IV

[51] Er lag unter den Tritten des stürmenden Heeres, in wildem Schmerz, aber entsetzlich klarem Bewußtsein. Der Weg war zu Ende. Dort vor ihm stand das Geschütz und blickte grinsend herüber. Es wartete, es prahlte laut.

Rechts und links tobte es vorbei und sein armes Wissen darum schloß sich mit dem Hier, dem letzten Ort seines Lebens, zu einem unbarmherzigen engen Ring zusammen. Er suchte die Schultern zu erheben, aber der Rumpf gehörte nicht mehr ihm und regte sich nicht. Es war zu spät. Ein Augenblick verrann.

Da ging es wie ein heiliges Leuchten in ihm auf. Ein Lächeln durchbrach den irrsinnigen Schmerz. Er rückte den Tornister mit schon unsicher tastenden Händen vor sich hin. Er zog einen Fetzen der weißen blutgetränkten Gamaschen von dem armen Rest seiner Beine. Der Rücken lehnte an dem toten Körper eines andern. Er nahm ein Blatt heraus und begann hastig zu zeichnen. Mit breiten roten Strichen seines eigenen Blutes entstand das Geschütz auf dem Hügel und er stand neben ihm, er allein, und legte die Hand darauf.

So sah ihn der Russe, der im rasenden Gefecht noch einmal in seine Nähe kam. Er fand ihn zusammengeschrumpft im bleichen Abendlicht, hohl, fast regungslos. Der Kleine blickte ihn starr an. Sprechen konnte er nicht mehr, aber die Hand fuhr unablässig fort, blutige Striche zu zeichnen. Der Russe verstand und ein schmerzliches Lächeln ging über sein Gesicht. Er gab dem Künstler einen Schluck zu trinken. Der öffnete die Lippen und fuhr fort. Er nickte mühsam und fuhr fort. Das Bild des Sieges war vollendet, als die letzten Feinde wichen und über dem Geschütz das japanische Banner erschien.

Und auch der Große fiel, und die Seele, die aus diesem gramvollen Antlitz geredet hatte, schwand hin, namenlos und ungetröstet, unter dem Hügel von andern Namenlosen. Das Gefecht zog sich in die Ferne. Das Tageslicht verglomm, in dem die Flagge einsam wehte.[52]

Am Horizont lagerte sich ein Streifen düsteren Abendrots. Ein großes Schweigen breitete sich aus. Der Wind blies kühl über die Ebene und warf dem toten Soldaten die Mütze vom Kopf. Der aber saß da, gelb und kalt, das Auge mit triumphierendem Lächeln auf die fürchterliche Zeichnung geheftet, die er auf seinen zerschmetterten Knien hielt.

Quelle:
Oswald Spengler: Reden und Aufsätze. München 1937, S. 51-53.
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