Kapitel VII.

Die sokratischen Schulen.

  • [77] Literatur: Die anregendsten und scharfsinnigsten Untersuchungen geben Ferd. Dümmler, Akademika, Beiträge nur Literaturgeschichte der sokratischen Schulen, Gießen 1889, und Th. Gomperz, Griech. Denker, Bd. II; vgl. auch Th. Ziegler, Gesch. der Ethik, Bd. I.

Die Wirksamkeit des Sokrates hörte mit seinem Tode nicht auf. Zwar hatte er seiner ganzen Natur nach eine eigentliche »Schule« weder gebildet noch bilden wollen, aber zahlreiche Männer und Jünglinge hingen mit inniger Verehrung an ihm und suchten nach seinem Vorbild zu dem Ideal des »Schönen und Guten« (der kalokagathia) zu gelangen. Zu ihnen gehören zunächst solche, die ohne philosophische Bedeutung sind, wie Xenophon und Äschines (natürlich nicht der bekannte Rivale des Demosthenes), die beide in sokratischen Gesprächen des Meisters Lehre nach ihrer praktischen und gemeinverständlichen Seite hin darzustellen suchten, ohne ihn doch in seiner ganzen menschlichen und namentlich philosophischen Größe zu erfassen. Die Dialoge des Äschines, die besonders treu nach dem Leben abgefaßt gewesen sein sollen, besitzen wir leider nicht mehr, während die weniger zuverlässigen 'Apomnêmoneumata Xenophons (s. oben § 13) erhalten geblieben sind. Als Philosophen von Fach und Stifter philosophischer Schulen kennen wir vier von Sokrates' Jüngern: Aristipp, Antisthenes, Euklid von Megara und Plato. Die drei ersteren pflegt man, weil sie nicht den ganzen Sokrates, sondern nur einzelne Seiten desselben in sich aufgenommen hatten, um sie dann selbständig weiter zu bilden, die einseitigen oder unvollkommenen Sokratiker zu nennen. Diese herkömmliche Bezeichnung als »Sokratiker« paßt freilich auch nur sehr unvollkommen auf sie; mit mehr Recht könnte man sie wohl als von Sokrates mehr oder weniger[77] stark beeinflußte Abkömmlinge der Sophistik bezeichnen. Der echte Nachfolger des Sokrates ist Plato, den wir aber aus chronologischen wie systematischen Gründen erst später behandeln.

Quelle:
Karl Vorländer: Geschichte der Philosophie. Band 1, Leipzig 51919, S. 77-78.
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