Jacobi · Der Theosophismus

Sollte der Empirismus das allein Ausreichende in der Philosophie sein, so müßte uns der höchste Begriff, d.h. der Begriff des höchsten Wesens müßte uns zugleich mit der Existenz desselben durch die bloße Erfahrung gegeben sein. Hier bieten sich nun mehrere Möglichkeiten dar. Dürfen wir für möglich halten, daß uns der Begriff und mit ihm die Existenz des höchsten Wesens durch unmittelbare Erfahrung gegeben sei? Unmittelbare Erfahrung ist entweder äußere oder innere. Wie könnte nun aber ein Begriff, der doch immer Sache des Verstandes ist, durch äußere Erfahrung gegeben sein? Offenbar doch nur durch eine Tatsache oder Wirkung, welche unmittelbar unsern Verstand affizierte. Ein äußere Wirkung aber, die unmittelbar unsern Verstand in Anspruch nimmt, also unmittelbar auch auf diesen wirkt, kann nur Lehre, Unterricht sein. Der höchste Begriff müßte uns also durch eine von außen an uns kommende Lehre, und zwar durch eine Lehre von irrefragabler, unwiderstehlicher Autorität gegeben sein, und da eine solche unwiderstehliche Autorität nur der Lehre zuzuschreiben wäre, die von dem höchsten Wesen selbst käme (denn dieses allein ist in Ansehung seiner selbst die unwidersprechliche Autorität), so müßte uns der höchste Begriff durch eine Lehre gegeben sein, die sich in ihrer letzten Quelle auf das höchste Wesen selbst zurückführen ließe. Diese Zurückführung selbst könnte nur geschichtlich (auf historischem Wege) geschehen. Im übrigen ließe sich, wenn als höchstes Prinzip der Philosophie eine äußere Autorität angenommen wird, bloß zweierlei denken. Entweder ist eine völlig blinde Unterwerfung gemeint, oder man will, daß diese Autorität doch selbst auch wieder begründet, durch Vernunftgründe, welcher Art sie nun sein mögen, gestützt werde. Will man das[184] erste, so ist diese Annahme einer völligen Aufhebung der Philosophie gleichzuschätzen. Will man das zweite, so würde also doch (wenn nicht Zirkel) wieder eine von dieser Autorität unabhängige Philosophie erforderlich sein, sie zu begründen, und der Kreis dieser Philosophie müßte so weit und umfassend gezogen sein als nur immer der Kreis der freien und unabhängigen Philosophie.

Anstatt auf eine unmittelbare äußere Erfahrung sich zu stützen, könnte sich nun aber die Philosophie etwa auf eine unmittelbar innere Erfahrung, auf ein inneres Licht, auf ein inneres Gefühl sich berufen. Dies könnte nun wieder auf zweierlei Art geschehen. Einmal, indem man sich dieses (wahren oder angeblichen) Gefühls bloß als polemischen Mittels etwa gegen die bloß rationalistischen Systeme bediente, ohne selbst auf Wissen, nämlich auf eine aus diesem Gefühl oder aus dieser geistigen Intuition zu schöpfende Wissenschaft Anspruch zu machen. Oder diese (wahre oder angebliche) innere Erfahrung suchte sich zugleich zur Wissenschaft auszubilden, sich als Wissenschaft geltend zu machen. Wir beschränken uns nun zunächst wieder auf die erste Möglichkeit. Durch die Verzichtleistung auf Wissenschaft würde jenes Gefühl sich schon von selbst als ein bloß subjektives und individuelles erklären. Denn wäre es ein objektives und allgemein gültiges, so müßte es sich auch zu Wissenschaft gestalten können. So aber hat die Äußerung dieses Gefühls gegenüber von den rationalistischen Systemen nur den Wert einer individuellen Erklärung: »ich will dieses Resultat nicht, es ist mir zuwider, es widerstrebt meinem Gefühl.« Wir können eine solche Äußerung nicht für unerlaubt erklären, denn wir selbst räumen dem Wollen eine große Bedeutung wenigstens für die vorgängige Begriffsbestimmung der Philosophie ein. Die erste (der Philosophie selbst noch vorausgehende) Erklärung der Philosophie kann sogar nur der Ausdruck eines Wollens sein. Es muß insofern verstattet sein, nachdem eine Denkweise sich hinlänglich exponiert oder erklärt hat, zu sagen: ich mag sie nicht, ich will sie nicht, kann sie nicht mit mir vereinigen. Es ist schön, wie[185] Jacobi zu sagen: ich verlange einen persönlichen Gott, ein höchstes Wesen, zu dem ein persönliches Verhältnis möglich ist, ein ewiges Du, das meinem Ich antwortet, nicht ein Wesen, das bloß in meinem Denken ist, in meinem Denken ganz aufgeht und mit diesem völlig identisch ist – ich verlange nicht ein bloß immanentes Wesen in diesem Sinn, das außer meinem Denken nichts ist, ich verlange ein transzendentes, das auch noch außer meinem Denken etwas für mich ist – es ist löblich dies zu sagen; aber diese Äußerungen für sich allein sind schöne Worte, denen keine Taten entsprechen. Gibt es, im Widerspruch mit unserem Gefühl und unserem besseren Wollen, ein Wissen, das vielleicht sogar sich das Ansehen eines notwendigen und unausweichlichen zu geben weiß, so bleibt uns vernünftigerweise nur die Wahl, entweder in die Notwendigkeit uns zu ergeben, unserem Gefühl Stillschweigen zu gebieten, oder jenes Wissen durch wirkliche Tat zu überwinden. Jene Art von Philosophie aber, welche wir als die nächste Stufe empirischer Philosophie jetzt betrachten und als deren Repräsentant wir Fr. H. Jacobi ansehen können, diese, anstatt das Wissen, das ihr mißfällt, wirklich anzugreifen, räumt ihm vielmehr gänzlich das Feld, indem sie sich ins Nichtwissen zurückzieht, mit der Versicherung, nur im Nichtwissen sei Heil. Hieraus folgt also daß sie jenes bloß substantielle, Aktus ausschließende Wissen, das im Rationalismus herrschend ist, selbst für das einzig mögliche echte und wahre Wissen hält, indem sie ihm nicht ein anderes Wissen, sondern bloßes Nichtwissen entgegensetzt, da eigentlich dieses rationale Wissen selbst = nicht Wissen ist. Seiner eigenen Meinung, daß jenes substantielle Wissen das einzig mögliche Wissen sei, hat Jacobi kein Hehl. Unter seinen frühesten Behauptungen steht diese obenan, daß alle wissenschaftliche Philosophie unausbleiblich auf Fatalismus, d.h. auf ein bloßes Notwendigkeitssystem, hinausführe. Gegen Kant, Fichte und den, der nach ihm kam, gab sich Jacobi ein eignes Verhältnis. Nicht die Vernunftwahrheit, die Konsequenz ihrer Systeme griff er an, er gestand ihnen diese zu, jubelte aber[186] um so mehr, jetzt sei es am Tag, wohin eigentliches Wissen, Wissen aus einem Stück führe, nämlich unvermeidlich auf Spinozismus, Fatalismus usw. Jacobi gestand also selbst, daß ihm gegen jenes übermächtige Wissen, das er in den rein rationalen Systemen anerkannte, nichts übrigbleibe als die Appellation an das Gefühl, er gestand, daß er es wissenschaftlich nicht zu überwinden wisse; er bekannte, daß er auf dem Standpunkt des Wissens selbst nichts Besseres wisse und z.B. seiner wissenschaftlichen Einsicht nach selbst nur Spinozist sein würde. Kein anderer Philosoph hat dem reinen Rationalismus (womit ich, wie Sie wissen, nicht eine speziell theologische, sondern eine philosophische Denkart bezeichne) so viel eingeräumt als Jacobi. Er streckte vor ihm recht eigentlich die Waffen. Es wird daher wohl jedem einleuchten, daß ich Jacobi mit Recht an die Stelle des Übergangs vom Rationalismus zum Empirismus stelle. Mit seinem Verstand gehörte er ganz und ungeteilt dem Rationalismus an, mit dem Gefühl strebte er, aber vergebens, über ihn hinaus. Insofern ist vielleicht Jacobi die lehrreichste Persönlichkeit in der ganzen Geschichte der neueren Philosophie, womit ich jedoch nicht sagen will, daß er eine solche für jeden sei – auch etwa für den Anfänger, denn diesen können seine Schriften, so vielen Wert sie für den Kenner haben, eben wegen der zweideutigen Stellung des Verfassers, fast nur verwirren, und werden ihn unmerklich an eine gewisse Erschlaffung des Geistes gegenüber von den höchsten Aufgaben des menschlichen Verstandes gewöhnen, eine Erschlaffung, die durch ekstatische Gefühlsäußerungen nicht gutgemacht wird. Indes kann ich Jacobi gewiß nicht mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen, als indem ich ihm zugestehe, daß er von allen neueren Philosophen am lebhaftesten das Bedürfnis einer geschichtlichen Philosophie (in unserem Sinn) empfunden hat. Es war in ihm von Jugend auf etwas, das sich gegen ein alles auf bloße Vernunftverhältnisse reduzierendes, Freiheit und Persönlichkeit ausschließendes System gleichsam empörte. Zeugnis des geben einige seiner früheren Schriften, z.B. sein Brief[187] über Theismus an Schlosser, worin er die Leere des absolut ungeschichtlichen Theismus, der sogenannten reinen Vernunftreligion noch vollkommen einsah. Auf diesem Wege fortgehend hätte er vor allem zum Begriff einer geschichtlichen Philosophie gelangen müssen. Er hatte den wahren Charakter aller neueren Systeme erkannt, daß sie uns nämlich statt dessen, was wir eigentlich zu wissen verlangen, und, wenn wir aufrichtig sein wollen, allein zu wissen der Mühe wert halten können, nur einen leidigen Ersatz bieten, ein Wissen, in welchem das Denken nie über sich selbst hinauskommt und nur innerhalb seiner selbst fortgeht, während wir eigentlich über das Denken hinaus verlangen, um durch das, was höher ist als das Denken, von der Qual desselben erlöst zu werden. So der frühere Jacobi. In seinen frühesten Schriften hatte er sogar den Ausdruck »geschichtliche Philosophie« gebraucht; der Zusammenhang zeigte zwar, daß er damit nicht eine innerlich geschichtliche, sondern vielmehr eine solche verstand, welche Offenbarung und Geschichte zur äußeren Grundlage habe. Insofern konnte seine Philosophie scheinen, zu der ersten Art empirischer Philosophie zu gehören. Damals schien er mit den eigentlichen Offenbarungsgläubigen, den sogenannten Superrationalisten oder Supernaturalisten in völliger Übereinstimmung, z.B. mit Lavater Schlosser. Dies brachte ihn für eine Weile in einen sehr schlimmen Ruf bei der Zeit, welche damals auf das Ziel einer allgemeinen, nämlich bloß subjektiven Vernünftigkeit, worin allein die sogenannte Aufklärung bestand mächtig hinstrebte, und gegen welche er die Ansprüche des Gemüts und einer poetischen Natur geltend zu machen suchte. Dem damals erworbenen schlimmen Ruf hat er es wohl zu danken, wenn auch heutzutage noch übrigens ernst und christlich gesinnte Schriftsteller ihn gleichsam unter den Zeugen der Wahrheit anführen. Von diesem schlimmen Ruf strebte er jedoch in der Folge, sich immer mehr zu reinigen und die Welt über seinen vermeinten Super-Rationalismus vollkommen zu beruhigen, obgleich noch einer seiner letzten Anhänger nötig fand, sich seiner in dieser[188] Hinsicht anzunehmen und nach Jacobis Tode noch zu erklären, wie bitteres Unrecht dem Mann geschehen, wenn man ihn für einen Offenbarungsgläubigen im gemeinen Sinn genommen, sein Glaube sei (dies könne er versichern) ein reiner Vernunftglaube. Es bedurfte dessen nicht, indem er zumal gegen das Ende seines Lebens zur wahren Betrübnis nicht bloß der Besseren unter seinen Verehrern, sondern selbst derer, die er angegriffen und verfolgt hatte, die aber darum nicht aufhörten, mit freiem und unabhängigem Gemüt in ihm einen der besseren Geister zu erkennen – späterhin warf er sich, sage ich, dem leersten Rationalismus in die Arme, nicht jenem, der in der Philosophie eine so hohe Ausbildung erlangt hatte und der sich rühmte, daß in ihm die Vernunft selbst sich erkenne, sondern jenem dürftigen, bloß subjektiven Rationalismus, der eigentlich den Hauptinhalt dessen ausmacht, was insgemein Aufklärung genannt worden, durch den er aus der Gesellschaft von Spinoza, Leibniz und anderen großen Geistern einer früheren Zeit zuletzt auf gleiche Linie und in die Gesellschaft der tiefsten philosophischen Mittelmäßigkeit herabsank. Seine Äußerungen über Christus und Christentum in seinen späteren Schriften sind völlig übereinstimmend mit den Ansichten des tollsten theologischen Rationalismus.

Durch diesen Ausgang seiner Philosophie wurde Jacobi sehr unähnlich zweien Männern, die auf seine Bildung großen Einfluß gehabt hatten und die ich für Unrecht halten würde, in dieser geschichtlichen Entwicklung zu übergehen.

Der eine dieser Männer ist Pascal.

Wer noch im Suchen begriffen ist, wer ein Maß verlangt für den Punkt von Verständlichkeit und Begreiflichkeit, bis zu dem eine wahrhaft geschichtliche Philosophie gelangen muß, der lese Pascals Pensées. Wer nicht durch die Widernatürlichkeit irgendeiner anderen Philosophie etwa allen Sinn für das Natürliche und Gesunde bereits unwiederbringlich verloren hat, den wird bei einem aufmerksamen Lesen von Pascals Gedanken die Idee eines[189] geschichtlichen Systems, im Großen wenigstens, anwandeln.

Der andere dieser Männer ist Johann Georg Hamann, dessen jetzt gesammelte, früher wie sybillinische Blätter zerstreute und nicht leicht zu habende Schriften ohne alle Frage die wichtigste Bereicherung sind, welche die Literatur in der letzten Zeit erhalten, ich sage dies nicht etwa in der Absicht, Ihnen diese Schriften unmittelbar zu empfehlen; es gehört mannigfaltige Gelehrsamkeit dazu, ihre zahlreichen Anspielungen zu verstehen, tiefere Erfahrung, sie in ihrer ganzen Bedeutung zu erfassen; sie sind keine Lektüre für Jünglinge, aber für Männer, Schriften, die der Mann nie aus der Hand legen, die er fortwährend als Prüfstein seines eigenen Verständnisses betrachten sollte -Hamann, von dem Jacobi urteilte, er sei ein wahres pan von Gereimtheit und Ungereimtheit, Licht und Finsternis, Spiritualismus und Materialismus.

Hamann hatte kein System und stellte auch keines auf; aber wer eines Ganzen sich bewußt wäre, das alle die verschiedenartigen und disparaten Aussprüche, die gereimten und die scheinbar ungereimten, die höchst freien und auf der andern Seite wieder kraß orthodoxon Äußerungen Hamanns in einen Verstand zusammenfaßte, der dürfte, soweit ein Mensch überhaupt sich vorstellen darf, etwas zu verstehen, sich selbst sagen, daß er zu einiger Einsicht gelangt sei. Die Philosophie ist wirklich eine tiefe Wissenschaft, ein Werk großer Erfahrung, Menschen ohne geistige Erfahrung, bloße Mechaniker können hier nicht richten, wenn es ihnen gleich frei steht, in einem Urteil über Hamann ihre Natur zur Schau zu stellen, und da sie in den Kern seiner Denkart nicht einzudringen vermögen, sich an seine persönlichen Fehler und Schwächen zu halten, ohne welche übrigens der Mann schwerlich dieser Mann gewesen sein würde, und die mit den Tugenden und Vortrefflichkeiten seines Geistes so zusammenhängen, daß sie sich nicht davon trennen lassen. Jacobi wirft seinem Freunde Hamann Ungereimtheiten vor. An manchen Äußerungen desselben würde er freilich um keinen Preis teilgenommen[190] haben. Es ist leicht gesagt, daß alles mit bloßer Vernunft zusammenhange, aber es ist die blindeste Voraussetzung, die gewisse Systeme freilich machen müssen. Wenn es nun aber anderes wäre! und es ist anders; dies läßt sich freilich nicht a priori einsehen; denn das, was ist, ist überhaupt nur a posteriori einzusehen; a priori nur, was nicht anders sein kann.

Es hängt eben nicht alles so plan und einfach, als man sich vorstellt, sondern gar wunderlich und insofern, wenn man will, ungereimt zusammen. Gott heißt im A. T. selbst ein wunderlicher Gott, d.h., über den man sich wundern muß, und Hamann mit ganz eigentümlichem Witz versteht in diesem Sinn die bekannten Worte, die Simonides zum Tyrannen von Syrakus sagte: Je länger ich über Gott nachdenke, desto weniger begreife ich ihn (er versteht diese Worte nicht anders, als man sie auch von einem wunderlichen oder gar paradoxen Menschen verstehen würde). Muß man dasselbe doch zuweilen von einem originalen Menschen eingestehen, und ist doch selbst ein gewöhnlicher Mensch mehr, als a priori begriffen werden kann.

Wir kehren nun wieder zu Jacobi zurück. Haben wir bisher in Jacobi zwei Perioden unterschieden, eine, wo seine Philosophie eine supernaturalistische zu sein scheinen konnte, eine andere, wo er sich gegen Supernaturalismus, gegen Abhängigkeit von Offenbarung (vom Geschichtlichen) erklärte und bei einem bloß subjektiven Gefühl stehenblieb und sich mit demselben leeren Theismus begnügte, den er vorher angegriffen hatte, so suchte er in der späteren Zeit nicht bloß seinen Frieden mit dem gemeinen subjektiven Rationalismus zu schließen, auch dem objektiven, wissenschaftlichen suchte er sich zu nähern durch eine ihm eigentümliche Erfindung, welche nämlich darin bestand, an die Stelle des anfänglich gebrauchten Worts Gefühl das Wort Vernunft zu setzen und dieser ein unmittelbares gleichsam blindes Wissen von Gott zuzuschreiben, ja sie für ein unmittelbares Organ für Gott und göttliche Dinge auszugeben. Dies war noch das schlimmste Geschenk, das Jacobi der Philosophie machte,[191] indem dieses bequeme unmittelbare Wissen, wodurch man wie mit einem Wort über alle Schwierigkeiten hinweggehoben ist, von vielen unfähigen Köpfen ergriffen wurde, die bei höheren und niederen Schulen, zu denen sie durch Jacobis Einfluß befördert wurden, zumal bei uns der echt wissenschaftlichen Bildung der Jugend ungemein vielen Schaden getan hat. Man konnte in dieser der Vernunft gegebenen Bestimmung fast nur einen Mißverstand der gleichzeitigen Philosophie oder einen Versuch erkennen, sich durch diese Anbequemung sicher gegen sie zu stellen. Das Ungereimte dabei war, daß dieser Gott eines unmittelbaren Vernunftwissens nicht etwa die allgemeine Substanz, sondern wirklich der persönliche Gott mit all der Fülle von geistigen und moralischen Eigenschaften sein sollte, mit der ihn der allgemeine Glaube zu denken gewohnt ist. Ein unmittelbares Verhältnis zu einem persönlichen Wesen kann aber auch nur ein persönliches sein, ich muß mit ihm umgehen, in einem wahrhaft empirischen Bezug mit ihm stehen, ein solches empirisches Verhältnis ist ja aber von der Vernunft ebenso ausgeschlossen, wie alles Persönliche von ihr ausgeschlossen ist; sie soll gerade das Unpersönliche sein. Was die Vernunft unmittelbar erkennt, muß ebenso frei wie sie selbst von allen empirischen und daher auch von allen persönlichen Bestimmungen sein. Wenn Gott unmittelbar mit der Vernunft schon gesetzt und gewußt ist, so braucht es dann allerdings keines vermittelnden Wissens, d.h. keiner Wissenschaft, weder um zu dem Begriff Gottes zu gelangen noch um sich von seinem Dasein zu überzeugen. Unstreitig war es gerade wegen dieser Ausschließung jedes persönlichen Verhältnisses von der Vernunft, warum Jacobi in seinen früheren Schriften und seiner besseren Zeit die alles Empirische ausschließende Vernunft überall unter den Verstand herabgesetzt hatte. Wie ganz er von seinem ersten Wollen und anfänglichen Ziel abgekommen, beweist der Umstand, daß er in der Gesamtausgabe seiner Werke, die er gegen Ende seines Lebens veranstaltete, an allen den Stellen, wo er früher die Vernunft genannt und ihren negativen[192] Charakter angedeutet hatte, seine Leser benachrichtige, statt Vernunft müsse Verstand und statt Verstand Vernunft gelesen werden – gleichsam um damit alle Spuren seines früheren besseren Strebens zu vertilgen. Denn daß dem Verstand, wie er früher anerkannt hatte, in der Philosophie die erste Stelle gebühre, der Vernunft die zweite, dies erhellt ja eben aus der Forderung, daß ihr alles begreiflich gemacht werden soll, woraus von selbst folgt, daß sie nicht das ursprünglich Begreifende ist, es vieles gibt, das sie nicht ursprünglich begreift. Wenn man das, was ihr alles über ihren eignen unmittelbaren Inhalt Hinausgehende begreiflich macht, wenn man dies nicht Verstand nennen will, wie will man es dann nennen? Gott wird gerade nur mit dem Verstand erkannt, und zwar der höchste, gebildetste ans Ziel des Denkens gekommene Verstand erkennt erst Gott. Die Vernunft erkennt nur das Unmittelbare, das nicht sein Könnende, sie ist wie das Weib im Hause auf die Substanz, die ousia angewiesen, an dieser muß sie festhalten, damit Wohlstand und Ordnung im Hause bleibe, sie ist eben das Zusammenhaltende, Begrenzende, während der Verstand das Erweiternde, Fortschreitende, Tätige ist. Die Vernunft ist das Unbewegliche, der Grund, auf den alles erbaut werden muß, aber eben darum nicht selbst das Erbauende. Unmittelbar bezieht sie sich nur auf die reine Substanz, diese ist ihr das unmittelbar Gewisse, und alles, was sie außerdem begreifen soll, muß ihr erst durch den Verstand vermittelt werden. Die Funktion der Vernunft ist es aber gerade am Negativen festzuhalten, wodurch eben der Verstand genötigt ist, das Positive zu suchen, dem allein jener sich unterwirft. Die Vernunft ist so wenig das unmittelbare Organ für das Positive, daß vielmehr erst an ihrem Widerspruch der Verstand zum Begriff des Positiven sich steigert.

Jacobis früheres Verhältnis oder Benehmen gegen die Vernunft war, daß er zuwenig ihr zugestand, daß er zum Göttlichen, Positiven unmittelbar, d.h. mit Ausschließung des Negativen und ohne Überwindung desselben, gelangen[193] wollte. Das Verhältnis, in dem er sich später gefiel, war aber das allerverkehrteste, nämlich jenes unmittelbare Wissen, das er früher mit Ausschließung der Vernunft zu behaupten gesucht hatte, nur vielmehr der Vernunft selbst zuzuschreiben.

Wäre das unmittelbare Wissen der Vernunft ein Wissen Gottes, so könnte Gott auch nur das unmittelbar Seiende, d.h., er könnte nur Substanz sein, wogegen Jacobi sonst eifrig ankämpft, indem er einen persönlichen empirischen Gott will. Das unmittelbare Wissen Gottes könnte nur ein blindes, d.h. ein nichtwissendes Wissen sein; da könnte denn aber Gott auch nur das nicht seiend Seiende, to mê ontôs on sein, denn das seiend Seiende, das ontôs on, könnte auch nur positiv, ausdrücklich, wissender Weise gewußt werden. Ganz so, als wäre Gott nur das nicht seiend Seiende (das Negative), lautet der bekannte Jacobische Ausspruch: Ein Gott, der gewußt werden könnte, wäre gar kein Gott, d.h. (so müßte man eigentlich den Satz verstehen), Gott ist etwas so Negatives, daß er aufhörte, Gott zu sein, wenn er gewußt, wenn er ins Licht des Wissens hervorgezogen werden könnte. Der Jacobische Satz lautet ganz gleich dem: die Finsternis, die gesehen würde, wäre nicht mehr Finsternis (schon die Alten sagten, sie sei das weder mit Licht noch ohne Licht zu Sehende). Diesen Sinn kann man nun freilich Jacobi nicht zuschreiben. Denn teils war er überhaupt ein mäßiger Mann, der am Ende doch nichts Extremes behaupten wollte, teils widerspricht dies seinem anderweitigen Wollen, da er doch übrigens einen persönlichen, einen menschlichen Gott wollte, zu dem auch ein persönliches oder menschliches Verhältnis möglich wäre. Was er seiner ursprünglichen Denkart oder Gesinnung nach sagen wollte, war vielmehr, richtig ausgedrückt, dieses: der Gott, der auf die Art gewußt würde oder gewußt werden könnte, wie etwas in der Mathematik gewußt wird, nämlich in einem eigentlich nicht wissenden Wissen, ein solcher Gott wäre gar kein Gott. Wenn nun aber dies seine wahre Meinung ist, so folgt eben daraus, daß Gott nicht unmittelbar[194] gewußt werden könne, denn das unmittelbare Wissen kann nur das blinde sein, das nicht wissende = das nicht durch Bewegung weiß (denn in jeder Bewegung ist Vermittlung), sondern nur weiß, indem es sich nicht bewegt. Wie schwankend – ein wahres Rohr, das vom Wind hin und her bewegt wird – Jacobi war, sieht man nun eben aus diesem (nach der letzten Auslegung) ganz richtigen Satz (Ein Gott etc.) und der nachher aufgestellten Behauptung von einem unmittelbaren Vernunftwissen Gottes.

Indem Jacobi später, um seinen Frieden mit dem Rationalismus zu machen, dem Gefühl die Vernunft substituierte, verlor seine Philosophie auch noch die Wahrheit, die sie zuvor hatte. Gefühl drückt ein persönliches Verhältnis aus. Nun sollte aber der unpersönlichen Vernunft ein unmittelbares Verhältnis zu dem persönlichen Gott zugeschrieben werden, was völlig undenkbar ist. Jacobi hatte die bestimmteste Einsicht, daß die rationalen Systeme in letzter Instanz nichts eigentlich erklären (sowenig die Geometrie eigentlich etwas erklärt oder sagt: es Ist so). Jacobi gehört die geistreiche Vergleichung aller Vernunftsysteme mit dem Nürnberger Grillenspiel, das uns nur so lange nicht anekelt, bis wir alle seine Wendungen kennengelernt haben. Dennoch – durch ein eignes Mißgeschick – sah er keine andere Möglichkeit des Wissens außer jenem Negativen. Das einzige Wissen, das ihm gegen dieses substantielle Wissen blieb, war, die Augen vor ihm zu verschließen, nichts von ihm wissen zu wollen. Damit beraubte er sich denn allerdings jedes Mittels, zur höheren Wissenschaft zu gelangen. Jede Philosophie, die nicht im Negativen ihre Grundlage behält, und ohne dasselbe, also unmittelbar das Positive, das Göttliche erreichen will, stirbt zuletzt an unvermeidlicher geistiger Auszehrung. Eine solche wissenschaftliche Hektik ist der wahre Charakter der Jacobischen Philosophie. Denn selbst das, was er auf seinem Wege von Gott oder göttlichen Dingen erreicht, reduziert sich auf so wenig, ist gegen die Fülle und den Reichtum echt religiöser Erkenntnis so dürftig und so arm, daß man das Los des menschlichen[195] Geistes beklagen müßte, wenn er nicht mehr einzusehen vermöchte. Das Ende der Jacobischen Philosophie ist die Erklärung, daß sie nicht nur über Gott und göttliche Dinge, sondern auch über das Ungöttliche, dem Göttlichen Entgegenstehende nichts eigentlich, nämlich wissenschaftlich wisse.

Jacobi zeichnete sich früh durch ein hohes Streben nach dem Geistigen, wir können sagen, nach dem Übersinnlichen aus, nur fehlte seiner Natur das notwendige Gegengewicht. Denn das Geistige kann wahrhaft nur im Verhältnis zum Ungeistigen und durch Überwindung desselben gewonnen werden. Alles Exklusive, gesetzt selbst, es ziehe die bessere Seite vor, ist in der Philosophie vom Argen. Jacobi hatte von seiner philosophischen Betrachtung gleich anfangs die Natur ausgeschlossen, worin er namentlich von Kant sehr verschieden war, der durch alle seine Schriften eine große Liebe zur Natur und eine reiche Kenntnis derselben zeigte, während Jacobi stets wie von einem panischen Schrecken vor der Natur ergriffen schien, und soweit er Kenntnis von ihr nahm, durchaus nur die Seite der Unfreiheit, der Ungöttlichkeit und Ungeistigkeit an ihr bemerkte, wozu vielleicht ein zufälliger Umstand beitrug, daß er nämlich in der Physik und Philosophie einen übrigens vorzüglichen Mann zum Lehrer hatte, den Professor Le Sage in Genf, der entschiedener Cartesianer war und noch nach der Mitte des 18. Jahrhunderts ein dem System der Descartesschen Wirbel ähnliches atomistisch-mechanisches Gravitationssystem ausdachte. Vielleicht schrieb sich von diesem Lehrer Jacobis Idiosynkrasie her, die Materie, wie er mir öfters sagte, als lebendig nicht einmal denken zu können, während Goethe z.B. einmal äußerte, er wisse nicht, wie er es anfangen sollte, die Materie als nicht lebendig zu denken. Diese Eigentümlichkeit blieb Jacobi auch in späteren Jahren; weder Kants metaphysische Anfangsgründe der Naturlehre noch eben desselben Kritik der Urteilskraft – Kants tiefstes Werk, das, wenn er damit hätte anfangen können, wie er damit endete, wahrscheinlich seiner ganzen Philosophie eine andere[196] Richtung gegeben hätte, änderte etwas daran. Als Jacobi vollends die Natur als wesentliches Element in die Natur aufgenommen sah, da blieb ihm keine andere Waffe übrig, als dieses System Phantheismus im gemeinsten und gröbsten Sinn zu schelten und auf jede Weise es zu verfolgen. Die Philosophie darf sich aber nicht bloß mit dem Höchsten abgeben, sie muß, um wirklich alles befassende Wissenschaft zu sein, das Höchste mit dem Tiefsten wirklich verknüpfen. Wer die Natur als das schlechthin Ungeistige zum voraus wegwirft, beraubt sich dadurch selbst des Stoffes, in und aus welchem er das Geistige entwickeln könnte. Die Kraft des Adlers im Flug bewährt sich nicht dadurch, daß er keinen Zug, nach der Tiefe empfindet, sondern dadurch, daß er ihn überwindet, ja ihn selbst zum Mittel seiner Erhebung macht. Der Baum, der seine Wurzeln tief in die Erde schlägt, kann wohl noch hoffen, den blüteschweren Wipfel zum Himmel zu treiben, aber die Gedanken, welche sich gleich von vornherein von der Natur trennen, sind wie wurzellose Pflanzen oder höchstens jenen zarten Fäden zu vergleichen, die zur Zeit des Spätsommers in der Luft schwimmen, gleich unfähig den Himmel zu erreichen und durch ihr eignes Gewicht die Erde zu berühren. Ein solcher Alter-Jungfern-Sommer von Ideen findet sich auch vorzüglich nun in Jacobis übrigens geistreich und zierlich ausgedrückten Gedanken.

Das Ende der Jacobischen Philosophie ist also das allgemeine Nichtwissen. Wenn Jacobi behauptet, daß die Philosophie gerade das, was von ihr am eifrigsten begehrt wird, nämlich Aufschluß Über das jenseits der Grenzen der gemeinen Erfahrung Liegende, nicht gewähren könne, so ist er hierin mit dem Rationalismus völlig einverstanden und übereinstimmend, nur darin verschieden, daß er wegen alles dessen, was eigentlich der höchste Preis der Philosophie sein sollte, an die Nicht-Philosophie, an das Nichtwissen verweist – an das Gefühl, an eine gewisse Ahndung oder auch wohl, besonders in seinen früheren Schriften, an den Glauben, dem er nachher (weil[197] für eine ganz rationalistische Zeit der Glaube etwas Anstößiges hatte) unmittelbares Vernunftwissen substituierte, das indes ebensowenig als das Gefühl sich zu Wissenschaft sollte gestalten können (Widerspruch). Diese Auskunft, wegen alles wahrhaft und im eigentlichen Sinn Positiven den Menschen an den Glauben zu verweisen, war übrigens nicht eine der Jacobischen Philosophie eigentümliche, sie war von jeher gebräuchlich: denn von jeher mußte die Inhaltslosigkeit der gewöhnlichen Philosophie gegen den reichen Inhalt der Offenbarung auffallen. Da es sich hier um das Verhältnis von Wissen und Glauben handelt, so will ich mich hierüber erklären. Man muß folgende Unterschiede machen. 1. Diejenigen, die gegen die Philosophie gleichgültig sind oder deren Interesse es sogar ist, daß sie als mangelhaft erscheine, führen eben das an, daß der Glaube, worunter sie aber den historischen, christlichen verstehen, enthalte, was die Philosophie nicht enthalte und nicht zu enthalten fähig sei. Dabei bleiben also Wissen und Glaube oder Philosophie und Glaube außereinander, wie zwei getrennte Gebiete, und man begreift diesen Gegensatz ganz wohl und sieht sogar ein, wie er seit der Emanzipation der Philosophie durch Descartes entstehen mußte. Denn von da an ließ die Philosophie den Inhalt der positiven Religion außer sich stehen. (Descartes protestiert in allen seinen Werken, daß er nichts den Lehren der Kirche entgegen behaupten wolle; dagegen geht er darauf aus, sich den Stoff seiner Philosophie ganz auf eigne Faust zu verschaffen. Da nun aber die Philosophie – schon von der Scholastik her gewohnt, den positiven Inhalt nur vorauszusetzen – jetzt ganz unabhängig von ihm sich machte, so mußte sie natürlich ins Negative geraten.) Weniger begreiflich ist es nun aber 2, wenn dieser Unterschied zwischen Glauben und Wissen in das Wissen, in die Philosophie selbst verlegt wird, so daß sowohl das Wissen als der Glaube – beide philosophisch sein sollen, also ein philosophisches Wissen auf der einen und ein philosophischer Glaube auf der andern Seite behauptet wird. Immer kann dies aber noch auf[198] zweierlei Art geschehen, entweder so, daß Glaube und Wissen dabei als einig (wenigstens nicht als sich widerstreitend), oder daß sie als einander entgegengesetzt gedacht werden. Das letzte ist der Fall bei Jacobi, der dem Wissen zuschreibt, daß es unvermeidlich auf Fatalismus und Atheismus führe, dem Glauben aber, daß er allein zu einem Gott führe, der Vorsehung, Freiheit und Wille sei. Wenn nun aber, bei solcher Entgegensetzung, der Glaube und das Wissen, beide in der Philosophie, also philosophisch sein sollen (und gewiß, Jacobi machte seiner Lehre vom Nichtwissen ungeachtet sehr bestimmten Anspruch, doch auch eine philosophische Lehre aufgestellt zu haben), so mußte sowohl der Glaube als das Wissen philosophisch erklärt werden. Ein System aber, das ein philosophisches Wissen und einen diesem total entgegengesetzten, doch ebenfalls philosophischen Glauben behauptete, müßte, um auch nur formell bestehen zu können, das System eines philosophischen, d.h. philosophisch begriffenen, Dualismus sein. Man könnte sich ein solches System etwa auf folgende Art denken. Auf der einen Seite wäre das rationale oder bloß substantielle Wissen als vollendet gedacht, so nämlich, daß nun die Vernunft sich in der Tat als alles Sein erkennte – nämlich als alles endliche Sein (denn wenn sie sich unbedingt als alles Sein erkennte, so müßte sie sich auch als Gott erkennen, und Gott wäre nichts als die Vernunft). Als alles endliche Sein, oder um bestimmter zu sprechen, als Prinzip alles endlichen Seins würde das Wissen eben dann sich erkennen wenn es sich in seiner reinen Subjektivität erkannt hätte, welche Subjektivität (als in ihrer Art unendlich) dann von selbst das Verhältnis zu einer ebenso unendlichen Objektivität in sich schlösse. Der bis dahin von der Vernunft zurückgelegte Weg, der sie zur Erkenntnis ihrer selbst als der allgemeinen Substanz geführt hätte, wäre eben der Weg des vollendeten Wissens, das Wissen würde aber eben in diesem Ziel, in dieser Vollendung auch sich als bloße Sub-stanz erkennen, und so notwendig das, dem es Substanz oder unterworfen ist oder gegen das es sich als[199] das bloß nicht Seiende verhält, von sich unterscheiden und es bestimmen als das nicht bloß substantiell oder subjektiv Seiende, sondern als das in reiner unendlicher Objektivität – in unendlicher Freiheit von aller Subjektivität – seiende. In diesem letzten Akt würde es sich daher vielmehr als das – nicht alles, nämlich nicht auch das wahrhaft Objektive seiende erkennen, und in dieser Vernichtung seiner selbst als des alles seienden eben jenes unendlich positiv- oder objektiv-Seiende – in Gott setzen. Dieser letzte Akt des Gottsetzens würde eben darauf beruhen, daß es aus seiner früheren Selbst-Objektivität (Selbst-Objektsein) in die völlige Subjektivität zurückgetreten wäre; dieser Akt wäre notwendig selbst ein subjektiver Akt, vergleichbar etwa dem Akt der Andacht, die eben auf einer solchen Selbstvernichtung gegenüber von einem Höheren beruht, gegen das wir uns in das Verhältnis des völligen Subjekt-, d.h. nicht-selbst-Seins, setzen. Dieser rein subjektive Akt könnte dann wohl auch dem Wissen gegenüber als ein Akt des Glaubens oder selbst als Glauben bezeichnet werden – und zwar aus folgendem Grund. Das Wissen versichert sich des überschwenglich Seienden durch seine Selbstvernichtung; aber es sieht das überschwenglich Seiende nicht, solang noch ein Rest von Objektivität in ihm ist, solang es sich nicht vernichtet hat, es vernichtet sich also nur im Glauben, daß ihm durch diese Selbstvernichtung – gleichsam als Preis seiner aufgegebenen Selbstheit – das Überschwengliche werde. Gleichwohl, da es sich nur als selbst Objektives, nicht auch als Subjektives vernichtet, und da es vielmehr erst in der Subjektivität vollendetes Wissen ist (vorher, solang es noch objektiv sein wollte, war es das Produzierende der Natur), so bliebe es gerade als Wissen stehen, und das letzte, gleichzeitige Resultat wäre – das vollendete und das im Glauben sich selbst vernichtende, aber eben damit das wahrhaft Positive und Göttliche setzende Wissen. Auf diese Art also wäre innerhalb der Philosophie selbst ein Übergang von Wissen zu Glauben. Jacobi war indes weit entfernt von einer solchen Erklärung. Das[200] Ende seiner Philosophie ist eine reine Dissonanz, die durch nichts, durch keine höhere Idee aufgelöst ist.

Ohnedies würde eine Erklärung wie die eben angedeutete nur in einem System denkbar sein, das auch die Antwort auf folgende notwendig sich aufdringende Fragen enthalten müßte. Wenn das, was in seiner Innerlichkeit das reine Wissen – insofern das nicht Seiende ist (denn das Wissende ist gegen das Seiende notwendig das nicht selbst Seiende) – wenn also dieses, was in seiner Innerlichkeit das reine Wissen und das nicht Seiende ist, in seinem Außersichsein das Erzeugnis des objektiven Seins ist, woher kommt diesem Prinzip die Macht, sich objektiv, als seiend zu setzen, da es doch das nicht seiende – nicht nur sein soll, sondern auch ursprünglich gewiß ist? Woher seine Ex-sistenz, d.h. sein außer Sich, außer dem Ort Sein, wo es eigentlich sein sollte, nämlich außer dem Innern? Wenn es in dieser Äußerlichkeit das Welt erzeugende Prinzip ist, wie ist es äußerlich geworden? Denn äußerlich geworden muß es sein. Weil es nicht äußerlich sein soll, wie das Ende zeigt, so konnte es auch nicht ursprünglich äußerlich sein. Und wenn es denn ursprünglich innerlich ist oder war, wie war es als innerlich gesetzt? Denn dies muß ja doch auch erklärt werden. Kurz, jene Erklärung wäre selbst nur in einem System möglich, das schon ein geschichtliches wäre oder dem geschichtlichen sich annäherte. Ein solches aber hat Jacobi ein für allemal für unmöglich erklärt; denn was das Wissen betrifft, stimmte er ganz dem Rationalismus bei. Wenn man ihm also ein System zuschreiben will, so kann man seine Philosophie nur als eine absolut dualistische ansehen, aber man muß hinzusetzen: sie ist ein völlig unaufgelöster, aber eben darum selbst nicht erklärter Dualismus. Auf der einen Seite ist Freiheit, auf der anderen Notwendigkeit, aber wiewenn Freiheit ist – dann auch Notwendigkeit, oder wenn Notwendigkeit, dann auch Freiheit besteht, und wie beide zusammenhangen, darüber ist nach ihm nicht nur nichts zu wissen, sondern sogar nichts zu denken. Jacobi erklärte jenen Gegensatz als einen so unversöhnlichen,[201] daß eine Vereinigung selbst nicht denkbar sei.

Die billigste Ansicht, die man nach dem allem von Jacobi noch fassen könnte, wäre die, ihn als auf der Grenze zweier Zeiten stehend zu betrachten, der einen, die vor ihm als eine öde, unerquickliche Wüste lag und die er als eine solche wohl empfand, der anderen, in die er nur als in ein gelobtes Land aus weiter Ferne hineinsah; doch ist zwischen ihm und dem israelitischen Gesetzgeber, der sein Volk durch die Wüste führte, der große Unterschied, daß Mose zwar selbst nicht in das Gelobte Land kommen sollte, aber doch, daß sein Volk hineinkommen und in ihm einst wohnen werde, mit Gewißheit und höchster Zuversicht voraussah, Jacobi aber nicht nur selbst nicht hineinkam, sondern auch behauptete, es sei unmöglich, daß je ein anderer hineinkomme. Darnach müssen wir ihn als einen lebendigen Widerspruch gegen eine frühere Zeit und als unfreiwilligen Propheten einer besseren ehren und anerkennen, als einen unfreiwilligen, weil er diese Zeit, die nach seiner Meinung nie kommen konnte, auch nicht voraussagen wollte, als einen Propheten aber, weil er sie gegen seinen Willen voraussagte, wie der Seher Bileam, der gekommen war, Israel zu fluchen, und es segnen mußte.

Es gibt ein solches Wissen, das Jacobi nicht erkennen wollte und das, indes es von einer Seite ein rationalistisches ist, von der andern den Glauben auch materiell, seinen Gegenständen nach in sich schließt – ein Wissen, das Freiheit und Vorsehung als Ursache der Welt, das Freiheit des menschlichen Willens, individuelle Fortdauer nach dem Tode, und was der Glaube sonst verlangt, wirklich begreift – das jedoch den Glauben nicht bloß in diesem Sinn nicht ausschließt, sondern das ihn, auch formell, wesentlich in sich selbst hat.

Ich will hier nur vor allem an den allgemeinen und beständigen Sprachgebrauch erinnern, nach welchem Glauben dem Wissen nicht schlechthin und in jedem Sinn, sondern nur dem unmittelbaren Wissen, dem Schauen, entgegengesetzt[202] wird, wie schon aus dem einzigen Spruch erhellen würde: Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Dem mittelbaren, dem nur durch Vermittlung möglichen Wissen ist also der Glaube durchaus nicht entgegen, sondern wesentlich mit diesem verbunden, so daß, wo mittelbares Wissen ist, notwendig auch Glauben ist und Glauben eben vorzüglich im mittelbaren Wissen sich zeigt und berührt. Glauben heißt im gemeinen Leben, dasjenige mit Zuversicht für möglich halten, was unmittelbar unmöglich, was nur vermöge einer Folge und Verkettung von Umständen und Handlungen, kurz, was nur durch mehr oder weniger zahlreiche Vermittlungen möglich ist. Insofern, kann man sagen, geschieht alles im Glauben. Der Künstler, der den Marmor vor sich hat, aus dem ein Kunstwerk hervorgehen soll, sieht dieses Kunstwerk nicht; hätte er jedoch nicht den Glauben, d.h. die Zuversicht, daß das, was er jetzt nicht sieht, durch seine Bemühung, durch eine Folge von Handlungen, die er mit dem Marmor vornimmt, sichtbar werden könne, so würde er nie die Hand anlegen. Glaube setzt immer ein Ziel voraus und ist wesentlich bei jedem Tun, das etwas Bestimmtes erreichen will. Kolumbus glaubte an die Existenz eines zu seiner Zeit unbekannten Weltteils und steuerte mutig nach Westen. Könnten wir sagen: Kolumbus habe an diesen Weltteil geglaubt, wenn er die spanische Küste nie verlassen hätte? Glaube ist daher nicht, wo nicht zugleich Wollen und Tun ist; glauben und dabei sich nicht bewegen, ist Widerspruch, wie es Widerspruch ist, wenn man vorgibt, an das Ziel zu glauben, und sich nicht regt, es zu erreichen. Es war also ein Widerspruch, wenn Jacobi sich eines Glaubens rühmte und dabei die Hände in den Schoß legte. Der wahre Glaube hätte sich hier dadurch bewähren müssen, daß keine Anstrengung gescheut würde, um jene Vermittlungen zu entdecken, durch welche das, woran der Glaube glaubt, auch der Vernunft und der strengsten Wissenschaft einleuchtend gemacht wurde. Ist der Glaube ein notwendiges Ingrediens jedes auf ein Ziel gerichteten Tuns, so ist er auch ein wesentliches Element[203] der wahren Philosophie. Alle Wissenschaft entsteht nur im Glauben; wer die ersten Sätze des Euklid soeben gelernt hat, würde die höchsten Leistungen der Geometrie nicht nur für unmöglich halten, er würde sie nicht einmal verstehen – dieselben, die er dann ganz leicht begreift, wenn er durch alle Vermittlungen hindurchgegangen ist. Alle Wissenschaft, und so insbesondere die Philosophie, schließt den Glauben als ein eben in ihr sich Bewährendes fortdauernd, also immanenter Weise und wesentlich in sich. Die also, welche Wissen und Glauben trennen, ja entgegensetzen, gehören zu der leider heutzutag ungemein zahlreichen Klasse von Menschen, die selbst nicht wissen, was sie wollen, das Traurigste, was irgendeinem mit Vernunft begabten Wesen begegnen kann. Entweder nämlich denken sich solche Gläubige unter Glauben kein Schauen, so müssen sie nicht das Wissen überhaupt, und damit auch das mittelbare Wissen, verwerfen, sondern nur um so mehr dieses anerkennen, oder sie verstehen unter Glauben ein unvermitteltes Erkennen, ein wahres Schauen, so müssen sie sich nicht Vernunftgläubige nennen, sondern denen sich gleichstellen, die sich für unmittelbar Gottbegeisterte ausgeben, und daher auch nicht Philosophen, sondern Theosophen sich nennen.

In bezug auf die Philosophen des Nichtwissens bekennen sich zwar die Theosophen ebenso wie diese als nicht wissenschaftlich Wissende, darum aber keineswegs wie jene als überall nicht Wissende, sondern vielmehr als in hohem Grade, ja wir müssen sagen als vorzugsweise oder im höchsten Maße Wissende. So arm und inhaltsleer die Lehre des Nichtwissens sich zeigt, so reich und inhaltsvoll erscheint dagegen der Theosophismus, welcher ganz im Schauen oder in der unmittelbaren Erfahrung zu sein sich rühmt und wie durch eine Verzückung alle Dinge zu sehen, wie sie in Gott sind, in ihrem wahren ursprünglichen Verhältnis.

Diese Form des Empirismus behauptet also nicht ein bloßes, übrigens nichts aussprechendes, höchstens polemisch, d.h. negativ, sich äußerndes Gefühl, nicht ein unmittelbares[204] Vernunftwissen, das doch nicht zum Wissen sich gestalten kann, sondern sie schreibt sich ein unmittelbares Schauen der göttlichen Natur und der göttlichen Entstehung der Dinge zu. (Theosophismus ist also eine zweite Unterabteilung derjenigen Philosophie, welche sich auf unmittelbare innere Erfahrung zu gründen vorgibt.) Weil dieses Schauen sich nicht mitteilen läßt und daher etwas Geheimnisvolles, Mystisches ist, so ist insofern der Theosophismus eine Art von Mystizismus. Es gibt nämlich 1. einen bloß praktischen oder Subjektiven Mystizismus, der gar keinen Anspruch auf Wissenschaft macht. Es gibt aber auch 2. einen objektiven Mystizismus, der Anspruch auf Objektive Erkenntnis macht. Dieser ist der Theosophismus, der spekulativer oder theoretischer Mystizismus ist, und obgleich der wissenschaftlichen (rationalen) Form sich begebend, nichtsdestoweniger auf einen spekulativen Inhalt Anspruch macht.

Wie läßt sich nun jenes unmittelbare Schauen des Göttlichen nicht nur, sondern selbst des Hergangs der Schöpfung oder eigentlich der Emanation, des Werdens der Dinge aus Gott, das der Theosoph behauptet, etwa rechtfertigen? Wenn Sie sich zurückrufen, was bei Gelegenheit der Naturphilosophie ausgesprochen worden, so ist das im Menschen sich selbst Bewußte und zu sich Gekommene – dieses ist das durch die ganze Natur Hindurchgegangene, das gleichsam alles getragen, alles erfahren hat, das aus der Selbst-Entfremdung wieder in sich, in sein Wesen Zurückgebrachte. Ist es aber der zurückgebrachte Anfang, so ist das Wesen des Menschen wieder das, was im Anfang der Schöpfung war, es ist nicht mehr dem Erschaffenen, sondern es ist wieder der Quelle der Schöpfung gleich – das menschliche Bewußtsein ist also, indem es das Finde ist, zugleich auch wieder der Anfang der Schöpfung; ihm also müßte die ganze Bewegung von Anfang bis zu Ende durchsichtig sein, es wäre eingeborene Wissenschaft, gleichsam von Natur schon, durch sein eigenes Werden das universell Wissende. Aber so findet es sich ja nicht, und wenn eine solche Wissenschaft auch substantiell[205] noch im Wesen des Menschen gedacht wird, so ist sie wenigstens nicht aktuell in ihm, sondern verdunkelt und in die tiefste Potentialität versenkt. Dies kann sich nun, jene Theorie (daß das im Menschen sich Bewußte durch die ganze Schöpfung hindurchgegangen ist) als richtig vorausgesetzt, daraus erklären, daß das Wesen des Menschen nicht an dem Ort geblieben, in den es durch die ursprüngliche Schöpfung gesetzt war, daß der Mensch seine universelle oder zentrale Stellung gegen die Dinge wieder verloren, selbst wieder zum Ding geworden ist, indem er in seiner Freiheit von allen Dingen und über ihnen als Prinzip, als Quelle, sich sehend in dieser Allgemeinheit nicht zu bleiben wußte, sondern sich als eine Besonderheit wollte, nach einem eignen Sein verlangte, und so den Dingen gleich wurde, ja zum Teil unter sie zu stehen kam, aus der Zentralanschauung, in der er ursprünglich war, gesetzt wurde, und dem peripherischen Wissen anheimfiel, wo die Dinge nicht nur gegeneinander, sondern auch gegen ihn selbst – äußere, nicht nur sich selbst untereinander, sondern auch ihn ausschließende sind. Eine solche Katastrophe des menschlichen Wesens ist unter dieser oder jener Form in allen Religionen, in der christlichen unter dem Namen eines Falls, angenommen. Jenes Zentralwissens ist also der Mensch verlustig gegangen. Dies gesteht selbst der Theosoph zu. – Aber, sagt man, diese Katastrophe auch angenommen, konnte doch die Substanz des menschlichen Wissens nicht aufhören, substantiell oder materiell noch immer das alles Wissende zu sein, sie hörte nicht auf das zu sein, in welchem die Materie alles Wissens enthalten, nur das aktuell alles Wissende, welches jetzt als bloß des Wissens Begieriges (als Verstand) außer dem Menschen ist, war sie nicht mehr. Der Mensch ist also nicht mehr an dem Ort, an den er – durch die Schöpfung selbst – gesetzt war; durch eine falsche Ekstasis ist er außer dem Zentrum gesetzt, in dem er der Wissende aller Dinge war. Sollte er nun nicht durch eine umgekehrte Ekstasis sich wieder dahin versetzen, in den Mittelpunkt der Dinge und damit[206] in die Gottheit selbst verzückt werden können? – So müßte der Theosophismus sich erklären.

Auf die Frage über die Möglichkeit außerordentlicher Zustände des menschlichen Wesens können wir nun hier nicht eingehen (Psychologie), aber gesetzt, es müßte für einzelne Menschen die Möglichkeit einer solchen Wiederversetzung in das ursprüngliche Wesen, in das Zentrum, einer Steigerung der Innerlichkeit bis zum Versinken in die Gottheit zugegeben werden, so wäre dieser Zustand nur dem zu vergleichen, von dem der Apostel (1. Kor. 14), sagt, daß in ihm die Sprache und die Erkenntnis aufhöre, nämlich eben die mittels der Sprache sich auseinandersetzende, diskursive, mit Unterscheidung verbundene Erkenntnis. Ein solcher Zustand würde dann aber auch alle Mitteilung von Erkenntnis unmöglich machen; was ein solcher Entzückter selbst vernähme, wären, wie es der Apostel (2. Kor. 12,4) von sich sagt, arrhêta rhêmata, nicht auszusprechende Worte Ferner, an wen sollte er doch diese Erkenntnis mitteilen? Unstreitig doch an die, die außer diesem Zustand sind, für die er also eben darum absolut unverständliche Worte spräche. Sein Reden wäre, wie jenes rätselhafte mit Zungen Reden, wovon der Apostel spricht, der übrigens (1. Kor. 14,19) selbst sich erklärt: Ich will in der Gemeinde lieber fünf Worte reden mit meinem Sinn (d.h. bei dem ich selbst eines Sinnes mir bewußt bin), auf daß ich auch andere unterweise, als zehntausend Worte mit Zungen, wo also der Gegensatz zeigt, daß mit Zungen reden so viel ist, als für andere unverständlich reden. Unverständlich in hohem Grade sind nun großenteils auch die Reden der theoretischen Mystiker, der eigentlichen Theosophen, und wir sehen sie nicht in der seligen Ruhe, in der wir die eigentlich Verzückten uns denken müßten, sondern in einem gewaltigen Ringen, in einem großen Kampf sich abmühend; ihre Äußerungen sind so unfreiwilliger Art, daß wir sie als in einem Prozeß begriffen denken müssen. Wären sie wirklich im Zentro, so müßten sie verstummen, aber – sie wollen doch zugleich reden, sich aussprechen, und für die sich aussprechen,[207] die außer dem Zentro sind. Hierin der Widerspruch des Theosophismus. Wenn jenes Prinzip, in dem sich zwar der Eindruck, aber nur der verwischte Eindruck, das Chaos aller früheren Momente, nur als Gefühl findet, wenn dieses für sich, also mit Zurückstoßung des freien Geistes (der ihm im jetzigen Zustand als Moderator, als Entbinder beigegeben ist), wirken will, so kann es nur als eine ihrer selbst nicht mächtige Natur erscheinen. Der individuelle Geist, in dem es auf solche Weise wirkend wird, verliert alles Maß und ist nicht Meister seiner Gedanken, sondern im vergeblichen Ringen, das, was er auszusprechen keine Mittel hat, dennoch auszusprechen, ist er ohne alle Sicherheit (wie Jakob Böhme selbst von seinem Geist sagt), »was er trifft, das trifft er«, jedoch ohne dessen gewiß zu sein, ohne es fest vor sich hinstellen und im Verstande als in einem Spiegel (in der Reflexion) beschauen zu können; anstatt Herr des Gegenstandes und über ihm zu sein, wird der Theosoph vielmehr selbst zum Gegenstand, anstatt zu erklären, wird er selbst zum Phänomen, das Erklärung verlangt. Ich spreche von denen, die wahrhaft ursprünglich und durch eine wahrhafte Eigentümlichkeit ihrer Natur Theosophen sind, nicht von solchen, die nur als irrende Ritter gleichsam auf wissenschaftliche Abenteuer ausgehen oder den Theosophismus affektieren, um sich das Ansehen tiefer Einsicht zu geben und weil sie damit schneller und leichter als mit redlicher wissenschaftlicher Arbeit Aufsehen erregen zu können meinen. Der Theosophismus streitet ganz gegen die Bestimmung des jetzigen Lebens, der Theosoph beraubt sich selbst des höchsten Vorteils des gegenwärtigen Zustandes, des distinktiven, unterscheidenden, alles auseinanderlegenden und auseinanderhaltenden Erkennens, das allerdings auch ein Übergang ist, aber so wie das ganze gegenwärtige Leben Übergang ist. Unsere Bestimmung ist nicht, im Schauen zu leben, sondern im Glauben, d.h. im vermittelten Wissen. Unser Wissen ist Stückwerk, d.h., es muß stückweis, sukzessiv, nach Abstufungen und Abteilungen erzeugt werden. Wer das Wohltätige der Auseinandersetzung[208] seiner Gedanken, einer sukzessiven Erzeugung von Wissen und Erkenntnis je gefühlt hat, der wird sozusagen um keinen Preis jene besonnene Doppelheit aufgeben. Im Schauen an und für sich ist kein Verstand. In der äußeren Welt sieht ein jeder mehr oder weniger dasselbe, und doch kann es nicht jeder aussprechen. Ein jedes Ding durchläuft, um zu seiner Vollendung zu gelangen, gewisse Momente: eine Reihe aufeinanderfolgender Prozesse, wo jeder folgende in den vorhergehenden eingreift, bringt es zu seiner Vollkommenheit; diesen Verlauf, in der Pflanze z.B., sieht der Bauer so gut wie der Gelehrte und kennt ihn doch nicht eigentlich, weil er die Momente nicht auseinanderhalten, nicht gesondert, nicht in ihrer Entgegensetzung aussprechen kann. Ebenso – könnte der Mensch auch jenen transzendenten Prozeß, durch den alles geworden ist, in sich selbst erfahren, wie der Theosoph sich des rühmt, so würde dies doch nicht zu wirklicher Wissenschaft führen. Denn alles Erfahren, Fühlen, Schauen ist für sich stumm und bedarf eines vermittelnden Organs, um ausgesprochen zu werden; fehlt dieses dem Schauenden, oder stößt er es absichtlich von sich, um unmittelbar aus dem Schauen zu reden, so ist er, wie gesagt, eins mit dem Gegenstand und für jeden Dritten etwas ebenso Unverständliches wie der Gegenstand selbst. Alles, was in jenem Prinzip, das wir die eigentliche Substanz der Seele nennen können, potentiâ enthalten ist, muß erst zur wirklichen Reflexion (im Verstand oder im Geist) gebracht werden, um zur höchsten Darstellung zu gelangen. Hier geht also die Grenze zwischen Theosophie und Philosophie, welche der Wissenschaft Liebende keusch zu bewahren suchen wird, ohne sich durch die scheinbare Fülle des Stoffs in den theosophischen Systemen verleiten zu lassen. Denn freilich unterscheidet sich z.B. jene frühere Philosophie des Nichtwissens von der Theosophie hauptsächlich durch ihre absolute Substanzlosigkeit. Die beiden Formen haben sich gleichsam in die zwei Prinzipien geteilt, aus deren Zusammenwirkung allein wirkliche Wissenschaft entsteht. In Jacobis Philosophie ist jenes[209] Prinzip, von dem wir sagen können, es sei das substantiell nicht wissende, aber eben darum nach Wissen begierige, hungrige, der Verstand. Jacobis Gefühl ist eigentlich nur der Hunger nach Wissen. Der Verstand, das positive Prinzip des Wissens, ist in dieser Philosophie eine Art von Halbwille, der nicht die Kraft hat, das bloße Gefühl, von dem er getrieben ist, als Gefühl aufzuheben, wie das Gefühl des Hungers sich aufhebt durch Anziehen oder Zusichnehmen der Nahrung. Jacobi greift die Substanz nicht an, er stößt sie sogar von sich und läßt daher auch die Natur ganz außer sich; seine Philosophie ist ein Gegensatz gegen alle Naturphilosophie. Der Theosoph aber, in dem Verhältnis, als er spekulativ ist, ist er auch wesentlich und hauptsächlich Naturphilosoph. Aber wie die Philosophie des Nichtwissens an Mangel, so leidet er an Überfüllung mit dem bloßen Stoff des Wissens. Ich habe mit der bisherigen allgemeinen Schilderung des Theosophismus zugleich das merkwürdigste Individuum dieser Gattung, den berühmten Jakob Böhme geschildert.

Man muß Jakob Böhme, bei dem alles noch lauter und ursprünglich ist, wohl unterscheiden von einer andern Klasse von Mystikern, bei denen nichts Lebendiges und Ursprüngliches mehr anzutreffen, alles schon korrupt ist; in diese Klasse gehört besonders der bekannte St. Martin man hört in ihm nicht mehr wie in J. Böhme den ursprünglich Ergriffenen, sondern nur noch den Konzipisten oder Sekretär fremder Ideen, die noch überdies schon zu Zwecken anderer Art zubereitet sind; was bei J. Böhme noch lebendig ist, ist bei ihm abgestorben, nur gleichsam noch das Kadaver, die einbalsamierte Leiche, die Mumie eines ursprünglich Lebendigen, wie sie in geheimen, zugleich alchemische, magische theurgische Zwecke verfolgenden Gesellschaften vorgezeigt wird. Vor solchen Mysterien zu warnen ist Pflicht, zumal wenn man weiß, wie man leicht wissen kann, daß dieser Mystizismus seine Anhänger nicht in den gesunden, sondern gerade in den korruptesten Klassen der Gesellschaft gefunden hat. Ein solcher mit Gewürz, wo nicht mit weit schlimmeren Ingredienzen angesetzter[210] Wein, höchstens gut und dazu bestimmt, einen längst abgestumpften Geschmack noch zu erregen, gehört in die Hexenküche, dahin es Goethe im Faust verwiesen hat. Deutsche Jugend aber möge Gott vor solchem und ähnlichem Höllengebräu jetzt und immer bewahren!

Heutzutag wird der Begriff Mystizismus, Mystiker von Unwissenden auf die seltsamste Art gebraucht, indem sie z.B. jeden, der überhaupt nur an eine Offenbarung glaubt, geschähe dies übrigens im geschichtlichsten Sinn, schon einen Mystiker nennen. Solchen Leuten wäre z.B. auch Johannes Müller ein Mystiker. Aber dies ist ein Mißbrauch einer alles zusammenwerfenden, weder Begriffe noch Worte unterscheidenden Zeit. Die falsche Anwendung der Worte: mystisch, Mystizismus, hat aber ihren Grund in einem noch allgemeineren Mißverstand dieser Worte, indem man nämlich derselben sich bedient, um eine gewisse materielle Beschaffenheit von Lehren oder Behauptungen anzudeuten. Der kurze Begriff von mystisch, den sich viele gemacht haben, ist dieser: alles, was über mein individuelles Begreifungsvermögen hinausgeht, werde ich mystisch nennen – gesetzt selbst, es wäre ein Satz, der durch rein wissenschaftliche und vollkommen methodische Entwicklung gewonnen wäre, denn es soll einmal nichts über unser Begreifungsvermögen hinausgehen, noch soll jemand erreicht zu haben behaupten, was wir ein für allemal als nicht zu erreichen erklärt haben. Dieser Kunstgriff, gegen eine Behauptung, die vor allem geprüft werden sollte, durch ein bloßes Wort ein Präjudiz zu begründen, ist freilich leichter als wissenschaftliche Untersuchung. To mystikon heißt alles, was verborgen, geheim ist. Materiell betrachtet ist aber alles verborgen, alles mystisch, und diejenigen, welche sich am meisten wissen mit dem beliebten Wort: »Ins Innere der Natur dringt kein erschaffner Geist«, erklären ja eben damit die Natur selbst für mystisch. In der Tat, das vorzugsweise Mystische ist gerade die Natur, und in der Natur wieder das am meisten Materielle, und was vielleicht jene Feinde aller Mystik für das am wenigsten Mystische halten, z.B. ihr[211] Gefühl für gutes Essen und Trinken – die Sinnlichkeit überhaupt und die Wirkungsweise der Sinne, dies ist doch wohl von allem, was in der Natur vorkommt, das Allerverborgenste. Solche Worte übrigens, mit welchen man zum voraus gewisse Begriffe und Behauptungen auszuschließen oder zum Verstummen zu bringen sucht, sind ganz würdig einer liberal zu sein sich rühmenden, wahrhaft aber im höchsten Grad illiberalen Zeit, in welcher die Geistesbeschränktheit, die Seichtigkeit und die offenbare Unwissenheit die Denkfreiheit für sich begehrt, die sie nur allein der Einsicht und dem Genie versagt.

Das Wort »mystisch« hat in der Literatur zunächst immer nur eine formelle Unterscheidung bezeichnet. Wollte man diesen Begriff auf das Materielle ausdehnen, so müßte z.B. der Rationalismus in seiner höchsten, objektiven Gestalt Mystizismus genannt werden, denn beide stimmen der Materie, dem Inhalt nach überein, beide kennen nur die substantielle Bewegung. Dennoch ist der Mystizismus von jeher bestimmt worden als ein Gegensatz des Rationalismus. Mystiker ist also niemand durch das, was er behauptet, sondern durch die Art, wie er es behauptet. Mystizismus drückt nur den Gegensatz gegen formell wissenschaftliche Erkenntnis aus. Keine Behauptung ist bloß des Inhalts wegen, sei er auch übrigens beschaffen wie er wolle, mystisch, zu nennen, selbst dann nicht, wenn sie zufällig diesem Inhalt nach mit der Behauptung irgendeines Mystikers übereinstimmen sollte. Denn wenn man alles das nicht behaupten sollte, was irgendeinmal auch ein Mystiker behauptet hat, so dürfte man am Ende gar nichts behaupten. – Mystizismus kann nur jene Geistesbeschaffenheit genannt werden, welche alle wissenschaftliche Begründung oder Auseinandersetzung verschmäht, die alles wahre Wissen nur von einem sogenannten inneren, auch nicht allgemein leuchtenden, sondern im Individuum eingeschlossenen Licht, aus einer unmittelbaren Offenbarung aus bloßer ekstatischer Intuition oder aus bloßem Gefühl herleiten will, wie denn, wenn man sich über den Ausdruck versteht, z.B. auch die Jacobische Gefühlsphilosophie[212] mystisch genannt werden kann und oft genug so genannt worden ist; nur daß es ihr gänzlich an dem substantiellen Inhalt des eigentlich-spekulativen Mystizismus fehlt. Dieselbe Wahrheit kann also bei dem einen mystisch sein, die bei dem andern wissenschaftlich ist, und umgekehrt. Denn bei dem, der sie aus einer bloß subjektiven Empfindung oder aus einer angeblichen Offenbarung ausspricht, ist sie mystisch; bei dem, der sie aus den Tiefen der Wissenschaft herleitet und sie daher auch allein wahrhaft versteht, ist sie wissenschaftlich.

Das wahre Kennzeichen des Mystizismus ist der Haß gegen klare Einsicht – gegen Verstand, der in unserer Zeit ein so erwünschtes Übergewicht erhalten –, gegen Wissenschaft überhaupt. Da nun aber nicht bloß Mystiker, sondern gar viele von denen, welche über und gegen Mystizismus schreien, ebensosehr als irgendein Mystiker Feinde der Wissenschaft sind, so mußte man eigentlich sie selbst Mystiker nennen, wenn man nicht vorzöge, sie für die wahren und eigentlichen Obskuranten zu erklären.[213]

Quelle:
Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Zur Geschichte der neueren Philosophie. Leipzig 1966, S. 184-214.
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