§ 37. Die Logik und Physik der Stoiker.

1. Logik.

[152] Die stoische Logik hat zwei Teile: Rhetorik und Dialektik. Die Rhetorik handelt auch von Grammatik, Musiktheorie und Poetik. Die Stoiker unterschieden Worte oder »Zeichen« (»Bezeichnendes«) und Gedanken oder »Bezeichnetes«. Von ihnen rühren zum großen Teil die üblichen grammatischen Bezeichnungen her. Philosophisch wichtiger ist der zweite Teil: die Dialektik, und in ihr wieder die Lehre von den Normen oder Kriterien und ihrer Entstehung, eine Art Erkenntnistheorie auf psychologischer Grundlage. Hier sind sie, was man bei den Vertretern einer idealistischen Tugendethik auf den ersten Blick nicht erwartet, wesentlich sensualistisch. Bei der[152] Geburt gleicht die Seele einer unbeschriebenen Tafel, in die sich die Außendinge »wie Siegel in das Wachs« eindrücken (typôsis) und so Vorstellungen (phantasiai) hervorrufen. Von diesen bleiben in der Seele Erinnerungsbilder zurück; durch deren Verknüpfung und Vergleichung entsteht die Erfahrung. Geschieht dies in kunstloser Weise, »von selbst«, wie z.B. im Kindesalter, so entstehen die allen gemeinsamen Begriffe (koinai ennoiai) oder »natürlichen Vorannahmen« (emphytoi prolêpseis), die jedoch erst durch die künstlichen Entwicklungen der Logik, nämlich Urteile und Schlüsse, zur wahrhaften Erfassung der Dinge (orthos logos) durch den vernünftigen Begriff (katalêpsis) führen, so daß zum Schluß doch das rationale Element wieder zum Durchbruch gelangt. Das »Kriterium«, d. i. die Richtschnur der Wahrheit, liegt in der Zustimmung des von seiner Unfehlbarkeit überzeugten subjektiven Bewußtseins, das als phantasia katalêptikê, d. i. als Vorstellung, die ihren Gegenstand zu erfassen geeignet ist, unmittelbare Evidenz erzeugt. Die Steigerung von der vorläufigen Annahme zur unerschütterlichen Überzeugung drückte der Stifter der Schule durch ein Gleichnis aus, indem er die Wahrnehmung durch die ausgestreckten Finger, die Zustimmung durch die halb geschlossene Hand, den Begriff durch die Faust, endlich die feste Überzeugung oder das Wissen durch das Umfassen der Faust mit der anderen Hand bezeichnete.

Die Logik im engeren Sinne hat es mit dem Bezeichneten oder Ausgesprochenen (lekton) zu tun. Leistungen von besonderer Bedeutung haben die Stoiker auf diesem Gebiete nicht aufzuweisen. So erwähnen wir denn nur ihre, hauptsächlich wohl aus pädagogischen Gründen erfolgte, Vereinfachung der aristotelischen Kategorienlehre: statt 10 nahmen sie bloß 4 Kategorien an, von denen eine jede die ihr voraufgehenden in sich enthält: 1. die Substanz (to hypokeimenon, auch ti, das »Etwas«, genannt); 2. die Eigenschaft (to poion); 3. die Beschaffenheit (pôs echon), 4. das Verhältnis (pros ti pôs echon). Diesen vier Kategorien entsprechen zugleich die Entwicklungsstufen des Seienden. Das leitet uns über zu ihrer Naturlehre.


2. Monistische Naturlehre (Physik) und teleologischer Pantheismus.

Die Stoiker suchen den aristotelischen Dualismus monistisch umzubilden. Stoff und Form, Körper und Geist sind ihnen eins, die ganze Welt ist eine einheitliche,[153] stofflich-körperliche Substanz. So trägt ihre Physik denn einen nahezu materialistischen Charakter. Wirklich ist nur, was Körper hat. Nicht bloß die Sinnendinge, sondern alles Seiende, Gott und die Seele, Tugenden und Affekte, ja selbst bloße Abstraktionen wie Gehen und Tanzen, Weisheit und Wahrheit sind körperlicher Natur! Unkörperlich sind nur der Raum, das Leere, die Zeit und die Denkobjekte (lekta). Der Mensch ist nicht dadurch gerecht, daß er an der Idee der Gerechtigkeit teilnimmt, wie Plato meint, sondern dadurch, daß er den Gerechtigkeitsstoff in seinem Leibe trägt. Die Vorstellungen sind Ätherteilchen, die in den Körper eindringen und ihn zu durchdringen vermögen; weshalb denn auch die Undurchdringlichkeit der Materie von den Stoikern geleugnet wird. Allein, daß der nackte Materialismus undurchführbar ist, zeigt sich auch bei ihnen. Im Stoffe wirksam sind ihm immanente vernünftige Kräfte (logoi). Die Urkraft aber, aus der sie alle ausstrahlen, ist die Gottheit. Der Materialismus schlägt plötzlich in Theologie um.

Allerdings bemühen sich die Stoiker nun, diese ewige allbelebende Urkraft möglichst körperlich zu fassen. Sie heißt – ähnlich wie bei Heraklit – der warme Hauch (pneuma) oder das Feuer, welches alle Dinge erzeugt, belebt und bewegt. Als »samenhafte« Vernunftkraft (logos spermatikos) hat sie von dem feurigen Zentrum der Welt, nach Kleanthes der Sonne, aus alles gestaltet, existiert also nicht außerhalb der Welt, wie bei Aristoteles. Alles in der Welt folgt mit Naturnotwendigkeit auseinander; diese unerbittliche Notwendigkeit nennt der Mensch auch Verhängnis (heimarmenê) oder Schicksal. Eine solche mechanische Naturerklärung scheint die Teleologie ganz auszuschließen. Und dennoch schleicht sie sich durch eine Hinterpforte wieder ein. Die Zweckmäßigkeit und Vollkommenheit der Welteinrichtung nämlich läßt darauf schließen, daß jene feurige Urkraft zugleich das Werkzeug der vollkommensten, zweckdienlichsten Vernunft ist. So wird das Verhängnis zur »Vorsehung«. Eine ausführliche Theodizee sucht diese unsere Welt als die beste nachzuweisen: wobei es einerseits, namentlich bei Chrysipp, nicht ohne recht triviale Plattheiten (Nutzen der Mäuse und Wanzen!) abgeht, anderseits die sittlichen Zwecke (daß z.B. die Übel zur Prüfung des Weisen da sind) mit hineinspielen.

Die menschliche Seele ist ein Abbild der Allseele. Sie ist »göttlichen Geschlechts«, wie der Apostel Paulas[154] aus dem Hymnus des Kleanthes zitiert, damit zugleich aber auch, wie jene, rein körperlicher Natur. Ihr leitender Teil (hêgemonikon) hat im Herzen als Zentrum des Blutlaufs seinen Sitz, nach anderen in der Brust überhaupt, als Sitz der Stimme und des Atems. Von da aus verbreiten sich die ihm Untertanen fünf Sinne, nebst der Zeugungskraft und dem Sprachvermögen, in die ihnen zugeordneten Organe. Unsterblich ist allein die Weltseele. Die Einzelseelen erhalten sich nur eine Zeitlang nach dem Tode, und zwar die schlechten und unwissenden, weil aus weniger reinem und dauerhaftem Stoffe gefertigt, bloß eine kürzere Zeit, während die Guten an einem Orte der Seligen harren, bis sie in dem nächsten großen Weltenbrand (Heraklit!) mit allem, was da ist, wieder in die Einheit des göttlichen Urfeuers zurückkehren, bis aus diesem eine neue Wiedergeburt erfolgt.

Der Gottesbegriff der Stoiker ist, trotz seiner naturalistischen Begründung, ein hoher, ihre Gottesverehrung eine lautere, aus dem Herzen kommende. Gegen den Volksglauben, nebst Mantik und Opfern, verhielten sie sich nicht geradezu ablehnend, sondern suchten ihn durch Allegorisierung der Mythen und Idealisierung der Götter und Heroen zu veredeln. Damit stehen wir indessen bereits im Bereiche ihrer Ethik.

Quelle:
Karl Vorländer: Geschichte der Philosophie. Band 1, Leipzig 51919, S. 152-155.
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