§ 5. 1. Leben und Schriften. 2. Grundstandpunkt und Grundbegriffe.

  • [24] Literatur: Das Hobbes-Studium ist, in Deutschland wenigstens, erst neuerdings in Fluß gekommen durch die Arbeiten von Ferdinand Tönnies, der auch mehrere Werke von Hobbes (s. u.) zum erstenmal nach den Original-Manuskripten ediert hat. Eine gute, knappe Gesamtdarstellung gibt Tönnies, Hobbes' Leben und Lehre, Stuttgart 1896, in 2. erweiterter Auflage unter dem Titel: Hobbes der Mann und der Denker, Lpz. 1912. Von englischen Darstellungen vgl. Robertson, Hobbes, London 1886 und L. Stephen (ebd. 1904); von dänischen Larsen (Kopenhagen 1891), von französischen Lyon (Paris 1893). Erste Übersetzung ins Deutsche (De corpore) von M. Frischeisen-Köhler. Leipzig 1915. (Philos. Bibl.).

1. Leben und Schriften. Hobbes' Leben erstreckt sich über einen 91jährigen Zeitraum. Als Sohn eines Landpfarrers[24] am 5. April 1588 geboren, frühreif, bezog er bereits mit 15 Jahren die Universität Oxford, deren puritanischer Geist und nominalistisch-scholastische Lehrweise den begabten Jüngling schon damals abstieß. Von 1608-1628 war er Hofmeister, dann Reisebegleiter, später Privatsekretär und Hausfreund des ihm gleichalterigen Lord Cavendish, fand dabei jedoch Muße genug zu ausgedehnten Studien. 1629 gab er aus politisch-konservativem Interesse eine Übersetzung des Thukydides (mit Abhandlung) heraus. Von 1631 anerzog er den Sohn seines einstigen Zöglings, wie er denn überhaupt bis an sein Ende ein Freund der freidenkenden Grafenfamilie blieb; er bereiste mit ihm Frankreich, wo er mit dem Mersenneschen Kreis, und Italien, wo er mit Galilei persönlich bekannt ward. In diesen Jahren begann er sein System zu entwerfen. Als Vorläufer desselben, zugleich zur Verteidigung des bedrängten Königtums, schrieb er 1640 seine »Anfangsgründe des Natur- und Staatsrechtes (Elements of Law natural and politic)«, die erst zehn Jahre später unter verändertem Titel ohne sein Wissen herausgegeben wurden (in ihrer echten Gestalt erst 1889 durch Tönnies). Dann verließ er infolge der politischen Unruhen die Heimat, um die nächsten elf Jahre in Paris im Verkehr mit befreundeten Gelehrten wie Mersenne und Gassendi zu leben; auch Descartes lernte er dort kennen. 1642 erschien daselbst zuerst der dritte Teil seines Systems, das epochemachende Buch De Cive (1647 in erweiterter Gestalt zu Amsterdam). Von 1645 unterrichtete er eine Zeitlang den vertriebenen Prinzen von Wales (späteren König Karl II.) in der Mathematik. Mit Cromwells Republik versöhnte er sich innerlich bald, da ihm die einheitliche Staatssouveränität an sich wichtiger war als ihre Form. In diesem Sinne verfaßte er für seine Landsleute, daher in englischer Sprache, sein großes Werk Leviathan (London 1651). Der dem Buche Hiob entlehnte Name des Tieres, »dem kein anderes gleich ist«, bedeutet den von der Kirche völlig losgelösten weltlichen Staat, der auch die Erziehung in seine Hand nehmen, z.B. die Universitäten verweltlichen soll. Das Buch erregte, trotzdem Hobbes noch nicht sein letztes Wort darin gesprochen, einen Sturm der Entrüstung bei den Geistlichen aller Bekenntnisse. Sein Verfasser ward als »Vater der Atheisten« vom Hofe des »Königs im Exil« verwiesen. Dagegen konnte er jetzt, im Winter 1651/52, nach England zurückkehren und unter der Republik in Ruhe und Frieden seinen[25] Studien leben: anfangs zu London im Verkehr mit Harvey und anderen Medizinern, später auf dem Landsitze seines früheren Zöglings. 1655 erschien endlich der erste Teil seines Systems; De Corpore, der seine Logik, »erste« Philosophie und Naturphilosophie zugleich umfaßte und der theologischen Metaphysik aufs neue den Krieg erklärte; 1658 der zweite, schwächere: De Homine. Unter der Restauration (seit 1660) anfangs wohlgelitten, wurde er später vielfach angefeindet. So konnte er für seine in Dialogform verfaßte, mit zahlreichen Reflexionen versehene Geschichte des »langen Parlaments« (1640-60), die er unter dem Titel Behemoth (neben dem Leviathan des Staates das Ungetüm der Revolution) als 80jähriger verfaßt hatte, die königliche Druckerlaubnis nicht erhalten. Wie die Elements in unechter Gestalt und verstümmelt von Freunden herausgegeben, ist auch sie erst von Tönnies (1889) nach dem Originalmanuskript ediert worden. Hobbes blieb bis in sein höchstes Alter geistig und körperlich frisch; in seinem 88. Lebensjahre gab er noch eine Übersetzung des ganzen Homer in gereimten Jamben heraus; er verlebte seine letzten Jahre in behaglicher Weise (mit Leibesübungen, Ballspiel, Spiel auf der Baßgeige, ja sogar nächtlichem Solosingen beschäftigt!) im Hause seines Gönners. Dort starb auch der unvermählt Geblichene am 4. Dezember 1679. Er wird geschildert als ein Mann von Welt, anspruchslos, freigebig, taktvoll, vornehm, rechtschaffen, begeistert für die Wissenschaft, die Unabhängigkeit liebend, und seine Freunde beklagen nur, daß er »zu viel Zeit mit Selbstdenken hinbrachte«.

Die bisher vollständigste Gesamtausgabe seiner Werke ist die von Molesworth in 16 Bänden, London 1839-45.

2. Grundstandpunkt und Grundbegriffe. Zu der langen Verkennung, die Hobbes getroffen hat und zum Teil noch immer – nicht am wenigsten in seinem Heimatlande – trifft, hat hauptsächlich der Ruf des Atheismus, in den er gekommen war, sowie seine entschiedene Verteidigung des Königtums beigetragen. Seine Philosophie aber hat man entweder als eine zweite Auflage des Baconschen Empirismus oder als groben Materialismus vernachlässigen zu dürfen geglaubt, bis erst neuere Forschungen auf seine wahre Bedeutung als Mitbegründer der modernen Weltanschauung aufmerksam gemacht haben.

Hobbes steht ausdrücklich und fest auf dem Boden der von Kopernikus und Kepler, Galilei und Harvey begründeten neuen Naturwissenschaft. Auch er hat geholfen,[26] die anthropomorphen und animistischen Anschauungen zu zerstören. Auch bei ihm hat sich »durch lange Lebenserfahrung und scharfes Nachdenken« die Ansicht festgesetzt, daß in der Natur alles auf mechanische Weise geschehe, und daß aus der einen, durch mannigfache Arten und Maße von Bewegungen erregten Materie alle Erscheinungen der Dinge entspringen, sowohl in bezug auf die Empfindungen der lebenden Wesen als die Affektionen der übrigen Körper, Er will nicht bloß das Universum im ganzen, sondern auch den Staat und den einzelnen Menschen wie ein Uhrwerk oder »eine andere etwas komplizierte Maschine« betrachten, in der das Herz die Feder, die Nerven die Schnüre, die Gelenke die Räder seien.

Bis dahin könnte man vielleicht von reinem Materialismus sprechen. Aber nun beginnt für Hobbes erst die philosophische Arbeit. Die »Maschine« in ihre Einzelteile zu zerlegen, d.h. das der Empfindung und durch die Empfindung Gegebene zu analysieren, ist die Aufgabe des Philosophen, der nur so zu Grundbegriffen oder Prinzipien gelangen kann. Alle Wissenschaft muß, schon als gemeinsamer Wissensbetrieb, ausgehen von Definitionen, d. i. willkürlich verabredeten Namen der Dinge, »die Wahrheit haftet am Worte, nicht an der Sache« [Nachklänge des Oxforder. Nominalismus seiner Jugend?]. Aber das Wort ist schließlich doch nur dazu da, um die Allgemeingültigkeit der Erkenntnis zu ermöglichen, und Wissenschaft im strengeren Sinne ist Erkenntnis der Ursachen. Sie ist also nur möglich von Gegenständen, deren Ursache oder Entstehung wir kennen, die wir demnach im Grunde selber erzeugen, wie z.B. die geometrischen Figuren oder die Begriffe von Recht und Unrecht, »weil wir deren Prinzipien, nämlich Gesetze und Verträge, selber geschaffen haben«. Gesetzt, es bliebe nach Vernichtung der Dinge nur der philosophierende Mensch übrig, so würde er sie aus seiner Erinnerung wieder erzeugen. So streift dieser »Materialist« ganz nahe an den idealistischen Grundgedanken, daß reine Wissenschaft in Geometrie, Physik und Politik nur möglich ist von – Gedankendingen. Gewiß verkündet er ausdrücklich: Es gibt keine Geister. Aber dieser echt materialistisch klingende Satz richtet sich nur gegen die Engel, Gespenster und ähnlichen Phantasmagorien der Scholastik, die mindestens in die Philosophie nicht gehören; allerdings auch gegen das Seelengespenst, dieses »so poetische und doch so schreckliche[27] Phantasiegebilde« (Tönnies), dem er mit dem Schwerte der Kritik zuleibe geht. Hobbes will nichts als Tatsachen und deren kausale Zusammenhänge darstellen. Ein gewisser Materialismus war notwendig gegenüber dem immer noch in den Gelehrtenköpfen herrschenden Formalismus der Scholastik. Der Begriff einer materiellen Substanz mußte gebildet werden, um eine Naturwissenschaft überhaupt erst möglich zu machen. Aber die »benannten Dinge«, mit deren Scheidung, Ordnung und Einteilung die Philosophie beginnt, sind für Hobbes im Grunde doch nur unsere Empfindungen bezw. Vorstellungen von den Dingen. Von seinen vier etwas willkürlich aufgestellten Kategorien: Körper, Akzidentien, Vorstellungen, Namen, sind die Vorstellungen (zu denen auch Raum und Zeit gehören!) die ursprünglichsten. Freilich kann er sich – und darin liegt die Schwäche seiner Methode – noch nicht völlig von dem Gedanken freimachen, daß eine Abstraktion ein Nichtseiendes bedeute. Die Wissenschaft habe Kenntnis von wirklichen Dingen zu geben, und wirkliche Dinge seien Körper. Philosophie ist daher Körperlehre. Aber ebenso klar ist ihm, daß Bewegung und Größe, die Grundlagen des Körperbegriffs, zunächst »an sich« und auf abstrakte Weise betrachtet werden müssen. Denn sein erster Grundsatz lautet: Alle Veränderung ist Bewegung. Von diesem Grundsatze aus entwirft er sein System der Wissenschaft als Lehre von den Bewegungen oder Tätigkeiten der natürlichen und politischen Körper.

Quelle:
Karl Vorländer: Geschichte der Philosophie. Band 2, Leipzig 51919, S. 24-28.
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