresken nennen, welches Wort mit »gottesfürchtig« übersetzt werden darf.

Sie haben Priester von außerordentlicher Frömmigkeit, und deshalb sind deren nur sehr wenige, denn es sind ihrer nicht mehr als dreizehn in den einzelnen Städten für die gleiche Anzahl von Gotteshäusern, außer zu Kriegszeiten, wo sieben von diesen zum Heere abgehen, an deren Stelle inzwischen ebenso viele nachernannt werden müssen; wenn jene aber zurückkehren, nehmen sie ihre Amtsstellen wieder ein; die überzähligen sind einstweilen, d.h. bis sie in die durch Todesfall erledigt werdenden Plätze einrücken, Amtsgehilfen des Oberpriesters. Einer ist nämlich der Vorgesetzte aller übrigen Priester.

Sie werden vom Volke gewählt und zwar nach Maßgabe der anderen Obrigkeiten, in geheimer Abstimmung, um Gunst und Gehässigkeit zu vermeiden; die Gewählten werden vom Priestercollegium eingeweiht. Sie haben Alles in geistlichen Angelegenheiten anzuordnen, überwachen die religiösen Gebräuche, und sind gleichsam Sittenrichter.

Es wird für eine große Schande gehalten, von ihnen wegen eines unehrenhaften Handels vorgefordert und gerügt zu werden. Wie aber Ermahnen und Warnen ihres Amtes ist, so ist es Sache des Fürsten oder der sonstigen Obrigkeiten, die Missethäter zu maßregeln und zu strafen, ausgenommen, daß die Priester Jenen den antritt zum Heiligthum untersagen, die sie als frevelhafte Uebelthäter erkannt haben; und es gibt wohl keine Strafe, vor der sich diese mehr fürchten. Denn es trifft sie dadurch höchlich Schande und Unehre und sie werden von geheimer religiöser Furcht gefoltert, ja sie fürchten sogar für ihre körperliche Sicherheit, weil, wenn sie nicht schleunige Furcht den Priestern[150] kundgeben, sie ergriffen und vom Senate mit der Strafe für Gottlosigkeit belegt werden.

Kindheit und heranwachsende Tugend werden von den Priestern unterrichtet; für eine Grundlage in den Wissenschaften wird nicht früher gesorgt, bis ein sittliches Fundament gelegt ist, denn sie lassen es sich aufs höchste angelegen sein, gute und für den Bestand des Staatswesens heilsame Gesinnungen und Grundsätze in die noch zarten und fügsamen Gemüther der Kinder einzupflanzen. Wenn solche Lehren bei den Kindern in Fleisch und Blut übergegangen sind, bleiben ihnen auch die Männer getreu und bilden eine mächtige nützliche Schutzwehr des Staatswesens, das nur dadurch zerfällt, daß die Laster, die aus nichtsnutzigen Gesinnungen entspringen, um sich greifen.

Die Priester (sofern sie nicht Frauen sind, denn auch das weibliche Geschlecht ist von diesem Stande nicht ausgeschlossen, wenn die Wahl auch selten auf sie fällt, wie denn auch nur Wittwen und alte Frauen gewählt werden) haben die auserwähltesten Frauen der Volksgenossen zu Gattinnen.

Keiner Obrigkeit wird bei den Utopiern mehr Ehrerbietung gezollt, und diese geht so weit, daß, wenn ein Priester ein Verbrechen begangen hat, er keinem weltlichen Gerichte unterliegt; er wird Gott und sich selbst überlassen. Die Utopier halten es nämlich nicht für erlaubt. Denjenigen, ein so großer Frevler er auch sei, mit sterblicher Hand zu berühren, der Gott auf eine so eigenartige Weise, gleichsam wie ein Weihgeschenk, geweiht ist.

Diese Sitte ist um so leichter inne zu halten, als nur so wenige Priester, und diese mit solcher Sorgfalt erwählt werden. Somit ereignet es sich kaum einmal, daß, da aus den Guten nur der Beste zu so hoher Würde lediglich seiner Tugend wegen erhoben wird, er zu Lastern und Verderbtheit entartet; und, wenn es immerhin einmal geschieht, wie denn die menschliche Natur wandelbar ist, so ist doch, da es sich ja nur um so sehr Wenige handelt und diese außer den Ehren mit keiner Macht bekleidet sind, von ihnen in Bezug auf öffentliche Schädigung des Gemeinwesens nichts zu fürchten.[151]

Sie haben deswegen so wenig Priester, damit nicht die Würde des Standes, dem sie jetzt eine so hohe Verehrung entgegenbringen, dadurch, daß Viele derselben theilhaft werden können, herabsinke; doch insbesondere deswegen, weil sie es für sehr schwer halten, Viele zu finden, die so sittlich gut sind, daß die dieser Würde würdig sind, die zu bekleiden mehr als gewöhnliche Tugenden erforderlich sind.

Ihre Werthschätzung ist zu Hause nicht großer, als bei den auswärtigen Völkern, und es ist leicht ersichtlich, woher dies, wie ich glaube, rührt.

Während die Truppen um Entscheidung in der Schlacht ringen, lassen sich Jene nicht weit davon auf die Kniee nieder, mit ihren geweihten Geländern angethan, und flehen mit zum Hummel emporgestreckten Händen vor allen Dingen um Frieden, dann um Sieg für die Ihrigen und um einen möglichst unblutigen Ausgang für beide Theile. Wenn die Ihrigen siegen, eilen sie in das Schlachtgewühl und thun dem Wüthen gegen die geschlagenen Einhalt; wer sie nur sieht und ihnen zuruft, dem ist sein Leben gesichert. Die Berührung ihrer wallenden Gewänder sodann rettet all ihr Besitzthum vor allen weiteren Unbilden des Krieges.

Daher genießen sie bei allen Völkern rings umher eine so große Verehrung und sind von so viel wahrer Majestät umgeben, daß ihre Anwesenheit in der Schlacht für ihre eigenen Bürger einen nicht minderen Schutz gegen die Feinde bedeutet, als sie ein solcher für die Feinde gegen die Utopier sind. Es ist wenigstens manchmal vorgekommen, daß, wenn ihre Schlachtordnung geworfen worden war und sie sich in verzweifelter Lage zur Flucht wandten, und die Feinde zur Plünderung und Niedermetzelung heranstürmten, durch die Dazwischenkunft der Priester die völlige Niederlage aufgehalten, die gegenseitigen Truppen getrennt worden und der Friede unter billigen Bedingungen zu Stande gekommen und abgeschlossen worden ist.

Und noch niemals hat es ein so wildes, grausames und barbarisches Volk gegeben, daß Leib und Leben dieser Priester ihm nicht als hochheilig und unverletzlich gegolten hätte.[152]

Feste feiern sie am ersten und am letzten Tage jedes Monats und des Jahres, das sie in Monate eintheilen, die nach dem Mondumlaufe gegliedert sind, während der Umlauf der Sonne das Jahr begrenzt. Die ersten Tage heißen in ihrer Landessprache Eynemernen, die letzten Trapemernen, welche Wörter als »Anfangsfest« und »Endfest« gedeutet werden mögen.

Man findet bei ihnen prachtvolle Tempel, nicht nur trefflich gebaute, sondern, was bei der geringen Anzahl derselben nöthig war, sehr geräumige, die große Volksmassen fassen können, Trotzdem aber sind sie halbdunkel, was nicht aus Unverstand der Baumeister, sondern auf den Rath der Priester so eingerichtet worden sein soll, weil übermäßig helles Licht die Gedanken ablenke und zerstreue, während durch matteres und gleichsam zweifelhaftes die Gemüther gesammelt würden und das Gefühl der Andacht sich erholte.

Denn wenn auch nicht eine und dieselbe Religion auf der Insel herrscht, so stimmen doch die Glaubensbekenntnisse, so verschiedentlich und vielfach sie auch sind, darin überein, daß sie auf verschiedenen Wegen in der Verehrung der göttlichen Natur die in einem Endziel zusammenkommen; daher sieht und hört man in den Tempeln nichts, was nicht für alle Kulte gemeinsam zu passen schiene.

Der besondere Gottesdienst einer Sekte wird in ihren Privathäusern abgehalten. Der allgemeine öffentliche Gottesdienst ist so beschaffen, daß keiner Privateigenheit eines Kultus zu nahe getreten wird. Daher ist kein Götterbild im Tempel zu erblicken, damit es Jedem unbenommen bleibe, unter welcher Gestalt er sich Gott nach seiner besonderen Religion vorstellen will, sie rufen Gott nicht unter einem bestimmten Namen, sondern nur unter dem des Mythras an, mit welchem Worte sie alle einmüthig die Natur her göttlichen Majestät bezeichnen, was diese auch sei; und es werden keine Gebete gesprochen, die nicht ein Jeder vorbringen könnte, ohne sich gegen seine Sekte zu verfehlen.[153]

An den Endfesttagen kommen sie Abends noch nüchtern zusammen, um Gott für das glücklich vollbrachte Jahr oder desgleichen Monat, dessen letzer Tag dieser Festtag ist, Dank zu sagen; am nächsten Tag, das ist am Anfangsfesttage, strömen sie früh in die Tempeln zusammen, um für das folgende Jahr oder den folgenden Monat, das oder der durch diesen Festtag eingeweiht wird, Glück und Heil zu erbitten.

Bevor sie sich an den Endfesttagen nach dem Tempel begeben, bekennen zu Hause die Frauen, indem sie ihren Männern, die Kinder, indem sie den Eltern zu Fußen fallen, daß sie gesündigt haben, sei's durch Begehung eines direkten Vergehens, sei's durch fahrlässige Erfüllung einer Pflicht, und bitten für ihren Fehler um Verzeihung; und so wird jede leichte Volke, die etwa aufgestiegen war und den Frieden am häuslichen Himmel verdunkelt hatte, zu voller Genugthuung verflüchtigt, so daß sie sie (Utopier) mit reinem und heiterem Gemüthe dem Gottesdienste beiwohnen können, denn mit getrübtem anwesend zu sein, verbietet ihnen ihr Gewissen, und wenn sie sich daher eines gegen jemand gehegten Grolles oder Zornes bewußt sind, so drängen sie sich nicht in das Gotteshaus, so lange sie sich nicht versöhnt und ihre Herzen von unlauteren Leidenschaften gereinigt haben, aus Furcht, daß die Rache des Himmels sie treffe.

Sobald sie eintreten, begeben sich die Männer auf die rechte Seite des Tempels, die Frauen auf die linke, dann ordnen sie sich so, daß die männlichen Mitglieder jeder Familie vor dem Familienvater Platz nehmen und die Hausfrau die Reihe der weiblichen Mitglieder schließt.

Das ist deswegen so vorgesehen, damit die Geberden und das Gebahren Aller von Denjenigen genau beobachtet werden können, die die häusliche Gewalt über die andern Alle haben; wie sie denn auch sorgsam daraus sehen, daß ein Jüngerer an diesem Orte mit einem Aelteren zusammengesetzt werde, damit nicht die Kinder, sich unter einander überlassen, diese Zeit mit kindischen Läppereien verbringen, während welcher sie gerade hauptsächlich[154] fromme Furcht vor dem Himmlischen empfinden sollten, welche der stärkste und fast einzige Anreiz zur Tugend ist.

Bei ihren Opfern schlachten sie keine Thiere und wähnen nicht, daß sich die göttliche Güte an Blut und Mord freue, die Allem, was da lebt, das Leben nur gegeben hat, damit es sich froh auslebe.

Sie zünden Weihrauch an und andere Wohlgerüche und tragen zahlreiche Wachskerzen vor sich her, nicht, als ob sie nicht müßten, daß das Alles der göttlichen Natur in keiner Weise fördersam ist, wie es auch die Gebete der Menschen nicht sind, aber eine harmlose Art der Verehrung gefällt ihnen, und durch diese Düfte, Lichter und die anderen Ceremonien fühlen sich die Menschen, ich weiß nicht wie, gehoben und erheben sich mit um so viel fröhlicherem Gemüthe zur Anbetung Gottes.

Das Volk hat im Tempel weiße Kleider an, der Priester ist in bunte Farben gekleidet, eine Gewandung, die durch Arbeit und Schnitt und Mache bewundernswerth, doch von wenig kostbarem Stoffe ist, denn sie ist weder mit Gold durchwirkt, noch mit werthvollen, seltenen Steinen bestickt, sondern mit verschiedenen Vogelfedern so sinnreich und kunstvoll gearbeitet, daß der kostbarste Stoff den Werth der Arbeit nicht aufwiegen würde. Ueberdies, heißt es, sind in diesen Schwingen und Federn und in gewissen Anordnungen derselben, welche auf dem priesterlichen Gewande wahrzunehmen sind, gewisse verborgene Geheimnisse enthalten, durch deren bekannte Auslegung (die von den Priestern sorgfältig überliefert wird) sie an die ihnen zu Theil gewordenen Wohlthaten Gottes und umgekehrt auch an die Gott schuldige Pietät, sowie an die Pflichten, die sie gegenseitig unter einander zu erfüllen haben, erinnert werden.

Sobald sich der Priester in diesem Ornate auf der Schwelle des Heiligthums zeigt, werfen sie sich insgesammt verehrungsvoll zu Boden, unter so allgemeinem tiefen Schweigen, daß dieser Anblick allein schon einen gewissen überirdischen Schauer einflößt, als ob eine Gottheit anwesend sei.

Nachdem sie eine Weile am Boden verweilt, erheben sie sich[155] auf ein vom Priester gegebenes Zeichen wieder und lobsingen Gott, wozu zwischendurch Instrumentalmusik ertönt; die betreffenden Instrumente sind großentheils von anderer Gestalt als die in unserem Erdkreise bekannten. Die meisten übertreffen die bei uns üblichen bedeutend an Sanftheit des Tons, manche sind mit den unsrigen nicht einmal zu vergleichen.

In einem Punkte aber sind uns die Utopier zweifellos bei weitem voraus, nämlich darin, daß ihre Musik, sei es Instrumental-, sei es Vokalmusik, so vorzüglich die natürlichen Gemüthsbewegungen nachahmt und zum Ausdrucke bringt, und die Töne durchweg so fachgemäß gehalten sind, daß, ob es sich um flehendes Gebet, oder um fröhliche, sanfte, stürmische, traurige, zornige Rede handelt, die Form der Melodie sich so treffend dem Sinne anschmiegt, daß die Gemüther der Zuhörer wunderbar ergriffen, durchdrungen, entflammt werden.

Zuletzt sprechen Priester und Volk feierliche Gebete zusammen in Worten, die so gefaßt sind, daß, was Alle hersagen, Jeder auch auf sich selbst beziehen kann. In diesen Gebeten erkennen sie Gott als den Allesregierer an, und sagen für zahllose empfangene Wohlthaten Dank, insbesondere aber dafür, daß sie durch die Gunst Gottes in dem glücklichsten Staatswesen, das es gibt, das Licht der Welt erblickt haben, und jener Religion theilhaft geworden sind, die sie für die wahrste halten.

Wäre das ein Irrthum, oder gäbe es in beiden Beziehungen ein Besseres, das mehr Gottes Billigung habe, so bitten sie ihn, daß er sie erleuchte und daß sie bereit seien, ihm in Allem zu folgen, welche Wege er sie auch weise; wenn aber diese Staatsform die beste ist und ihre Religion die richtigste, dann möge ihnen selbst Gott Standhaftigkeit verleihen und die Gesammtheit der Sterblichen zur Einführung derselben Lebenseinrichtungen und zum selben Gottesglauben bewegen, wenn es nicht sein unerforschlicher Wille sei, daß diese Verschiedenheit der Religionen bestehe, weil er daran Gefallen findet.

Schließlich bitten sie um einen leichten seligen Tod und um Aufnahme zu Gott; wie bald oder wie spät das geschehen solle,[156] darum wagen sie nicht zu bitten. Und wenn es, ohne Gottes Majestät zu verletzen, geschehen könne, so liege es ihnen vielmehr am Herzen, selbst den schwersten Tod zu erleiden und zu Gott zu gehen, als ihm sogar um den preis des glücklichsten Lebenslaufes so viel länger fern zu bleiben.

Wenn sie dieses Gebet gesprochen haben, werfen sie sich abermals zu Boden und stehen bald darauf wieder auf und gehen sodann zum Mittagessen.

Den übrigen Theil des Tages verbringen sie mit Spielen und militärischen Uebungen. – – –

Nun habe ich nach bestem Vermögen wahrheitsgemäß die Form dieser Republik beschrieben, die ich sicherlich nicht nur für die beste, sondern auch für die einzige halte, die mit vollem Rechte den Namen Republik, »Gemeinwesen«, verdient. Denn irgendwo anders ist, während sie Alle vom Allgemeinen Wohl sprechen, doch Jeder nur auf seinen eigenen Nutzen bedacht. Aber da, wo es kein Privateigenthum gibt, wird das öffentliche Interesse ernstlich wahrgenommen, und zwar auf beiden Seiten mit vollem Rechte. Denn wer würde anderwärts wohl nicht wissen, daß er Hungers sterben müßte, wenn er, selbst bei dem blühendsten Stande des Staates nicht selbst für sich wacker sorgt?

Und so wird er durch die unausweichliche Nothwendigkeit gedrängt, mehr seinen Vortheil, als den des Volkes, d. i. der Andern, im Auge zu haben.

In Utopien dagegen, wo Alles Allen gehört, zweifelt Niemand daran (wenn nur dafür gesorgt ist, daß die öffentlichen Speicher gefüllt sind) daß ihm je etwas für seine Privatbedürfnisse fehlen werde. Denn dort gibt es keine knickerig-hämische Vertheilung der Güter, keine Armen und keine Bettler, und obwohl Keiner etwas besitzt, sind doch Alle reich.

Denn gibt es einen herrlicheren Reichthum, als ohne jede Sorge, frohen und ruhigen Gemüthes zu leben? ohne für seinen Lebensunterhalt sorgen zu müssen, ohne von den beharrlich jammernden Klagen der Gattin gequält zu werden, ohne fürchten zu müssen, daß der Sohn in Noth gerathen werde, und wegen[157] der Mitgift der Tochter unbesorgt sein zu dürfen, sondern für ihren und aller der Ihrigen Lebensunterhalt, der Gattin, der Söhne, der Enkel, Urenkel und Ururenkel und für die ganze Reihe der Nachkommen, so lang sie auch immer sei, gesorgt und deren Glück verbürgt zu wissen? Es wird nicht weniger für Diejenigen gesorgt, die jetzt arbeitsunfähig sind, aber einst gearbeitet haben, wie für die Diejenigen, die zur Zeit noch arbeiten.

Da möchte ich doch sehen, ob sich Einer erdreistet, mit diesem hohen Billigkeitssinne die Gerechtigkeit anderer Völker zu vergleichen, und ich will gleich des Todes sein, wenn bei ihnen überhaupt eine Spur von Gerechtigkeit oder Billigkeit zu finden ist.

Denn was ist das für eine Gerechtigkeit, daß irgend ein Adeliger oder Goldschmied oder ein Wucherer oder ein beliebiger Anderer, die rein nichts thun und leisten, oder, wenn sie etwas thun, nur Derartiges, was für das Gemeinwohl nicht erforderlich ist, ein glänzendes, üppiges Leben führt, das ihm der Müssiggang oder ein ganz überflüssiges Geschäft ermöglicht, während hingegen ein Tagelöhner, ein Fuhrmann, ein Schmied, ein Landmann, die so viel und so hart und emsig arbeiten müssen, wie es kaum die Zugthiere auszuhalten im Stande sind, deren Arbeiten überwies so unentbehrlich sind, daß kein Staatswesen auch nur ein Jahr ohne dieselben bestehen könnte, einen so erbärmlichen Lebensunterhalt erwerben, ein so elendes Leben führen, daß die Lebensbedingungen der Zug- und Lastthiere als bei weitem günstiger erscheinen könnten, denn sie werden nicht so zu endloser Arbeit angehalten, und ihre Kost ist kaum eine schlechtere, aber ihr Leben ist dadurch angenehmer daß sie für die Zukunft nicht zu fürchten brauchen.

Die genannten Personen hingegen hetzt unfruchtbare, öde Arbeit in der Gegenwart ab, und der Gedanke an ein hilfeentblößtes Alter martert sie zu Tode, denn ihr täglicher Lohn ist so gering, daß er unmöglich für den Tag ausreichen kann, geschweige denn, daß auch nur das Geringste davon erübrigte, was zur Verwendung im Alter zurückgelegt werden könnte.[158]

Ist das nicht ein ungerechter und undankbarer Staat, der den Adeligen, wie sie heißen, und den Goldschmieden, und den übrigen Leuten ähnlichen Schlages, oder Müßiggängern oder bloßen schmarotzenden Fuchsschwänzern, oder denen, die nur für Herstellung nichtiger Vergnügungen thätig sind, das beste Wohlleben verschafft, den Bauern, Köhlern, Tagelöhnern, Fuhrleuten und Schmieden dagegen, ohne welche ein Staat überhaupt nicht existiren konnte, gar nichts Gutes zu Theil wird?

Aber nachdem ein solcher Staat die Arbeitskräfte im blühendsten Lebensalter mißbraucht hat, belohnt er die von der Last der Jahre und Krankheit Gebeugten, von allen Hilfsmitteln Entblößten, so vieler durchwachter Nächte, so vieler und so großer Dienste uneingedenk in schnödester Undankbarkeit mit einem jammervollen Tode, dem man die Leute überläßt.

Und an diesem spärlich zugemessenen Lohne der Armen knappsen die Reichen täglich noch ein klein wenig ab, nicht nur durch private List und Trug der Einzelnen, sondern auch durch öffentliche Gesetze, so daß, was früher Unrecht schien, den um den Staat so wohlverdienten Arbeitern mit Undank zu lohnen, sie jetzt aus dem Wege der Gesetzgebung sogar zu einem rechtlichen Zustande gemacht haben.

Wenn ich daher alle die Staaten, welche heutzutage in Blüthe stehen, durchnehme und betrachte, so sehe ich, so wahr mir Gott helfe, in ihnen nichts Anderes, als eine Art Verschwörung der Reichen, die unter dem Deckmantel und Vorwande des Staatsinteresses lediglich für ihren eigenen Vortheil sorgen, und sie denken alle möglichen Arten und Weisen und Kniffe aus, wie sie das, was sie mit üblen Künsten zusammen gerafft haben, erstens ohne Furcht es zu verlieren, behalten, sodann wie sie die Arbeit aller Armen um so wenig Entgelt als möglich sich verschaffen mögen, um sie auszunutzen.

Diese Anschläge, welche die Reichen im Namen der Gesammtheit, also auch der Armen aufgestellt und durchzuführen beschlossen haben, wurden dann zu Gesetzen erhoben. Aber wenn diese grundschlechten Menschen alle Besitzthümer, die für Alle hingereicht[159] hätten, unter sich getheilt haben – wie weit sind sie dann noch von dem Glückseligkeitszustande des utopischen Staatswesens entfernt!

Aus diesem ist zugleich mit dem gebrauche des Geldes aller Geiz und alle Gier verbannt, eine Last – und welcher – von Verdrießlichkeiten abgeschnitten und welche üppige Saat aller Laster mit der Wurzel ausgereutet! Denn, wer weiß nicht, daß Betrug, Diebstahl, Raub, Aufruhr, Zank und Streit, Aufstände, Mord, Verrath, Giftmischerei, die durch tägliche Strafen mehr geahndet als verhindert werden, mit der Beseitigung des Geldes verschwinden und dazu Furcht, Angst, Sorgen, Plagen, Nachtwachen, die alle mit dem Gelbe zugleich aus der Welt gehen; ja, die Armuth selbst die man doch allein für des Geldes bedürftig hält, würde von Stund' an, wo das Geld hinweggenommen wäre, ebenfalls abnehmen.

Am dir das ganz klar zu machen, so stelle dir einmal ein unfruchtbares Jahr, ein Jahr des Mißwachses vor, in dem eine Hungersnoth kaufende von Menschen dahingerafft hätte, – da behaupte ich nun geradezu, daß zu Ende dieser Hungersnoth so viel Getreide in den Kornspeichern der Reichen, wenn sie ausgeleert würden, gefunden werden könne, daß es, unter die Nothleidenden vertheilt, welche Auszehrung und schleichender Fieber weggerafft haben, überhaupt kein Gefühl von der Ungunst des Himmels und des Bodens hätte aufkommen lassen; so leicht wäre der Lebensunterhalt zu beschaffen, wenn nicht das gesegnete Geld, welches insbesondere dazu erfunden ist, daß es uns ja eben die Pforten zu den Hallen des Lebensgenusses öffne, dieselben umgekehrt gerade verschlösse.

Das fühlen, wie ich nicht zweifle, auch die Reichen, und sie wissen auch sehr wohl wie viel besser die Verhältnisse wären, in denen man keine notwendige Sache entbehrte, als daß man Ueberfluß an vielen überflüssigen Dingen hat, Verhältnisse, in denen man lieber zahlreichen Uebeln entrückt wäre, statt von Bergen von Reichthürmern gleichsam belagert zu sein.

Ich lasse mir auch nicht beifallen, einen Zweifel zu hegen,[160] daß entweder die vernünftige Erwägung des eigenen Vortheils, oder die Autorität unseres Heilands Christus (der bei seiner holten Weisheit wohl wissen mußte, was das Beste ist, und bei seiner unendlichen Güte das anrathen, was er als das Beste erkannte) unseren ganzen Welttheil schon längst zu der Gesetzgebung dieses (des utopischen) Staatswesens geführt haben würde wenn nicht ein gräuliches Unthier, Ursprung und Zeugerin alles Fluches und Verderbens, die Hoffart, aus aller Macht widerstrebte, die das Wohlsein nicht nach dem eigenen Vortheil, sondern nach dem Schaden der Andern bemißt.

Sie würde sogar auf den Rang einer Göttin verzichten, wenn es keine Armen gäbe, über die sie herrschen, und die sie hochfahrend behandeln könnte. Durch Kontrast mit dem Elend strahlt erst recht das Glück der Reichen, das seine Schätze auskramt und die entbehrende Noth peinigt und aufreizt.

Diese höllische Schlange kriecht und wühlt in den Herzen der Menschen und hält sie davon ab, einen besseren Lebensweg einzuschlagen, wie der Fisch, Schiffshalter genannt, das Schiff zurückhält. Sie nistet so tief in der Menschen Brust, daß sie nicht leicht herausgerissen werden kann.

Ich freue mich, daß diese Form des Staatswesens, die ich allen Menschen wünschen würde, wenigstens den Utopiern zu Theil geworden ist, die solche Einrichtungen für ihr Leben getroffen haben, mit denen sie das glücklichste Fundament zu ihrem Staate gelegt haben, aber nicht nur das, sondern, so viel menschliche Voraussicht zu weissagen im Stande ist, zu einem Staate, der von ewiger Dauer sein wird.

Denn, nachdem die Wurzeln des Ehrgeizes und der Parteiungen[161] mit den übrigen Lastern im Innern ausgerottet sind, droht keine Gefahr mehr, daß ein Bürgerzwist ausbreche, welcher den ausgezeichnet fundirten Wohlstand vieler Gemeinden und Städte dem Ruin entgegenführen könne.

Und da die innere Eintracht nicht zu zerstören ist, und die Staatlichen Einrichtungen das Heil Utopiens verbürgen, so ist der Neid aller benachbarten Fürsten (der es Schon gar oft versucht hat, dessen Versuche aber stets zurückgeschlagen worden sind) ohnmächtig, dieses Reich zu erschüttern oder in Aufruhr zu versetzen.


*


Als Raphael so nun erzählt hatte, kam mir Allerlei zu Sinne, was in den Sitten und Gesetzen dieses Volkes geradezu ungereimt erschien, nicht nur bei Begründung ihrer Kriegsführung, ihrer gottesdienstlichen Einrichtungen, ihrer Religion und obendrein noch anderer Einrichtungen, sondern vor allem auch das, was das eigentliche Hauptfundament ihres ganzen Bestandes ist, ihr Leben nämlich, ihre gemeinsame Lebensweise ohne allen Geldverkehr, wodurch allein der ganze Adel, die Pracht, der Glanz der wahren Majestät, wie es so die allgemeine Ansicht ist, die Zierde und der Schmuck des Staates, von Grund aus aufgehoben wird.

Gleichwohl machte ich keine Einwendung, da ich wußte, daß er vom langen Erzählen ermüdet war, und da ich durchaus nicht die Gewißheit hatte, daß er es gut aufgenommen haben würde, wenn ich ihm widersprochen hätte, namentlich, da ich mich erinnerte, daß er Einige aus diesem Anlasse getadelt hatte, als ob sie fürchteten nicht für gescheidt genug gehalten zu werden, wenn sie nicht etwas ausfindig machten, was sie gegen eine gegenteilige Meinung vorbringen konnten.

So lobte ich denn jene Einrichtungen und seine Rede, nahm ihn sodann bei der Hand und führte ihn in das Speisezimmer,[162] indem ich bemerkte, wir würden wohl noch später Zeit finden, über dieses Thema nachzudenken und des Langen und Breiten darüber zu Sprechen.

Möchte es dazu doch noch einmal kommen!

Indessen, wenn ich auch nicht Allem, was er zum Besten gegeben, beistimmen kann, obwohl er ohne Widerspruch ein höchst gelehrter, in den Weltangelegenheiten gründlich unterrichteter Mann war, so muß ich doch ohne weiteres gestehen, daß es im utopischen Staatswesen eine Menge Dinge gibt, die ich in anderen Staaten verwirklicht zu sehen wünsche.

Freilich wünsche ich das mehr, als ich es hoffe.


Ende des zweiten Buches.[163]

Quelle:
Thomas Morus: Utopia. München 1896.
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