[174] Wer die Bibel, so wie sie ist, als einen Brief betrachtet, den Gott den Menschen vom Himmel gesandt hat, wird unzweifelhaft mich der Sünde gegen den heiligen Geist anklagen, weil ich Gottes Wort als fehlerhaft, verstümmelt, verfälscht und sich widersprechend dargelegt habe, von dem wir nur Bruchstücke besitzen und von dem die[174] Urschrift des Vertrages Gottes mit den Juden verloren gegangen sei. Wer indess die Sache erwägt, wird diese Anklage schnell fallen lassen; denn die Vernunft sowohl wie die Aussprüche der Apostel und Propheten verkünden deutlich, dass das ewige Wort und Bündniss Gottes und die wahre Religion den Herzen der Menschen, d.h. dem menschlichen Geist von Gott eingeschrieben worden, dass sie die wahre Handschrift Gottes ist, was er mit seinem Siegel, nämlich mit dem Begriff seiner, als dem Bilde seiner Gottheit, besiegelt hat.
Den ersten Juden ist die Religion wie ein Gesetz durch Schrift gelehrt worden, weil sie da nur als Kinder galten. Allein später predigen Moses (Deut. XXX. 6) und Jeremias (XXXI. 33) ihnen die kommende Zeit, wo Gott sein Gesetz in ihre Herzen schreiben werde. Deshalb geziemte es nur den Juden und vorzüglich den Sadducäern für das in den Tafeln verzeichnete Gesetz zu kämpfen; nicht aber Denen, die es in ihrer Seele eingeschrieben trugen. Wer hierauf achtet, wird in dem Bisherigen nichts finden, was dem Worte Gottes oder der wahren Religion und dem Glauben widerspricht oder beide schwächen konnte; vielmehr können wir dadurch darin nur befestigt werden, wie ich am Ende des zehnten Kapitels gezeigt habe. Ohnedem würde ich über diese Dinge ganz geschwiegen haben; ja, selbst um allen Schwierigkeiten zu entgehen, gern eingeräumt haben, dass in der Bibel die tiefsten Geheimnisse enthalten seien. Allein da daraus ein untrüglicher Aberglaube und andere verderbliche Nachtheile hervorgegangen sind, worüber ich im Beginn des 7. Kapitels gesprochen habe, so glaubte ich mich dem nicht entziehen zu dürfen, zumal da die Religion keiner abergläubischen Zierrathen bedarf, sondern nur an ihrem Glänze einbüsst, wenn sie mit solchen Erdichtungen geschmückt wird.
Man wird indess einwenden, dass, wenn auch das göttliche Gesetz dem Herzen eingeschrieben sei, die Bibel doch Gottes Wort bleibe, und deshalb dürfe man von der Bibel so wenig wie von Gottes Wort sagen, dass es verstümmelt und verfälscht worden. Allein ich fürchte, dass man hier in übertriebenem Eifer der Heiligkeit die Religion in Aberglauben verwandelt, ja Zeichen und Bilder, d.h. Papier und Tinte statt Gottes Wort anzubeten beginnt. So viel weiss ich, dass ich von der Schrift oder[175] dem Worte Gottes nichts Unwürdiges gesagt habe; denn ich habe nur gesagt, was in seiner Wahrheit sich auf die klarsten Gründe stützt, und deshalb kann ich auch behaupten, nichts Gottloses und nach Gottlosigkeit Schmeckendes gesagt zu haben.
Ich räume ein, dass Menschen, denen die Religion eine Last ist, daraus die Freiheit zu sündigen entnehmen können, und dass sie daher ohne allen Grund, nur um ihrer Lust zu fröhnen, schliessen, die Bibel sei überall fehlerhaft, verfälscht und deshalb ohne Gültigkeit. Allein Diesen kann man niemals entgegentreten; nach dem bekannten Sprüchwort, dass Nichts so gut gesagt werden kann, was nicht durch schlechte Auslegung verderbt werden könnte. Wer seiner Lust fröhnen will, wird leicht einen Grund dafür finden, und selbst Die, welche die Originale selbst, die Bundeslade, die Propheten und Apostel hatten, sind nicht besser und gehorsamer gewesen, sondern Alle, Juden wie Heiden, waren Alle dieselben, und die Tugend war zu allen Zeiten selten.
Um indess hier alle Zweifel zu beseitigen, habe ich zu zeigen, in welchem Sinne die Schrift und irgend eine stumme Sache heilig und göttlich genannt werden kann; dann, was in Wahrheit Gottes Wort ist, und dass es nicht in einer bestimmten Zahl Schriften besteht, und endlich, dass die Schrift, soweit sie das zu dem Gehorsam und dem Heile Nöthige lehrt, nicht hat verderbt werden können. Daraus kann dann Jeder entnehmen, dass ich nichts gegen Gottes Wort gesagt und der Gottlosigkeit keinen Raum frei gemacht habe.
Ein Gegenstand heisst heilig oder göttlich, der zur Uebung der Frömmigkeit und Religion bestimmt ist, und er ist nur so lange heilig, als er zu diesem Zweck gebraucht wird. Hören die Menschen auf, fromm zu sein, so hört auch die Heiligkeit des Gegenstandes auf, und wenn sie ihn zur Vollziehung gottloser Dinge bestimmen, so wird der vorher heilige Gegenstand zu einem unreinen und weltlichen. So nannte der Erzvater Jacob einen Ort »Haus Gottes«, weil er da den ihm offenbarten Gott verehrte; allein die Propheten nannten denselben Ort »Haus der Ungerechtigkeit« (Hamos. V. 5, Hosea X. 5), weil die Israeliten nach der Einrichtung Jerobeam's da den Götzenbildern zu opfern pflegten. Ein anderes Beispiel[176] macht die Sache noch klarer. Die Worte erhalten durch den Gebrauch eine bestimmte Bedeutung, und wenn sie nach diesem Gebrauch so eingerichtet werden, dass sie die Leser zur Andacht bestimmen, gelten jene Worte als heilige, wie das Buch, was so geschrieben ist. Verliert sich nun später dieser Gebrauch, so dass die Worte nichts mehr bedeuten, und dass das Buch aus Bosheit, oder weil man es nicht mehr braucht, ganz vernachlässigt wird, dann haben solche Worte und ein solches Buch keinen Nutzen und keine Heiligkeit mehr. Werden endlich dieselben Worte anders gestellt, oder wird der Gebrauch, sie in eine andere Bedeutung zu nehmen, überwiegend, dann können die Worte und das Buch, die vorher heilig waren, unrein und weltlich werden.
Daraus folgt, dass nur der Sinn unbedingt über Heiligkeit und Weltlichkeit oder Unreinigkeit entscheidet, wie dies auch aus vielen Stellen der Bibel sich ergiebt. So sagt, um eine solche anzuführen, Jeremias VII. 4, dass die Juden zu seiner Zeit den Tempel Salomo's fälschlich den Tempel Gottes genannt hätten; denn, fährt er fort, Gottes tarnen kann nur derjenige Tempel fuhren, der von Menschen, die Gott verehren und die Gerechtigkeit vertheidigen, besucht wird; geschieht dies aber von Mördern, Dieben, Götzendienern und anderen abscheulichen Menschen, dann ist er nur der Schutzherr der Uebelthäter. – Was aus der Bundeslade geworden, giebt die Bibel nicht an, was mich oft gewundert hat; allein sicher ist, dass sie untergegangen oder mit dem Tempel verbrennt ist, obgleich es nichts Heiligeres und Verehrteres bei den Juden gegeben hat.
In diesem Sinne wird die Bibel auch so lange heilig und ihre Rede göttlich sein, als sie die Menschen zur Andacht gegen Gott bewegt; sollte sie aber von ihnen ganz vernachlässigt werden, wie ehedem von den Juden, so bleibt sie nur ein beschriebenes Papier und wird eine durchaus weltliche und dem Verderben ausgesetzte Sache, und wenn sie dann verdorben wird oder zu Grunde gebt, so kann man nicht sagen, das Wort Gottes sei verdorben werden oder untergegangen, wie man auch zur Zeit des Jeremias nicht sagen konnte, der Tempel sei als Tempel Gottes verbrannt. Jeremias sagt dies auch von dem Gesetz selbst, indem er den Gottlosen seiner Zeit vorhält:[177] »Weshalb sagt Ihr, wir sind erfahren, und Gottes Gesetz ist mit uns? Gewiss ist es vergeblich eingerichtet worden; die Feder der Schreiber ist vergeblich« (gewesen), d.h. Ihr sagt fälschlich, dass Ihr das Gesetz Gottes habt, wenn auch die Bibel bei Euch ist, nachdem Ihr selbst sie nutzlos gemacht habt. – Ebenso hat Moses, als er die ersten Tafeln zerbrach, keineswegs vor Zorn das Wort Gottes aus den Händen geschlendert und gebrochen (denn wer konnte dies von Moses und dem Worte Gottes annehmen), sondern es geschah dies nur mit Steinen, die allerdings vorher heilig waren, weil das Bündniss, nach dem die Juden Gott zu gehorchen sich verpflichtet hatten, auf ihnen geschrieben stand; allein nachdem sie dasselbe durch Anbetung des Kalbes gebrochen hatten, hatte es keine Heiligkeit mehr, und aus derselben Ursache konnten auch die zweiten Tafeln mit der Lade untergehen. Es kann deshalb nicht auffallen, wenn die ersten ursprünglichen Tafeln des Moses nicht mehr da sind, und dass das mit den Büchern, die wir noch haben, sich zugetragen hat, was ich oben erwähnt habe, wenn das wahre und allerheiligste Original des göttlichen Bundes hat ganz zu Grunde gehen können.
Man höre also auf, mich der Gottlosigkeit zu beschuldigen; ich habe nichts gegen Gottes Wort gesprochen, es nicht befleckt; vielmehr richte man seinen Zorn, wenn er besteht, gegen die Alten, deren Bosheit die Lade Gottes, den Tempel, das Gesetz und alles Heilige verweltlicht und dem Verderbniss ausgesetzt hat. Und wenn sie nach dem Apostel, 2. Korinth. III. 3, den Brief Gottes in sich tragen, nicht in Tinte, sondern im Geiste Gottes, und nicht in steinernen Tafeln, sondern auf den Fleischestafeln des Herzens geschrieben, so mögen sie aufhören, den Buchstaben anzubeten und um ihn besorgt zu sein.
Damit glaube ich genügend erklärt zu haben, in welchem Sinne die Bibel als heilig und göttlich gelten kann. Es ist nun zu untersuchen, was unter Debar Jehova (Wort Gottes) zu verstehen ist. Debar bezeichnet das Wort, die Rede, das Gebot und die Sache. Aus welchen Gründen eine Sache im Hebräischen als die Gottes erklärt oder auf Gott bezogen wird, habe ich Kap. 1 gezeigt, und daraus erhellt, was die Schrift unter Wort Gottes meint, sei es eine Rede, ein Gebet oder eine Sache. Ich[178] brauche dies nicht Alles zu wiederholen, noch das, was ich in Kap. 6 an dritter Stelle von den Wundern gesagt habe. Ich deute hier es nur an, damit der Leser das hier Folgende besser verstehe. Wird das Wort Gottes von einem Gegenstande ausgesagt, der nicht Gott selbst ist, so bezeichnet es eigentlich jenes göttliche Gesetz, von dem ich in Kap. 4 gehandelt habe, d.h. die allgemeine oder katholische Religion des ganzen Menschengeschlechts. Man sehe hierüber Esaias I. 10 u. f., wo er den wahren Lebenswandel schildert, der nicht in Gebräuchen, sondern in der Liebe und Wahrhaftigkeit besteht; diesen nennt er bald Gesetz, bald Wort Gottes. Dann wird das Wort bildlich für die Ordnung der Natur und das Schicksal gebraucht (da dies in Wahrheit vom ewigen Rathschluss der göttlichen Natur abhängt und daraus folgt) und vorzüglich für das, was die Propheten davon vorausgesagt, und zwar deshalb, weil sie das Kommende aus natürlichen Ursachen nicht erfassen konnten, sondern nur als Belieben und Beschlüsse Gottes. Dann wird es auch für jede Verkündung irgend eines Propheten gebraucht, soweit er sie durch seine besondere Kraft oder seine prophetische Gabe und nicht durch sein natürliches Licht erfasst hatte, und zwar vorzüglich deshalb, weil die Propheten in Wahrheit Gott als einen Gesetzgeber sich vorzustellen pflegten, was ich Kap. 4 gezeigt habe. – Aus diesen drei Gründen heisst die Schrift das Wort Gottes; weil sie nämlich die wahre Religion lehrt, deren ewiger Urheber Gott ist; dann weil sie die Weissagungen des Kommenden als Beschluss Gottes berichtet, und endlich weil ihre wahren Verfasser meistentheils nicht aus dem gemeinsamen natürlichen Licht, sondern aus einem besonderen, ihnen zu Theil gewordenen gelehrt und Gott als dies aussprechend eingeführt haben. Wenn nun auch daneben die Bibel noch Vieles enthält, was rein geschichtlich ist oder durch das natürliche Licht erkannt wird, so ist sie doch nach dem Grösseren benannt worden.
Hieraus ergiebt sich leicht, in welchem Sinne Gott als der Urheber der Bibel anzusehen ist, nämlich der wahren Religion wegen, die sie enthält, aber nicht, weil Gott den Menschen eine bestimmte Zahl Bücher mittheilen wollte. Davon kann man auch entnehmen, weshalb die Bibel sich in die Bücher des Alten und Neuen Testamentes theilt.[179] Vor der Ankunft Christi pflegten nämlich die Propheten die Religion als das einheimische Gesetz zu predigen und vermöge des zu Mosis Zeit eingegangenen Vertrages. Nach Christi Ankunft haben aber die Apostel sie als das allgemeine Gesetz blos auf Grund des Leidens Christi Allen gepredigt. Dieser Name hat also seinen Grund nicht in der Verschiedenheit der Lehre, oder weil sie die geschriebenen Urkunden des Bundes sind, auch nicht, weil die katholische Religion, die die natürlichste ist, eine neue ist, ausgenommen in Bezug auf die Menschen, die sie nicht kannten. »Er war in der Welt,« sagt der Evangelist Johannes I. 10, »und die Welt kannte ihn nicht.« Hätten wir also auch Weniger Bücher des Alten wie des Neuen Testamentes, so ermangelten wir doch nicht des Wortes Gottes (unter welchem, wie gesagt, die wahre Religion gemeint ist), sowie wir nicht glauben, ihrer deshalb zu ermangeln, weil uns viele vortreffliche Bücher fehlen, wie das Buch des Gesetzes, welches, wie die Urschrift des Bundes, sorgfältig im Tempel verwahrt wurde, und die Bücher der Kriege, der Zeitrechnungen und andere, aus denen die Bücher des Alten Testaments, die wir haben, ausgezogen und zusammengestellt worden sind.
Dieses wird auch durch viele andere Gründe bestätigt. Denn erstlich sind die Bücher beider Testamente nicht im ausdrücklichen Auftrage und zu gleicher Zeit für alle Jahrhunderte abgefasst worden, sondern nach Gelegenheit, durch mancherlei Personen, wie die Zeit und ihre besondere Lage es erforderte. Dies ergeben deutlich die Berufungen der Propheten (die berufen worden sind, um die Gottlosen ihrer Zeit zu vermahnen) und die Briefe der Apostel. Zweitens ist es ein Unterschied, die Schrift und die Meinung der Propheten zu verstehen und den Willen Gottes, d.h. die Wahrheit selbst zu kennen, wie aus dem in Kap. 2 über die Propheten Gesagten erhellt. Dies gilt auch für die Geschichte und die Wunder, wie ich in Kap. 6 dargelegt. Aber dies kann von denjenigen Stellen nicht gesagt werden, welche von der wahren Religion und Tugend handeln. Drittens sind die Bücher des Alten Testamentes aus vielen ausgewählt und zuletzt von dem Rath der Pharisäer gesammelt und geprüft worden, wie ich in Kap. 10 gezeigt habe. Auch die Bücher[180] des Neuen Testaments sind durch die Beschlüsse einiger Konzilien zu einem Kanon zusammengestellt, und andere, welche von Vielen für heilig gehalten wurden, sind durch deren Beschlüsse verworfen worden. Nun bestanden aber die Mitglieder dieser Versammlungen bei den Pharisäern und Christen nicht auf Propheten, sondern nur aus gelehrten und erfahrenen Männern, und doch muss man anerkennen, dass bei dieser Auswahl das Wort Gottes ihnen zum Maassstab gedient; mithin mussten sie vor aller Prüfung der Bücher die Kenntniss des Wortes Gottes besitzen. Viertens haben die Apostel nicht als Propheten, sondern nach Ausweis des vorgehenden Kapitels, als Lehrer geschrieben, und sie wählten diejenige Weise der Belehrung, welche sie für ihre Schüler als die leichteste erachteten. Deshalb muss darin Manches enthalten sein, was man nach den Ausführungen des vorigen Kapitels rücksichtlich der Religion entbehren kann. Fünftens giebt es im Neuen Testament vier Evangelisten, und wer kann glauben, dass Gott Vieren die Geschichte Christi hat erzählen und durch Schrift den Menschen mittheilen wollen? Wenn auch das Eine Manches enthält, was in dem Anderen fehlt, und wenn auch Eines das Verständniss des Anderen befördert, so folgt doch daraus nicht, das alles in diesen Vieren Enthaltene zu wissen nöthig sei, und dass Gott sie zum Schreiben ausgewählt, damit die Geschichte Christi besser verstanden werde. Denn Jeder predigte sein Evangelium an einem anderen Orte, und Jeder schrieb das nieder, was er gepredigt hatte, und zwar einfach zur deutlichen Erzählung der Geschichte Christi und nicht zur Erläuterung der Anderen. Wird durch deren Vergleichung Manches leichter und besser verständlich, so ist dieses zufällig und nur bei wenig Stellen, welche man nicht zu kennen brauchte, ohne dass die Geschichte deshalb weniger deutlich und die Menschen weniger glücklich wären.
Damit habe ich gezeigt, dass die Bibel eigentlich nur rücksichtlich der Religion oder des allgemeinen göttlichen Gesetzes Wort Gottes genannt werde, und ich habe nur noch zu zeigen, dass sie in diesem Sinne weder fehlerhaft, noch verstümmelt, noch verdorben ist. Ich nenne aber hier fehlerhaft, verdorben und verstümmelt, was so falsch geschrieben und zusammengestellt ist, dass man den Sinn aus dem Sprachgebrauch oder aus der Bibel allein nicht[181] entnehmen kann. Denn ich will nicht behaupten, dass die Bibel, soweit sie das Wort Gottes enthält, immer dieselben Accente, dieselben Buchstaben und Worte bewahrt hat; ich überlasse dies den Masoreten und den abergläubischen Anbetern des Buchstabens zu beweisen; vielmehr ist blos der Sinn, rücksichtlich dessen eine Rede nur göttlich heissen kann, unverdorben auf uns gelangt, sollten auch die Worte, in denen dieser Sinn zunächst ausgedruckt worden, häufig gewechselt haben. Denn dies nimmt wie gesagt, der Bibel nichts von ihrer Göttlichkeit; die Bibel würde ebenso göttlich bleiben, wenn sie auch mit anderen Worten oder in einer anderen Sprache abgefasst wäre.
Dass wir nun das göttliche Gesetz in diesem Sinne unverdorben erhalten haben, ist nicht zweifelhaft. Denn die Schrift selbst ergiebt unzweideutig und leicht, dass ihr Kern ist, Gott über Alles zu lieben und den Nächsten wie sich selbst. Dies kann aber nichts Verfälschtes sein und nicht die Schrift einer irrenden oder flüchtigen Feder; denn hätte die Bibel irgendwo etwas Anderes gelehrt, so müsste sie auch das Uebrige anders lehren; denn es ist die Grundlage der ganzen Religion, mit deren Wegnahme der ganze Bau zusammenstürzt. Eine solche Schrift wäre nicht die, von der wir hier handeln, sondern ein ganz anderes Buch. Es gilt deshalb als unerschütterlich, dass die Bibel dies immer gelehrt hat, und dass mithin hier kein Irrthum, der den Sinn verdirbt, sich eingeschlichen; denn Jeder hätte dies sofort bemerken, und Niemand hätte die Bibel so verderben können, dessen Bosheit nicht dadurch offenbar geworden wäre.
Ist daher diese Grundlage als unverderbt anzuerkennen, so gilt dies auch von dem, was daraus unzweifelhaft folgt, und was auch zur Grundlage gehört; also: dass Gott besteht, dass er für Alle sorgt, dass er allmächtig ist, dass es den Frommen nach seinem Rathschluss gut geht, den Gottlosen aber schlecht, und dass unser Heil nur von seiner Gnade abhängt. Denn dies Alles lehrt die Bibel überall deutlich und hat es immer lehren müssen, widrigenfalls alles Andere eitel und ohne Grundlage wäre. Ebenso müssen ihre übrigen Sittenregeln als ächt gelten, da sie sich aus dieser allgemeinen Grundlage deutlich ergeben,[182] nämlich: die Gerechtigkeit vertheidigen, den Armen helfen, Niemand tödten, das Gut eines Andern nicht begehren u.s.w. Davon konnte die Bosheit der Menschen nichts verschlechtern und das Alter nichts zerstören. Denn was davon zerstört worden wäre, würde sofort aus der allgemeinen Grundlage von Neuem entnommen werden können, und die Regel der Liebe würde es gelehrt haben, welche überall in beiden Testamenten auf das Höchste empfohlen wird. Dazu kommt, dass sich allerdings keine noch so abscheuliche That denken lässt, die nicht einmal begangen worden; allein dennoch wird Niemand zur Entschuldigung seiner Thaten die Gesetze zu verachten oder etwas Gottloses als eine ewige und heilsame Lehre einzuführen Buchen; denn die menschliche Natur ist so eingerichtet, dass Jeder, sei er König oder Unterthan, wenn er etwas Schlechtes begangen, seine That mit solchen Umständen auszuschmücken sucht, dass man glauben soll, er habe nicht unrecht und unanständig gehandelt.
Man kann deshalb annehmen, dass das allgemeine göttliche Gesetz, welches die Schrift lehrt, ganz und unverderbt auf uns gekommen ist. Daneben bleibt aber noch Anderes, was uns unzweifelhaft in redlicher Absicht überliefert worden ist, nämlich das Wesentliche der biblischen Geschichte, die ja Allen genau bekannt war. Das jüdische Volk pflegte sonst seine alten Erlebnisse in Psalmen zu singen, und das Wesentliche von Christi Thaten und seinen Leiden ist sofort im ganzen Römischen Reiche bekannt geworden. Deshalb konnte, wenn nicht der grösste Theil der Menschen sich zusammengethan hätte, was unglaublich ist, das Hauptsächliche von diesen Dingen auf die spätere Zeit nicht anders übergehen, als die frühere es empfangen hatte. Alle Verfälschungen und Fehler konnten deshalb nur das Uebrige treffen, einen oder den anderen Nebenumstand der Geschichte oder Weissagung, der das Volk mehr zur Andacht bewegen sollte; oder ein oder das andere Wunder, was die Philosophen in Verlegenheit bringen sollte; oder spekulative Punkte, als diese von den Andersgläubigen in die Religion eingeführt wurden, um damit die eigenen Erfindungen durch Missbrauch des göttlichen Ansehens zu befestigen. Allein für das Heil macht es wenig aus, ob solche Verschlechterungen[183] mehr oder weniger stattgefunden, wie ich im nächsten Kapitel zeigen werde; obgleich es schon aus dem Bisherigen und aus Kap. 2 sich ergeben dürfte.
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