§ 33. Der Wandel während der Reise des Mannes.

[302] Das Benehmen der einzigen Gattin, solange der Geliebte in der Nähe ist, ist nun beschrieben worden: wenn er aber verreist ist, beginnt »der Wandel während der Reise des Mannes«, ein Anhang zu jenem Benehmen:


Wenn er verreist ist, trägt sie nur glückverheißenden Schmuck, fastet eifrig zu Ehren der Gottheit, wartet auf Nachrichten und kümmert sich um das Hauswesen.


»Wartet auf Nachrichten«, d.h. sucht emsig nach einer Kunde von dem Geliebten. – »Kümmert sich um das Hauswesen«: die Handlungen, die darunter zu verstehen sind, hat der Verfasser bereits genannt.


Ihr Lager sei im Schoße der Eltern. Mit ihrer Erlaubnis liege sie ihren Beschäftigungen ob; sie bemühe sich, Dinge, die dem Geliebten erwünscht sind, zu erwerben und wiederherzustellen.


»Im Schoße der Eltern«, in der Nähe der Schwiegermutter und ihrer Leute sei ihre Lagerstätte, um der eignen Reinheit willen. – »Mit ihrer Erlaubnis«: um ihre Willfährigkeit zu beweisen, beschäftige sie sich mit Dingen, die den Eltern genehm sind. – »Bemühe sich, zu erwerben«, nämlich diejenigen »Dinge, die dem Geliebten erwünscht«, aber von ihm noch nicht erworben sind.


Bei den ständigen und gelegentlichen Beschäftigungen sei der Aufwand der gewöhnliche. Sie denke daran, die von ihm begonnenen Arbeiten zu beendigen.


Eine »ständige« Beschäftigung ist Essen und Trinken usw., eine »gelegentliche« Beschäftigung Kinderfeste usw. »Der Aufwand sei der gewöhnliche«, so daß das Herkommen gewahrt bleibt; oder wie es von dem Geliebten bestimmt worden ist. –[302] »Sie denke daran, die von ihm«, dem Liebhaber, »begonnenen Arbeiten«: den Bau eines Göttertempels, die Anlage eines Gartens usw., »zu beendigen«, d.h. sie handele danach, wie derlei am besten zu Ende geführt wird.


Sie gehe nicht in den Kreis ihrer Angehörigen, außer bei Unfällen und Festen; und wenn doch, so gehe sie unter Aufsicht der Umgebung des Liebhabers und bleibe nicht zu lange und ohne die Kleidung abzulegen, die der Anwesenheit des Gatten entspricht.


»In den Kreis ihrer Angehörigen«, in das Haus ihrer Eltern. – »Sie gehe nicht« ohne Grund. »Und wenn doch«, bei Unfällen und Festen, »so gehe sie unter Aufsicht der Umgebung des Liebhabers«, um ihres eignen guten Rufes willen; »und bleibe nicht zu lange«, verweile nicht zu lange Zeit, aus Furcht vor dem Zorne des Schwiegervaters; »und ohne die Kleidung abzulegen, die der Abwesenheit des Gatten entspricht«: dieses Wort ist gebraucht mit Bezug auf das Fest.


Sie unternehme die von den Eltern gutgeheißenen Fasten. Mit ehrlichen, gehorsamen Dienern und mit Erlaubnis mehre sie das Vermögen und verringere nach Kräften die Ausgaben durch Kauf und Verkauf.


»Sie unternehme die von den Eltern gutgeheißenen Fasten«, um den Vorwurf der Eigenmächtigkeit zu vermeiden. – »Durch Kauf und Verkauf«, durch die Beschäftigung des Handeltreibens. »Sie mehre das Vermögen«, sie lasse das Geld wachsen, »und verringere«, beschränke, »nach Kräften die Ausgaben«; d.h. wenn aus gewissen Gründen die Ausgaben groß sind, dann kann sie nur wenig Vermögen ansammeln.


Bei der Rückkehr zeige sie sich zunächst in der gewöhnlichen Verfassung, opfere den Gottheiten und bringe Geschenke herbei. – Das ist der Wandel während der Abwesenheit des Mannes.


»Bei der Rückkehr«, wenn der Geliebte von der Reise heimgekehrt ist, »zeige sie sich zunächst in der gewöhnlichen Verfassung«, in der Kleidung, wie sie der Abwesenheit des Mannes entspricht, um ihr Wesen anzudeuten: sie kleide sich so, als sei er nicht zurückgekehrt. – »Sie opfere den Gottheiten«,[303] samt ihrer Umgebung, »und bringe Geschenke herbei«, gelobte Gegenstände als Spende für die Götter.

Um die beiden Paragraphen zusammenzufassen, sagt (der Verfasser):


Es gibt hier zwei Verse:

Trefflichen Wandel führe die das Wohl des Liebhabers im Auge habende Frau in der Stellung als einzige Gattin, mag sie nun eine junge Frau oder eine Wiederverheiratete oder eine Hetäre sein.

Dharma, Artha und Kāma, eine Stellung und einen Gatten ohne Nebenfrauen erlangen diejenigen Frauen, die einen trefflichen Wandel führen.


»Trefflichen Wandel«, um zu zeigen, daß es nichts Erheucheltes ist. Mit Bezug auf die drei Liebhaberinnen, die solchen Wandel führen können, sagt (der Verfasser): »Eine junge Frau«, so heißt eine Frau aus guter Familie, die noch an keinen andern verheiratet war. – Den Lohn für das Leben nach diesem Wandel nennt (der Verfasser) in den Worten: »Dharma« usw. – »Stellung«, feste Grundlage. – »Ohne Nebenfrauen«, frei von Dornen.

Quelle:
Das Kāmasūtram des Vātsyāyana. Berlin 71922, S. 302-304.
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