I. Betrachtung

[26] Auch die äussere Welt, mit ihren ewigen Gesetzen wie mit ihren flüchtigsten Erscheinungen, strahlt in tausend zarten und erhabenen Bildern gleich einem Zauberspiegel unseres Wesens Höchstes und Innerstes auf uns zurück. Welche aber den lauten Aufforderungen ihres tiefen Gefühles nicht gehorchen, welche die leisen Seufzer des gemisshandelten Geistes nicht vernehmen, an diesen gehen auch die wohlthätigen Bilder verloren, deren sanfter Reiz den stumpfen Sinn schärfen soll und spielend belehren. Selbst von dem was der eigene Verstand erdacht hat und immer wieder hervorbringen muss, missverstehen sie die wahre Deutung und die innerste Absicht. So durchschneiden wir die unendliche Linie der Zeit in gleichen Entfernungen, an oft nur willkürlich durch den leichtesten Schein bestimmten Punkten, die für das Leben, weil alles abgemessene Schritte verschmäht, ganz gleichgiltig sind und nach denen nichts sich richten will, weder das Gebäude unsrer Werke, noch der Kranz unserer Empfindungen, noch das Spiel unserer Schicksale: und dennoch meinen wir mit diesen Abschnitten etwas mehr als eine Erleichterung für den Zahlenbewahrer, oder ein Kleinod für den Chronologen; bei jedem vielmehr knüpft sich daran unvermeidlich der ernste Gedanke dass eine Theilung des Lebens möglich sei. Aber Wenige dringen ein in die tiefsinnige Allegorie, und[26] verstehen den Sinn der vielfach wiederkehrenden Aufforderung.

Der Mensch kenne nichts als sein Dasein in der Zeit und dessen gleitenden Wandel hinab von der sonnigen Höhe des Genusses in die furchtbare Nacht der Vernichtung; Vorstellung und Empfindung auseinander entwickelnd und in einander verschlingend, so meinen sie, ziehe eine unsichtbare Hand den Faden seines Lebens fort, und drehe ihn jetzt loser, jetzt fester zusammen, und weiter sei nichts. Je schneller seiner Gedanken und Empfindungen Folge, je reicher ihr Wechsel, je harmonischer und inniger ihre Verbindung, desto herrlicher sei das bedeutende Kunstwerk des Daseins vollendet; und wer noch überdies seinen ganzen Zusammenhang mechanisch erklären und auch die geheimsten Springfedern dieses Spiels aufzeigen könne, der stände auf dem Gipfel der Menschheit und des Selbstverständnisses. So nehmen sie das zurückgeworfene Bild ihrer Thätigkeit für ihr eigentliches Thun, die äusseren Berührungspunkte ihrer Kraft mit dem, was nicht sie ist, für ihr innerstes Wesen, die Atmosphäre für die Welt selbst, um welche sie sich gebildet hat. Wie wollten Solche die Aufforderung verstehen, welche in jener Handlung liegt, der sie nur gedankenlos zusehen! Der Punkt, der eine Linie durchschneidet, ist nicht ein Theil von ihr, er bezieht sich auf das Unendliche eben so eigentlich und unmittelbarer, als auf sie; und überall in ihr kannst Du einen solchen Punkt setzen. So auch der Moment, in welchem Du die Bahn des Lebens theilst, soll selbst kein Theil des zeitlichen Lebens sein: anders soll er sich erzeugen und gestalten, um Dir ein unmittelbares Bewusstsein von Deinen Beziehungen mit dem Ewigen und Unendlichen zu erregen; und überall wo Du willst, kannst Du so den Strom des zeitlichen Lebens hemmen und durchschneiden. Darum erfreue ich mich als einer bedeutungsvollen Mahnung an das Göttliche in mir der schönen Einladung zu einem unsterblichen Dasein ausserhalb des Gebietes der Zeit, und freigesprochen von ihrem Gesetz! Die aber um den Beruf zu diesem höheren Leben nicht wissen mitten im Strom der flüchtigen Gefühle und Gedanken, finden ihn auch dann[27] nicht, wenn sie, ohne zu wissen was sie thun, die Zeit messen und das irdische Leben abtheilen. Wenn sie lieber nichts merkten von dem, was ihnen gesagt werden soll, dass nicht ihr eitles Thun und Treiben, indem es der hehren Einladung zu folgen strebt, so schmerzlich mein Gemüth bewegte! Wohl mögen auch sie einen Punkt haben, den sie nicht ansehen als flüchtige Gegenwart, nur dass sie nicht verstehen ihn als Ewigkeit zu behandeln. Oft auf einen Augenblick, bisweilen auf eine Stunde, nun gar auf einen Tag sprechen sie sich los von der Verpflichtung so emsig zu handeln, so eifrig Genuss und Einsicht anzustreben, wie es sonst auch der kleinste Theil des Lebens von ihnen verlangt, wenn er sie mahnt, dass er eben so bald Vergangenheit sein wird, als er noch kürzlich Zukunft war. Dann ekelt es sie Neues wahrnehmen, oder geniessen, wirken oder hervorbringen; sie setzen sich ans Ufer des Lebens, aber können nichts thun, als in die tanzende Welle lächelnd hinabweinen. Gleich der trübsinnigen Wuth, die an des Mannes Grabe Weiber oder Sklaven mordet, so schlachten sie am Grabe des Jahres den Tag, der in leeren Phantasien vergeht, ein vergebliches Opfer.

Für den soll es kein Nachdenken und keine Betrachtung geben, der doch nicht das innere Wesen des Geistes darin erkennt! der soll nicht streben, sich loszureissen von der Zeit, der doch in sich nichts kennt, was ihr nicht angehört! Denn wohin sollte er ihrem Strome entsteigen, und was könnte er sich erstreben, als fruchtloses Leiden und herbes Vernichtungsgefühl? Vergleichend wägt der Eine ab Genuss und Sorge der Vergangenheit, und will das Licht, das ihm aus der zurückgelegten Ferne noch nachschimmert, in ein einziges kleines Bild vereinigen, unter dem Brennpunkt der Erinnerung. Ein Anderer schaut an, was er gewirkt, den harten Kampf mit Welt und Schicksal ruft er gern zurück; und froh, dass es noch so geworden, sieht er hier und da auf dem neutralen Boden der gleichgiltigen Wirklichkeit ein Denkmal stehen, das er sich aus dem trägen Stoff herausgebildet, obwohl Alles weit hinter seinem Vorsatz zurückgeblieben. Es forscht ein Dritter, was er wohl gelernt, und schreitet stolz[28] in viel erweiterten und vollgefüllten Speichern der Kenntnisse daher, erfreut, wie doch so vieles sich in ihm zusammendrängt. O kindisches Beginnen der eitlen Einbildung! Dem fehlt der Kummer, den die Phantasie gebildet, und den aufzubewahren das Gedächtniss sich geschämt; es fehlt jenem der Beistand, den Welt und Schicksal selbst geleistet, wiewohl er beide jetzt nur feindlich begrüssen möchte; und dieser bringt nicht mit in Anschlag das Alte, was von dem Neuen verdrängt ward, die Gedanken, die er unter dem Denken, die Vorstellungen, die er unter dem Lernen wieder verlor, und niemals ist die Rechnung richtig. Doch wäre sie es, wie tief verwundet es mich, dass Menschen denken mögen, dies sei Selbstbetrachtung, dies heisse Sich erkennen. Dafür auch wie dürftig endet das hochgepriesene Geschäft! die Phantasie ergreift das treue Bildniss der vergangenen Zeit, mit schöneren Umgebungen nicht sparsam, malt sie es in den leeren Raum der nächsten Zukunft, und sieht oft seufzend auf das Urbild noch zurück. So ist die letzte Frucht nur jene eitle Hoffnung, dass Besseres kommen werde, oder jene gemeine Klage, dass dahin sei, was so schön gewesen, und dass der Stoff des Lebens mehr und mehr von Tag zu Tage schmelzend der schönen Flamme bald das Ende zeige. So zeichnet die Zeit mit leeren Wünschen und mit eitlen Klagen brandmarkend schmerzlich ihre Sklaven, die entrinnen wollten, und macht den Schlechtesten dem Besten gleich, den sie eben so sicher sich wieder hascht. Wer statt der Thätigkeit des Geistes, die verborgen in seiner Tiefe sich regt, nur ihre äussere Erscheinung kennt und sieht; wer statt Sich anzuschauen nur immer von fern und nahe her ein Bild des äusseren Lebens und seines Wechsels sich zusammenholt: der bleibt der Zeit und der Nothwendigkeit ein Sklave; was er sinnt und denkt, trägt ihren Stempel, ist ihr Eigenthum, und nie, auch wenn sich selbst er zu betrachten wähnt, ist ihm vergönnt, das heilige Gebiet der Freiheit zu betreten. Denn in dem Bilde, was er sich von sich entwirft, ist er sich selbst zum äusseren Gegenstand geworden, wie alles andere ihm ist: und alles darin ist nur durch äussere Verhältnisse bestimmt. Wie ihm sein Dasein erscheint,[29] was er dabei sich denkt und fühlt, alles hängt ab vom Gehalt der Zeit, und von desjenigen Beschaffenheit, was ihn berührt hat. Wer mit thierischem Gemüthe nur den Genusssucht, dem scheint sein Leben arm oder reich, nachdem der angenehmen Augenblicke viel oder wenig verstrichen sind in gleicher Zeit; und dieses Bild betrachtet er mit Wohlgefallen oder nicht, je wie das günstigste darin das erste oder letzte war. Wer ein anmuthiges und gepriesenes Leben bilden wollte, hängt ab von Anderer Urtheil über sich, vom Boden, auf dem er stand, und von dem Stoff, den seiner Arbeit das Schicksal vorgelegt; so auch wer wohlthätig zu wirken strebte. Die beugen alle sich dem Zepter der Notwendigkeit, und seufzen unter dem Fluch der Zeit, die nichts bestehen lässt.

Wie ihnen beim Leben zu Muthe ist, das gemahnt mich, wie wenn mannigfaltiger Töne kunstreicher Harmonie dem Ohr vorbeigerollt und nun verhallt ist, und dann mit dürftigem Nachklang sich des Halbkenners Phantasie noch abquält, und dem nachseufzt, was nicht wiederkehrt. Und so ist freilich das Leben nur eine flüchtige Harmonie, aus der Berührung des Vergänglichen und des Ewigen entsprungen: aber der Mensch ist gleich der kunstreichen Stimme, aus der jene Harmonie hervorgeht, der Anschauung ein unvergänglicher Gegenstand. Frei steht vor mir sein innerstes Handeln, in dem sein wahres Wesen besteht; und wenn ich dieses betrachte, fühle ich mich auf dem heiligen Boden der Freiheit, und fern von allen unwürdigen Schranken. Darum muss auf mich selbst mein Auge gerichtet sein, um jeden Moment nicht nur verstreichen zu lassen als einen Theil der Zeit, sondern als Element der Ewigkeit ihn festzuhalten, und als inneres freies Leben ihn anzuschauen.

Nur für den giebt es Freiheit und Unendlichkeit, der wohl zu sondern weiss, was in seinem Dasein Er selbst ist und was Fremdes, was in der Welt ihm Fremdes, was Er selbst; ja nur für den, der klar das grosse Räthsel, wie beides zu scheiden ist, und wie es in einander wirkt, sich gelöst, ein Räthsel, in dessen alten Finsternissen noch Tausende sich quälen, und hingegeben, weil das eigene Licht verloschen, dem[30] trügerischsten Scheine folgen müssen. Die Aussenwelt, die Welt vom Geist geleert, ist jedem von der Menge das grösste und erste, der Geist ein kleiner Gast nur auf der Welt, nicht sicher seines Orts und seiner Kräfte. Mir stellt der Geist, die Innenwelt, sich kühn der Aussenwelt, dem Reich des Stoffs, der Dinge, gegenüber. Deutet nicht des Geistes Vermählung mit dem Leibe auf seine grosse Vermählung mit Allem, was leibähnlich ist? Erfasse ich nicht mit meiner Sinne Kraft die Aussenwelt? trage ich nicht die ewigen Formen der Dinge ewig in mir? und erkenne ich sie nicht so nur als den hellen Spiegel meines Innern? Jene fühlen sich voll Ehrfurcht ja in Furcht darnieder gedrückt von den unendlich grossen und schweren Massen des Erdenstoffes, zwischen denen sie so klein sich und so unbedeutend scheinen; mir ist das Alles nur der grosse gemeinschaftliche Leib der Menschheit, wie der eigene Leib dem Einzelnen gehört, ihr angehörig, nur durch sie möglich und ihr mitgegeben, dass sie ihn beherrsche, sich durch ihn verkünde. Ihr freies Thun ist auf ihn hingerichtet, um alle seine Pulse zu fühlen, ihn zu bilden, alles sich in Organe umzuwandeln, und alle seine Theile mit der Gegenwart des königlichen Geistes zu zeichnen, zu beleben. So ist die Erde mir der Schauplatz meines freien Thuns; und auch in jeglichem Gefühl, wie sehr die Aussenwelt es ganz mir aufzudringen scheine, in denen auch, worin ich ihre und des grossen Ganzen Gemeinschaft empfinde, dennoch freie innere Thätigkeit. Nichts ist nur Wirkung von ihr auf mich, nein, immer geht auch Wirkung von mir aus auf sie; und nicht in anderem Sinne fühle ich mich durch sie beschränkt als durch den eigenen Leib. Doch was ich wahrhaft mir dem Einzelnen entgegensetze, was mir zunächst Welt ist, Allgegenwart und Allmacht in sich schliessend, das ist die ewige Gemeinschaft der Geister, ihr Einfluss auf einander, ihr gegenseitig Bilden, die hohe Harmonie der Freiheit. Und ihr gebührt es zu verwandeln und zu bilden die Oberfläche meines Wesens, und auf mich einzuwirken. Hier, und nur hier ist der Nothwendigkeit Gebiet. Mein Thun ist frei, nicht so mein Wirken in der Welt der Geister; das folget ewigen Gesetzen. Es stösst die[31] Freiheit an der Freiheit sich, und was geschieht, trägt der Beschränkung und Gemeinschaft Zeichen. Ja, du bist überall das erste, heilige Freiheit! du wohnst in mir, in Allen; Nothwendigkeit ist ausser uns gesetzt, ist der bestimmte Ton vom schönen Zusammenstoss der Freiheit, der ihr Dasein verkündet. Mich kann ich nur als Freiheit anschauen; was nothwendig ist, ist nicht mein Thun, es ist sein Widerschein, es sind die Elemente der Welt, die in der fröhlichen Gemeinschaft mit Allem ich erschaffen helfe. Ihr gehören die Werke, die auf gemeinschaftlichem Boden mit Anderen ich erbaut als meinen Antheil an der Schöpfung, die unsere inneren Gedanken darstellt; ihr der bald steigenden, bald fallenden Gefühle Gehalt; ihr die Bilder, die kommen und vergehen, und was sonst wechselnd ins Gemüth die Zeit bringt und hinwegnimmt, als Zeichen, dass Geist und Geist sich liebevoll begegnet, als den Kuss der Freundschaft zwischen beiden, der sich anders immer wiederholt. Dies geht, der Tanz der Horen, melodisch und harmonisch nach dem Zeitmaass; doch Freiheit setzt die Harmonie und giebt die Tonart, und alle zarten Uebergänge sind ihr Werk; sie gehen aus dem inneren Handeln und aus dem eigenen Sinn des Menschen selbst hervor.

So ist die Freiheit mir in Allem das Ursprüngliche, und wie das Erste so das Innerste. Wenn ich in mich zurückgehe, um sie anzuschauen: so ist mein Blick auch ausgewandert aus dem Gebiet der Zeit, und frei von der Nothwendigkeit Schranken; es weichet jedes drückende Gefühl der Knechtschaft, es wird der Geist sein schöpferisches Wesen inne, das Licht der Gottheit geht mir auf und scheucht die Nebel weit zurück, in denen jene traurig irrend wandeln. Und wie ich mich finde, wie mich erkenne durch die Betrachtung, das hängt nicht ab von Schicksal oder Glück, nicht davon, wie viel der frohen Stunden ich geerndtet, noch was gefördert ist und feststeht durch mein Thun, und wie die äussere Darstellung dem Willen ist gelungen: denn das ist alles ja nicht Ich, ist nur die Welt. Es mochte das Handeln, welches ich betrachte, darauf gerichtet sein, der Menschheit ihren grossen Körper zu eignen, ihn zu nähren, die Organe ihm zu schärfen, oder[32] mimisch und kunstreich ihn zu bilden zum Abdruck der Vernunft und des Gemüthes: wie ich ihn bei dem Geschäft zu meinem Dienst schon tüchtig fand, wie leicht zu bilden und zu beherrschen die rohe Masse durch des Geistes Macht, dadurch wird zwar die Herrschaft bezeichnet, die schon die Freiheit Aller über ihn geübt, es wird bestimmt, was weiter erfolgen kann, was nicht; allein des Handelns innere Kraft wird dadurch nicht bestimmt, mich selbst fühle ich darum nicht besser und nicht schlechter, ob die äusseren Bedingungen des Handelns ungünstig sind, ob günstig, noch finde ich, dass dadurch die Welt mit eiserner Nothwendigkeit mir vorgezeichnet, wie viel ich sein darf. Und wie der starken gesunden Seele der Schmerz die Herrschaft über ihren Leib nicht leicht entreisst: so fühle auch ich mich frei beseelend und regierend den rohen Stoff, gleichviel, ob Schmerz, ob Freude folge. Es zeigen beide das innere Leben an, und inneres Leben ist des Geistes Werk und freie That. – Oder war mein Thun darauf gerichtet, die Menschheit in mir zu bestimmen, von ihr in eigener Gestalt und festen Zügen eine Seite darzustellen, und so selbst werdend Welt zugleich zu bilden, indem ich der Gemeinschaft freier Geister ein eigenes und freies Handeln darbot: es bleibt dasselbe dem darauf gewandten Blick, ob nun unmittelbar etwas daraus entstand, das ausser mir auch und für Andere feststeht, ob nicht; und ob mein Handeln gleich dem Handeln eines Anderen sich verband, ob nicht. Mein Thun war doch nicht leer; bin ich nur in mir selbstbestimmter und eigenthümlicher geworden, so habe ich durch mein Werden auch dazu doch den Grund gelegt, dass anders als zuvor, sei es früher oder später, das Handeln eines Anderen auf meines treffend sichtbare That vermählend stiftet. Daher denn kehre ich nimmer traurig von der Betrachtung meiner selbst zurück, noch singe ich jemals dem gebrochenen Willen, dem überwundenen Entschlusse Klagelieder nach, gleich denen, welche nicht ins Innere dringen, und nur im Einzelnen und Aeusseren sich selbst zu finden wähnen.

Klar wie der Unterschied des Inneren und Aeusseren vor mir steht, so weiss ich, wer ich bin, und finde[33] mich selbst im inneren Handeln nur, im Aeusseren nur die Welt; und beides weiss ich wohl zu scheiden, nicht ungewiss wie Jene zwischen beiden schwankend in verwirrungsvoller Dunkelheit. Darum weiss ich auch, wo Freiheit ist zu suchen und ihr heiliges Gefühl, das dem sich stets verweigert, dessen Blick nur auf dem äusseren Thun und Leben der Menschen weilt. Wie sehr ein solcher sich vertiefen mag in tausend Irrgängen der Betrachtung sinnend und denkend hin und her; und könnte er Alles leicht erreichen: diesen Begriff versagt sein Denken ihm. Er folgt nicht nur dem Winke der Nothwendigkeit: in abergläubiger Weisheit, in knechtischer Demuth muss er sie suchen, muss sie glauben, auch wo er sie nicht sieht; und Freiheit scheint ihm nur eine Larve, hinter welche bald zum Scherz, bald ernst betrügerisch sich die Nothwendigkeit verbirgt. So sieht der Sinnliche, wie nur äusserlich sein Thun ist und sein Denken, auch Alles nur vereinzelt und äusserlich. Er kann sich selbst auch für nichts Anderes nehmen, als einen Inbegriff von flüchtigen Erscheinungen, deren immer eine die andere aufhebt und zerstört, die nicht zusammen zu begreifen sind; ein volles Bild von seinem Wesen zerfliesst in tausend Widersprüchen ihm. Wohl widerspricht im äusserlichen Wirken ein Einzelnes dem anderen, das Wirken hebt Leiden auf, das Denken zerstört Empfindung, und das Anschauen dringt unthätige Ruhe den regen Kräften, die nach aussen streben, ab. Im Inneren aber ist Alles Eins, ein jedes Handeln ist Ergänzung nur zum anderen, in jedem ist das Andere auch enthalten. Darum hebt auch weit über das Einzelne, das in bestimmter Folge und festen Schranken sich übersehen lässt, die Selbstanschauung mich hinaus. Es giebt kein Handeln in mir, das ich vereinzelt recht betrachten, keines, von dem ich dann sagen könnte, es sei ein Ganzes. Ein jedes Thun führt immer mich auf die ganze Einheit meines Wesens zurück, nichts ist getheilt, und jede Thätigkeit begleitet die andere; es findet die Betrachtung keine Schranken, muss immer unvollendet bleiben, wenn sie lebendig bleiben will. Mein ganzes Wesen kann ich wieder nicht vernehmen, ohne die Menschheit anzuschauen, und meinen Ort und[34] Stand in ihrem Reich mir zu bestimmen; und die Menschheit, wer vermöchte sie zu denken, ohne dass Sehnsucht ihn erfüllte, sich ins unermessliche Gebiet aller Gestaltungen und Stufen des Geistes denkend zu verlieren.

Sie ist es also die hohe Selbstbetrachtung, und sie ist es allein, die mich in Stand setzt, der erhabenen Forderung zu genügen, dass der Mensch nicht sterblich nur im Reich der Zeit, auch im Gebiet der Ewigkeit unsterblich, nicht irdisch nur, auch göttlich soll sein Leben führen. Leicht fliesst dahin mein irdisch Thun im Strom der Zeit, es wandeln sich Vorstellungen und Gefühle, und ich vermag nicht Eines festzuhalten; schnell fliegt vorbei der Schauplatz, den ich spielend mir gebildet, und auf der sicheren Welle führt der Strom mich Neuem stets entgegen: so oft ich aber ins innere Selbst den Blick zurückwende, bin ich zugleich im Reich der Ewigkeit; ich schaue des Geistes Leben an, das keine Welt verwandeln, und keine Zeit zerstören kann, das selbst erst Welt und Zeit erschafft. Auch bedarf es nicht etwa der Stunde, die ein Jahr von dem andern trennt, mich aufzufordern zum Genuss des ewigen, und mir das Auge des Geistes zu wecken, welches Vielen ja geschlossen ist, wenn auch das Herz schlägt, und die Glieder sich regen. Immer möchte das göttliche Leben führen, wer es einmal gekostet hat: jegliches Thun soll begleiten der Blick in des Geistes Geheimnisse; so kann jeden Augenblick der Mensch auch über der Zeit leben, zugleich in der höheren Welt.

Es sagen zwar die Weisen selbst, mässig sollst du dich mit Einem begnügen, Leben sei Eins, und in der Tiefe der Betrachtung sich verlieren, ein Anderes; indem du getragen werdest von der Zeit geschäftig in der Welt, könnest du nicht zugleich ruhig dich anschauen in deinem innersten Wesen. Es sagen die Künstler, indem du bildest und dichtest, müsse die Seele ganz verloren sein in das Werk, und dürfe nicht wissen, was sie beginnt. Aber wage es, meine Seele, trotz der verständigen Warnung! eile entgegen deinem Ziele, das ein anderes vielleicht ist, als das ihre. Mehr kann der Mensch, als er meint; aber auch dem Höchsten[35] nachstrebend, erreicht er nur Einiges. Kann das geheimste innerste Denken des Weisen zugleich ein äusseres Handeln sein hinaus in die Welt zur Mittheilung und Belehrung; warum soll denn nicht äusseres Handeln in der Welt, was es auch sei, zugleich sein können ein stilles Betrachten des Handelns? Ist das Schauen des Geistes in sich selbst die göttliche Quelle alles Bildens und Dichtens, und findet er nur in sich, was er darstellt im unsterblichen Werk: warum soll nicht bei allem Bilden und Dichten, das immer nur ihn darstellt, er auch zurückschauen in sich selbst? Theile nicht, was ewig vereint ist, Dein Wesen, das weder das Thun noch das Wissen um sein Thun entbehren kann, ohne sich zu zerstören! Bewege Alles in der Welt, und richte aus, was Du vermagst, gieb Dich hin dem Gefühl Deiner angeborenen Schranken, bearbeite jedes Mittel der geistigen Gemeinschaft, stelle dar Dein Eigenthümliches, und zeichne mit Deinem Gepräge Alles, was Dich umgiebt, arbeite an den heiligen Werken der Menschheit, ziehe an die befreundeten Geister: aber immer schaue in Dich selbst, wisse was Du thust, und erkenne Deines Handelns Maass und Gestalt. Der Gedanke, mit dem sie die Gottheit zu denken meinen, welche sie nimmer erreichen, hat doch die Wahrheit eines schönen Sinnbildes von dem, was der Mensch sein soll. Kraft seines Willens ist die Welt da für den Geiste höchste Freiheit ist die Thätigkeit, die sich in seinem wechselnden, sie bildenden Handeln ausdrückt; und unverrückt in diesem Handeln sich seiner selbst bewusst, als immer desselben, feiert er ein seliges Leben. So dass der Geist nichts bedarf, als sich selbst; und weder vergeht je die Betrachtung dem zurückbleibenden Gegenstand, noch stirbt der Gegenstand vor der überlebenden Betrachtung. So haben sie auch gedichtet die Unsterblichkeit, die sie allzu genügsam erst nach der Zeit suchen, statt in und über der Zeit, und ihre Fabeln sind weiser als sie selbst. Dem sinnlichen Menschen erscheint ja das innere Handeln nur als ein Schatten der äusseren That, und ins Reich der Schatten haben sie die Seele auf ewig gesetzt, und gemeint, dass dort unten nur ein dürftiges Bild der früheren Thätigkeit ein dunkles[36] Leben ihr friste: aber klarer als der Olymp ist das, was der dürftige Sinn verbannte in unterirdische Finsterniss, und das Reich der Schatten sei mir schon hier das Urbild der Wirklichkeit. Jenseit der zeitlichen Welt liegt ihnen ja die Gottheit, und die Gottheit anzuschauen und zu loben, haben sie den Menschen nach dem Tode auf ewig befreit von den Schranken der Zeit: aber es schwebt schon jetzt der Geist über der zeitlichen Weite, und solches Schauen ist Ewigkeit, und unsterblicher Gesänge himmlischer Genuss. Beginne darum schon jetzt Dein ewiges Leben in steter Selbstbetrachtung; sorge nicht um das, was kommen wird, weine nicht um das, was vergeht: aber sorge, Dich selbst nicht zu verlieren, und weine, wenn Du dahin treibst im Strome der Zeit, ohne den Himmel in Dir zu tragen.

Quelle:
Friedrich Schleiermacher's Monologen. Berlin 1868, S. 26-37.
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